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# taz.de -- Kommentar Brexit und EU: Es lebe die Republik!
> Der Brexit ist ein Weckruf. Europa sollte endlich aufhören, nur eine
> Union zu sein. Es muss zu einer echten Republik der Bürger werden.
Bild: Hat Europa eine Zukunft? Ja, meinen Mitglieder politischer Jugenorganisat…
Die Spatzen pfeifen es von den Dächern: Die EU ist kaputt. Höchste Zeit,
Europa neu zu denken. Es gibt zwei unangenehme Wahrheiten. Zum einen sind
es nicht nur die Briten, die die Nase voll von der Europäischen Union
haben, Marine Le Pen und Geert Wilders stehen schon in den Startlöchern.
Zum anderen haben die sogenannten Populisten einfach recht, wenn sie, wie
Nigel Farage in seiner ersten Reaktion auf das Ergebnis, anführen, dass
dies ein Bürgerprotest gegen ein undemokratisches System sei. Denn genau
das ist die EU: ein politisches System, das den Mindeststandards dafür, wie
eine Demokratie zu organisieren ist, nicht genügt.
Und wie reagieren EU-Vertreter darauf? Mit Durchhalteparolen, trockenen
Binnenmarktargumenten und dem Verweis darauf, dass der Brexit primär „nur“
ein britisches Problem sei. Doch die Fakten sprechen eine andere Sprache.
Die Börsen europaweit rutschen ab, der Euro ist auf Tiefflug, die Menschen
sind stark verunsichert. Beim Brexit sitzen alle in einem Boot – der
Kontinent und ganz besonders die EU werden sich von den Folgen nicht frei
machen können.
Wer jetzt noch nicht kapiert hat, dass Europa und seine Demokratie den
Neustart braucht, der hat von den Krisen der letzten Jahre – von denen
Brexit nur der jüngste Auswuchs ist – wirklich nichts verstanden.
Das große Problem der gegenwärtigen Demokratie ist die Krise der
Repräsentation. Die Bürger Europas sind schlichtweg nicht der Souverän des
politischen Systems. Im Maastrichter Vertrag wurde geregelt, dass die EU
zugleich Bürgerunion und Staatenunion ist. De facto ist die EU aber nur
Staaten- und keine Bürgerunion. Und die EU-Bürgerschaft ist keine
unmittelbare, sondern nur eine nachgeordnete. Sie ist an die jeweilige
Staatsbürgerschaft gekoppelt. Anders formuliert: In der jetzigen EU zählen
nur die Staaten. Ihre Regierungen entscheiden im Europäischen Rat, und
gegen diese Ratsentscheidungen kann das Europaparlament, das ohnehin kein
Legislativrecht hat, praktisch nichts tun.
In jeder normalen Demokratie westlicher Prägung können die Bürger
opponieren und eine Regierung abwählen. In der EU können sie das nicht.
Trotzdem entscheidet die EU über viele Dinge, die sich unmittelbar auf den
Lebensalltag auswirken.
## Gleiche soziale Rechte für alle
Wenn wir die EU nicht abwickeln wollen, brauchen wir eine Demokratie, die
das Prinzip der Gewaltenteilung endlich ernst nimmt und den allgemeinen
Grundsatz der politischen Gleichheit respektiert. Das heißt, die Bürger
sind gleich vor dem Recht, bei Wahlen, bei Steuern und beim Zugang zu
sozialen Rechten.
Cicero spricht in seiner Definition der Republik von ius aequum. Daraus
ergäbe sich zum einen ein komplett neu gestalteter europäischer
Parlamentarismus, der dem Prinzip „Eine Person, eine Stimme“ genügen würd…
Dann wäre es nicht mehr möglich, die Bürger Europas dauernd gegeneinander
auszuspielen, während die Unternehmen fröhliches Steuer- und Lohnshopping
betreiben. Aus dem gleichen Zugang zu sozialen Rechten ergäbe sich
schließlich eine europäische Arbeitslosenversicherung, die das soziale
Desaster in Südeuropa infolge der Eurokrise verhindert hätte.
Wann immer sich Bürger zu einem politischen Projekt zusammengeschlossen
haben, haben sie eine Republik gegründet. Keines der alten Traktate
verlangt dabei, dass es dafür ein „nationales Staatsvolk“ geben müsse. Der
Begriff der Republik ist damit die perfekte Gussform für ein politisches
Emanzipationsprojekt in Europa auf der Grundlage des allgemeinen
politischen Gleichheitsgrundsatzes. Wenn 1789 „Gleichheit jenseits von
Klassen“ die Forderung war, dann geht es heute in Europa – ohne Blut und
Gewalt, sondern mit Sinn und Verstand – um die Gleichheit der europäischen
Bürger „jenseits von Nationen“.
Die Zeit für echte Demokratie in Europa ist gekommen. Zeit für die
Europäische Republik!
24 Jun 2016
## AUTOREN
Ulrike Guérot
## TAGS
Schwerpunkt Brexit
Europäische Union
Demokratie
Bürgerbeteiligung
Nigel Farage
Schwerpunkt Brexit
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