| # taz.de -- Rechter Terror in Deutschland: Auf der Feindesliste | |
| > Mitglieder der Preppergruppe Nordkreuz sollen geplant haben, politische | |
| > Gegner zu töten. Was tut der Staat gegen rechten Terror? | |
| Bild: Rechte Prepper gibt es auch in der Bundeswehr | |
| Rostock/Schwerin/Ludwigslust/Berlin taz | Als Heiko Böhringer Hilfe | |
| braucht, wendet er sich an die Polizei. Er hat einen Brief erhalten, am | |
| Computer getippt, per Post verschickt. Eine anonyme Morddrohung. Böhringer | |
| lebt im mecklenburgischen Ludwigslust, er ist Ingenieur, Lokalpolitiker und | |
| in einem Bündnis für Windkraftausbau aktiv. | |
| Nicht nur er bekommt so einen Drohbrief, sondern auch ein Landrat und der | |
| Energieminister des Landes. Der Staatsschutz übernimmt. Ein paar Tage lang | |
| erhält Böhringer Polizeischutz, die Familie des Ministers auch, aber der | |
| Absender der Briefe wird nicht gefunden. Das war 2015. Böhringer hatte viel | |
| zu tun, das mit der Morddrohung hatte er schon fast vergessen. Bis ihn das | |
| Bundeskriminalamt daran erinnert. | |
| Am Montag vor einer Woche haben BKA-Ermittler ihn als Zeugen zur | |
| Kriminalinspektion nach Schwerin gebeten, danach wird er der taz von dem | |
| Termin berichten. Die Beamten zeigen ihm Ausdrucke mit Fotos und | |
| Informationen über ihn, aber auch über andere Personen. Auf manchen | |
| Dokumenten sind handschriftliche Notizen. | |
| Bei den Betroffenen handelt es sich um Politiker von der Linken, von den | |
| Grünen und der SPD sowie Aktivisten aus der Zivilgesellschaft. Viele haben | |
| sich für Flüchtlinge engagiert. Der Verdacht der Ermittler: Diese | |
| Datensammlung, die sie bei Razzien in einem gelben Ordner und einem | |
| Umschlag gefunden haben, [1][sind eine Feindesliste]. Angelegt von zwei | |
| Männern, die geplant haben sollen, politische Gegner umzubringen. | |
| Die Ermittler zeigen Böhringer eine Skizze. Es ist der Grundriss seiner | |
| Wohnung. Der Staatsschutz hatte sie angefertigt, damals, nach den | |
| Morddrohungen. Jetzt ist sie in die Hände von zwei Männern geraten, die das | |
| BKA für rechtsextreme Terroristen hält. | |
| ## Schützt der Staat die Bedrohten | |
| Es ist ein ungeheuerlicher Verdacht, dem die Bundesanwaltschaft seit nun | |
| fast zwei Jahren nachgeht: Zwei Männer in Mecklenburg-Vorpommern sollen | |
| geplant haben, Personen aus dem „politisch linken Spektrum“ zu töten. Der | |
| eine Beschuldigte, Jan Hendrik H., ist Anwalt aus Rostock und war bis vor | |
| Kurzem Lokalpolitiker. Der andere, Haik J., arbeitete bis zu den | |
| Ermittlungen bei der Kriminalpolizei in Ludwigslust. „Vorbereitung einer | |
| schweren staatsgefährdenden Gewalttat“ lautet der Vorwurf im | |
| Juristendeutsch und meint: Terror. | |
| Wenige Wochen ist der [2][Mord an Walter Lübcke] nun her, der erste | |
| mutmaßlich rechtsextreme Mord an einem Politiker in Deutschland seit 1945. | |
| Alte Fragen stellen sich jetzt noch dringlicher: Wie schützt der Staat die | |
| Bedrohten? Kann er das überhaupt? | |
| Seit zwei Jahren recherchiert ein Team der taz zu rechten Netzwerken in | |
| Mecklenburg und in ganz Deutschland. Wir haben mit vielen Beteiligten | |
| gesprochen, mit Quellen in Behörden und in der Politik, wir konnten | |
| Ermittlungsunterlagen und andere Dokumente einsehen. Damals schon schrieben | |
| wir von einem radikalen Netzwerk, jetzt können wir detaillierter | |
| beschreiben, wie die Pläne aussahen und wer die Opfer sein sollten. | |
| Es geht um Elitepolizisten, die Munition klauen und horten. Um Löschkalk | |
| und Leichensäcke. Um einen Landesinnenminister, der wenig weiß oder das | |
| vorgibt. Und um die Bundesanwaltschaft, die bislang nicht wegen Bildung | |
| einer terroristischen Vereinigung ermittelt. | |
| ## Vorbereitung auf „Tag X“ | |
| Um zu verstehen, wie groß die Gefahr für Heiko Böhringer und die anderen | |
| Menschen [3][auf der Nordkreuz-Liste] ist, muss man zwei Jahre zurückgehen. | |
| Am 28. August 2017 durchsucht das BKA Wohnungen und Büros von Jan Hendrik | |
| H., Haik J. und mehreren Zeugen in Mecklenburg-Vorpommern, im April 2018 | |
| rücken sie noch einmal aus, um bei acht Zeugen zu durchsuchen. Inhaftiert | |
| ist bislang keiner der Beschuldigten. | |
| Die Ermittler gehen vorsichtig vor. Die Bundesanwaltschaft misstraut den | |
| örtlichen Polizeikräften, informiert sogar den Landesinnenminister im | |
| August 2017 erst unmittelbar vor den ersten Durchsuchungen. Denn die beiden | |
| Verdächtigen verfügen über gute Kontakte: Sie sind Teil der rund | |
| 30-köpfigen Gruppe Nordkreuz. Unter den Mitgliedern sind nicht nur | |
| Polizisten, sondern auch Anwälte, ein Malermeister, ein Kampfsportlehrer, | |
| Sportschützen, Reservisten. | |
| Die Menschen in der Gruppe bereiten [4][sich auf einen „Tag X“] vor, einen | |
| Sturm oder einen Stromausfall, das sind die Szenarien, die ehemalige | |
| Gruppenmitglieder beschreiben. Sie erzählen davon, dass sie | |
| Trinkwasseraufbereitung üben, sich von Türmen abseilen und einander warnen, | |
| wenn Impfstoff in einem Krankenhaus knapp wird. Sie sind Prepper. Das ist | |
| nicht strafbar. | |
| Unsere Recherchen haben aber auch ergeben: Die Mitglieder dieser Gruppe, | |
| die sich um 2015 herum gegründet hat, halten es für möglich, dass die | |
| öffentliche Ordnung zusammenbricht, weil Flüchtlinge nach Deutschland | |
| kommen. Sie misstrauen dem Staat und bezweifeln, dass er die öffentliche | |
| Sicherheit aufrechterhalten kann. Es ist die Aufgabe von Polizisten, | |
| Soldaten und Reservisten, Sicherheit herzustellen. Stattdessen haben | |
| Mitglieder von Nordkreuz das Gegenteil vor. Das Bundesamt für | |
| Verfassungsschutz beobachtet Nordkreuz nach eigenen Angaben bereits seit | |
| Herbst 2016 mit „vollem“ Einsatz nachrichtendienstlicher Mittel. | |
| ## Aufrufe zu „inneren Unruhen“ | |
| Die Geschehnisse in Mecklenburg lassen sich nicht als Einzelfall mit zwei | |
| mutmaßlichen Straftätern abtun, die in sich in einer Gruppe bewegen, sich | |
| radikalisierten. Nordkreuz ist keine isolierte Gruppe und eingebettet in | |
| ein weit größeres Netzwerk. Das können wir längst belegen. Die meisten | |
| Mitglieder sind auch Teil weiterer Telegram-Gruppen wie Nord.com und Nord. | |
| Daneben gibt es die Gruppen West, Ost und Süd. Was sie vereint, ist ihr | |
| Gründer, er nennt sich Hannibal. Sein bürgerlicher Name ist André S. Neben | |
| den Prepperchats führt er den Verein Uniter, der sich in sein Netz einfügt, | |
| in Süddeutschland sogar mit der Preppergruppe verschmolzen ist. | |
| Als André S. die Gruppen und den Verein gründet, ist er Soldat beim | |
| Kommando Spezialkräfte der Bundeswehr. Eine Eliteeinheit, deren Aufgabe | |
| auch ist, Terror im Ausland zu bekämpfen. Also: den Staat zu schützen. Doch | |
| André S. bereitet sich auf dessen Zusammenbruch vor. In einer internen | |
| E-Mail riet er etwa, sich auf „innere Unruhen“ oder „Krisen an den Grenze… | |
| vorzubereiten. | |
| In Chats und bei Treffen sprachen sie über Fluchtrouten, sichere | |
| Treffpunkte, Depots. André S. ist nicht mehr beim KSK, es läuft ein | |
| Disziplinarverfahren gegen ihn, auch die Staatsanwaltschaft ermittelt, weil | |
| bei einer Durchsuchung seines Elternhauses Zünder von Übungshandgranaten | |
| gefunden wurden. Ob er über die Pläne der Prepper im Norden informiert war, | |
| ist unklar. Unter Terrorverdacht steht er nicht. | |
| Von dem großen Netzwerk und seinem Strippenzieher weiß Heiko Böhringer | |
| nichts, als er im Juni 2019 in Schwerin beim BKA sitzt. Die Sache mit | |
| Nordkreuz kennt er aus der Zeitung, die beiden Beschuldigten Jan Hendrik H. | |
| und Haik J. glaubt er nie getroffen zu haben. | |
| Er selbst hatte nach den Morddrohungen nie eine Rückmeldung von den | |
| Ermittlern bekommen. Auch nicht, als sein Wohnungsgrundriss bei den Razzien | |
| gefunden wurde. Hatte der Kriminalpolizist Haik J. damals mit den | |
| Ermittlungen zu tun oder geht der Staatsschutz so schlampig mit | |
| anvertrauten Daten um, dass andere Polizisten darauf zugreifen können? Das | |
| Innenministerium in Schwerin will dazu auf taz-Anfrage nichts sagen. | |
| ## Der Begriff „Todesliste“ fiel im Bundestag | |
| Ohnehin erklärt das Ministerium seit zwei Jahren wenig. Zwar setzte | |
| Innenminister Lorenz Caffier (CDU) eine Prepper-Kommission ein, ihr Bericht | |
| ist jedoch bis heute nicht veröffentlicht. Informationen fließen spärlich. | |
| Oder sind unwahr. | |
| Im Innenausschuss des Landtages erklärt ein Staatssekretär noch im Januar: | |
| Selbst wisse man nicht viel, weil die Bundesanwaltschaft die Ermittlungen | |
| führt. Aber auch diese habe im Dezember 2018 im Innenausschuss des | |
| Bundestages nicht von einer Namensliste gesprochen, sagt er laut Protokoll | |
| und legt sich fest: Entsprechende Medienberichte müssten „schlicht falsch“ | |
| sein. Aber das stimmt nicht. Der taz liegt das Protokoll dieser | |
| nichtöffentlichen Sitzung vor. Darin ist mehrfach explizit der Begriff | |
| „Todesliste“ zu finden. | |
| Nach Heiko Böhringers Befragung reisen die Ermittler vom BKA weiter nach | |
| Rostock. Sie befragen insgesamt 29 Zeugen. Wir konnten mit einigen von | |
| ihnen sprechen. | |
| Daten von rund 25.000 Personen haben die Ermittler sichergestellt, der | |
| größte Teil stammt aus dem Hack eines Versandhandels, der seit Jahren im | |
| Internet kursiert. Was die 29 Personen verbindet, die als Zeugen geladen | |
| wurden: In ihren Fällen wurden Meldeadressen oder Geburtsdaten ergänzt. Die | |
| Ermittler denken, dass Haik J. seinen Zugang als Kriminalpolizist genutzt | |
| hat, um solche Details herauszufinden. | |
| Am Ende der Befragungen haben die Ermittler einen Querschnitt der Rostocker | |
| Zivilgesellschaft getroffen: Ein hochrangiger Gewerkschaftsfunktionär ist | |
| dabei. Landtagsabgeordnete, die ihren Wahlkreis in der größten Stadt des | |
| Bundeslandes haben. Eine Reihe von Abgeordneten aus der Rostocker | |
| Bürgerschaft, der Kommunalvertretung. Dort hatte auch Jan Hendrik H. ein | |
| Mandat, der beschuldigte Rechtsanwalt. Obwohl es mehrmals Anträge gab, | |
| wurde Jan Hendrik H. nicht aus Gremien ausgeschlossen. Es gelte die | |
| Unschuldsvermutung, sagten die Abgeordneten damals. | |
| Jetzt erfahren einige von ihnen, dass Jan Hendrik H. Dossiers über sie | |
| angelegt hat. Auch ein ehemaliger Mitbewohner von Haik J. aus Studientagen | |
| ist in der Sammlung vermerkt, ein Mitglied der Linkspartei. Neben seinem | |
| Namen steht sinngemäß: Kenne ich. Kommen gut klar. Aus dem konnte ja nichts | |
| werden. | |
| Was sich anhand der Zeugenliste zeigt: Die Beschuldigten haben es nicht auf | |
| radikale Linke abgesehen, nicht auf Spitzenpolitiker im fernen Berlin. Sie | |
| spähten Menschen in der Mitte der Gesellschaft aus. Ihre Nachbarn. | |
| Was das BKA ihnen gesagt hat, das berichten mehrere Befragte unabhängig | |
| voneinander: Das BKA habe direkt nach den Durchsuchungen im August 2017 die | |
| Einschätzung getroffen, dass eher keine Gefährdung vorliege. Das sei an das | |
| LKA in Mecklenburg-Vorpommern gegangen mit der Bitte: die Betroffenen zu | |
| sensibilisieren. Sprich: sie zu informieren, dass sie auf der Liste stehen. | |
| Innenminister Caffier sagte hingegen im Landtag: Er habe nicht in die | |
| Öffentlichkeit gehen können und von Todeslisten sprechen. „Und genauso | |
| schwer fällt es mir, das LKA anzuweisen, die 29 Personen zu informieren, | |
| obwohl doch gar keine Gefährdung vorliegt.“ Nicht einmal seine Kollegen im | |
| Landtag hat er informiert, die ihn mehrfach explizit um Auskunft baten. | |
| Inzwischen beschäftigten mehr als ein Dutzend parlamentarische Anfragen zur | |
| Nordkreuz-Gruppe und dem Hannibal-Netzwerk die Bundesregierung. | |
| Landtagsabgeordnete fragten nach, die Chefs der Nachrichtendienste wurden | |
| in Ausschüsse und Gremien bestellt. Auch dort heißt es immer wieder, es | |
| gebe Ermittlungen. Aber ein konspiratives Netzwerk mit dem Ziel, die | |
| freiheitlich-demokratische Grundordnung zu beseitigen? | |
| Vergangene Woche wurde bekannt, dass bei den Ermittlungen auch eine Art | |
| Materialliste gefunden worden ist, handgeschrieben. Darauf nach | |
| taz-Informationen verzeichnet: Leichensäcke und Löschkalk, den man in | |
| Massengräber schüttet, um die Verwesung zu beschleunigen. Darüber | |
| berichtete zuerst das Redaktionsnetzwerk Deutschland. | |
| Bei welchem Sturm, welchem Stromausfall sollte jemand Leichensäcke in | |
| großer Stückzahl benötigen? Langsam scheint der Öffentlichkeit bewusst zu | |
| werden: Das sind keine harmlosen Prepper. | |
| Die Bundesanwaltschaft ermittelt bislang im Norden lediglich gegen Haik J. | |
| und Jan Hendrik H. wegen Terrorvorwürfen. Alle anderen aus dem Netzwerk | |
| gelten als Zeugen. Dabei müsste den Ermittlern längst bewusst sein, dass | |
| nicht nur diese zwei Männer Tötungsabsichten hatten. | |
| In der Nordkreuz-Gruppe habe man davon gesprochen, gegen die als | |
| „Invasoren“ bezeichneten Flüchtlinge vorzugehen, notfalls mit Waffengewalt. | |
| So haben es die BKA-Beamten jetzt den 29 Befragten erklärt. Und es habe | |
| einen kleineren Personenkreis gegeben, der auch gegen diejenigen vorgehen | |
| wollte, die sie für das angebliche Problem verantwortlich machen. | |
| Was sie offenbar vorhatten, wird in dieser Szene deutlich: An einem Abend | |
| Anfang 2017 treffen sich vier Männer aus der Nordkreuz-Gruppe an einem | |
| Stehimbiss in Mecklenburg-Vorpommern. Sie fragen sich: Wenn der „Tag X“ | |
| kommt und Chaos ausbricht, könnte man nicht Bundeswehr-Lkws organisieren, | |
| um Menschen abzutransportieren? Von Erschießungen soll die Rede gewesen | |
| sein. So sagen es Personen, die mit den Vorgängen betraut sind. | |
| Die vier Männer tauschen sich in einer eigenen Telegram-Chatgruppe aus, sie | |
| heißt „Vier gewinnt“. Laut Bundesregierung manifestiert sich bei den | |
| Mitgliedern dieser Gruppe „eine gefestigte rechtsextremistische | |
| Einstellung“. Mit dabei: ein Versicherungsvertreter aus Rostock; der | |
| damalige Chef einer Reservistenkompanie der Bundeswehr; Haik J., der | |
| beschuldigte Kriminalpolizist. Und Marko G., ein ehemaliger SEK-Beamter. | |
| ## Ein Präzisionsschütze, der Waffen hortete | |
| Marko G. hat die Nordkreuz-Gruppe gegründet und geleitet, er ist die | |
| Verbindungsperson zu Hannibal, dem zentralen Chatgruppen-Administrator. Und | |
| er sitzt seit Mitte Juni in Untersuchungshaft. Der Vorwurf: Verstoß gegen | |
| das Waffenrecht, das Kriegswaffenkontrollgesetz und das Sprengstoffgesetz. | |
| In diesem Fall ermittelt die Staatsanwaltschaft in Schwerin. | |
| Marko G. war früher Fernspäher, einer derjenigen, die man hinter der | |
| feindlichen Linie abwerfen konnte und die trotzdem überlebten. Dann ging er | |
| zum Spezialeinsatzkommando der Polizei, die Einheit für harte Fälle, | |
| Festnahme von Schwerverbrechern, Geiselbefreiung. Er ist Präzisionsschütze. | |
| Im Terrorverfahren des Generalbundesanwaltes gilt Marko G. als Zeuge, | |
| deshalb befragten ihn die Ermittler damals und durchsuchten sein Haus. Für | |
| die taz ist er nicht zu sprechen, auch nicht, als er im April bei einer | |
| Podiumsdiskussion in Rostock zum Thema Nordkreuz als Zuhörer erscheint. | |
| Die Nordkreuz-Gruppe hatte, das geht aus Ermittlungsunterlagen vor, für | |
| „Tag X“ vorgesorgt und geheime Depots angelegt, mit Treibstoff und | |
| Nahrungsmitteln. Jeder von ihnen hatte dafür 600 Euro gezahlt – an Marko G. | |
| Jetzt wird bekannt: Schon bei der Durchsuchung 2017 haben die Beamten bei | |
| ihm mehrere zehntausend Schuss Munition und eine Vielzahl von Waffen | |
| gefunden. Anfang Juni stießen sie erneut auf eine so hohe Anzahl Munition. | |
| Insgesamt handelt es sich um mindestens 60.000 Schuss. Auch eine | |
| Uzi-Maschinenpistole und ein Schalldämpfer wurden sichergestellt, beides | |
| besaß er illegal. | |
| Die Ermittler haben herausgefunden, dass seit 2012 Munition aus | |
| Polizeibeständen geklaut wurde. Doch soll es sich dabei nur um einen | |
| geringen Anteil der gefundenen Munition handeln. Wo der Rest herkam? | |
| Unklar. | |
| Beschuldigt, die Munition geklaut zu haben sind neben Marko G. drei aktive | |
| und ehemalige Beamte des SEK, einer ist schon kein Polizist mehr, die | |
| anderen sind suspendiert und sollen aus dem Dienst entfernt werden. Zwei | |
| von ihnen sitzen wegen Fluchtgefahr in Untersuchungshaft. In Chats sollen | |
| die vier „rechtsextremistisches Gedankengut“ ausgetauscht haben. Zwei der | |
| vier sind ehemalige Fallschirmjäger. Ob auch sie direkten Kontakt zu | |
| Nordkreuz oder dem weiteren Hannibal-Netzwerk hatten, ist nicht bekannt. | |
| ## Warum sehen Ermittler Einzelpersonen? | |
| Jetzt muss die Bundesanwaltschaft sich fragen lassen: Warum werden die | |
| beiden Verfahren getrennt behandelt? Ein Kriminalpolizist und ein Anwalt | |
| legen Todeslisten an. Sie sind Teil einer Gruppe, deren Leiter illegal | |
| Munition und Waffen hortet. Auf Landesebene und im Bundestag wundern sich | |
| Politiker: Warum sehen die Ermittler noch immer nur Einzelpersonen und | |
| keine terroristische Vereinigung? Also mindestens drei Personen, die | |
| schwere Straftaten begehen wollen, Schrecken verbreiten, mit einem | |
| politischen Ziel? Auf Anfrage der taz äußert sich die Bundesanwaltschaft | |
| nicht. | |
| Nachdem Ermittler, Bundestag und Nachrichtendienste sich seit zwei Jahren | |
| an der Nordkreuz-Causa abarbeiten, nachdem ein CDU-Politiker in der | |
| hessischen Provinz mutmaßlich von einem Rechtsextremen ermordet wurde, hat | |
| nun Innenminister Caffier Konsequenzen angekündigt. Dem Betreiber eines | |
| Schießplatzes in Güstrow wurde gekündigt, dort hatten Polizisten aus | |
| Mecklenburg-Vorpommern trainiert – aber auch welche aus anderen | |
| Bundesländern und auch die Nordkreuz-Mitglieder schossen dort regelmäßig. | |
| Der Betreiber war selbst Teil der Chatgruppe, ist dann aber ausgetreten. | |
| Vier weitere Beamte hat Caffier vorsorglich aus dem SEK versetzen lassen, | |
| weil sie über Chats intensiven Kontakt zu Marko G. und den anderen | |
| SEK-Beamten hatten. Er hat die Schießtrainings neu organisieren lassen, um | |
| den Diebstahl von Munition zu verhindern. Alle Bewerber der Landespolizei | |
| sollen künftig vom Verfassungsschutz überprüft werden, Beamte maximal zehn | |
| Jahre beim SEK bleiben. Eine dreiköpfige Expertenkommission wurde | |
| beauftragt, die Spezialeinheiten des Landes bis Ende Oktober „gründlich zu | |
| untersuchen“. | |
| Während der mutmaßliche Rechtsterrorist von Kassel enge Verbindungen in die | |
| klassische Neonaziszene hat, reichen die Kontakte von Nordkreuz bis in den | |
| parlamentarischen Raum. Mehr noch: Auch nachdem die Vorwürfe gegen die | |
| Mitglieder bekannt wurden, drängen sie in politische Ämter. Es taucht | |
| beispielsweise der Name eines AfD-Kommunalpolitikers als Nordkreuz-Mitglied | |
| in den Ermittlungsunterlagen auf, auf Anfrage verneint dieser, im Chat | |
| gewesen zu sein. Auch Marko G. ist AfD-Mitglied. | |
| ## „Ich will ihn hängen sehen“ | |
| Der Kriminalpolizist Haik J. wurde in eine Partei-Arbeitsgruppe zur inneren | |
| Sicherheit berufen, da waren die Vorwürfe gegen ihn schon bekannt. Er | |
| arbeitete als Wahlkreismitarbeiter für den AfD-Landtagsabgeordneten Holger | |
| Arppe, zu dem auch der beschuldigte Anwalt Jan Hendrik H. guten Kontakt | |
| pflegte. Arppe wurde Anfang 2018 aus der Partei ausgeschlossen, nachdem die | |
| taz aus internen Chats zitiert hatte, in denen er von der Hinrichtung | |
| politischer Gegner sprach. „Ich will sie hängen sehen“, schrieb er. „Gru… | |
| ausheben, alle rein und Löschkalk oben rauf.“ | |
| Auch Arppe wurde 2018 während der Nordkreuz-Ermittlungen als Zeuge | |
| durchsucht. Es gibt keinen Hinweis, dass er selbst Teil von Nordkreuz war. | |
| Doch egal wie eng der Kontakt zwischen der Gruppe und AfD-Vertretern ist: | |
| Die Ideologie und die Gedankenspiele sind teils sehr ähnlich. | |
| Am 21. Mai 2015 zieht Holger Arppe in seinem Chat mit anderen | |
| AfD-Mitgliedern über einen Mann von den Grünen her, der sich gegen | |
| Rechtsextremismus engagiert. „Brauchen wir seine Adresse?“, fragt einer. | |
| „Da muss ich heute Nacht mal gleich meinen Dienstrechner mit seinen Daten | |
| füttern.“ Der Mann, über den sie sprechen, lebt in Rostock und saß in der | |
| Bürgerschaft. Sein Name steht auf der Feindesliste, darüber wurde er | |
| vergangene Woche vom BKA informiert. Auch seine Privatadresse steht dabei, | |
| handschriftlich notiert. | |
| 6 Jul 2019 | |
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