| # taz.de -- Kommentar Brexit: Honest and fair, please! | |
| > Ein „Leave“ war für viele Briten die einzige Chance, ihre Unzufriedenheit | |
| > zu zeigen. Wer darin nun eine Tragödie sieht, hilft Rechtspopulisten. | |
| Bild: Sail away | |
| Für den Kommentar in deutscher Sprache bitte nach unten scrollen. | |
| It's Brexit – and many Europeans regard this as the ultimate disaster: a | |
| triumph for the nasty populist Right, the beginning of the end for the | |
| European project. This is the wrong response. Treating the result of the | |
| British EU referendum as the end of the world plays into populists' hands. | |
| More than 17 million voters in the United Kingdom voted to leave the | |
| European Union, far more than ever voted for the winner of a British | |
| general election. It is an overwhelming vote, and its base is much wider | |
| than that of Nigel Farage and UKIP. Leave won with 52%. There is no pro-EU | |
| majority anywhere in Britain outside Scotland, Northern Ireland, London and | |
| a few cities. | |
| Britons are dissatisfied for many reasons. Many people feel ignored by the | |
| establishment and unrepresented by any political party. It is hardly | |
| surprising that this dissatisfaction is now projected onto the EU, given | |
| that this is what they were being offered and that both sides claimed the | |
| result, whatever it was, would be decisive for all aspects of life. | |
| Popular dissatisfaction alone could not have led Brexit to victory. | |
| Important parts of the establishment have also reached the conclusion that | |
| the EU is not the answer to Britain's problems. The EU's main projects are | |
| not those of Britain. British politics and law works differently than that | |
| of the Continent, and important aspects of British business and society are | |
| linked much closer to the rest of the world than to Europe. A divorce | |
| sooner or later was inevitable. | |
| The European Union should not now make the mistake of being offended by the | |
| British vote, of seeking to punish the British for being naughty and of | |
| rejecting calls for reform. It should conduct honest and fair divorce | |
| proceedings with the UK, seeking to establish a framework of cooperation | |
| for the common good in the mutual interest acceptable to both sides. | |
| Europe must work with Britain's moderate EU opponents and strengthen them, | |
| not stare at the extremist bogey Farage and give him the feeling of | |
| speaking for the 52 percent. If not, Marine Le Pen, Geert Wilders and | |
| others are already waiting in the wings to get their countries to emulate | |
| the British. Then, and only then, Europe will be truly and fatally damaged. | |
| ## Nicht die ultimative Katastrophe | |
| Brexit hat gesiegt, und viele Europäer sehen das als die ultimative | |
| Katastrophe: der Triumph des hässlichen Rechtspopulismus, der Anfang vom | |
| Ende des europäischen Projekts. Das ist die falsche Reaktion, und wer mit | |
| dem Ergebnis der EU-Volksabstimmung in Großbritannien so umgeht, als sei es | |
| ein Weltuntergang, spielt den Rechtspopulisten in die Hände. | |
| Über 17 Millionen britische Wählerinnen und Wähler haben sich für den | |
| Austritt aus der EU ausgesprochen – weitaus mehr als jemals bei einer | |
| Parlamentswahl für den Sieger gestimmt haben. Es ist ein überwältigendes | |
| Votum, und seine Basis ist viel breiter als die von Nigel Farage und seiner | |
| kleinen UKIP. Ein Sieg mit 52 Prozent – außerhalb von Schottland, | |
| Nordirland, London und einigen Großstädten gibt es nirgends in | |
| Großbritannien eine EU-Mehrheit. | |
| Die Briten sind mit den Verhältnissen aus allen möglichen Gründen | |
| unzufrieden, und viele Menschen sehen sich seit langem von keiner Partei | |
| mehr adäquat vertreten und vom politischen Establishment insgesamt | |
| ignoriert. Dass sie diese Unzufriedenheit nun auf die EU projiziert haben, | |
| ist nicht verwunderlich, wenn eine solche Volksabstimmung angesetzt wird | |
| und beide Seiten das Ergebnis als entscheidend für alle Lebensbereiche | |
| darstellen. Eine andere Möglichkeit, grundlegende Unzufriedenheit | |
| auszudrücken, wurde ja nicht geboten. | |
| Unzufriedenheit im Volk allein hätte allerdings nicht zum Brexit-Sieg | |
| führen können, wenn nicht auch gewichtige Teile des Establishments zum | |
| Schluss gekommen wären, dass die EU nicht die Antwort auf Großbritanniens | |
| Zukunftsfragen ist. Die zentralen EU-Projekte sind nicht die der Briten. | |
| Das britische Politik- und Rechtsverständnis funktioniert nach anderen | |
| Koordinaten als die auf dem Kontinent, und auch wichtige Teile der | |
| britischen Wirtschaft und Gesellschaft sind viel stärker auf den Rest der | |
| Welt als auf Europa ausgerichtet. Früher oder später hätte es darüber | |
| sowieso zum Bruch kommen müssen. | |
| Die EU darf jetzt nicht den Fehler machen, auf das britische Votum | |
| beleidigt zu reagieren, die Briten für ihre Unbotmäßigkeit bestrafen zu | |
| wollen und mit einem „Jetzt erst recht“ alle Reformansinnen empört | |
| zurückzuweisen. Sie sollte mit Großbritannien eine ehrliche und faire | |
| Scheidungsverhandlung führen, die die Modalitäten einer gleichberechtigten | |
| Zusammenarbeit im beiderseitigen Einvernehmen und unter Wahrung der | |
| Interessen beider Seiten klärt. | |
| Europa muss in Großbritannien auf die moderaten Kräfte unter den EU-Gegnern | |
| setzen und mit ihnen arbeiten, nicht stärken, nicht auf das | |
| Extremisten-Feindbild Farage starren und diesem damit das Gefühl geben, er | |
| spreche für die 52 Prozent. Sonst stehen Marine Le Pen, Geert Wilders und | |
| andere schon in den Startlöchern, um es in ihren Ländern den Briten | |
| nachzumachen. Dann, und erst dann, wäre Europa wirklich in seinem Herzen | |
| fatal getroffen. | |
| 24 Jun 2016 | |
| ## AUTOREN | |
| Dominic Johnson | |
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