# taz.de -- Ein Hausbesuch bei der AfD in Berlin: Unter einem Dach mit der AfD | |
> Frauke Petry ist selten da: Bundeszentrale und Berliner Landesverband der | |
> AfD residieren in einem Bürohaus in Tiergarten. Das gefällt nicht allen | |
> Nachbarn. | |
Bild: Ein flotter Abgang bei Frauke Petry | |
Ingrid Jansen hat vermutlich den spektakulärsten Arbeitsplatz am | |
Lützowplatz in Tiergarten. Die Versicherungskauffrau sitzt in ihrem | |
gläsernen Büro im achten Stock und hat Berlin unter sich liegen. Bis zum | |
Kraftwerk Lichterfelde an der Grenze zu Brandenburg reicht ihr Blick. Die | |
Versicherungsangestellte nimmt ihr Büro aber eher nüchtern hin, obwohl zu | |
den weiteren Vorzügen ihres Arbeitsplatzes der Zugang zu einer großen, mit | |
Holzplanken ausgelegten Sonnenterrasse gehört und damit das Gefühl, | |
Kapitänin auf einer Schiffsbrücke zu sein. Das weiße Bürohaus ist in den | |
oberen Etagen terrassenförmig gebaut, jedes Stockwerk ist kleiner als das | |
darunterliegende. Ingrid Jansen sitzt mit wenigen Kolleginnen ganz oben. | |
Vor drei Jahren zog ein neuer Mieter ein, der bei Ingrid Jansen für | |
Irritation sorgt. Die Bundeszentrale der AfD sitzt seitdem zwei Stockwerke | |
unter ihr. „Das ist schon ein bisschen merkwürdig“, sagt Jansen, die in | |
Wirklichkeit anders heißt, aber in Verbindung mit der AfD im Haus nicht | |
namentlich genannt werden will. Sie sehe die AfD-Leute zwar selten im | |
Fahrstuhl, aber so richtig passe die Partei nicht ins Haus und zu seiner | |
Geschichte. | |
Das Gebäude, das an der sechsspurigen Nord-Süd-Achse vom Großen Stern bis | |
zum Rathaus Schöneberg steht, die hier Schillstraße heißt, war einmal ein | |
Gewerkschaftshaus. Die gewerkschaftseigene Versicherung Volksfürsorge | |
(Werbespruch: „Keine Sorge, Volksfürsorge“) errichtete das auffällige | |
Bürogebäude Anfang der 70er Jahre. Die Neue Heimat, das Wohnungsunternehmen | |
des Gewerkschaftsbundes DGB, saß ebenso in der Schillstraße 9/10 wie die | |
Wohnungsbaugesellschaft Wir und die Berliner Filiale der Deutschen | |
Postgewerkschaft. | |
Früher war die Fassade mit knallroter Farbe verziert; „und die Wände des | |
Eingangsbereichs waren orange“, sagt die ehemalige | |
Volksfürsorge-Angestellte, und das klingt, als ob Jansen heute darüber | |
staunt, dass so etwas einmal möglich war. Kopfkino, frühe 70er Jahre: Autos | |
in poppigen Farben, Männer mit Schlaghosen, Frauen in knallbunten Kleidern, | |
Kinder mit giftgrünem Wassereis. Doch vor 15 Jahren wurde das Haus saniert, | |
und die 70er-Jahre-Aura verschwand. | |
## „Deutschen Leitkultur“ | |
In der Etage der Postgewerkschaft sitzt jetzt die AfD. Eine Pointe drängt | |
sich auf: Nicht nur erobert die AfD Gewerkschaftsmitglieder als Wähler, wie | |
Studien zeigen, sondern auch deren Räume. Das muss bitter aufstoßen. | |
Gewerkschaften verstehen sich als internationalistisch ausgerichtet und | |
wollen Völker und Religionen nicht gegeneinander ausspielen, die AfD | |
spricht von der „deutschen Leitkultur“. | |
Die Postgewerkschaft ist längst in Verdi aufgegangen. Deren Sprecher, Jan | |
Jurczyk, sagt: „Weltoffenheit, Toleranz und internationale Solidarität | |
haben die Arbeit der Deutschen Postgewerkschaft geprägt. Man wünscht dem | |
Haus, dass ein solcher Geist eines Tages wieder Einzug hält.“ | |
Besuch in der AfD-Etage. Das Parteiquartier, das auch der Berliner | |
Landesverband nutzt, ist überraschend klein: ein schmuckloser Flur, von dem | |
14 Büros abgehen. In einem sitzt Büroleiter Peter Gilardoni und winkt ab – | |
keine Zeit. Die Parteivorsitzenden Frauke Petry und Jörg Meuthen sind | |
meistens in Sachsen und Baden-Württemberg bei ihren Fraktionen. In der | |
Schillstraße wird verwaltet. | |
Der Boden ist mit einem Teppich in AfD-Blau ausgelegt. Den hat die Partei | |
gleich bei ihrem Einzug legen lassen, erzählt Andreas Zöllner, der | |
stellvertretende Pressesprecher. Die Geschichte des Hauses ist ihm | |
unbekannt. „Das geht wohl den meisten hier so“, sagt Zöllner. Die Partei | |
suchte nach der Gründung ein günstiges Büro nicht weit vom | |
Regierungsviertel. Und hier, südlich des Tiergartens, sind die | |
Gewerbemieten deutlich niedriger als in Mitte. | |
„Reichstag – da wollen wir hin“ | |
Andreas Zöllner drängt nach draußen. Die Terrasse hat die gleichen | |
Schiffsplanken wie die von Ingrid Jansen zwei Stockwerke höher. Eigentlich | |
dürfen die AfD-Leute die Terrasse nicht betreten, „denn die müssten wir | |
extra mieten, für Wahlpartys zum Beispiel“, sagt Zöllner. Aber sie bietet | |
einen herrlichen Blick auf das Reichstagsgebäude: „Da wollen wir hin“, sagt | |
er und zeigt über den Tiergarten. Ein Sprung in den Bundestag würde nicht | |
nur mehr Einfluss, sondern auch mehr Geld aus staatlichen Quellen gemäß der | |
Sitze im Bundestag bedeuten. | |
Die Büroräume wurden angemietet, als die AfD im Februar 2013 in Berlin | |
frisch gegründet war und noch keine staatliche Parteienfinanzierung bekam. | |
Man kann sich gut vorstellen, wie Bernd Lucke, der Volkswirt, genau | |
rechnete, als er den Mietvertrag abnickte. Ein Problem, einen Mietvertrag | |
zu bekommen, gab es damals nicht, sagt Zöllner. „Wir waren damals noch | |
nicht so bekannt und vielleicht auch nicht so kontrovers.“ Damals galt die | |
AfD als die Professoren- und Anti-Euro-Partei. | |
Dass die AfD überhaupt in dem Gebäude sitzt, hat mit dem Niedergang der | |
Gewerkschaften in den 80er Jahren zu tun. Als das Haus gebaut wurde, waren | |
die Gewerkschaften mächtig; sie wollten ihren Mitgliedern nicht nur vor | |
ihren Arbeitgebern schützen, sondern vor dem Kapitalismus überhaupt. Also | |
bauten sie eigene Wohnungen, bildeten mit Coop eine eigene Supermarktkette, | |
mit der Büchergilde eigene Buchläden. Die Volksfürsorge ist älter und wurde | |
1912 von Gewerkschaften und Arbeitergenossenschaften gegründet. Später | |
gerieten die Gewerkschaftsunternehmen in eine Krise, die Neue Heimat | |
versank in Misswirtschaft. Der DGB trennte sich von fast allen seinen | |
Beteiligungen. | |
Die Volksfürsorge wurde samt Haus verkauft und ist längst im italienischen | |
Versicherungsunternehmen Generali aufgegangen. Das große | |
Volksfürsorge-Schild hielt sich noch lange an der Fassade, wurde dann aber | |
vor ein paar Jahren abgehängt. Wo früher im Erdgeschoss die | |
Versicherungskunden bedient wurden, hat sich eine Autovermietung | |
eingemietet. Direkt darüber residiert die Botschaft von Venezuela. | |
## Skeptische Rechtsanwaltskanzlei | |
Gleich nebenan, Richtung Wittenbergplatz, liegt das massive | |
Constanze-Pressehaus, die ehemalige Berliner Dependance des Hamburger | |
Verlages Gruner und Jahr, benannt nach einer erfolgreichen | |
Frauenzeitschrift des Verlags. Ein Zufall, aber auch ein Symbol: Damals war | |
der Verlag auf linksliberalem Kurs und unterstützte die Regierung von Willy | |
Brandt. Der Zeitgeist war links, und von einem Bündnis zwischen | |
Arbeiterschaft und Intelligenz träumten damals viele. Gegenüber steht das | |
Haus am Lützowplatz, das Metallgewerkschafter und Sozialdemokraten einst | |
für Künstler kauften. | |
Auf derselben Etage wie die AfD sitzt heute eine Rechtsanwaltskanzlei. | |
Einer der Anwälte trägt ein Tweet-Jackett wie Alexander Gauland und wirkt | |
optisch konservativ, sieht die AfD aber skeptisch: „Ich kann mir nicht | |
vorstellen, dass die AfD politisch mehrheitsfähig ist. Das sehe ich bei | |
meinen Kindern, die ein ganz anderes Familienbild haben.“ | |
Der Anwalt erzählt, dass die Räume gegenüber länger leerstanden. Eigentlich | |
wollte er sie für Kollegen anmieten, aber dann kam ihm die AfD zuvor. Mit | |
den Nachbarn habe er im Alltag nichts zu tun, man sehe sich kaum. Einmal | |
haben Aktivisten Schutt vor dem AfD-Eingang abgeladen, das war bislang das | |
einzige Ereignis, das daran erinnert, dass die Büronachbarn keine | |
gewöhnlichen Mieter sind. | |
Der Rechtsanwalt denkt an die Vormieter von der Postgewerkschaft zurück, | |
mit denen er zuerst einen Untermietvertrag abschloss: „Die waren ziemlich | |
bedrückt, dass sie das Haus verlassen mussten.“ | |
## Das Haus gehört einer Firma aus Chicago | |
Die Volksfürsorge hatte bei der Sanierung wenige Jahre vor dem Verkauf des | |
Hauses noch geklotzt. Er zeigt auf die Türrahmen aus Massivholz, die bis | |
zur Decke reichen: „Was meinen Sie, wie teuer so etwas ist, das sind | |
Spezialanfertigungen.“ Die Postgewerkschafter haben nur wenige Spuren | |
hinterlassen: „In unserem Sitzungsraum war deren Poststelle, diese | |
spezielle Aura hat man noch lange da drinnen gemerkt.“ Aura? Dieses „leicht | |
Muffige“, sagt der Anwalt. Er nickt zu einem der Namensschilder neben den | |
Türen: „Die nutzen wir natürlich nicht, dass würde doch etwas bürokratisch | |
wirken.“ | |
Das Haus gehört heute der LaSalle Investment Management aus Chicago, einem | |
der großen Immobilienfonds, die weltweit Geld einsammeln, um es weltweit | |
gewinnbringend anzulegen. Die AfD war schon Mieter, als die Amerikaner das | |
Haus kauften. Ob sie mit dem politisch kontroversen Mieter Probleme haben | |
oder Angst, dass eine weitere Radikalisierung der Partei andere Mieter | |
verschreckt? Man wolle zu seinen Kunden aus Vertraulichkeitsgründen nichts | |
sagen, heißt es im Münchner Deutschlandbüro des Unternehmens. | |
27 Jun 2016 | |
## AUTOREN | |
Gunnar Hinck | |
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