Introduction
Introduction Statistics Contact Development Disclaimer Help
# taz.de -- Zivilgesellschaft leidet unter Ampel-Aus: Auf Kosten der Demokratie
> Die Ampel-Regierung ist geplatzt, ein neuer Haushalt auch. Nun müssen
> viele zivilgesellschaftliche Projekte um ihre Existenz fürchten – mal
> wieder.
Bild: Nach dem Bruch der Ampelkoalition bleiben nur wenige Sitzungswochen bis z…
Jedes Jahr am 12. Juni widmen sich Schüler*innen in Deutschland dem Leben
von Anne Frank. Zum Geburtstag des von den Nationalsozialisten ermordeten
jüdischen Mädchens führen sie durch Plakatausstellungen, sprechen mit
Zeitzeug*innen, organisieren Stadtspaziergänge. Mit dabei sind Städte wie
Berlin oder Leipzig, aber auch Dorsten, Ottersberg oder Auma-Weidathal. Ob
Projekte wie der „Anne Frank Tag“ auch im Jahr 2025 stattfinden können, ist
indes keineswegs gesichert. Grund dafür ist das Ampel-Aus – und der dadurch
[1][nicht verabschiedete Bundeshaushalt] für das kommende Jahr.
Organisiert wird der Schulaktionstag vom Anne Frank Zentrum, einer
bundesweit tätigen Bildungseinrichtung mit Sitz in Berlin. Rund 600 Schulen
nehmen jedes Jahr teil. „In allen Bundesländern und über alle Schulformen
hinweg erinnern Schüler*innen und Lehrkräfte an Anne Frank und werden
für Antisemitismus und Rassismus sensibilisiert“, sagt Veronika Nahm,
Direktorin des Zentrums.
Wie wichtig das gerade in diesen Tagen sei, zeige sich am massiven Anstieg
antisemitischer Vorfälle oder auch jüngst in der Leipziger
Autoritarismus-Studie. „Die Zufriedenheit mit der Demokratie schwindet,
Rassismus hat sich zu einem bundesweit verfestigten Ressentiment
entwickelt. Dabei ist ein Grundbestandteil der Demokratie der Schutz von
Minderheiten und dass jeder Mensch gleich an Würde ist.“ Genau da wolle man
mit Projekten wie dem Aktionstag ansetzen.
Möglich wird das durch Fördermittel – viele davon kommen vom Bund. Eines
der größten Programme, „Demokratie Leben“, ist beim Familienministerium v…
Lisa Paus (Grüne) angesiedelt. Es förderte in diesem Jahr 700 Projekt mit
182 Millionen Euro, darunter auch das Anne Frank Zentrum. Auch das
Auswärtige Amt, das Entwicklungs-, Justiz- oder Innenministerium fördern
Zivilgesellschaft. Das Problem: Viele der Projekte sind befristet, müssen
Gelder immer wieder neu beantragen. Schon in den Vorjahren fürchteten sie
jedes Mal um ihre Weiterexistenz. Mit den [2][überraschend vorgezogenen
Neuwahlen] ist die Lage nun noch prekärer.
Die ganze Präventionslandschaft drohe zu zerfallen, warnt Thomas Mücke vom
Violence Prevention Network. „Das darf nicht passieren.“ Mückes Netzwerk
setzt bundesweit Aussteigerprogramme für Islamist*innen und
Rechtsextreme um. Auch Timo Reinfrank von der Amadeu Antonio Stiftung, die
mehrere Präventions- und Aufklärungsprojekte betreibt, berichtet von großer
Unruhe unter den Projekten. „Es herrscht eine extreme Unsicherheit, wie es
weitergeht. Und ob es überhaupt weitergeht.“ Gerade angesichts der
Gesellschaftslage, in der „zunehmend Menschen in den Rechtsextremismus
abgleiten, wäre es fatal, wenn Prävention hier wegbricht und
Expert*innen entlassen werden müssen“, so Reinfrank.
## Ministerien versuchen zu beruhigen
Ähnliches berichtet Irina Bukharkina vom Verein Austausch, der mit
Organisationen vor allem in Osteuropa, der Kaukasusregion und Zentralasien
arbeitet. Einer der Schwerpunkte der NGO ist dieser Tage die Ukraine. Und
einer der wichtigsten Geldgeber: das Auswärtige Amt, das schon im
vergangenen Haushalt massiv Gelder einsparen musste – mit direkten
Auswirkungen auf die Arbeit der Organisation. „Wir haben aktuell 16
Mitarbeitende, 2023 waren wir noch 36“, berichtet Bukharkina. „Und von
unseren Projekten hängen ja auch Stellen bei den Partnerorganisationen vor
Ort ab.“ Auf dem Spiel stehe etwa ein Projekt, das in der Ukraine, Georgien
und Armenien Geflüchtete mit Behinderung unterstützt, aber auch die Arbeit
zur Stärkung der Zivilgesellschaft aus Belarus sowie ein Umweltprogramm.
Obwohl man auch auf private Mittel setze, bleibe öffentliche Förderung
wichtig, so Bukharkina. Schon bisher war oft erst im März klar, welche
Projekte im gleichen Jahr finanziert werden können. „Da konnte man immer
noch sehen, ob irgendwelche Rücklagen da sind, oder die Mitarbeitenden
beschwören, die paar Monate Durststrecke doch mitzumachen“, sagt
Bukharkina. „Aber jetzt ist völlig unabsehbar, wann es Klarheit gibt. Da
können wir als fairer Arbeitgeber eigentlich nur sagen: Such dir einen
anderen Job. So sehr uns das wehtut.“
Bei Paus Familienministerium sind die Ängste angekommen. Ein Sprecher
verweist auf die vorläufige Haushaltsführung, die das Finanzministerium
bald ausrufen werde. Damit können Gelder weiter fließen, bis ein neuer
Haushalt beschlossen ist, um etwa bereits beschlossene Gesetzesmaßnahmen
umsetzen. Darunter falle auch „Demokratie leben“, so der Sprecher. Man
treffe alle Vorkehrungen, „um eine Projektförderung ab 2025 während der
vorläufigen Haushaltsführung zu gewährleisten“.
Nach taz-Informationen sicherte das Ministerium den Initiativen inzwischen
in einem Schreiben zu, dass ein Projektstart zum 1. Januar gesichert sei
und für 2025 zunächst eine anteilige Zuwendung ausgezahlt werde. Auch
andere Ministerien versuchen zu beruhigen. So heißt es auch aus dem
Auswärtigen Amt, in einer vorläufigen Haushaltsführung werde man „seinen
rechtlich begründeten Verpflichtungen weiter nachkommen“.
Timo Reinfrank ist erleichtert, vorerst. „Wir gehen davon aus, dass wir
dadurch erst mal die ersten Monate im kommenden Jahr überbrücken können und
niemanden kündigen müssen.“ Dann aber sei die neue Bundesregierung
gefordert, die bisherigen Mittel für die Projekte im neuen Bundeshalt zu
verankern und die Demokratieförderung „langfristig abzusichern“.
## Lage in Sachsen, Thüringen und Brandenburg ist besonders prekär
Auch Thomas Mücke betont, dass „völlig offen“ sei, was nach den kommenden
Monaten folge. Gerade in der Arbeit mit Hochradikalisierten oder
Syrienrückkehrern wäre ein Auslaufen der Förderung fatal, warnt der
Präventionsexperte. 132 gewalttätige junge Menschen betreue das Violence
Prevention Network derzeit, 58 würden schwerste Delikte zugetraut. Diese
Arbeit müsste im schlimmsten Fall eingestellt werden, die Personen könnten
sich wieder radikalisieren, warnt Mücke. „Die Folgen wären unkalkulierbar.�…
Von den derzeit 150 Mitarbeitenden seien zuletzt bereits 26 entlassen
worden. Die nächste Bundesregierung müsse hier gegensteuern und
„schnellstmöglich für Finanzierungssicherheit sorgen“.
Auch Veronika Nahm vom Anne-Frank-Zentrum nennt die Zusicherungen aus den
Ministerien „sehr wichtig“. Aber auch Fördermittel aus einigen
Bundesländern seien derzeit ungewiss. „In Hessen oder Berlin etwa müssen
die Landesregierungen enorm sparen. Und ob in den ostdeutschen
Bundesländern Demokratieförderung in Zukunft überhaupt noch ein Schwerpunkt
ist, wird sich erst noch zeigen.“
Tatsächlich ist die Lage in Sachsen, Thüringen und Brandenburg [3][seit den
Landtagswahlken] besonders prekär. Mehrheitsfähige Regierungen sind nicht
in Sicht. In Sachsen sei ein neuer Landeshaushalt noch in weiter Ferne,
sagt Andrea Hübler von der RAA Sachsen, die neben der Beratung für Opfer
rechter Gewalt auch Bildungs- und Integrationsprojekte betreibt. Die
geplante CDU-SPD-Minderheitsregierung müsse sich für jedes Vorhaben neue
Mehrheiten organisieren – und werde dabei auf Widerstand stoßen. „Gerade
für Integrationsarbeit und Unterstützung für Geflüchtete sieht es bitter
aus“, so Hübler. „Hier wurden zuletzt schon etliche Projekte eingekürzt,
für diesen Bereich gibt es im Parlament nur noch wenig Unterstützung.“ Dass
CDU und SPD aber Mehrheiten mit der AfD ausschließen, sei „eine wichtige
Linie, die gezogen wurde“.
Ähnlich sieht es in Thüringen Romy Arnold von Mobit, die Beratungen zu
Rechtsextremismus anbieten. Bereits im noch aktuellen Thüringer
Landeshaushalt seien zwei Millionen Euro für Integrationsprojekte
eingekürzt wurden und 340.000 Euro im Landesprogramm für Demokratie,
Toleranz und Weltoffenheit. „Und die Aussichten für die kommende
Legislatur, unter welcher Regierung auch immer, werden nicht besser“, so
Arnold. „Was in Zeiten, wo die Demokratie immer mehr unter Beschuss steht,
umso fataler ist.“
Die Ampel hatte genau diese Unsicherheiten bei der Finanzierung eigentlich
beenden wollen: mit der Einführung eines Demokratiefördergesetzes, das
solche Projekte langfristig absichern würde. Das Gesetz war im
Koalitionsvertrag vereinbart, Paus und Innenministerin Nancy Faeser (SPD)
legten auch einen Entwurf vor. Doch dann stellte sich die FDP quer, weil
sie fürchtete, dass auch radikale Projekte gefördert werden könnten.
Die zivilgesellschaftlichen Initiativen fordern das Demokratiefördergesetz
dagegen weiter ein. „Die Dringlichkeit für dieses Gesetz ist eher noch
gestiegen“, sagt Reinfrank. Grüne und SPD haben sie an ihrer Seite:
„Selbstverständlich“ werde er auch in der nächsten Legislatur wieder einen
Anlauf für das Demokratiefördergesetz nehmen, sagt der SPD-Abgeordnete
Felix Döring der taz. Seine Partei sei aber auch offen für eine gemeinsame
Initiative mit der Union in den noch verbleibenden Sitzungswochen. Auch
CDU-Kommunalpolitiker*innen würden sich für das Gesetz einsetzen, so
Döring. Und: „Nur durch die Kombination von Prävention und gezielter
Sicherheitsarbeit können wir unsere Demokratie langfristig schützen.“
Die Unions-Fraktion aber winkt ab. „Die CDU und CSU haben das
Demokratiefördergesetz immer abgelehnt und dabei bleibt es“, sagte
Unions-Fraktionsvize Andrea Lindholz der taz. Ganz stimmt das jedoch nicht:
Der frühere CSU-Mann und Innenminister Horst Seehofer schwenkte am Ende
seiner Amtszeit um und befürwortete das Gesetz doch. Lindholz betont, der
Schutz der Demokratie und der Kampf gegen seine Feinde sei
selbstverständlich ein besonders wichtiges Anliegen. „Aber
Demokratieförderung findet in erster Linie in den vielen bewährten
Vereinen, Verbänden und Strukturen vor Ort statt, die unser
gesellschaftliches Zusammenleben stärken.“ Dazu komme politische
Bildungsarbeit der Parteien, Stiftungen oder der Bundeszentrale für
Politische Bildung. „Diese Strukturen gilt es zu stärken“, so Lindholz.
„Die Schaffung neuer konkurrierender Organisationsformen halte ich nicht
für sinnvoll.
16 Nov 2024
## LINKS
[1] /Bundestagshaushalt-nach-Ampel-Aus/!6047572
[2] /Bilanz-der-Ampel-Regierung/!6045272
[3] /Nach-den-Wahlen-in-Ostdeutschland/!6045280
## AUTOREN
Konrad Litschko
Dinah Riese
## TAGS
Fördergelder
Zivilgesellschaft
Ampel-Koalition
Schwerpunkt Bundestagswahl 2025
wochentaz
Demokratie
Bündnis 90/Die Grünen
Bundesgerichtshof
Schwerpunkt AfD
## ARTIKEL ZUM THEMA
Demokratieförderung nach Ende der Ampel: Die Lage ist dramatisch
Das Ampel-Vorhaben sollte Demokratieprojekten finanzielle Sicherheit geben
und scheiterte bislang an der FDP. Ein Verband bringt es nun wieder ins
Spiel.
Bundestagswahlkampf im Lokalen: Wahlkampf im Winter
Die Landtagswahlen im Osten haben von den grünen Wahlkämpfer*innen vor
Ort viel gefordert. Nun geht es weiter mit der Bundestagswahl. Einfach wird
das nicht.
Entscheidung des Bundesgerichtshofs: K.-o.-Tropfen sind kein „gefährliches W…
Der Bundesgerichtshof sieht K.-o.-Tropfen nicht als gefährliches Werkzeug.
Hohe Strafen drohen dennoch: Da der Einsatz eine Todesgefahr verursache.
Rechte Netzwerke in Burschenschaften: „Die Brandmauer wird systematisch durch…
Burschenschaften bilden ein Scharnier von rechten zu rechtsextremen
Kräften, sagt Experte Simon Brost. Das zeigt auch der Fall Peter Kurth.
You are viewing proxied material from taz.de. The copyright of proxied material belongs to its original authors. Any comments or complaints in relation to proxied material should be directed to the original authors of the content concerned. Please see the disclaimer for more details.