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# taz.de -- EU-Kritiker missbrauchen EU-Gelder: Der Feind zahlt
> In vielen Skandalen offenbart sich, wie rechte Politiker EU-Gelder
> missbrauchen: für nationale Wahlkämpfe oder eine Exkursion zum
> Dracula-Schloss.
Bild: Mit EU-Geldern ging es auf's Dracula-Schloss
Straßburg taz | Ob unangemessene Verschwendung für Luxus-Dinner mit
[1][Champagner] oder [2][Affären um Scheinbeschäftigung]: In fast
regelmäßigen Abständen kommen neue Skandale ans Licht, die zeigen, wie
dreist manche europakritische Politiker EU-Mittel teils für eigennützige
Zwecke verwendet haben. Bisher kaum in den Fokus gerückt sind dabei aber
europäische politische Parteien, kurz Europarteien, und die dazugehörigen
Stiftungen, die EU-Politiker mehrerer Mitgliedsstaaten seit 2004 gemeinsam
gründen können.
Bis 2016 haben EU- und zuwanderungsfeindliche Politiker insgesamt acht
Europarteien und acht Stiftungen ins Leben gerufen und Daten der EU zufolge
dafür über 15 Millionen Euro an Förderung als Betriebskostenzuschüsse
erhalten. Das entspricht immerhin rund einem Drittel der Summe, die rechten
Eurokritikern im selben Zeitraum an Fraktionsgeldern zugeflossen ist.
Recherchen der taz sowie der französischen Medien Rue89 Strasbourg und La
Croix zeigen nun auf, wofür einige dieser Europarteien die EU-Förderung
unter anderem ausgaben: für Wahlkämpfe in den Mitgliedsstaaten,
Studien-Plagiate und eine Exkursion zum Dracula-Schloss.
Am dreistesten verhielten sich mehrere rechte Europarteien etwa unter
Beteiligung der britischen Anti-Brexit-Partei Ukip. Die von der Ukip
dominierte, mittlerweile aufgelöste Allianz für Direkte Demokratie in
Europa (ADDE), zu der auch Beatrix von Storch von der AfD gehörte, hatte
große Summen veruntreut, unter anderem für neun Umfragen im Vorfeld der
britischen Unterhauswahl 2015 und dem EU-Referendum 2016. Die EU-Regularien
verbieten es, Europarteien-Gelder für nationale Zwecke auszugeben. Eine
halbe Million Euro forderte die EU schließlich zurück.
## „Die brauchten eine Adresse in der Nähe des EU-Parlaments“
Oft navigieren die Rechten am Rande der Legalität. Das lässt sich am bisher
unbekannten Beispiel einer rechten Europartei aus dem Elsass gut
illustrieren. „Freundlich“ und „diskret“, so schildern Nachbarn Christi…
Cotelle, einen langjährigen Front-National-Lokalpolitiker aus dem
elsässischen Matzenheim, dem dabei eine besondere Rolle zuteil wurde. Das
beigefarbene Haus des „freundlichen“ Nachbarn wurde lange als Anschrift
eines rechten Parteienverbunds angegeben: der Allianz der Europäischen
nationalen Bewegungen (AEMN).
Schon 2009 hatten sich Politiker des französischen Front National, der
ultrarechten ungarischen Jobbik, der rechtsextremen British National Party
und weiterer rechter Parteien zur AEMN zusammengeschlossen. 2012 wurde der
Verbund dann in die gleichnamige Europartei mit Sitz im Elsass umgewandelt.
Aber warum Matzenheim? „Die brauchten einfach eine Adresse in der Nähe des
EU-Parlaments“, erzählt Cotelle beim spontanen Kurzinterview am Gartenzaun.
Er habe vor allem „Briefe angenommen und weitergeleitet“. Für seine Dienste
habe er kein Geld erhalten: „Nur die Portokosten haben sie mir erstattet.“
1,4 Millionen Euro Betriebskostenzuschüsse flossen zwischen 2012 und 2016
von der EU an die AEMN, die als Verein firmierte. Andere Parteien erhielten
teils deutlich mehr, wurden aber auch weniger harsch kritisiert. „Die AEMN
muss streng überwacht werden“, forderte Klaus Welle, Generalsekretär des
Europaparlamentes, bereits 2014 in einem internen Bericht, der der taz
vorliegt. „Bei der Europartei seien „große Schwächen bei der Verwaltung u…
der Buchhaltung“ zutage getreten, so Welle damals, der sich heute auf
Anfrage nicht mehr äußern wollte.
## „Dubiose Fälle“
Im Bericht hieß es außerdem: „Die Partei und ihre Stiftung wurden daran
erinnert, dass direkte oder indirekte Zahlungen an Mitgliedsparteien nicht
akzeptiert werden.“ Weil es in der Vergangenheit mehrere „dubiose Fälle“
gegeben habe, beziehe sich das explizit auch auf „Firmen und
Medienunternehmen“, die von diesen Parteien kontrolliert würden.
AEMN-Generalsekretär Valerio Cignetti wiegelt ab. „Unsere Arbeit erfolgte
in Einklang mit den geltenden Regeln und Gesetzen, in Zusammenarbeit mit
den Kontrollbehörden“, erklärt er auf Anfrage. Im Laufe der Jahre habe die
AEMN in diesem Punkt „deutliche Fortschritte“ erzielt, so Cignetti, der in
der Europartei die neofaschistische Freifarbige Flamme aus Italien
vertritt.
Der taz, Rue89 Strasbourg und La Croix liegen nun Unterlagen vor, die
aufzeigen, dass die AEMN ihren Bürgerauftrag recht eigenwillig auslegte.
Für die Bevölkerung frei zugängliche Veranstaltungen sind weder auf der
Webseite noch auf dem Facebook-Auftritt der Partei dokumentiert. Dafür
unterstützte die AEMN unter anderem finanziell Projekte von Gabriele
Adinolfi, einem italienischen Neofaschisten und Vordenker der
rechtsextremen Casapound.
Adinolfi steht dem Think Tank EurHope vor, der 2016 mittels Gelder aus dem
elsässischen Matzenheim starten konnte. Selbst erklärte Ziele von EurHope:
„Verjüngung der Bevölkerung, Mäßigung und Umkehrung der Immigration und
Erhalt der völkischen Kerns der europäischen Länder.“ Mit der AEMN
organisierte Adinolfi auch nichtöffentliche Exkursionen, zum Beispiel zum
Dracula-Schloss in Rumänien. Dem Reisebericht auf der Website von EurHope
zufolge hat dieser Ort den Teilnehmern aufgezeigt, dass es nichts bringe,
nur Landesgrenzen zu schützen, wenn die „blutsaugenden Vampire“ bereits
hinter einem stehen. Vielmehr gelte es einen Schutzwall für die eigene
Identität zu errichten.
## Plagiate, ohne jegliche Kennzeichnung der Quellen
AEMN-Generalsekretär Cignetti bestätigt, mit „EurHope“ seit dessen Gründ…
zusammenzuarbeiten. In welcher Art, in welchem Umfang und mit welchen
Mitteln hänge von den Projekten ab. Im Laufe der Jahre habe die Europartei
allgemein viele kleine Vorhaben umgesetzt, darunter Trainings, Workshops,
Vorträge, Studien und Think Tanks: „Die AEMN hat eher die Strategie
verfolgt, ein breites Netzwerk basierend auf Werten aufzubauen statt auf
wenige, breitenwirksame Projekte zu setzen.“
Auf den ersten Blick zeigt sich die Europartei AEMN arbeitsam: Auf ihrer
Webseite sind mehr als zwei Dutzend Studien veröffentlicht worden, alle mit
dem Vermerk „unterstützt vom EU-Parlament“. Doch viele der Arbeiten sind
Plagiate. Eine mittlerweile aus dem Netz genommene Studie behandelt die
Klimapolitik der EU und ist eine glatte Kopie eines Artikels mit dem Titel
„Auf Sparflamme“ aus der Internetzeitung Politico. Eine weitere Studie
behandelt das Gesundheitssystem in Russland. Die beauftragte Firma aus
Italien hat dafür Texte aus Wikipedia und von EU-Behörden zusammenkopiert,
ohne jegliche Kennzeichnung der Quellen.
Cignetti geht auf Nachfrage nicht explizit auf den Plagiats-Vorwurf ein.
Den Vermerk auf eine EU-Förderung hätten sie standardmäßig eingefügt,
erklärt der AEMN-Generalsekretär. Manche dieser Arbeiten seien teilweise
oder vollständig aus eigenen Mitteln finanziert worden. Cignetti betont:
Die AEMN sei „regelmäßig von Behörden des EU-Parlaments überprüft“ wor…
und zwar „in Hinblick auf das Management und die Finanzierung“. Außerdem
gebe es ein jährliches externes Audit.
Da die Partei die notwendig gewordene Registrierung verpasste und später
die Kriterien nicht mehr erfüllte, hat es für die AEMN ab 2017 keine Gelder
von der EU mehr gegeben. Bis dahin waren ohnehin die meisten der Mitglieder
zu anderen Formationen übergetreten. Seitdem wird die Partei nur noch als
Hülle bei ihrem langjährigen Straßburger Steuerberater geparkt. Juristische
Folgen hatte die vom Präsidium des Parlaments mehrfach gerügte Buchführung
und Ausgabenpolitik der AEMN bis heute nicht.
Die deutsche EU-Haushalts-Politikerin Ingeborg Grässle (CDU) hat sich lange
dafür eingesetzt, das Finanzierungssystem für Europarteien und Stiftungen
zu verschärfen. Im April vorigen Jahres verabschiedete der Rat eine
strengere Finanzierungsrichtlinie. So können auf europäischer Ebene nun
keine Einzelpersonen mehr Parteien und Stiftungen gründen. Wird betrogen,
können verantwortliche Personen juristisch leichter verfolgt werden und
müssen zweckentfremdete Gelder gegebenenfalls aus der eigenen Tasche
zurückerstatten. Grässle glaubt, dass sich die Rechten nun nicht mehr so
dreist aus der EU-Kasse bedienen können: „Die Zeit der europäischen
Naivität ist vorbei.“
Kritik kommt dagegen wenig überraschend vom AEMN-Generalsekretär. Die neuen
Regeln schlössen kleine Akteure wie die AEMN praktisch von vornherein aus,
moniert Cignetti. Leider sei das „kein Zufall“, sondern vielmehr „erklär…
politisches Ziel“. So würde es seiner Partei verwehrt, die Stimme ihrer
Wähler zu vertreten, ärgert sich der Politiker. Er glaubt: „Letztlich führt
das dazu, dass sich weniger Menschen mit der EU-Politik identifizieren.“
Mit dem Thema betraute NGOs wie Transparency International loben die Reform
als wichtigen Schritt, fordern aber eine noch stärkere Kontrolle. Bei einer
neuen Überwachungsbehörde für europäische Parteien und Stiftungen arbeiten
demnach gerade einmal drei Mitarbeiter.
Diese Recherche wurde unterstützt mit dem Stipendium [3][„Investigativer
Journalismus für die Europäische Union“] (IJ4EU) des European Centre for
Press and Media Freedom und des International Press Institutes. Das
Stipendium wurde 2018 ins Leben gerufen und soll auch die Zusammenarbeit
zwischen JournalistInnen und Redaktionen in der EU fördern.
2 Apr 2019
## LINKS
[1] /Archiv-Suche/!5493304&s=Champagner+EU/
[2] /Archiv-Suche/!5538751&s=Europaparlament+Marine+Le+Pen/
[3] https://www.investigativejournalismforeu.net/
## AUTOREN
Robert Schmidt
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