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# taz.de -- Front National nach dem Brexit: Den Champagner kaltgestellt
> Frankreichs Rechtsextremisten fühlen sich durch den Brexit bestärkt.
> Front-National-Chefin Marine Le Pen drängt nun auf ein Referendum.
Bild: Im EU-Parlament: Marine Le Pen
Die jahrhundertealte Rivalität zwischen Frankreich und Großbritannien
erklärt zum Teil die Häme in vielen französischen Kommentaren zum Brexit.
In den Spott mischen sich schnell die Klischees über die „Roastbeefs“, wie
die Engländer gern genannt werden. In den Gesprächen an der Theke heißt es
oft, die Briten seien ja nie wirklich in der EU dabei gewesen, ihr Austritt
sei verständlich.
Und die Folgekosten gönnt man ihnen von Herzen. „Sie sind aus der EM
eliminiert, jetzt auch aus der EU – logisch, oder?“, meint ein Fußballfan
in der Pariser „Bar des Amis“. Nicht wenige in Frankreich spielen aus Ärger
über die Politik und die Strukturen der Gemeinschaft mit der Idee einer
Abstimmung. „Aber uns fragt ja nie jemand um unsere Meinung …“, kommt wie
im Refrain. Ein Pariser Immobilienhändler dagegen reibt sich schon die
Hände. Er bekommt angeblich bereits Anrufe mit zusätzlichen Anfragen von
betuchten Briten, die ihr Domizil nach Paris verlegen wollten.
Nachteile für die eigene Wirtschaft befürchten derzeit offenbar die
wenigsten. Zehn Tage danach haben ohnehin schon die meisten anders im Sinn.
Nicht so die Einwohner von Calais in Nordfrankreich. Sie erhoffen sich vom
Brexit endlich eine Lösung für das Flüchtlingsproblem am Ärmelkanal. Laut
dem konservativen Vorsitzenden der nordfranzösischen Region Xavier Bertrand
wird nun nämlich das 2003 unterzeichnete Abkommen von Touquet hinfällig,
mit dem Frankreich für Großbritannien die Grenzkontrolle übernommen und
sich damit verpflichtet hat, die Tausende von Migranten und Flüchtlingen
auf dem europäischen Festland zu stoppen. Wie Bertrand meinen auch die
anderen Politiker, jetzt sollen die Briten gefälligst diesen undankbaren
Job selber übernehmen.
## Erleichterung in der Bevölkerung
In der Bevölkerung herrscht Erleichterung. In der Brasserie „Sixties“ meint
die frühere Wirtin Valérie G.: „Jetzt werden wir ganz einfach die
Kontrollen lockern und die Migranten durchgehen lassen. Auch ein Polizist
hat mir gesagt, die Wachsamkeit werde entsprechend gesenkt. Sollen doch die
Engländer die Grenzkontrollen auf ihrem Boden machen, wenn sie aus Europa
ausscheiden wollen!“ Die anderen nicken zufrieden.
Mit der Zahl der Menschen aus Afrika und dem Nahen Osten, die via Calais um
jeden Preis nach Großbritannien übersetzen wollen, aber daran gehindert
werden, wuchs mit den Jahren die fremdenfeindliche Stimmung. Auch lokale
Politiker, die wie Bürgermeisterin Natacha Bouchart gelegentlich Mitgefühl
für das „humanitäre Drama“ gezeigt haben, hoffen ebenfalls, dass dank dem
Brexit der „Jungle“ und die anderen desolaten Flüchtlingscamps bei Calais
(und den anderen Hafenstädten am Ärmelkanal) verschwinden.
Feststimmung herrscht weiterhin an der Rue des Suisses im Pariser Vorort
Nanterre: Im Hauptquartier des rechtsextremen Front National hatte Marine
Le Pen in gewisser Erwartung des Siegs der Brexit-Anhänger für den Tag nach
dem Referendum den Champagner kalt stellen lassen. Sie hatte es geahnt:
Eine Mehrheit der Briten würde die Chance nicht ungenutzt vorübergehen
lassen, den „Eurokraten“, ihrer eigenen Regierung und Elite eine Abfuhr zu
erteilen.
## Sie fühlt sich ganz im Trend
Genau dasselbe erhofft sie sich innigst auch für Frankreich. Sie fühlt sich
ganz im Trend und macht schon mit Plakaten Stimmung für eine Volksbefragung
in Frankreich. „Brexit – et maintenant la France“ steht darauf als
Ankündigung, dass nach dem Brexit „jetzt Frankreich“ an der Reihe sei,
Brüssel mit einem Fußtritt in die Wahlurne die Gefolgschaft zu verweigern.
Allerdings hat Marine Le Pen keine Zeit mit Feiern zu verlieren: Bald nach
dem Brexit-Referendum wurde sie – wie alle anderen führenden Politiker der
im Parlament vertretenen Parteien – von Staatspräsident François Hollande
im Élysée-Palast empfangen. Diesem unterbreitete sie zwei Forderungen: Die
Regierung solle eine Abstimmung über Frankreichs EU-Mitgliedschaft (und im
Fall eines „Frexit“ anschließend auch einen Austritt aus dem Euro)
organisieren. Außerdem verlangte sie die Einführung des
Verhältniswahlrechts auf nationaler Ebene, damit der FN in der
Nationalversammlung seiner Stimmenzahl entsprechend (stark) repräsentiert
werde.
Marine Le Pen verweist darauf, dass laut einer Umfrage im März dieses
Jahres 53 Prozent der französischen Bürger wie die Briten über den Verbleib
in der EU abstimmen möchten.
Der Ausgang einer „Frexit“-Abstimmung wäre unberechenbar: Die von der
Universität Edinburgh in sechs EU-Staaten durchgeführte Untersuchung
belegt, dass die Franzosen nach den Briten am meisten gegen die EU
eingestellt sind. Während die Deutschen mit 60, die Polen mit 66 oder die
Spanier mit 68 Prozent für die EU-Mitgliedschaft votieren würden, wären es
in Frankreich nur gerade 45 Prozent sagen; 33 klar für einen „Frexit“ und
22 hätten dazu noch keine eindeutige Position. Nach dem (für die
Meinungsforscher überraschenden und kompromittierenden) Ergebnis in
Großbritannien aber könnten sich aber diese Anteile zugunsten der
EU-Kritiker verschoben haben.
## Ein „Frexit“ wäre unberechenbar
Beide FN-Forderungen lehnt Hollande aus guten Gründen kategorisch ab. Er
will ja nicht als „Zauberlehrling“ wie der britische Premier David Cameron
in die Geschichte eingehen. Mit einem „Referendum“, wie man in Frankreich
eine Volksabstimmung nennt, gäbe der sehr unpopuläre Staatschef seinen
unzufriedenen Landsleuten die einmalige Gelegenheit, ihren ganzen
angestauten Zorn abzureagieren.
Der Ausgang einer „Frexit“-Abstimmung wäre auch so schon unberechenbar. Die
Umfragen dazu sind zu widersprüchlich. Klar ist hingegen, dass die Position
der EU- und fremdenfeindlichen Populisten in Frankreich vom Brexit gestärkt
wird. Darum meint Marine Le Pen in ihrer Analyse, dieselben Themen
(nationale Souveränität kontra EU- Bürokratie, Sicherheit, Immigration und
Flüchtlingskrise), die in Großbritannien das Ergebnis bestimmt haben,
würden ihr in Frankreich zum Triumph verhelfen.
Nach der fruchtlosen Unterredung der FN-Führung mit Hollande sagte
FN-Vizepräsident Florian Philippot, der britische Präzedenzfall werde
bestimmt viele noch zögernde Franzosen zur Nachahmung ermutigen: „Das gibt
der Idee, dass man (aus der EU) austreten kann, Kredit und verstärkt die
Debatte über Europa in Frankreich. Vielleicht hatten einige wirklich die
Frage gestellt, ob das (ein Austritt)überhaupt machbar wäre oder ob das im
Gegenteil eine Apokalypse wäre.“ Dass der britische Austritt wegen der
negativen Folgen und Kosten die übrigen Mitgliedsländer abschrecken könnte,
fürchten die EU-Gegner offenbar nicht.
## Die „Souveränisten“
Wegen der Forderung nach einer Rückkehr zu einer uneingeschränkten
Souveränität werden die EU-Gegner in Frankreich „Souveränisten“ genannt.…
ihnen zählen neben dem FN der ebenfalls für die Präsidentschaftswahlen
kandidierende Gaullist Nicolas Dupont-Aignan mit seiner Bewegung „France
debout“ (die mit der basisdemokratischen „Nuit debout“ gar nichts zu tun
hat!) sowie der Ultrakonservative Philippe de Villiers und sein „Mouvement
pour la France“. Für sie, wie auch für Nicolas Sarkozys „Les Républicain…
war bisher eine Allianz mit dem FN ein Tabu. Doch die ideologische
Annäherung geht – ermuntert durch das Vorbild Brexit – an der Basis der
rechten Wählerschaft weiter.
Was bis zuletzt als pure politische Fiktion in Frankreich galt, hat sich
mit dem britischen Präzedenzfall geändert. Jetzt geht in Frankreich das
Gespenst eines „Frexit“ um – mit der Machteroberung durch Marine Le Pen a…
Zugabe im politischen Albtraum.
4 Jul 2016
## AUTOREN
Rudolf Balmer
## TAGS
Schwerpunkt Rassemblement National
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