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# taz.de -- Rechte Umsturz-Aufrufe: „Schließt euch an!“
> Rechte sehen einen „Tag X“ aufkommen – und rufen Polizisten, Soldaten u…
> Verfassungsschützer zum Widerstand auf.
Bild: Sind sie immun gegen rechte Widerstandsaufrufe? Polizisten bei der Vereid…
Berlin/Dresden taz | Am Mittwochnachmittag trafen die Innenminister der
Länder in Kiel ein, auch Bundesinnenminister Horst Seehofer. Bis Freitag
wird nun bei der halbjährlichen Innenministerkonferenz [1][hinter
verschlossenen Türen konferiert, die Tagesordnung ist lang]: Knapp 70
Themen sind abzuarbeiten. Ein Punkt diesmal: der Extremismus in den eigenen
Reihen, in denen der Sicherheitsbehörden.
Es ist nach taz-Informationen Tagesordnungspunkt 34. Dort geht es um die
„Zuverlässigkeitsüberprüfung“ bei der Polizei. Neubewerber*innen sollen
künftig strenger geprüft werden und die Polizeien direkten Zugriff auf
Daten des Verfassungsschutzes erhalten. „Wir wollen eine Regelabfrage, um
diejenigen, die offensichtlich etwas auf dem Kerbholz haben, gar nicht erst
in den Polizeidienst zu lassen“, sagte Niedersachsens Innenminister Boris
Pistorius (SPD) am Mittwoch der taz. Es gehe um Rechtsextremisten,
Reichsbürger, aber auch Clan-Mitglieder. „Wir müssen darauf achten, dass
unsere Sicherheitsbehörden nicht unterlaufen werden von Leuten, die unseren
Staat, aus welchen Gründen auch immer, ablehnen.“
Tatsächlich gibt es hier ein Problem – nicht nur bei der Polizei. Zuletzt
waren etwa hessische Polizisten aufgeflogen, [2][die sich in rechtsextremen
Chatgruppen sammelten]. Und just an diesem Mittwoch wurden in
Mecklenburg-Vorpommern [3][ein früherer und drei aktive SEK-Polizisten
verhaftet, die Munition aus dem Landeskriminalamt entwendet] und sich teils
in der Prepper-Szene mit Umsturzfantasien beschäftigt haben sollen. Und es
gibt Kräfte in der rechten Szene, die genau solche Vorgänge befeuern.
## Höcke ruft Verfassungsschützer zum Widerstand auf
Es war Januar, als Stephan Kramer, Chef des Thüringer Verfassungsschutzes,
hellhörig wurde. Da hatte im sächsischen Groitzsch Björn Höcke, der
AfD-Rechtsaußen aus Thüringen, in einem Lokal auf der Bühne gestanden, bei
einem Treffen des „Flügels“, des weit rechten Sammelbeckens der AfD. Presse
war nicht zugelassen, aber der Verfassungsschutz hatte das Treffen auf dem
Schirm.
[4][Damals hatte das Bundesamt für Verfassungsschutz die AfD gerade zum
„Prüffall“ erklärt,] Kramers Landesamt hatte dies schon Monate zuvor geta…
Nun stand Höcke vor langen Tischreihen, eine Deutschlandfahne umhüllte sein
Rednerpult. Höcke zürnte: Das Vorgehen des Verfassungsschutzes sei „ein
unglaublicher politischer Skandal“. Er wisse von etlichen
Verfassungsschützern, die „vor Wut kochen, weil sie sich als neutrale
Staatsdiener missbraucht fühlen“, wenn sie die AfD beobachten sollten. Dann
adressierte Höcke diese „redlichen Beamten“ direkt: Sie hätten das Recht,
sich unrechtmäßigen Weisungen zu verweigern – das sogenannte
Remonstrationsrecht. „Machen Sie von diesem Recht Gebrauch!“
Es war ein offener Aufruf an Staatsbedienstete, sich gegen den Staat zu
stellen – und längst nicht der erste. Der „Flügel“ sprach später von e…
großartigen Rede Höckes und verbreitete das Video davon im Internet.
Der Aufruf erreichte auch Stephan Kramer, den Thüringer
Verfassungsschutzchef, zuständig für Höcke und seinen AfD-Landesverband. Zu
beiden will sich Kramer, wegen des laufenden Prüfverfahrens, nicht weiter
äußern. Nur so viel: „Wir haben den Aufruf sehr aufmerksam registriert.“
## „Versuch, den Staat von innen zu zersetzen“
Ein Einzelfall sei dieser nicht, versichert Kramer aber. Die
Widerstandsaufrufe an Staatsbedienstete hätten in der neurechten Szene
System. Es sei ein „perfides“ Vorgehen. „Natürlich haben besonders Beamt…
aber auch Angestellte im öffentlichen Dienst, das Recht, ja sogar die
Pflicht, aufgrund ihrer Verfassungstreue, die Ausführung unrechtmäßiger
Vorschriften zu verweigern“, sagt Kramer. „Aber diese Aufrufe zum
vermeintlichen Widerstand, wie sie von rechts außen kommen, zielen auf
etwas anderes. Sie sind der Versuch, den Staat durch seine eigenen
Staatsdiener, quasi von innen zu zersetzen.“
Seit Jahren schon buhlt die rechtsextreme Szene um Polizisten, Soldaten und
Verfassungsschützer und fordert diese zum „Widerstand“ gegen die
herrschende Politik auf. Inzwischen stimmt auch die AfD mit ein. Die
Sicherheitsbehörden reagieren unterschiedlich: Einige scheinen die Aufrufe
als rechtsextremes Getöse abzutun, andere rüsten sich ernsthaft.
Schon 2016, auf dem Höhepunkt der Asyldebatte, hatte AfD-Mann Höcke
Polizisten zum Widerstand gegen die Bundesregierung aufgerufen. Sie
dürften die Flüchtlingspolitik Merkels nicht weiter umsetzen, sagte er in
Erfurt. Andernfalls könnte es sein, dass man sie nach einem Machtwechsel
„vor Gericht stellt“. „Folgen Sie dieser bösartigen Frau nicht länger!�…
verlangte er.
Auch Jürgen Elsässer, der Herausgeber des weit rechten Compact-Magazins,
hatte 2015 Soldaten aufgefordert, Grenzstationen zu besetzen und sich,
wegen der Zuwanderungspolitik, gegen die Bundesregierung zu stellen.
„Wartet nicht auf Befehle von oben!“, appellierte Elsässer. In einer
Situation, in der „von der Staatsspitze selbst Gefahr für dieses Volk
ausgeht, seid Ihr nicht mehr an Befehle dieser Staatsspitze gebunden“.
Später wandte er sich an „alle verantwortungsbewussten Kräfte im
Staatsapparat“: Sie sollten Flüchtlingszentren „abriegeln“, Moscheen und
Grenzen schließen, „kein Moslem darf mehr rein oder raus“. „Wir sind im
Krieg“, verstieg sich Elsässer.
Auch auf den Pegida-Aufzügen in Dresden erklang die Aufforderung an
Polizisten und Soldaten, die Seiten zu wechseln. Die Polizisten müssten ein
„klares Signal“ setzen, dass „ihr für den Massenmissbrauch nicht zur
Verfügung steht“, rief dort 2016 die einstige Frontfrau Tatjana Festerling,
die später mit einer Bürgerwehr an der bulgarischen Grenze Flüchtlinge
abwehren wollte. Ob Polizisten wirklich mittragen wollten, „täglich
hundertfach“ wegen Einsätzen zu „religiös verfeindete[n] Asylforderer[n]�…
ausrücken zu müssen? Festerlings Appell: „Schließt euch uns an!“ Die Men…
wiederholte skandierend: „Schließt euch an!“
Tatsächlich scheinen einige diesen Schritt bereits gegangen zu sein. In der
AfD sind [5][heute allein 7 der 91 Bundestagsabgeordneten ehemalige
Polizisten]; 12 Abgeordnete und 8 Mitarbeiter waren einst bei der
Bundeswehr, 4 Abgeordnete zuvor Staatsanwalt oder Richter.
Bei der Bundeswehr wurde 2017 ein Soldat festgenommen, der den Schritt in
den Widerstand offenbar ebenfalls gegangen war: Franco A. Dieser soll einen
Anschlag geplant haben, wegen der „aus seiner Sicht verfehlten Ausländer-
und Flüchtlingspolitik“, so die Bundesanwaltschaft. [6][Später deckte die
taz das sogenannte „Hannibal“-Netzwerk auf], in dem Soldaten, Polizisten
und anderen Behördenmitglieder über einen „Tag X“ fantasierten, einige
wollten laut Bundesanwaltschaft Linke „festsetzen und mit ihren Waffen
töten“.
Und in Sachsen stach der JVA-Bedienstete Daniel Z., nach dem tödlichen
Messerangriff auf einen Chemnitzer im Sommer 2018, den Haftbefehl eines
zunächst verdächtigen Asylsuchenden an Rechtsextreme durch – denn er
beobachte „jeden Tag, dass die meisten Menschen über die Veränderungen in
unserem Land belogen werden“.
Die Widerstandsappelle, die die rechte Szene an Polizei, Bundeswehr und
Verfassungsschutz richtet – in Teilen scheinen sie Gehör zu finden. Und die
Sicherheitsbehörden haben das notiert.
## Man gehe „konsequent vor“, sagt die Polizei
„Jeder dieser Fälle ist einer zu viel“, sagte jüngst Holger Münch, der
Präsident des Bundeskriminalamts, auf einer Pressekonferenz in Berlin, als
er nach Rechtsextremen in den eigenen Reihen gefragt wurde. „Das sind
Dinge, die kann und will sich eine Polizei nicht leisten. Deshalb muss man
konsequent dagegen vorgehen.“
Nur was heißt das? Und geschieht das wirklich?
In Dresden sitzt Horst Kretzschmar in seinem kleinen Büro an einem runden
Besprechungstisch, ein kräftiger 59-Jähriger, weißes Polizeihemd,
raspelkurze Haare, ein früherer Ringer. Nur ein paar Flure weiter hat der
Landesinnenminister sein Büro. Seit 40 Jahren ist Kretzschmar bei der
Polizei, seit Jahresbeginn ist er in Sachsen ihr oberster Mann: als
Landespolizeipräsident.
Rechtsextreme und Rechtspopulisten suchten „eine besondere Nähe“ zur
Polizei, sagt Kretzschmar. „Sie loben die Sicherheitsbehörden an jedem Ort
und an jeder Stelle.“ Gerade deshalb sei es wichtig, sich immer wieder zu
vergewissern, dass die Polizei in der Mitte der Gesellschaft stehe und
ihren Dienst neutral ausübe, sagt Kretzschmar. „Und das tut sie auch.“
Aber es ist immer wieder Sachsen, das besonders im Fokus steht. Hier, wo
Pegida seinen Ursprung hat. Wo zwei Polizisten sich in Dienstlisten mit dem
Namen des NSU-Mörders Uwe Böhnhardt eintrugen und ein LKA-Mitarbeiter bei
einem Pegida-Aufzug mitlief und ein ZDF-Team bedrängte. Wo der Justizbeamte
Daniel Z. den Chemnitz-Haftbefehl durchstach. Und wo Björn Höcke seinen
Widerstandsaufruf an die Verfassungsschützer absetzte.
„Solche Aufrufe sind uns bekannt“, sagt Kretzschmar. Immer wenn montags in
Dresden Pegida demonstriere, erhalte die Polizei Lob. „Das hinterlässt
natürlich Spuren“, gesteht Kretzschmar. „Jeder dieser Botschaften müssen
wir doppelt so oft in Einsatzbesprechungen entgegenwirken. Es darf keinen
Zweifel an der Neutralität der Polizisten geben.“
Kretzschmar wirkt bemüht, keinen Generalverdacht gegen seine 12.000
Polizisten in Sachsen zu erwecken – aber auch keinen Zweifel an roten
Linien zuzulassen. „Alle Menschen sind verführbar, Polizisten auch“, sagt
der Polizeichef. „Vielleicht sogar etwas leichter, weil sie an den
Brennpunkten dieser Gesellschaften arbeiten.“ Man sei regelmäßig dabei,
sich zu überprüfen. Gibt es Gruppen oder Chaträume in der sächsischen
Polizei, die an den rechtsextremen Rand abdrifteten, die den
Widerstandsaufrufen folgten? Kretzschmar verneint das: „Aus heutiger Sicht
haben wir, im Hellfeld, keine Erkenntnisse auf irgendeine Widerstandsgruppe
in unserer Polizei.“
Aber was geschieht im Dunkelfeld? Und dringt der Appell zur Wachsamkeit
wirklich bis auf die unteren Ebenen vor?
Kretzschmar verweist auf die Ausbildung und den Amtseid, in denen
Polizisten auf ihre Verfassungstreue eingeschworen werden. Und auf
Besprechungen und Fortbildungen, wo dieses aufgefrischt werde.
„Entscheidend sind die Revier- oder Dienstgruppenführer“, sagt Kretzschmar.
Diese müssten offene Augen haben, auf die Sprache ihrer KollegInnen achten.
„Wird etwa ein Straftäter Kanake genannt? Dann muss sofort eingeschritten
werden, sonst verfestigt sich so was“, sagt Kretzschmar. „Und bei klaren
Verfehlungen muss zum Disziplinarrecht gegriffen werden, auch als Signal in
die Belegschaft. Wir brauchen eine konsequente Führung.“
Wie ernst es der rechtsextremen Szene ist, daran besteht in den
Sicherheitsbehörden kein Zweifel. Teile der rechtsextremistischen Szene
befänden sich in „Vorbereitung für ein vermeintliches
‚Bürgerkriegsszenario‘“, heißt es in einem aktuellen, vertraulichen Pap…
des Bundesamts für Verfassungsschutz. Und: „Bei vielen Akteuren prägend ist
ein diffuses Widerstandsmotiv.“
Björn Höcke würde nicht zum bewaffnetem Widerstand aufrufen. Dennoch
verfolgt auch er einen Umsturzplan. Für die nötige „politische Wende“,
heißt es in seinem jüngsten Buch, brauche es neben einer „protestierenden
Bürgerbasis“ noch eine weitere Front: eine aus „den frustrierten Teilen des
Staats- und Sicherheitsapparates“, die „auf das Remonstrationsrecht
zurückgreifen“ könnten.
Höckes Aufruf von Groitzsch an die Verfassungsschützer war also kein
Zufall. Er war Strategie.
## Der Geheimschutz kümmert sich
Die Sicherheitsbehörden versuchen diese Vereinnahmungsstrategie zu
durchkreuzen. In den Polizeien der Länder gibt es dafür eine zuständige
Abteilung: den Geheimschutz. Wie viele Mitarbeiter dort jeweils arbeiten,
darüber herrscht Stillschweigen. Würden aber Widerstandsaufrufe an
Polizisten bekannt, werde aus der Abteilung Geheimschutz heraus die
Belegschaft sensibilisiert, heißt es im Bundeskriminalamt. Gehe es um
konkrete Ansprachen an einzelne Polizisten, gebe es „individuelle
Sensibilisierungs- und Beratungsgespräche“.
Daneben soll in den Ländern auch der Staatsschutz in den
Landeskriminalämtern aufpassen. Der beobachtet die rechtsextreme Szene.
Bemerke man dort plötzlich einen Polizisten, würde der sofort angesprochen,
sagt Polizeichef Kretzschmar mit Blick auf Sachsen. Im Einzelfall drohten
Disziplinarmaßnahmen. „Das wäre wieder so ein Moment, wo Führung gefragt
ist.“
## Der Verfassungsschutz schrieb Angestellte an
Auch beim Verfassungsschutz hat man reagiert. Thüringens Amtsleiter Stephan
Kramer versichert, sie hätten die rechten Widerstandsaufrufe „im Blick“.
Auch im Verfassungsschutzverbund wird auf die Sicherheitsüberprüfung
verwiesen, der Mitarbeiter unterzogen würden. Gebe es hier „tatsächliche
Anhaltspunkte für Zweifel“ an der Verfassungstreue, könne dies
disziplinarische Folgen haben, so eine Sprecherin des Bundesamtes für
Verfassungsschutz.
Dennoch verschickte auch die Geheimschutzbeauftragte im Bundesamt zum
Jahresanfang 2019 ein Schreiben an die Mitarbeiter: Diese sollten prüfen,
ob sie „durch Kontakte zu AfD-Mitgliedern oder eine eigene Mitgliedschaft
in dieser Partei in sicherheitsrelevante Konfliktsituationen geraten
können“. Falls dem so sei, könne man dies „in einem vertrauensvollen
Gespräch“ erörtern. Eventuell sei „ein Wechsel in einen anderen
Arbeitsbereich des BfV sinnvoll“. Inzwischen hat die AfD Klage eingereicht
wegen dieses Schreibens: Dieses sei „unverhältnismäßig“ und schrecke
Parteimitglieder ab.
Angesprochen auf den Höcke-Aufruf, sagt eine Sprecherin des Bundesamts, es
gebe das Remonstrationsrecht auch für Verfassungsschutzmitarbeiter, aber
nur bei Einhaltung des Dienstwegs. Weise ein Vorgesetzter die Bedenken
zurück, müsse der Betroffene den Anordnungen Folge leisten. „Ein
allgemeines Recht zum Widerstand besteht nicht“, so die Sprecherin. „Fälle
von Arbeitsverweigerung werden, wie in jeder Behörde, entsprechend
gewürdigt und sanktioniert.“
## Zugeknöpfte Bundeswehr
Bei der Bundeswehr ist man zurückhaltend, was den Umgang mit dem Problem
angeht. Wer beim Verteidigungsministerium in Berlin anfragt, wie Aufrufen
zur Befehlsverweigerung von rechts begegnet wird, dem sagt ein Sprecher, er
werde beim Militärischen Abschirmdienst nachfragen, ob dieser zu einer
Auskunft bereit sei – bittet aber um Verständnis, wenn dies nicht der Fall
sein sollte. Genau dies ist der Fall: Der MAD sagt nichts, obwohl ihm die
entscheidende Rolle bei der Identifikation extremistischer SoldatInnen
zukommt. Schöpfen Vorgesetzte Verdacht, sind sie zur Meldung beim MAD
verpflichtet.
Ansonsten verweist das Verteidigungsministerium an das Zentrum Innere
Führung, ein grauer Sechsstöcker am Stadtrand von Koblenz. Ein Gespräch
lehnt die Einrichtung ab, Fragen beantwortet sie immerhin schriftlich. „Wir
werden Ihnen nicht die Antworten geben können, die Sie gerne hätten“, warnt
ein Sprecher. Das Thema ist, nach dem Franco-A.-Skandal und den
Hannibal-Enthüllungen, heikel.
Dabei spricht das Zentrum den Fall Franco A. auf seiner Webseite offen an:
als „Verstoß gegen die Grundsätze der Inneren Führung“. Hier zeige sich,
dass „diejenigen, die in der Kritik stehen, die Innere Führung nicht
verinnerlicht haben – und dass Vorgesetzte das nicht erkannt haben“.
Was die Bundeswehr tut, damit sich ihre Soldaten nicht gegen die politische
Führung wenden, ist seit Januar 2015 in einer 60-seitigen Dienstvorschrift
festgehalten. Sie regelt den Umgang mit Soldaten, „bei denen extremistische
Verhaltensweisen erkannt oder vermutet werden“. Auch sind darin vorbeugende
Maßnahmen bei Personalgewinnung und Ausbildung geregelt. Ein Sprecher des
Zentrums Innere Führung verweist zudem auf „erhebliche Ausbildungsanteile“
für Kompaniefeldwebel, Einheitsführer und Bataillonskommandeure, um
„Extremismus möglichst bereits im Anfangsstadium zu verhindern“.
## Soldat*innen „vom falschen Weg abhalten“
Die Vorschriften zielten vor allem darauf, „subkulturell geprägte
Rechtsextremisten und die neonazistische Szene einschließlich der
‚Autonomen Nationalisten‘“ von der Bundeswehr fernzuhalten. „Mitläufer…
„für Extremismus anfällige“ Soldat*innen will die Bundeswehr „vom falsc…
Weg abhalten“.
Bei den Bewerbungsgesprächen soll man etwa auf Tätowierungen achten, die
auf extremistische Gesinnung hindeuten. Eine routinemäßige Anfrage bei den
Verfassungsschutzbehörden ist nicht vorgesehen. Diese erfolgt vor der
Einstellung nur, wenn es „konkrete Anhaltspunkte für eine fehlende
Verfassungstreue“ gibt. Standardmäßig wird nur ein Führungszeugnis
verlangt. Ausnahme sind die „sicherheitsempfindlichen Dienstposten“. Wer
also keine SS-Runen auf der Haut trägt und sich beim Bewerbungsgespräch
zusammenreißt, kann es durchaus zum einfachen Dienst an der Waffe schaffen,
wenn er eine einschlägige Nazi-Vita, aber keine entsprechenden Vorstrafen
hat.
Die Vorgesetzten, so will es das Verteidigungsministerium, sollen „jede
Gelegenheit“ nutzen, um bei ihren Untergebenen ein „freiheitliches und
demokratisches Bewusstsein“ zu fördern. Denn bei Soldat*innen, die für
extremistisches Gedankengut anfällig sind, sei oftmals „weniger ein
extremistisches ideologisches Konzept die Grundlage ihres Denkens“, sondern
vielmehr „ein Defizit an Werten und Orientierungen“ – gefestigte Neonazis
hält man offenbar für ein Randphänomen innerhalb der extrem rechten
Soldaten. Um das „Defizit an Orientierungen“ auszugleichen, ist in der
Ausbildung „Extremismus“ eines der acht Pflichtthemen – behandelt werden
muss unter anderem das Thema „Extremismus: Flucht in Vorurteile und
Fremdenfeindlichkeit“. Auf dem Lehrplan steht auch „Interkulturelle
Kompetenz“.
Um extrem rechte Soldaten möglichst schnell zu erkennen, sollen Vorgesetzte
ein „besonderes Augenmerk“ auf Anhaltspunkte wie extremistisches
„gewaltverherrlichendes“ Liedgut legen. Den Vorgesetzten selbst sei
klarzumachen, „dass mögliches Wegsehen, Weghören oder Schweigen bei
extremistischen Verhaltensweisen falsch sind“. Unter anderem unterrichtet
der MAD dazu KommandeurInnen über extremistische Bestrebungen von
Beschäftigen in ihrem Verantwortungsbereich. Wer einschlägig auffällt, kann
vom Disziplinararrest bis zur Entlassung bestraft werden.
## Whistleblower soll entlassen werden
Zuletzt allerdings gab es Zweifel, wie konsequent die Bundeswehr wirklich
gegen Extremisten in ihren Reihen vorgeht. Es geht um den Fall Patrick J.
Der Unteroffizier meldete seit 2016 dem MAD gleich mehrere rechtsextreme
Vorfälle in der Bundeswehr. Einen Hauptgefreiten etwa, der in Chats angab,
er kämpfe „gegen die komplette Selbstaufgabe der weißen Nationen“. Oder
einen Oberstabsgefreiten, der – einem Reichsbürger gleich – schrieb, sie
alle seien nur „dumme Arbeiter, die einer großen GmbH angehören“.
Konsequenzen hatte das vor allem für: Patrick J.
Zwar ging die Bundeswehr einigen der Fälle nach. Gleichzeitig aber strengte
sie die Entlassung von Patrick J. an. Offiziell, weil der 31-Jährige einen
Kameraden einmal ohne dienstlichen Grund habe strammstehen lassen, ein
„Missbrauch der Befehlsbefugnis“. Das Personalamt der Bundeswehr nannte
aber auch dessen Meldungen zu rechten Umtrieben „übertrieben und haltlos“.
Nach öffentlicher Empörung über den Fall intervenierte das
Verteidigungsministerium: Die Entlassung ist nun „bis auf Weiteres“
ausgesetzt.
Sieht so der Aufklärungswillen der Bundeswehr gegen rechtsextreme Vorgänge
in den eigenen Reihen aus? Die Bundeswehr weist das zurück: Die zuständigen
Stellen gingen allen Hinweisen nach. „Jegliche Form von Extremismus hat in
der Bundeswehr keinen Platz.“
Aber auch den Fall Franco A. verhinderten die internen Vorschriften nicht –
obwohl der Soldat schon 2013 in seiner Master-Arbeit seine rechtsextreme
Gesinnung offenlegte. Sein Vorgesetzter beließ es bei der Ermahnung, und
Franco A. schmiedete später seinen mutmaßlichen Anschlagsplan.
## Der Staat soll „in die Zange genommen“ werden
Auch AfD-Mann Höcke, Compact-Herausgeber Elsässer und Pegida-Aktivistin
Festerling werden ihre Agenda vorantreiben. Die „Festung der Etablierten“
müsse von mehreren Seiten „in die Zange genommen werden“, erklärte Höcke…
seinem jüngsten Buch. Frustrierte Sicherheitsbedienstete seien dabei eine
Chance: weil sie die „Wahnsinnspolitik der Regierenden ausbaden müssen“.
Auf der Innenministerkonferenz will man jetzt mit dem Vorstoß für eine
schärfere Zuverlässigkeitsüberprüfung zumindest für die Polizei etwas
dagegensetzen. Es brauche ein einheitliches Vorgehen von Bund und Ländern,
heißt es in der Beschlussvorlage. Diese indes bleibt, unter knapp 70
Tagesordnungspunkten, ein Solitär.
13 Jun 2019
## LINKS
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[5] /Die-AfD-Fraktion-und-ihre-Mitarbeiter/!5550036
[6] /taz-Recherche-zu-rechtem-Netzwerk/!5557397
## AUTOREN
Christian Jakob
Konrad Litschko
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