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# taz.de -- Politikwissenschaftler über AfD: „Man erwartet den Tag X“
> Der rechte Flügel der AfD schürt stark die Erwartung, dass die Partei
> bald die Macht übernimmt. Doch für Niederlagen, so Gideon Botsch, gibt es
> keinen Plan B.
Bild: „Es gibt keine pragmatische Lösung, was man macht, wenn die Machtergre…
taz: Herr Botsch, [1][die AfD hat vor einem Gericht geklagt], weil der
Verfassungsschutz die AfD öffentlich als Prüffall bezeichnet – und Recht
bekommen. Hat der Verfassungsschutz da einen typischen Fehler gemacht – zu
viel Wille, die AfD zu entzaubern, und zu wenig professionelles Handwerk?
Gideon Botsch: Ich bin kein Jurist. Es mag vom Verfassungsschutz ein
kommunikativer Fehler gewesen sein, den Eindruck zu erwecken, „Prüffall“
sei eine juristisch definierte Formel. Trotzdem halte ich das für ein
Fehlurteil. Wenn der Verfassungsschutz nicht mehr über ein Thema sprechen
darf, das von solchem öffentlichen Interesse ist wie die rechtsextremen
Tendenzen in der AfD, dann haben wir wirklich ein Problem. Der
Verfassungsschutz beobachtet Rentnergruppen, die der DDR oder dem NS-Regime
nachtrauern – aber nicht die Extremisten in der AfD?
Glauben Sie, dass die Beobachtung durch den Verfassungsschutz der AfD
direkt schadet?
Ja. Für einen Teil der WählerInnen ist es wichtig zu wissen, ob die AfD auf
dem Boden der Verfassung steht oder nicht – oder ob Letzteres nur eine
Polemik von Medien ist.
Ist die AfD eine rechtsextreme Partei?
Nein, nicht in Gänze. Sie ist auch keine durchweg völkische Partei, sondern
eine Sammlungspartei. Aber sie ist, mehr als früher, rechtsextrem
dominiert.
Seit wann?
Das ist ein Prozess. Maßgeblich mitgewirkt hat Alexander Gauland, der den
rechten Flügel massiv gefördert hat. Ein Wendepunkt war die Bundestagswahl
2017. Das war eine Richtungsentscheidung, gegen die strategische
Ausrichtung des Berliner Landesvorsitzenden Georg Pazderski, der eine
konstruktive Oppositionspolitik mit Koalitionsoption bewirbt, und für reine
parlamentarische Obstruktion. Damit endete das Flügelspiel zwischen
rechtsbürgerlich und rechtsextrem, das die AfD zuvor geschickt inszeniert
hatte.
Also ist Alexander Gauland aus Ihrer Sicht das Symbol für den Wandel der
Partei vom Konservativen Richtung Rechtsextrem?
Nicht ganz. Gauland hat von Anfang an in Brandenburg die Rechten gefördert.
Und immer Fundamentalopposition vertreten …
Fundamenalopposition ist im Parlamentarismus völlig legitim …
Ja, aber bei Gauland ist es ein Mosaikstein in diesem Bild: Er hat auch vor
dem Herbst 2015 den rechtsextremen Flügel gestärkt, wo es ging.
Gauland und Meuthen sagen: „Die AfD distanziert sich seit jeher von
jeglicher Form des Extremismus, sei dieser links, rechts oder religiös
motiviert.“ Ist das also eine Lüge?
Die AfD distanziert sich verbal tatsächlich vom Extremismus. Aber das ist
Rhetorik. Gegenüber der eigenen Klientel, auf Versammlungen und bei
Straßenkundgebungen klingt das anders. Schauen Sie sich nur einmal die
Redebeiträge an, die die AfD von ihren eigenen Veranstaltungen im Netz
hochlädt. Oder die Beiträge von AfD-Repräsentanten bei
flüchtlingsfeindlichen Protesten, zum Beispiel in Cottbus.
Es gibt einen [2][Arbeitskreis Juden in der AfD]. Dient der dazu, einen
modernen Rechtspopulismus zu verkörpern, der proisraelisch und
antimuslimisch ist?
Ja, aber das gelingt nicht. Diese Gruppe ist Show. Es sind sehr wenige,
ohne nennenswerte Verankerung in den jüdischen Communitys.
Und die AfD insgesamt?
Erkennbar ist ein instrumenteller Anti-Antisemistismus, der benutzt wird,
um gegen muslimische MigrantInnen Stimmung zu machen. Aber das ist nicht
vergleichbar mit der Strategie der Rechtspopulisten und Postfaschisten in
Italien, Frankreich oder Österreich, die Israel als Bollwerk gegen den
Islam betrachten. Zudem ist der Antisemitismus in der AfD stark ausgeprägt
…
Bei Wählern oder Mitgliedern?
Auf allen Ebenen. Schon vor der Spaltung und der Niederlage von Bernd Lucke
gab es in keiner Partei, außer der NPD, so hohe Zustimmung für
antisemitische Einstellung wie in der AfD. Heute ist das noch ausgeprägter.
Bei den Grünen in den 80ern und der PDS in den 90er Jahren hat sich
gezeigt, dass der Parlamentarismus eine sogartige integrative Kraft hat.
Wie sieht es bei der AfD aus?
Die Grünen haben sich ernsthaft in die Politik eingearbeitet und sechs
Jahre nach ihrer Gründung schon in einem Bundesland mitregiert. Bei der AfD
sehe ich keine Mäßigung durch parlamentarische Praxis. Im Gegenteil: Sie
hat sich von einer Rechtsabspaltung der Union kontinuierlich zu einer immer
stärker rechtsextremen Partei entwickelt. Gegen den sogenannten „Flügel“
geht in der AfD nichts mehr. Deshalb ist Jörg Meuthen als Parteichef sofort
auf dem Kyffhäuser-Treffen aufgetreten. Wenn die AfD-Fraktion, wie in
Bayern geschehen, bei Holocaust-Gedenken unter Protest den Saal verlässt,
dann übernimmt sie eine Praxis, die die NPD 2005 im deutschen
Parlamentarismus eingeführt hat. Symptomatisch für die Radikalisierung ist
auch, dass der rechte Flügelmann Andreas Kalbitz, der sich in den 2000ern
im NPD-Umfeld bewegt hat, als Nachfolger von Gauland gehandelt wird.
Also AfD gleich NPD?
Nein. Aber der rechtsextreme Flügel übernimmt von der NPD bestimmte
Praktiken und verwirft andere, erfolglosere. Das geschieht ja nicht nur im
Parlament: Auch das Bündnis mit flüchtlingsfeindlichen Straßenaktivisten,
die als „Bürgerinitiativen“ oder „Bürgerbewegungen“ bezeichnet werden…
zuerst die NPD praktiziert. Es gibt starke Kräfte in der AfD, die die NPD
gut kennen und im Trial-and-Error-Verfahren deren politische
Ausdrucksformen aufnehmen.
Die AfD war bei Wahlen lange enorm erfolgreich. Sehen Sie Anzeichen, dass
dieser Trend zu Ende geht?
In Hessen und Bayern 2018 erreichte die AfD erstmals nicht mehr Stimmen,
als ihr prognostiziert worden war. Eine Wendemarke war meines Erachtens
Chemnitz im letzten Sommer: der gemeinsame Auftritt führender AfD-Politiker
mit Rechtsextremen, gewaltbereiten Hooligans, Neonazis. Das hat den Trend
sichtbar gemacht, auf den wir Monate zuvor hingewiesen haben – die Dominanz
der Rechtsextremen
Wäre die AfD für kommende Niederlagen gewappnet?
Eher nein. Sie schürt ja stark die Erwartung, dass sie bald die Macht
übernehmen wird. Höcke redet von der AfD als letzter evolutionärer Chance
für Deutschland, aber nur wenn sie die absolute Mehrheit hat. Bei
Veranstaltungen der AfD oder in ihrem Umfeld hören wir oft eine Rhetorik
des Umsturzes. Die Vorstellung, bis zum Sieg voran zu stürmen, konnte die
eigene Klientel mobilisieren – nun ist ein Kulminationspunkt erreicht.
Die AfD suggeriert ja, den Volkswillen zu vertreten, und auch daher
Anspruch auf die Macht zu haben. Wird sie Opfer der eigene Propaganda?
Vielleicht, aber das ist ein strukturelles Problem und ein immer
wiederkehrendes Phänomen in der deutschen Rechten nach 1945. Man erwartet
den Tag X. Schon seit 70 Jahren rechnet man mit der unmittelbar
bevorstehenden Katastrophe, derzeit ist es die Fantasie der Umvolkung.
Deshalb müsse man jetzt sofort an die Macht kommen. Aber es gibt keinen
Plan B, keine pragmatische Lösung, was man macht, wenn die Machtergreifung
ausfällt. Anders als die Rechte im Kaiserreich und in der Weimarer Republik
konnte die Rechte in der Bundesrepublik nie dauerhaft die sozialen
Interessen einer relevanten Gruppe an sich binden. Sie war bislang unfähig
zu Real- oder Interessenspolitik. Auch deswegen ist die Neigung für die
Tag-X-Rhetorik so ausgeprägt.
3 Apr 2019
## LINKS
[1] /Dienstaufsichtsbeschwerde-der-AfD/!5582926
[2] /Kommentar-Gruendung-Juden-in-der-AfD/!5538181
## AUTOREN
Sabine am Orde
Stefan Reinecke
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