| # taz.de -- Brexit und Rechtspopulismus: Im Triumph bleiben die Rechten cool | |
| > Der Brexit gibt den rechten Parteien in der EU enormen Auftrieb. | |
| Bild: Der Kopf scheint zu glühen, doch der Rest bleibt cool | |
| Europa wird rechter, nationalistischer und fremdenfeindlicher werden. Der | |
| Sieg des Brexit-Lagers markiert eine Wende im politischen Diskurs des | |
| Kontinents. Die Stellungnahmen der rechtspopulistischen Parteien lassen | |
| keinen Zweifel daran: Die Einheit und der bloße Bestand der Europäischen | |
| Union stehen ab jetzt zur Disposition. | |
| Der Jubel in den Zentralen der rechtspopulistischen Parteien war dezent, | |
| aber greifbar. Als erster reagierte Geert Wilders, der Chef der Partei für | |
| die Freiheit (PVV) in den Niederlanden. „Die Niederlande haben auch das | |
| Recht auf ein Referendum“, erklärte er. Und hatte auch gleich den passenden | |
| Begriff für diese politische Aktion zur Hand. Er sprach von einem „Nexit“. | |
| Wilders hat sich über die Niederlande hinaus einen Namen als ausgewiesener | |
| Kritiker der Union erworben und ist immer wieder gegen die vermeintliche | |
| „islamische Einwanderung“ in die EU-Staaten zu Felde gezogen. | |
| Der Virus des Zerfalls, der sich mit der Brexit-Abstimmung nun in den | |
| Köpfen vieler Kritiker und Bürger festgesetzt hat, traf natürlich beim | |
| Front National in Frankreich auf ein äußerst fruchtbares Milieu. Die Chefin | |
| des Front National, Marine Le Pen, sprach am frühen Morgen auf Twitter von | |
| einem „Sieg der Freiheit“. „Wie ich es seit Jahren fordere, brauchen wir | |
| jetzt dasselbe Referendum in Frankreich und in den Ländern der EU“, fügte | |
| sie hinzu. Zuvor hatte bereits ihre Nichte Marion Maréchal-Le Pen, | |
| Abgeordnete der Nationalversammlung, von einem „Frexit“ gesprochen, der nun | |
| auf der Tagesordnung stehe. | |
| ## Tränen der Freude | |
| In Deutschland richteten sich die Blicke auf die rechtspopulistische | |
| Alternatie für Deutschland. Deren Europaabgeordnete Beatrix von Storch | |
| weinte vor Freunde, wie sie die Öffentlichkeit über die sozialen Netzwerke | |
| am Morgen wissen ließ. Thüringes AfD-Chef Björn Höcke sagte, er sei | |
| „glücklich“ über die Abstimmung. Und Bundesvorstandsmitglied Julian Flak, | |
| der zur Nachwuchsorganisation Junge Alternative gehört, twitterte schon um | |
| 5.42 Uhr euphorisch: „Freedom wins over serfdom“ (Freiheit siegt über | |
| Leibeigenschaft). | |
| Deutlich nüchterner ging es zu, als der stellvertretende Parteivorsitzende | |
| Alexander Gauland in der Berliner Bundesgeschäftsstelle um kurz nach zehn | |
| vor die Presse trat. „Ich bedauere den Ausstieg der Briten“, sagte Gauland. | |
| Es sei nicht gut, dass „die Briten als Pragmatiker“ nicht mehr an den | |
| dringend notwendigen Reformen der EU mitwirken würden. Positiv aber sei, | |
| fügte er auf Nachfrage hinzu, dass „das britische Volk seine Souveränität | |
| zurückgewonnen“ habe. Die AfD setze sich dafür ein, dass solche | |
| Volksabstimmungen auch hierzulande möglich werden. Mal sehen, ab wann das | |
| Wort „Dexit“ hier auftaucht. | |
| Direkte Folgen dürfte der Brexit für die beiden Europaparlamentarier der | |
| AfD, von Storch und Marcus Pretzell, haben. Von Storch, die gemeinsam mit | |
| der britischen Ukip in einer Fraktion sitzt, verliert im EU-Parlament einen | |
| einflussreichen Verbündeten. Insgesamt könnte es durch das Ausscheiden der | |
| Briten zu einer Neusortierung des rechten Lagers kommen. | |
| ## Gratulation von der FPÖ | |
| Die verbale Ansteckungsgefahr des Exit dürfte noch in manch anderen Staaten | |
| bemüht werden, selbst wenn dies sprachlich nicht immer gut zu passen | |
| scheint. „Oezit“ klingt jedenfalls ein bisschen gewollt. In Wien hielt sich | |
| die Freiheitliche Partei Österreichs mit Jubelbekundungen erstaunlich lange | |
| zurück. Obwohl sie erst vor zwei Wochen in der österreichischen Hauptstadt | |
| eine rechtspopulistische Front auf die Bühne gestellt hatte, an der auch | |
| der Front National, die AfD und andere Parteien beteiligt waren, benötigte | |
| man auffällig lange, um eine Stellungnahme zu formulieren. Die fiel dann | |
| auch eher moderat aus. „Wir gratulieren den Briten zu ihrer wiedererlangten | |
| Souveränität. Das Ergebnis ihres gestrigen Referendums ist eine | |
| Weichenstellung für die Demokratie und gegen den politischen Zentralismus, | |
| aber auch gegen den anhaltenden Migrationswahn“, so FPÖ-Obmann | |
| Heinz-Christian Strache in einer schriftlichen Erklärung. Weiter heiß es, | |
| direkte Demokratie müsse wieder hohe Bedeutung in Europa erlangen und über | |
| Unionsrecht angesiedelt sein. Eine Abstimmung über den Verbleib Österreichs | |
| in der EU forderten die Wiener Rechtspopulisten nur für den Fall, dass die | |
| Türkei in die EU geholt werde. | |
| In Italien zog der Chef der rechtspopulistischen Lega Nord, Matteo Salvini, | |
| zünftig vom Leder. Die Union sei ein Käfig voller Narren, sie vernichte | |
| Arbeitsplätze und die Würde der Bürger, schimpfte er. Die einstige | |
| Regierungspartei Lega Nord suchte heute engeren Kontakt zu anderen | |
| rechtspopulistischen Parteien in Europa. | |
| In Griechenland begrüßte der Sprecher der rechtsextremen Goldenen | |
| Morgenröte, Ilias Kassidiaris, die „tapfere Entscheidung der britischen | |
| Wähler“ und machte dabei Stimmung gegen Deutschland: Das Votum sei ein | |
| „Nein zur deutschen Finanzoligarchie, die ganze Völker durch ihre | |
| Austerität zerstört, die unsere Souveränität mit Füßen tritt und illegale | |
| Einwanderung fördert,“ sagte Kassidiaris in einer Ansprache. Als Konsequenz | |
| der Brexit-Entscheidung sieht er die Stärkung „patriotischer und | |
| nationalistischer Kräfte in Europa, wobei die Bewegung der Goldenen | |
| Morgenröte führend“ sei. Laut Kassidiaris seien die Rechten „die einzige | |
| Widerstandskraft, die für unsere Souveränität kämpft“. | |
| Kritik an Europa kam auch von links: In einer TV-Ansprache erklärte | |
| Regierungschef Alexis Tsipras, die Entscheidung der britischen Wähler stehe | |
| für eine tiefe politische Krise. Zu dieser Krise hätten nicht zuletzt | |
| Stereotype über „den vernunftgesteuerten, fleißigen Norden und den | |
| angeblich arbeitsscheuen Süden“ beigetragen, so Tsipras. | |
| ## Fröhlicher Mittsommer | |
| In Skandinavien, wo derzeit Mittsommer gefeiert wird, blieben die | |
| Reaktionen überschaubar. Die rechtspopulistischen Schwedendemokraten | |
| begrüßten den Brexit-Entscheid, ihr Vorsitzender Jimmy Åkesson sprach von | |
| einem „sehr fröhlichen Mittsommer für uns“. Er hoffe auf einen | |
| Dominoeffekt: „Schweden sollte den gleichen Weg gehen, und ich glaube, dass | |
| es nicht nur hier, sondern auch in anderen europäischen Ländern eine starke | |
| Unterstützung dafür gibt.“ In Dänemark forderte dagegen selbst die | |
| EU-kritische Dänische Volkspartei – deren Vorsitzender Kristian Thulesen | |
| Dahl von „fantastisch mutigen Briten“ sprach – vorerst keinen | |
| Volksentscheid. | |
| In Ungarn sagte Ministerpräsident Orbán: „Brüssel muss die Stimme des | |
| Volkes hören.“ Die Briten hätten eine Antwort auf die Frage der | |
| Einwanderung in ihr Land gesucht. Darauf müsse auch die EU eine Antwort | |
| finden. Der Vizefraktionschef der rechtsradikalen Partei Jobbik, Márton | |
| Gyöngyösi, war da direkter: „Das war die größte denkbare Ohrfeige für die | |
| Europäische Union.“Die EU müsse jetzt ihre Politik in der | |
| Einwanderungsfrage überdenken. | |
| In der Ukraine wollte die Abgeordnete Hanna Hopka von der Partei | |
| Selbsthilfe gleich den Platz Großbritanniens einnehmen. „Großbritannien | |
| geht, die Ukraine kommt“, schrieb sie. „UK gleich Ukraine“, so das Motto. | |
| 24 Jun 2016 | |
| ## AUTOREN | |
| Georg Baltissen | |
| Ralf Leonhard | |
| Sabine am Orde | |
| Jannis Papadimitriou | |
| Tibor Rácz | |
| Irina Serdyuk | |
| Reinhard Wolff | |
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