# taz.de -- Thüringer Polizei behindert Journalisten: Presse in Gefahr | |
> Das Thüringer Innenministerium verteidigt das Vorgehen der Polizei gegen | |
> Journalisten am Rande einer Neonaziveranstaltung. Katastrophal! | |
Bild: Obacht beim Fotografieren scheuer Neonazis! Nicht dass die Polizei wieder… | |
In Zeiten, in denen [1][Politiker mutmaßlich von Rechtsextremen abgeknallt | |
werden] und [2][andere auf Feindeslisten stehen], lautet die existenzielle | |
Frage für die Freiheit der Presse: Wie frei kann man über gewaltbereite | |
Neonazis berichten? Das Thüringer Innenministerium hat sich erstmals zu | |
Maßnahmen der Polizei gegen Journalisten am Rande einer | |
Neonaziveranstaltung im November letzten Jahres geäußert. Die | |
Verlautbarungen zeigen, dass die Antwort auf diese Frage schnell sehr | |
düster ausfallen kann. | |
Rückblende: Am Abend des 8. November 2018 – wenige Stunden vorm Jahrestag | |
des gescheiterten Putschversuchs 1923 und der Pogromnacht 1938 – | |
versammelten sich rund 100 Neonazis in Fretterode, einem winzigen Dorf im | |
Thüringer Eichsfeld. Auf dem Grundstück [3][des ranghohen NPD-Funktionärs | |
Thorsten Heise] trat der ehemalige SS-Mann Karl M., ein verurteilter | |
Kriegsverbrecher, als Redner auf. Für zwei Fotografen und ein | |
NDR-Kamerateam Grund genug, an diesem Abend in Fretterode dabei zu sein. | |
Wie das NDR-Magazin „Zapp“ schon damals berichtete, ließ die Polizei die | |
Rechtsextremen gewähren, als diese die Arbeit der Journalisten behinderten, | |
etwa indem sie in die Kameras griffen. Stattdessen forderte eine | |
Polizeibeamtin die Journalisten auf, das Fotografieren einzustellen: „Es | |
gab bei uns Beschwerden, dass sie Personen fotografiert haben. Man möchte | |
das nicht, und damit haben sie das zu unterlassen.“ Zudem drohte ein | |
Polizist an, die Fotos der Journalisten zu löschen. | |
Der schwerste Angriff auf die Arbeit der Journalisten war jedoch eine | |
weitere Drohung: Die Beamten sagten, sie würden die Privatadressen der | |
Journalisten an die gewaltbereiten Neonazis weitergeben. Das | |
Innenministerium in Erfurt teilt nun in der Antwort auf eine Kleine Anfrage | |
der Abgeordneten Katharina König-Preuss (Die Linke) mit: „Eine nachfolgende | |
Weitergabe der Personalien wäre nach Gesetz nur bei berechtigten Ansprüchen | |
erfolgt.“ | |
## Private daten bei Neonazis: Risiko sei „spekulativ“ | |
Im Gegensatz dazu klang die Drohung bereits wie beschlossene Sache. Auf | |
NDR-Aufzeichnungen ist zu sehen, wie eine Polizistin sagt: Ein Neonazi, der | |
sich über die Fotografen beschwert habe, „bekommt nun von Ihnen, zum Schutz | |
privater Rechte, ihre Daten“. Erst durch die Intervention des Anwalts der | |
Fotografen wurde das Herausrücken der Daten gestoppt. | |
Im von Georg Maier (SPD) geführten Innenministerium scheint man nicht zu | |
verstehen, wie ungeheuerlich der Vorgang ist. „Eine Aussage, inwieweit eine | |
Weitergabe von Daten im Sinne der Frage ein potenzielles Risiko darstellt, | |
ist spekulativ“, heißt es nun in der Antwort auf die parlamentarische | |
Anfrage. | |
Einer der Fotografen, der im November in Fretterode dabei war, [4][wurde | |
bereits im April 2018 ebendort von zwei Neonazis angegriffen]. Die | |
mutmaßlichen Täter waren damals ebenfalls zu Besuch bei Thorsten Heise. | |
Während ihrer Attacke mit einem großen Schraubenschlüssel und einem Messer | |
fügten sie dem Fotografen einen Schädelbruch und Stichverletzungen zu. | |
Mindestens einer von ihnen war auch auf der Veranstaltung mit dem SS-Mann | |
im November. | |
Was könnte wohl passieren, wenn Neonazis aus dem Umfeld von Thorsten Heise | |
an die Privatadresse des Fotografen kämen? Es ist verständlich, dass man im | |
Thüringer Innenministerium nicht darüber spekulieren will. Die Vorstellung | |
ist zu hässlich. | |
## Eine Katastrophe für die Demokratie | |
Trotzdem gibt es aus dem Thüringer Innenministerium keine Anzeichen, dass | |
es als Problem gesehen würde, wenn Polizisten Journalisten androhen, ihre | |
Adressen an womöglich gewaltbereite Neonazis weiterzugeben, die sich | |
treffen, um einen SS-Mann als Zeitzeugen zu feiern. Eigentlich müsste das | |
Innenministerium als Aufsichtsbehörde der Polizei nun überlegen, wie man | |
die Aus- und Weiterbildung der Beamten in Sachen Presserecht verbessert. | |
Dass sich der Innenminister, der die Antworten persönlich unterzeichnet | |
hat, stattdessen vor die Einsatzkräfte stellt, ist eine Katastrophe. Man | |
muss es so deutlich sagen: eine Katastrophe. Ohne eine freie | |
Berichterstattung über gewaltbereite Neonazis gibt es keine Pressefreiheit. | |
In Fretterode stand also nichts weniger als die Demokratie auf dem Spiel. | |
Katharina König-Preuss hat das Thema ins Innenministerium in Erfurt | |
getragen. Und verloren. Schlimmer wird es noch, wenn man sich nun Folgendes | |
vor Augen führt: Wenn Polizisten schon unter einer rot-rot-grünen Regierung | |
solche Drohungen im Rahmen ihres Dienstes aussprechen können und dafür vom | |
Ministerium in Schutz genommen werden, was soll dann erst nach der [5][Wahl | |
in Thüringen] passieren, bei der die Höcke-AfD stärkste Kraft werden | |
könnte? Rosige Aussichten. | |
8 Aug 2019 | |
## LINKS | |
[1] /CDU-und-der-Mordfall-Luebcke/!5602089 | |
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## AUTOREN | |
Alexander Nabert | |
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