| # taz.de -- taz-Recherche zu rechtem Netzwerk: Risiko im Reichstag | |
| > Bundeswehr-Offizier Maximilian T. war Teil des Netzwerkes um Franco A. | |
| > Heute ist er AfD-Mitarbeiter im Parlament. | |
| Bild: Maximilian T. hat mit einem Hausausweis ohne Sicherheitskontrollen Zugang… | |
| Magdeburg/Halle/Gießen/Berlin/Wien taz | Es ist eine Horrorvorstellung: | |
| Extremisten besorgen sich einen Hausausweis, Zugang ins Parlament und damit | |
| ins Innerste der Demokratie. Und dann schlagen sie zu. | |
| Oder, schlimm genug: Es fließen aus dem Bundestag hochsensible | |
| Informationen über die Arbeit von Polizei und Geheimdiensten in | |
| rechtsextreme Netzwerke. | |
| Wie realistisch ist das? | |
| Maximilian T. steht aufrecht da, trägt einen schwarzen Anzug mit | |
| Einstecktuch, die Haare hat er streng zurückgekämmt, so wie viele dieser | |
| jungen Männer, die bei der AfD anheuern, seit sie in den Bundestag | |
| eingezogen ist. T. hält den Hausausweis des Parlaments in die Kamera. Der | |
| berechtigt ihn, ohne Sicherheitskontrollen ins Reichstagsgebäude zu gehen, | |
| mit seinem Chef in Ausschusssitzungen, bei denen mal über Neuanschaffungen | |
| der Bundeswehr gesprochen wird und mal über den mutmaßlichen | |
| Rechtsterroristen Franco A.; er darf damit ins Jakob-Kaiser-Haus, in dem | |
| Claudia Roth ihr Büro hat. | |
| Es ist gar nicht so lange her, da wurde vermutet, Maximilian T. habe sich | |
| darauf vorbereitet, unter anderem die Grünen-Politikerin Claudia Roth zu | |
| töten. Gemeinsam mit Franco A. Sie sollen eine Feindesliste angelegt, Pläne | |
| geschmiedet haben. | |
| Und jetzt darf Maximilian T. im Bundestag arbeiten. | |
| Als das Foto aufgenommen wird, ist T. 28 Jahre alt, hauptberuflich | |
| Bundeswehrsoldat, er hat eine Nebentätigkeit aufgenommen, sieben Stunden | |
| pro Woche im Büro des AfD-Verteidigungspolitikers Jan Nolte. Nolte ist auch | |
| Soldat und Hessen-Vorsitzender der AfD-Nachwuchsorganisation „Junge | |
| Alternative“, die der Verfassungsschutz inzwischen als Verdachtsfall | |
| beobachtet. | |
| Am 28. November 2018 postet Nolte das Foto von sich, T. und dem Hausausweis | |
| auf Twitter. Er schreibt: „Nach langer Wartezeit durfte ich heute meinen | |
| Mitarbeiter Maximilian T. im #Bundestag willkommen heißen. Alle Vorwürfe | |
| gegen ihn wurden fallen gelassen. Frau von der Leyen darf nun gerne | |
| Verbindung mit dem Büro Nolte aufnehmen, um sich persönlich bei ihm zu | |
| entschuldigen.“ | |
| Das ist fast ein Jahr her. Ursula von der Leyen ist längst nicht mehr | |
| Verteidigungsministerin. Franco A. ist noch immer beschuldigt, der | |
| Bundesgerichtshof muss entscheiden, ob er die Anklage wegen Terror zulässt. | |
| Maximilian T. ist juristisch unbescholten. Aber kann man ihn jetzt wirklich | |
| einfach seine Arbeit im Bundestag machen lassen? | |
| Armin Schuster bittet in sein Büro im Bundestag. Er war lange bei der | |
| Bundespolizei, bevor er Innenpolitiker der CDU wurde und Vorsitzender des | |
| Parlamentarischen Kontrollgremiums, das die deutschen Geheimdienste | |
| überwachen soll. Vor knapp fünf Monaten wurde sein Parteifreund Walter | |
| Lübcke in Hessen von einem Neonazi erschossen. | |
| Das Parlamentarische Kontrollgremium hat sich Ende letzten Jahres rund 100 | |
| Aktenordner vom Generalbundesanwalt und den Geheimdiensten kommen lassen, | |
| es sind die Ermittlungsunterlagen zu Franco A., aber auch zu der | |
| [1][Prepper-Gruppe in Norddeutschland, die sich auf den Tag X vorbereitet] | |
| und unter dem Namen „Nordkreuz“ bekannt wurde. Die Parlamentarier im | |
| Kontrollgremium wollen wissen: Übersehen unsere Behörden eine Bedrohung von | |
| rechts in der Bundeswehr? | |
| Das Kontrollgremium arbeitet streng geheim, deswegen darf Armin Schuster | |
| inhaltlich nicht viel sagen. Er kann sich aber politisch äußern, und er ist | |
| der Ansicht, dass man mit polizeilichen und juristischen Mitteln allein bei | |
| Maximilian T. nicht weiterkommt. „Die politische Hygiene würde es | |
| erfordern, dass Maximilian T. nicht im Bundestag arbeitet“, sagt er. „Dass | |
| jemand wie er hier ein- und ausgehen darf, ist geradezu entwürdigend für | |
| das Parlament.“ | |
| So denken viele. | |
| Man hätte verhindern können, dass Maximilian T. dorthin kommt, wo er | |
| Unbehagen bereitet, vielleicht auch Angst. Die Bundeswehr und ihr | |
| Geheimdienst, der Militärische Abschirmdienst (MAD), sowie die AfD haben | |
| nichts getan. Sie wissen bereits: Maximilian T. hat deutlich mehr | |
| rechtsextreme Bezüge als bisher bekannt. | |
| Ein Netzwerk ist noch keine Straftat. Doch es passieren immer wieder | |
| rechtsextreme Anschläge, bei denen die Täter bestens vernetzt waren, über | |
| deren Absichten man etwas hätte wissen können. | |
| Deshalb gehen wir noch einmal zurück zu den Anfängen des | |
| Franco-A.-Skandals, zu den Ermittlungen gegen Maximilian T. Und noch viel | |
| weiter – zur Linkspartei und ins Reichsbürgermilieu. | |
| ## Die Kameraden | |
| Am Anfang trennen Franco A. und Maximilian T. gerade einmal 20 Kilometer. | |
| 1989 wird A. in Offenbach in Hessen geboren, T. 1990 in Seligenstadt. Sie | |
| treffen sich als erwachsene Männer, bei der Bundeswehr. Sie sind | |
| Offiziere, als sie Anfang 2016 Teil des Jägerbataillons 291 im | |
| französischen Illkirch nahe Straßburg werden. | |
| Der Verband ist Teil der Deutsch-Französischen Brigade und wurde in seiner | |
| heutigen Form 2010 gegründet. Bereits kurz darauf kam es vermehrt zu | |
| rechten Vorfällen. 2012 streuten Unbekannte ein Hakenkreuz auf den Boden | |
| der Kaserne, zwei Soldaten wurden Anfang 2013 entlassen, weil sie | |
| Hitlergrüße zeigten. Ein Soldat, der sich Jahre später, erst im Zuge der | |
| Aufklärung rund um Franco A., mit diesen Schilderungen an einen General | |
| wandte, soll sogar von einem „rechtsradikalen Netzwerk“ in Illkirch, | |
| Hammelburg und Donaueschingen gesprochen haben, berichtete der Spiegel – | |
| und auch von Standortchefs, die nichts unternahmen. | |
| Das ist das Umfeld, in das Franco A. und Maximilian T. versetzt werden. In | |
| Straßburg gehen sie zusammen mit ihren Kameraden aus, sie chatten in | |
| Gruppen, in denen auch mal ein Hakenkreuz verschickt wird. In der Kaserne | |
| statten Soldaten einen Gemeinschaftsraum mit Wehrmachtsdevotionalien aus. | |
| Maximilian T. lädt Franco A. ein, als Familienmitglieder ihn in Straßburg | |
| zu besuchen, mindestens einmal war er auch bei einer Familienfeier in T.s | |
| hessischer Heimat. Irgendwann werden Franco und Sophia, Maximilians | |
| Schwester, ein Paar. Franco A. und Maximilian T. sind mehr als nur | |
| Arbeitskollegen. Was sie auch verbindet: Beide sind ihren Vorgesetzten | |
| wegen rechter Vorfälle bekannt. Das geht aus Unterlagen des Bundestags | |
| hervor. | |
| Franco A. gibt Ende 2013 eine Masterarbeit an der französischen | |
| Militärakademie Saint-Cyr ab, in der er antisemitische | |
| Verschwörungstheorien ausbreitet und gegen eine offene Gesellschaft | |
| argumentiert; seine französischen Vorgesetzten machen die Kollegen der | |
| Bundeswehr darauf aufmerksam, die aber entscheiden sich für eine | |
| Erziehungsmaßnahme statt einer disziplinarischen Strafe: Franco A. muss | |
| eine neue Abschlussarbeit schreiben. | |
| Im Folgejahr wird dann der MAD auf Maximilian T. aufmerksam. Ein Zeuge | |
| meldet sich. Er erzählt von einer Begegnung mit T. vor einer Diskothek in | |
| Magdeburg im September 2015. Der habe sich über die Asylpolitik beschwert. | |
| Am Ende des Gesprächs soll Maximilian T. davon gesprochen haben, dass man | |
| noch Mitstreiter suche, um sich zu organisieren. | |
| Der MAD befragt T., der bestätigt das Treffen und streitet alles Weitere | |
| ab. Der Geheimdienst sucht weiter, findet keine Vorstrafen, keine Hinweise | |
| bei Verfassungsschutzämtern. Es stehe Aussage gegen Aussage, teilt das | |
| Verteidigungsministerium mit, außerdem seien die Beteiligten betrunken | |
| gewesen. Ein Jahr später wird die Überprüfung eingestellt. | |
| Was die Geheimdienste nicht wahrnehmen: Franco A. und Maximilian T. | |
| beschäftigen sich tatsächlich längst mit Bürgerkriegsszenarien. Franco A. | |
| legt ein Depot im Keller seiner Mutter an, Nahrung für sich, Tabak und | |
| Schnaps zum Handeln. Über einen gemeinsamen Kameraden werden beide Mitglied | |
| in Chatgruppen, in denen es um solche Katastrophenvorbereitungen geht. In | |
| den Gruppen, das belegen unsere Recherchen, geht es um Funktechnik | |
| beispielsweise, aber auch um Truppenbewegungen nahe Russland. Oder die | |
| vermeintlich wahre Zahl Geflüchteter, die nach Deutschland komme. | |
| In diesen Chatgruppen vernetzen sich Männer und Frauen, die als Polizisten | |
| arbeiten, als Feuerwehrleute, Ärzte sowie aktive und ehemalige | |
| Bundeswehrsoldaten. Es gibt sie im Norden, Süden, Westen und Osten des | |
| Landes. Franco A. war in der Chatgruppe Süd. Maximilian T., das haben | |
| Recherchen der Welt ergeben, war Mitglied im Osten. T. selbst sagt, er sei | |
| unfreiwillig drin gewesen und nur kurz. | |
| In der norddeutschen Gruppe „Nordkreuz“ sollen zwei Männer ebenfalls | |
| Feindeslisten angelegt und die Tötung von Personen aus dem linken Spektrum | |
| geplant haben. Die Bundesanwaltschaft ermittelt auch in diesem Fall, die | |
| regionale Staatsanwaltschaft in einem weiteren: [2][Gegen einen | |
| Ex-Polizisten beim Spezialeinsatzkommando SEK, der knapp 60.000 Schuss | |
| Munition und eine Maschinenpistole gehortet haben soll]. Die | |
| Staatsanwaltschaft geht davon aus, dass er sie für seine Prepper-Gruppe | |
| „Nordkreuz“ besorgt hat. Als Franco A. im Süden und der Terrorverdacht im | |
| Norden bekannt werden, lösen sich die Chatgruppen auf. | |
| Dieses Prepper-Netzwerk wurde aus der Bundeswehr heraus orchestriert. Ein | |
| Kamerad aus dem Offizierslehrgang von T. hatte geholfen, die Chats ins | |
| Leben zu rufen, auf Geheiß eines damaligen Soldaten des Kommandos | |
| Spezialkräfte (KSK), der sich „Hannibal“ nennt. [3][André S., so sein | |
| tatsächlicher Name, ist der Gründer des Netzwerks]. | |
| Im Januar 2017 reisen Maximilian T. und Franco A. nach Wien, sie wollen | |
| einen Reservisten besuchen, den sie aus Illkirch kennen. Er hat sie zum | |
| Offiziersball eingeladen. Auch Francos A.s Freundin Sophia T. begleitet | |
| sie. | |
| Am Abend nach dem Offiziersball gehen Maximilian T. und Franco A. in eine | |
| Kneipe. In einem Gebüsch findet Franco A. dann angeblich eine geladene | |
| Pistole, das Modell der Wehrmachtsoffiziere im besetzten Frankreich. Dabei | |
| ist er so betrunken, dass er sie vergisst und tags darauf erneut findet, in | |
| seiner Jackentasche, just bevor er am Wiener Flughafen die | |
| Sicherheitskontrolle passieren will. Er versteckt sie im Putzschacht einer | |
| Behindertentoilette. Macht ein Foto vom Versteck, verschickt es in einer | |
| Chatguppe, der auch T. angehört. Das ist die Version, die er später den | |
| Ermittlern erzählt. Und auch die Version, die Maximilian T. aussagt. | |
| Zwei Wochen später kehrt Franco A. zurück, will die Waffe am Flughafen | |
| holen. Was er nicht weiß: Eine Putzfrau hat sie bereits gefunden, die | |
| Polizei ist alarmiert. Sie haben Franco A. eine Falle gestellt. | |
| Als sie ihn ergreifen, glauben die Ermittler zunächst, einen Linksradikalen | |
| gefasst zu haben, so schildern sie es Politikern in Wien. Erst später kommt | |
| ihnen der Verdacht: Könnte es sich um einen Rechtsextremen mit | |
| Anschlagsplänen handeln? | |
| Franco A. ist nicht nur ein Bundeswehrsoldat, der eine seltsame Geschichte | |
| von einer gefundenen Waffe erzählt. Er ist auch syrischer Flüchtling. | |
| Zumindest hat er sich so eine Identität gegeben: Am 19. Dezember 2015 | |
| meldet sich ein David Benjamin bei der Kriminalinspektion in Offenbach. Er | |
| gibt vor, ein französischsprachiger Christ aus Syrien zu sein, stellt einen | |
| Asylantrag, kommt zeitweise im Landkreis Erding in einer | |
| Flüchtlingsunterkunft unter. Das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge | |
| gibt seinem Antrag statt. | |
| Die Bundesanwaltschaft steckt Franco A. am 26. April 2017 in | |
| Untersuchungshaft. Sie glaubt, er habe mit der Waffe vom Wiener Flughafen | |
| ein Attentat auf Politiker oder Aktivisten geplant – mit der Identität des | |
| syrischen Flüchtlings David Benjamin. | |
| T. soll seinen Kameraden einmal bei der Bundeswehr unter einem Vorwand | |
| entschuldigt haben, als A. in seiner Identität als Flüchtling David | |
| Benjamin einen Termin wahrnehmen musste. Als sie bei Maximilian T. | |
| schließlich eine Liste mit Namen bekannter Politiker finden, fragen sie: | |
| Hatten Franco A. und er gemeinsam eine Liste mit potenziellen Opfern | |
| angelegt? | |
| Bald kommt er wieder frei, die Ermittlungen werden eingestellt. Spricht man | |
| mit Menschen, die sich mit den Ermittlungen auskennen, ist dort zu hören: | |
| „Das ist ja ein Wahnsinn, was der hier vorführt.“ Ursula von der Leyen | |
| nennt ihn vor Verteidigungspolitikern: „obskur“. | |
| Was ist damit gemeint? | |
| Für unsere Recherchen reisen wir quer durch Deutschland und bis nach Wien. | |
| Dort laufen wir am Flughafen die Wege ab, um die Geschichte mit der Waffe | |
| zu überprüfen. Wir lesen Protokolle, Vermerke aus Ermittlungsunterlagen, | |
| Vernehmungen. Wir sprechen Ermittler an, Anwälte, Familienmitglieder, | |
| Freunde. Es gibt zahlreiche Zeugen und natürlich Franco A. und Maximilian | |
| T. selbst, die sich als Gesprächspartner eignen. Mit manchen dieser | |
| Personen können wir reden, oft nur unter der Zusage, dass niemand davon | |
| erfährt. | |
| Maximilian T. ruft uns zweimal an, als er mitbekommt, dass wir in seinem | |
| Umfeld recherchieren, um sich darüber zu beschweren. Auf ein Gespräch lässt | |
| er sich nicht ein. Schriftliche Fragen beantwortet er auch nicht. | |
| ## Die Abgeordneten | |
| Lange war es die größte Gefahr im Bundestag, verloren zu gehen in diesem | |
| Labyrinth aus dunklen Fluren, Balkonen, Brücken und Fahrstühlen, die | |
| manchmal nur halbe Etagen nehmen. Hier gibt es keine Aufpasser, keine | |
| sichtbaren Patrouillen der Bundestagspolizei. Und jetzt Maximilian T. | |
| Es ist eine paradoxe Situation. T. arbeitet für einen Politiker im | |
| Verteidigungsausschuss, dessen Thema er selbst mehrfach war. Deshalb wissen | |
| viele der Abgeordneten dort, was die Bundeswehr über ihn zusammengetragen | |
| hat. Seither fragen sie sich: Können wir überhaupt noch über Franco A. und | |
| die Prepper-Gruppen reden? Erfahren die dann nicht alle gleich davon? | |
| Die Abgeordneten wissen zum Beispiel: Im Juni 2014 verschwand bei einer | |
| Schießübung im bayerischen Grafenwöhr eine P8-Pistole. Maximilian T. hatte | |
| an dieser Übung teilgenommen. | |
| Sie erfahren: Obwohl Zeugen berichten, dass Franco A. Schusswaffen besitze, | |
| finden Ermittler sie nie. Dafür aber Munition und Übungsgranaten, die aus | |
| Bundeswehrbeständen stammen. Die Bundeswehr überprüfte, ob „drei Offiziere… | |
| dazu Zugang gehabt hätten, das sagt ein Mitarbeiter des | |
| Verteidigungsministeriums bei einem Gerichtstermin. Ist einer von ihnen | |
| Maximilian T.? | |
| Die Abgeordneten wissen auch: Ein Oberleutnant aus Augustdorf bekam ein | |
| Uniformtrageverbot verhängt, weil er unter anderem vom deutschen Königsberg | |
| fantasierte. Einmal erzählte er einem Kameraden von einer Gruppe in | |
| Illkirch, die versuche, Waffen und Munition zu sammeln, um sich auf einen | |
| Bürgerkrieg vorzubereiten. Er und T. kennen sich. | |
| Hört man sich in Sicherheitskreisen um, fällt ein Satz: „Maximilian T. ist | |
| der mit den guten Kontakten.“ | |
| Was die Abgeordneten im Verteidigungsausschuss nicht erfahren: Maximilian | |
| T. ist der mit dem Smartphone, auf dem nichts drauf ist. Das bestätigen | |
| zwei Personen, die mit den Vorgängen vertraut sind. Alle persönlichen Daten | |
| sind gelöscht. | |
| Um den Fall besser einordnen zu können, haben wir uns mit seiner Herkunft, | |
| seiner Familiengeschichte beschäftigt. | |
| ## Der Vater | |
| In der AfD-Landeszentrale in Magdeburg kennt man Maximilian T.. Das Büro | |
| liegt im Haus einer Apotheke. Außen hängt kein Schild, innen zeigt ein | |
| Pfeil rechts zum AfD-Büro. T. arbeitet nicht nur für einen AfD-Abgeordneten | |
| im Bundestag, er ist auch selbst Mitglied im Landesverband Sachsen-Anhalt. | |
| Mindestens seit Anfang 2017 schon. Inzwischen leitet er den | |
| Landesfachausschuss „Außen- und Sicherheitspolitik“. | |
| Die „Junge Alternative“ postet hier Fotos von Höcke, prorussische Hardliner | |
| wie Markus Frohnmaier sind zu Gast. Schnellroda, Treffpunkt der Neuen | |
| Rechten, liegt ganz in der Nähe. Es gibt enge Kontakte zur Identitären | |
| Bewegung und rechten Burschenschaften. | |
| Auch Maximilian T.s Vater ist in diesem Landesverband unterwegs. Thomas T. | |
| wohnt in einer der Straßen in der Haller Innenstadt, in die viel | |
| Nachwende-Geld geflossen ist. Schon in den 90er Jahren ist er von Hessen in | |
| die neuen Bundesländer gezogen. In Magdeburg hat er mit Immobilien | |
| Geschäfte gemacht, in Halle gastronomische Einrichtungen vermietet, | |
| Fertighäuser verkauft, mit Edelmetallen gehandelt. So zumindest lautet der | |
| offizielle Geschäftszweck seiner Firmen. | |
| Zuletzt hat er vor allem daran gearbeitet, zusammen mit einem alten | |
| Weggefährten eine deutsche Siedlung in Russland aufzubauen. Oder wie es in | |
| einem Werbetext heißt: „Die Idee einer sicheren Arche im Königsberger | |
| Gebiet nimmt weiter Gestalt an!“ Die Rückkehr nach Ostpreußen, das hatten | |
| schon in den 90er Jahren deutsche Neonazis vor. | |
| Thomas T. trat Mitte der Nullerjahre in Ostdeutschland als „Inspekteur des | |
| Deutschen Reichs“ auf, war für ein „Reichsverwaltungsamt“ in Magdeburg | |
| tätig, das mit „Staatsanleihen“ des „Deutschen Reiches“ Geschäfte mac… | |
| In Vorträgen führte er aus, dass es sich bei der Bundesrepublik Deutschland | |
| um ein illegales Gebilde handele, weswegen man auch keine Steuern zahlen | |
| müsse. Thomas T. ist ein Reichsbürger. Und in Halle nicht zu finden. | |
| An seiner letzten Adresse wohnt er nicht mehr, aus dem Melderegister ist er | |
| ausgetragen. Als wir Geschäftsadressen aufsuchen, erinnern sich Nachbarn, | |
| die seit Jahrzehnten dort leben, nicht an ihn. Wir fragen bei der | |
| Kreisgeschäftsstelle der AfD in Halle nach. Man kennt ihn, aber hat ihn | |
| lange nicht gesehen, Monate mindestens, er sei ja auch viel unterwegs, in | |
| Russland etwa. | |
| Wir finden Thomas T. in einem Buch. Der Autor Tobias Ginsburg hat | |
| monatelang undercover in der Reichsbürger-Szene recherchiert und dabei | |
| Thomas T. mehrmals getroffen, zum ersten Mal 2017 bei einer Veranstaltung | |
| im thüringischen Kahla, bei der der neurechte Verleger Jürgen Elsässer | |
| sprach. Ginsburg hat die Gespräche teilweise aufgezeichnet. Wir konnten sie | |
| anhören. | |
| Ginsburg beschreibt Thomas T. als einen Mann, der konservativ erscheint, | |
| schnell aber prahlt, früher bei den „Republikanern“ und der NPD gewesen zu | |
| sein, der die Wehrsportgruppe Hoffmann gut findet, und wie er die weiße | |
| Rasse retten will. Von seinem Sohn, der damals als Terrorverdächtiger in | |
| Untersuchungshaft sitzt, erzählt er nicht. Dafür über seine politische | |
| Ideologie: „Du kannst die Welt nur noch mit einer ganz radikalen Maßnahme | |
| retten. Wenn du Milliarden biologisch und den ganzen Nahen Osten atomar | |
| vernichtest.“ | |
| Was ist er für ein Typ? Ginsburg überlegt. „Er hatte die joviale Aggression | |
| des ehemaligen Zuhälters, der dir jederzeit in die Fresse hauen könnte“, | |
| sagt er. „Nicht unsympathisch.“ Thomas T. sei wichtig, um zu verstehen, was | |
| es mit der Reichsbürger-Szene auf sich habe. Es gehe bei ihm um die | |
| „pragmatische Umsetzung von rechtsextremistischer Ideologie“. | |
| Wie nah sind sich der Vater und seine Kinder? Die politische Gesinnung muss | |
| nicht abfärben. Personen aus dem familiären Umfeld sagen, der Vater habe | |
| keinen großen Anteil an der Erziehung seiner Kinder gehabt, gleichwohl ein | |
| Kontakt bis heute besteht. | |
| Wir wollen mit dem Vater darüber sprechen, rufen ihn an. Er sagt: Oh je. Er | |
| klingt noch immer sehr hessisch. | |
| Er sagt, er wisse schon, welche Fragen man stellen wolle, das sei immer | |
| gleich. Und wir wüssten ja eh schon, was wir schreiben. | |
| Er sagt, wir dürften nicht schreiben, dass er NPD-Mitglied gewesen sei. | |
| Dann würde er uns verklagen bis zum Jüngsten Gericht. | |
| „Ich war in keiner Reichsregierung“, sagt er. Er habe sich damals | |
| wissenschaftlich mit dem Deutschen Reich beschäftigt und Vorträge darüber | |
| gehalten. „Ich engagiere mich nicht mehr politisch, das Thema ist völlig | |
| durch.“ | |
| Das Telefonat dauert etwa eine halbe Stunde. Es geht um Franco A. („der | |
| Bundeswehroffizier wird diskreditiert“), seinen Sohn („ein falscher | |
| Verdacht“) und die Frage, ob es uns in Deutschland gutgeht („nein“). Das | |
| Telefonat ist kein Gespräch, sondern der Versuch, zwischen Beschimpfungen | |
| und Unterstellungen ein paar inhaltliche Sätze zu wechseln. | |
| Es gibt Verbindungen, die es einem scheinbar leicht machen, ein Urteil zu | |
| fällen. Der Vater ein Reichsbürger, der Sohn in rechtsextremen Netzwerken | |
| unterwegs. Sie sind aktiv im gleichen AfD-Landesverband, kennen die | |
| gleichen Funktionäre. Es gibt ja tatsächlich regelrechte Nazidynastien, | |
| erst Recht dort, wo Maximilian T. und sein Vater sich bewegen. | |
| Und doch gilt: Niemand kann etwas für seine Familie. Vielleicht sollte man | |
| auch nicht verlangen, dass sich jemand von seinen Eltern, Geschwistern oder | |
| Freunden distanziert. Aber wenn sich jemand selbst politisch engagiert, | |
| sieht es dann nicht etwas anders aus? Und muss man nicht erst recht von | |
| einem Bundeswehrsoldaten, der im Bundestag arbeiten will, erwarten, dass er | |
| durch sein Handeln zeigt, dass er für die freiheitliche Demokratie | |
| einsteht? Maximilian T. tut dafür nicht viel. | |
| Vielleicht sind es auch immer wiederkehrende Zufälle, die Maximilian T. | |
| bedrängen. Oder wie ist es zu erklären, dass seine Schwester, die Tochter | |
| eines Reichsbürgers, ausgerechnet mit Franco A. zusammenlebt? | |
| ## Die Schwester | |
| Am 14. Februar 2017 geht Sophia T. in eine Berliner Kreisgeschäftsstelle | |
| der Linkspartei. Nur elf Tage zuvor ist ihr Freund in Wien festgenommen | |
| worden. Franco A. muss zu diesem Zeitpunkt geahnt haben, dass seine | |
| Identität als syrischer Flüchtling auffliegt. Er hat bereits begonnen, | |
| Munition und Übungsgranaten zu verstecken, die aus Bundeswehrbeständen | |
| stammen. Seine Freundin aber füllt ein Formular aus, es ist ein | |
| Mitgliedsantrag. Sie wird nun Parteimitglied. | |
| In der Partei fragt man sich heute: War das nur Show? Versuchte sie, die | |
| Freundin eines mutmaßlichen Rechtsterroristen, eine alternative Erzählung | |
| zu etablieren? | |
| Menschen, die sie aus dieser Zeit kennen, beschreiben sie als politisch | |
| links, sie sei an Bildungsthemen interessiert, an sozialer Gerechtigkeit. | |
| Sie lebt in Berlin, studiert und beginnt sich in der Partei zu engagieren, | |
| ihr Foto taucht online auf und in einer Wahlkampfbroschüre. Sie kommt zu | |
| Parteitreffen, mehrmals begleitet von Franco A., erstmalig Anfang 2017, | |
| zuletzt im Frühjahr 2018, heißt es in Parteikreisen. Zwischendrin sitzt er | |
| in Untersuchungshaft. | |
| [4][Ein Ruderfreund von Franco A. aus Jugendzeiten sagt vor Gericht aus,] | |
| Franco A. hätte nicht nur Munition bei ihm untergestellt, sondern ihm auch | |
| mal ein Buch übergeben, Hitlers „Mein Kampf“ – offenbar, so sagt er, weil | |
| seine Freundin nun bei ihm wohnt. | |
| Dass die Ermittler auch ihre WG durchsuchen, wird sie geahnt haben, am | |
| Morgen war das BKA schon bei ihrer Familie und erst später bei ihr. Bis | |
| heute haben sie weder die Ermittler noch Nachrichtendienste befragt. Gegen | |
| Sophia T. selbst liegt nichts vor. | |
| Heute führt Sophia mit ihrer Schwester und ihrem Bruder Maximilian eine | |
| Firma. Zusammen mit Franco A. lebt sie in Offenbach. Sie haben eine Familie | |
| gegründet. | |
| ## Tag der offenen Tür | |
| An einem Sonntag im September dieses Jahres empfangen Spitzenpolitiker, | |
| Clowns und Musiker zum Tag der offenen Tür im Bundestag. Rund 23.000 | |
| Bürgerinnen und Bürger kommen. Darunter ein Mann mit weißem Käppi und Bart, | |
| die dunklen Haare so lang gewachsen, dass sie sich zum Zopf binden lassen. | |
| Keiner erkennt ihn. Nicht die Mitarbeiter der Grünen, an deren Stand er | |
| vorbeischaut. Nicht die Bundestagspolizei, bis sie jemand aufmerksam macht: | |
| Das ist Franco A.. | |
| Es soll Maximilian T. gewesen sein, der ihn gemeldet hat. Das jedenfalls | |
| posten sein Chef Jan Nolte später auf Facebook und Maximilian T. in einem | |
| Kommentar darunter. Wenn das zuträfe, hätte sich Maximilian T. erstmals von | |
| seinem Kameraden distanziert. | |
| Die Bundestagsverwaltung beantwortet uns die Frage nicht, ob sich die | |
| Situation so zugetragen hat. Erst später erfahren wir: Die | |
| Sicherheitsbeauftragten der Fraktionen wurden über den Vorfall informiert | |
| und sogar verschiedene Ministerien. In den Fraktionen hören wir vor allem | |
| Fragen: Halten die das für einen Witz? Wollen die unsere Empörung, damit | |
| man über sie spricht? Müssen wir Angst haben? | |
| ## Die Bedrohten | |
| Sechs Tage nach dem Attentat in Halle sitzt Anetta Kahane in einem Lokal in | |
| Berlin-Mitte, die Öffentlichkeit diskutiert nun über | |
| Vorratsdatenspeicherung den stark verbreiteten Antisemitismus unter jungen | |
| Männern. „Halle“, sagt Kahane, „hat gezeigt, wie gefährlich es für uns | |
| ist“. | |
| Anetta Kahane ist Chefin der Amadeu-Antonio-Stiftung, die sich gegen | |
| Rechtsextremismus engagiert und sie ist Jüdin. Ermittler fanden ihren Namen | |
| in Franco A.s Aufzeichnungen, in seinem Handy Fotos aus der Tiefgarage des | |
| Büros. Er hatte sie offenbar ausgespäht. Die Ermittler haben Kahane | |
| mehrfach als Zeugin befragt und ihr erklärt, dass keine Gefahr für sie | |
| bestehe. | |
| Die Ermittler haben ihr nicht die Namen von Personen aus Franco A.s Umfeld | |
| gegeben. Sie kennt Maximilian T. nicht, Sophia T. nicht. Hört nur aus | |
| Medienberichten davon, dass Franco A. nun vermehrt öffentlich auftaucht so | |
| wie im Bundestag, in einer Gerichtsverhandlung, bei verschiedenen eher | |
| linken politischen Gruppen in Berlin. | |
| Wir beschreiben ihn: Weißes Käppi. Dunkle Haare. Drei Tage nach dem | |
| Attentat bemerkten die Mitarbeiter der Stiftung einen seltsamen Mann im | |
| Gebäude. Weißes Käppi, dunkle Haare. | |
| „Ist er das?“, fragt sie und zeigt ein Foto. Er ist es nicht, das ist | |
| leicht zu erkennen. Nur nicht für Anetta Kahane, keiner der Ermittler hat | |
| ihr ein Foto gegeben. | |
| ## Die Bundeswehr | |
| Wir bitten die Experten für Rechtsextremismus des MAD um ein | |
| Hintergrundgespräch über Franco A. und Maximilian T., doch die lehnen ab: | |
| Sie hätten zurzeit zu viel zu tun in diesem Themenfeld. | |
| Wir hätten ihnen gern eine Frage gestellt: Die Bundeswehr, Maximilian T.s | |
| Dienstherrin, hätte eine Nebentätigkeit nicht genehmigen müssen. Das ist | |
| ein Akt, der bürokratisch klingt. Damit hätte die Bundeswehr aber | |
| verhindern können, dass ein Mann, der den Sicherheitsbehörden | |
| Kopfzerbrechen bereitet, Zugang zum Bundestag bekommt“. Dass er interne | |
| Informationen darüber, wie es um Deutschlands Verteidigung steht, in | |
| Protokollen und Vermerken nachlesen kann. Dass er, dem zugetraut wird, zu | |
| fantasieren, welche Politiker er umbringen würde, sich frei im Parlament | |
| bewegen kann. | |
| Warum hat die Bundeswehr das nicht verhindert? Warum nicht der MAD? | |
| Zu „Einzelpersonalangelegenheiten“ äußere man sich nicht, teilt ein | |
| Sprecher des Verteidigungsministeriums mit. Das Bundesamt für | |
| Verfassungsschutz hat sich bereits Anfang des Jahres festgelegt: Maximilian | |
| T. ist ein Rechtsextremist, bei ihm liegen tatsächliche Anhaltspunkte für | |
| Bestrebungen gegen die freiheitlich-demokratische Grundordnung vor. Der | |
| Militärische Abschirmdienst will sich auf Anfrage nicht so deutlich | |
| positionieren: Es sei in dem Fall zu Einstufungen der Kategorien | |
| „Extremist“ und „Person mit Erkenntnissen über fehlende Verfassungstreue… | |
| gekommen. | |
| Im Parlamentarischen Kontrollgremium des Bundestags gibt es mittlerweile | |
| einen Zwischenstand zu möglichen Versäumnissen der Geheimdienste. Der | |
| interne Bericht soll verheerend ausgefallen sein, schreibt der Spiegel: | |
| Verdächtige hätten sich herausreden können; andere seien aus Kameradschaft | |
| geschont worden. Mehrere Soldaten wurden aus der Bundeswehr wegen | |
| extremistischer Einstellungen entlassen – und keines der | |
| Verfassungsschutzämter informiert, die hätten übernehmen können. | |
| Der Militärische Abschirmdienst hat vor Kurzem große strukturelle Umbauten | |
| angekündigt. Fortan sollen beispielsweise mehr Zivilisten in der Leitung | |
| der Behörde tätig sein. | |
| Maximilian T. arbeitet bis heute bei der Bundeswehr. Er ist inzwischen | |
| heimatnah stationiert, auf dem Truppenübungsplatz Altmark im Norden | |
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| 26 Oct 2019 | |
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