# taz.de -- Prüfung durch den Verfassungsschutz: In welche Richtung kippt die … | |
> Für den Verfassungsschutz ist die AfD ein Prüffall. Die Partei weiß | |
> nicht, wie sie mit Rechtsradikalen umgehen soll. | |
Bild: Zeigt keine Hitlergrüße, ist von ihnen aber auch nicht beeindruckt: Bj�… | |
ZEULENRODA/BERLIN taz | Björn Höcke gibt sich entspannt. Die Haare | |
gescheitelt, der obere Hemdknopf offen, das Mikro am Kopf befestigt, steht | |
er am Donnerstagabend im Goldenen Löwen im thüringischen | |
Zeulenroda-Triebes. Er wirkt wie ein Lifecoach. Wortgewandt springt er | |
binnen weniger Minuten von Geflüchteten, die den Steuerzahler so viel Geld | |
kosten, zum „Krieg gegen den Diesel“, zum „Ja zum deutschen Kind“, zum | |
„sogenannten Klimawandel“. | |
Es ist das, was die Zuhörer im Löwensaal hören wollen. 150 Menschen sind zu | |
Höckes „Bürgergespräch“ gekommen, vor allem Männer über 50, vereinzelt | |
sieht man kahl rasierte Köpfe. Ein paar bunte Girlanden hängen von den | |
Holzbalkonen des Saales. Die Barbedienung trägt AfD-blaue Weste, den | |
Männern serviert sie Bier, den Frauen Saft oder Wein. Immer wieder | |
klatschen sie für ihren Höcke. Ein alter Mann mit Hosenträgern reckt, fast | |
reflexartig, seinen rechten Arm zum Hitlergruß. Niemand reagiert darauf – | |
auch Höcke nicht. | |
Höcke liefert die Schlagwörter: Steuerzahler, Geflüchtete, illegale | |
Migration, Familie, „Kartellparteien“ – es ist alles dabei. Nur ein Thema | |
spart der Thüringer aus: die Beobachtung der AfD durch den | |
Verfassungsschutz. | |
Dabei ist es Höckes erster öffentlicher Auftritt nach dem großen Schlag. Am | |
Dienstag hatte der neue Verfassungsschutzpräsident Thomas Haldenwang Höckes | |
[1][AfD offiziell zum Prüffall für sein Amt erklärt]. Man werde die | |
Gesamtpartei nun einer „systematischen“ Prüfung unterziehen und dafür | |
öffentliche Quellen auswerten. | |
Härter noch stufte der Verfassungsschutz die AfD-Jugend „Junge Alternative“ | |
ein: als Verdachtsfall. Ab sofort könnte der Verfassungsschutz auch V-Leute | |
einsetzen und die Kommunikation überwachen. Gleiches traf auch den | |
„Flügel“, das weit rechte Sammelbecken der AfD. Höckes „Flügel“. | |
## In der AfD herrscht seit Dienstag Nervosität | |
Der Thüringer AfD-Chef ist unangefochtener Anführer der Rechtsradikalen in | |
der Partei. Und nun ist Höcke ein Problem. Denn der Verfassungsschutz | |
zitiert niemanden öfter in seinem internen Prüfgutachten als den | |
46-Jährigen. Eine „herausragende“ Bedeutung habe Höcke im „Flügel“ i… | |
Und die Gruppe mache Migranten „verächtlich“, wolle diese „weitgehend | |
rechtlos stellen“, drohe Muslimen mit Massenabschiebungen, schreibe | |
politischen Gegnern eine „Geisteskrankheit“ zu, relativiere den | |
Nationalsozialismus, rede einen gewaltsamen Umsturz herbei. | |
Nun aber steht Höcke im „Goldenen Löwen“ und sagt, als nach anderthalb | |
Stunden einer aus dem Publikum nach dem Verfassungsschutz fragt: „Ich | |
verspreche Ihnen, wir werden nicht gehen.“ | |
Parteichef Alexander Gauland sagt, die Entscheidungen des | |
Verfassungsschutzes seien falsch, dessen Argumente „töricht“. Die AfD werde | |
dagegen klagen – und weiter mit dem „Flügel“ und der Jungen Alternative | |
zusammenarbeiten. | |
Aber so klar ist die Sache nicht. Denn in der AfD herrscht seit Dienstag | |
Nervosität. Erstmals steht die Partei nun unter offiziellem, staatlichem | |
Rechtsextremismusverdacht, rückt gefährlich nah an Schmuddelparteien wie | |
die NPD heran. Spenden könnten einbrechen und Beamte, die Mitglieder sind, | |
in die Bredouille geraten, weil sie zur Verfassungstreue verpflichtet sind. | |
Was also soll die AfD tun? Unbeirrt ihren Weg fortsetzen, der zuletzt | |
stetig nach rechts führte? Oder sich mäßigen, von ihren Rechtsnationalen um | |
den „Flügel“ distanzieren, um doch noch einer finalen Beobachtung des | |
Verfassungsschutzes zu entkommen? | |
Die AfD steht vor einer Zerreißprobe – und einem neuen Richtungsstreit. | |
## Keine Tränen für Höcke | |
Am Mittwochabend trifft sich die Fraktion im Bundestag, an hohen Tischen im | |
schicken Abgeordnetenrestaurant, im Hintergrund spielt eine kleine Kapelle. | |
Die Fraktion hat zum Medienempfang geladen. AfD-Abgeordnete sind gekommen, | |
Fraktionschef Alexander Gauland, Gäste aus den Landesverbänden, zahlreiche | |
JournalistInnen. Auch Björn Höcke ist da. Sollte er nervös sein, merkt man | |
es ihm auch hier nicht an. „Mir tun die Beamten jetzt schon leid, die ihre | |
Zeit damit totschlagen müssen, nach Dingen zu suchen, die es nicht gibt“, | |
hatte er zuvor getwittert. | |
Namentlich zitieren darf man von dem Empfang nicht, so ist die | |
Vereinbarung. An den Stehtischen aber gibt es vor allem ein Thema: den | |
Verfassungsschutz. Anwesende „Flügel“-Anhänger geben sich selbstbewusst. | |
„Wir müssen nichts ändern“, heißt es dort. Einige der Rechtsaußen, auch | |
Höcke, tragen das blau-weiß-rote Emblem des „Flügels“ am Revers. | |
Im „Golden Löwen“ nennt Höcke tags darauf die Verfassungsschutz-Beobachtu… | |
zumindest unangenehm. Man versuche die Partei mundtot zu machen, klagt | |
Höcke. „Wenn ich höre, dass die Verwendung des Begriffes Volk schon | |
völkisches Denken signalisiert, und das ist verfassungsfeindlich – dann | |
muss ich mir die Frage stellen, ob ich noch in einem demokratischen | |
Rechtsstaat lebe.“ Aber Höcke spielt auch mit der neuen Situation. Ob denn | |
schon jemand vom Dienst hier sitze, witzelt er in den Saal. Die Menge | |
lacht. | |
Es gibt aber auch andere Stimmen in der AfD. Die von Georg Pazderski etwa, | |
Berliner Landeschef und Vize-Vorsitzender der Bundespartei, einer der | |
Moderateren. Die Beobachtung des „Flügels“ und der JA durch den | |
Verfassungsschutz sei „ein deutlicher Auftrag an die Betroffenen zu | |
handeln“, sagt der. Selbstverständlich stehe die AfD auf dem Boden der | |
Verfassung. „Wer diese Position nicht mitträgt, ist bei uns falsch. Das | |
muss deutlich werden.“ | |
Andere schließen sich an, vor allem die „Alternative Mitte“, die ein | |
Gegengewicht zum „Flügel“ in der AfD sein will. Der „Flügel“ und die … | |
bräuchten einen „Selbstreinigungsprozess, der alles nicht | |
verfassungskonforme Gedankengut entfernt“, sagt ihr Sprecher Uwe Witt, auch | |
er Bundestagsabgeordneter. Beide Gruppierungen müssten sich „von bestimmten | |
Leuten trennen“. Wen er damit meint, sagt Witt nicht. Man darf aber | |
vermuten: Höcke würde er wohl keine Träne nachweinen. | |
Nur: Die „Alternative Mitte“ ist relativ machtlos in der AfD. Der „Flüge… | |
ist es nicht. | |
## „Höcke hatte recht“-Taschen zu kaufen | |
Es ist der März 2015, der die Geburtsstunde des „Flügels“ markiert. Damals | |
veröffentlicht Höcke die „Erfurter Resolution“, zusammen noch mit André | |
Poggenburg. Die Resolution ist ein Manifest gegen den damaligen Parteichef | |
Bernd Lucke. Es müsse Schluss sein mit dem „vorauseilenden Gehorsam“, hei�… | |
es darin. Die AfD müsse eine „Widerstandsbewegung“ sein, „im vollen Eins… | |
für eine grundsätzliche politische Wende“. Mehr als 1.000 Parteimitglieder | |
hätten unterzeichnet, jubelt der „Flügel“ schon nach wenigen Tagen. Und | |
Lucke verlässt tatsächlich die Partei. | |
Bis heute ist Höcke die Leitfigur des „Flügels“. Der frühere | |
Gymnasiallehrer, der schon 2010 mit Neonazis in Dresden demonstrierte und | |
mit neurechten Vordenkern verbandelt ist, verfasst die Kernbotschaften der | |
„Sammlungsbewegung“, er füllt die Hallen und Plätze. Beim „Flügel“ | |
verkaufen sie Taschen und T-Shirts mit seinem Konterfei. „Höcke hatte | |
recht“, steht darauf. Tatsächlich überstand der Thüringer den Versuch, ihn | |
aus der Partei auszuschließen – obwohl ihm der frühere Bundesvorstand eine | |
„übergroße Nähe zum Nationalsozialismus“ bescheinigt hatte. Und Höcke b… | |
die Machtbasis des „Flügels“ immer weiter aus. Bis zu ein Drittel der | |
30.000 AfD-Mitglieder werden dem Sammelbecken heute zugerechnet, so eine | |
parteiinterne Schätzung. | |
Der Fall der „Jungen Alternative“ ist anders. Auch über diese fällt der | |
Verfassungsschutz nun ein vernichtendes Urteil. Den Verband kennzeichne | |
eine „klare migrations- und muslimfeindliche Haltung“. Es werde von | |
„Messer-Migration“ geredet, von „Dreckskulturen“, von Geflüchteten, die | |
Deutschland zum „Freiluftbordell“ machten. Das Problem hatte die AfD auch | |
schon selbst erkannt, auch weil der Verfassungsschutz in drei Bundesländern | |
bereits die Beobachtung der JA aufnahm. Der Bundesvorstand kritisierte | |
darauf „menschenverachtende“ Äußerungen in seinem Jugendverband und | |
diskutierte, ob dieser in Gänze aufzulösen sei. Beim niedersächsischen | |
Landesverband ist dies bereits vollzogen. | |
Der „Flügel“ aber lässt sich nicht so einfach auflösen. Seine Struktur i… | |
unklar, eindeutige Mitgliedschaften gibt es nicht. Gemeinhin gilt als | |
Mitglied, wer die Erfurter Resolution unterschrieben hat. Doch das trifft | |
nicht immer zu. | |
Neben Höcke ist es Andreas Kalbitz, der dort den Ton angibt, | |
AfD-Vorsitzender in Brandenburg und Teil des AfD-Bundesvorstands. Der | |
Glatzkopf, ein früherer Zeitsoldat, hat eine einschlägige Vita. In den | |
Neunzigern war er bei den Republikanern. 2007 ist er auf Fotos eines | |
Zeltlagers der inzwischen verbotenen Heimattreuen Deutschen Jugend zu | |
sehen, die Kinder zur nationalsozialistischen Elite heranziehen wollte. Bis | |
2015 war er Vorsitzender eines rechtsextremen Vereins. Kalbitz gilt als | |
kluger und gewitzter Strippenzieher. Er gilt heute schon als | |
einflussreicher als Höcke. Irgendwann will er Gauland als AfD-Vorsitzenden | |
beerben. | |
Kürzlich nun wurden die „Flügel“-Anführer Kalbitz und Höcke zu | |
Spitzenkandidaten ihrer Partei für die Landtagswahlen im Herbst gewählt. | |
Auch AfD-Chef Gauland unterzeichnete die Erfurter Resolution, trat auf | |
„Flügel“-Treffen auf, hielt immer wieder seine Hand über Höcke. Zahlreic… | |
Bundestagsabgeordnete gehören der Truppe an. Andere, wie die | |
Landtagsabgeordneten Thorsten Weiß und Hans-Thomas Tillschneider, stehen | |
auf der Europaliste der AfD. Die „Flügel“-Leute sind keine radikalen | |
Randfiguren der AfD mehr. Sind sind Teil des Spitzenpersonals. Es geht | |
jetzt also nicht um eine Distanzierung vom rechten Rand. Es geht um den | |
Kurs der gesamten Partei. | |
## „Sicherheitsabstand“ zu extrem rechten Gruppen? | |
Der Verfassungsschutz hatte sich diesen zuletzt monatelang angeschaut. Eine | |
17-köpfige Arbeitsgruppe hatte Material über die AfD ausgewertet, 1.069 | |
Seiten, zumeist geliefert von den Landesämtern. Parteiprogramme, 182 Reden, | |
80 Facebookprofile von Funktionären. Am Ende stand ein 442-seitiges | |
vertrauliches Gutachten, das der taz vorliegt. Die Parteiprogramme der AfD | |
seien verfassungskonform, heißt es dort. Immer wieder aber gebe es | |
Äußerungen, „die mit der Garantie der Menschenwürde unvereinbar sind“. N… | |
sei zu prüfen, ob diese repräsentativ für die Partei seien, die AfD sei ja | |
groß und heterogen. Beim „Flügel“ aber sei das Programm klar: Es stehe f�… | |
„Ausgrenzung, Verächtlichmachung und weitgehende Rechtlosstellung von | |
Ausländern, Migranten, insbesondere Muslime, und politisch | |
Andersdenkenden“. | |
Im Grunde, sagten die Verfassungsschützer, habe man der AfD einen Gefallen | |
getan. Noch habe man die Partei ja nicht als extremistisch deklariert. Und | |
nun könne sie nachweisen, dass sie das nicht sei. | |
Die AfD selbst hatte das zuletzt probiert, zumindest Teile von ihr. Der | |
Bundesvorstand hatte eine Arbeitsgruppe eingesetzt, angeführt vom | |
Fraktionsvize im Bundestag Roland Hartwig, einst Chef-Justiziar bei Bayer. | |
Die Truppe sollte eigentlich eine Beobachtung des Verfassungsschutz | |
verhindern. Sie empfahl rascher verhängte Sanktionen gegen problematische | |
Mitglieder, einen „Sicherheitsabstand“ zu extrem rechten Gruppen, außerdem | |
kommunikative Zurückhaltung. Es reichte nicht. | |
Höcke indes kommentierte die Kommission als „politische Bettnässerei“. Au… | |
nun, nach dem Diktum des Verfassungsschutzes, hört man im „Flügel“ nur se… | |
vereinzelt nachdenkliche Stimmen. Es sei an der Zeit, rhetorisch etwas | |
abzurüsten und sich manchmal lieber etwas weniger pointiert und dafür | |
differenzierter zu äußern, sagt diese Woche ein „Flügel“-Mann. Doch das … | |
schwer, weil die Anhänger genau diese Zuspitzung erwarten würden. | |
## Höckes Name fällt im Gutachten mehr als 600 Mal | |
Tatsächlich verhielt sich Höcke zuletzt öffentlich so ruhig wie lange | |
nicht. Zuvor war er im Frühjahr noch bei Pegida in Dresden aufgetreten – | |
das viele selbst als Fall für den Verfassungsschutz sehen. Später | |
marschierte er mit Kalbitz und anderen AfD-Größen zusammen mit Neonazis | |
durch Chemnitz. Zwischendrin lud Höcke auf Schloss Burgscheidungen in | |
Sachsen-Anhalt zum „Kyffhäusertreffen“, der zentralen Versammlung des | |
„Flügels“. Hunderte Anhänger kamen. Und Höcke heizte ein, vor einer | |
riesigen Deutschlandfahne. Die Zeit „des Hinnehmens“, die „Schafszeit“,… | |
vorbei. „Das Alte und Morsche zerfällt.“ Nun sei Ungehorsam nötig, gegen | |
das „Unrecht“. Das „Flügel“-Publikum johlte, skandierte „Widerstand, | |
Widerstand“. Dann wurde es stiller um Höcke. | |
Intern aber hielt Höcke den „Flügel“ weiter auf Kurs. Schon im Dezember | |
warnte er in einer „Weihnachtsbotschaft“ vor der „Verfassungsschutzkeule�… | |
dem nächsten Schlag des „alten Machtkartells“. Zusammenhalt in der AfD sei | |
nun „so wichtig wie nie“. Es dürfe „keine inhaltlichen Zugeständnisse“ | |
geben. | |
Nun sind Höckes Reden Belege, die Verfassungsschutzchef Haldenwang für die | |
verfassungsfeindlichen Bestrebungen des „Flügels“ anführt. Im internen | |
Gutachten seines Amtes fällt mehr als 600 Mal Höckes Name, 65-mal auch der | |
von Kalbitz. Höckes „Ideologiegebäude“ sei „in relevantem Maße von | |
rechtsextremistischen Motiven geleitet“, heißt es dort. Er verfolge ein | |
„völkisches Gesellschaftsbild“, Geflüchteten begegne er mit „pauschaler | |
Abwertung“, die Menschenwürde von Muslimen stelle er „eindeutig in Frage�… | |
Und Kalbitz „verleiht den Forderungen Höckes Nachdruck“. Auch AfD-Chef | |
Gauland wird im Gutachten breit zitiert. Als die Verfassungsschützer das | |
Gutachten am Dienstag mit einem Pressegespräch in Berlin vorstellen, fallen | |
indes nur drei Namen. Höcke, Kalbitz, Tillschneider. Drei „Flügel“-Köpfe. | |
Höcke nennt das Gutachten auf Nachfrage „einen Skandal“. Es sei die AfD, | |
die „diesen Staat und seine Verfassung erhalten wolle“. Die AfD verletze | |
die Menschenwürde? „Teil der Menschenwürde ist auch das Recht auf Heimat“, | |
sagt Höcke. „Und Heimat verliert man auch dadurch, dass man zur Minderheit | |
im eigenen Land wird.“ Der Thüringer spricht von einer Gretchenfrage, die | |
nun gelte: „Bist du für Deutschland oder gegen Deutschland?“ Die aktuelle | |
Lage passt in Höckes Inszenierung: als Märtyrer für das deutsche Volk. Als | |
„Staatsfeind Nummer 1“, wie er selbst sagt. | |
Auch Kalbitz gibt sich unnachgiebig. „Verändern müssen wir gar nichts“, | |
sagt er dieser Tage über den „Flügel“. „Da, wo es nötig war, haben wir | |
bereits Konsequenzen gezogen. Die, die nicht tolerierbar sind, müssen | |
gehen.“ Er selbst müsse sich nicht ändern, sagt er. „Mein Verhalten war | |
gestern genauso verfassungskonform wie heute und morgen.“ Die Entscheidung | |
des Verfassungsschutzes tut Kalbitz als politisch motiviert ab – wie die | |
gesamte Parteiführung. Sie werde der AfD bei den Wahlen im Osten nicht | |
besonders schaden, ist er überzeugt. „Dass der Staat den Geheimdienst | |
vorschickt, wenn er mit Argumenten nicht mehr weiter weiß, das hatten wir | |
hier schon mal“, so Kalbitz. „So empfinden es sehr viele Menschen.“ | |
## Die AfD glaubt nicht an eine fachliche Entscheidung | |
Dass Verfassungsschutzchef Haldenwang sagt, er habe sein Prüfergebnis „ohne | |
jeden politischen Druck“ gefällt, dass auch CSU-Innenminister Horst | |
Seehofer von einer rein fachlichen Entscheidung spricht, ficht die AfD | |
nicht an. Es wird dort schlicht nicht geglaubt. | |
Und die AfD glaubt, dass die WählerInnen im Osten es auch nicht glauben | |
werden: Die Partei setzt hier auf einen Opferbonus in der Rolle der | |
unbequemen, vom Staat verfolgten Opposition. Im Westen aber könnten ihr | |
durchaus einige WählerInnen verloren gehen. Dort sei in konservativen | |
Kreisen das Vertrauen in die Sicherheitsbehörden recht ausgeprägt. | |
Parteichef Gauland sorgt sich vor allem um eine Klientel: „Langfristig | |
mache ich mir schon Sorgen, dass wir die Beamten verlieren.“ | |
Die West-Verbände könnten nun versuchen, Druck auf die AfD im Osten zu | |
auszuüben, gemäßigter vorzugehen, auch auf Höcke und Kalbitz. „Die Wessis | |
halten die Ossis für zu radikal, die Ossis die Wessis für Waschlappen“, | |
sagt ein AfD-Funktionär aus dem Osten. Kalbitz spricht von „einzelnen | |
Hysterikern und Hasenfüßen“, die es immer gebe. Einer, der wohl wahlweise | |
unter die Waschlappen oder die Hasenfüße fällt, hätte nichts gegen ein | |
kurzzeitigen Einbruch der AfD-Umfragewerte: „Das würde parteiinternen Druck | |
entfalten.“ Kalbitz hält dagegen: „Versuche, die Partei zu spalten, werden | |
nach hinten losgehen.“ | |
An die Eintracht halten sich indes auch nicht alle „Flügel“-Mitstreiter. So | |
fordert Thomas Röckemann, AfD-Landeschef aus Nordrhein-Westfalen, am | |
Donnerstag den Rauswurf einiger „Flügel“-Kritiker. Einer davon: Uwe Witt, | |
der Sprecher der „Alternativen Mitte“. | |
Unter der Überschrift „Spalter raus“ schreibt Röckemann auf Facebook: „… | |
derartig mit dem Finger auf andere zeigt, spielt dem Verfassungsschutz in | |
die Hände. Diese Erfüllungsgehilfen brauchen wir gewiss nicht in der AfD!“ | |
Erst kürzlich erklärte Kalbitz, dass die Brandenburger AfD künftig regieren | |
wolle. Auch in Sachsen ist das ihr Ziel. Nun aber, unter offiziellem | |
Extremismusverdacht, kann sich die AfD Koalitionen abschminken. | |
Am Montag wird der AfD-Bundesvorstand zu einer Schaltkonferenz | |
zusammenkommen, um sich über das weitere Vorgehen zu beraten. Am Freitag | |
folgt eine längere Sitzung in Berlin. Parteichef Gauland aber stellt sich | |
schon jetzt vor Höcke, Kalbitz und die „Flügel“-Leute auf der Europaliste: | |
„Weder was die Spitzenkandidaten für die Landtagswahlen noch was die | |
Europaliste angeht, wird die Entscheidung des Verfassungsschutzes | |
irgendwelche Konsequenzen haben.“ | |
## AfD wird zwei Jahre geprüft | |
Also bleibt die AfD auf ihrem Rechtskurs? Der Verfassungsschutz wird das | |
nun genau beobachten. Noch am Dienstag erklärte der sächsische | |
Verfassungsschutz, er werde der Einschätzung des Bundesamts folgen, andere | |
Landesämter schlossen sich an. Einige klagten zwar, nicht vorab vom | |
Bundesamt informiert worden zu sein, inhaltlichen Widerspruch aber gibt es | |
nicht. Im Gegenteil: Thüringen hatte die AfD zuvor schon als „Prüffall“ | |
eingestuft. Niedersachsen, Bremen und Baden-Württemberg die Junge | |
Alternative unter Beobachtung genommen. | |
Schon am Mittwoch wird sich Haldenwang mit den Länderchefs im Bundesamt in | |
Köln zusammensetzen, um das weitere Vorgehen zu besprechen. Zwei Jahre lang | |
will er die Partei prüfen, so hört man. Für den „Flügel“ und die Junge | |
Alternative könnte der Verfassungsschutz nun sein volles Arsenal nutzen: | |
V-Leute, Handyüberwachung, E-Mails mitlesen. Im Amt wird aber betont, diese | |
schweren Eingriffe blieben vorerst nur „theoretischer Natur“. | |
Dennoch: Ab jetzt wird in den Ämtern alles über die AfD systematisch | |
dokumentiert. Jede Rede, jeder verfängliche Facebook-Post, auch interne | |
Dokumente. Geschaut wird auch: Wie agiert die Partei mit Rechtsextremen wie | |
den Identitären oder Pro Chemnitz? Und die Verfassungsschützer können zu | |
den Führungsfiguren des „Flügels“ und der JA nun Akten anlegen und sie in | |
ihren Personenregistern abspeichern. Höckes Vorgehen werde man dabei „in | |
besonderer Weise erfassen und auswerten“, erklärt Haldenwang. | |
Hier aber beginnt ein Problem: Wer, so grübeln die Geheimdienstler, gehört | |
eigentlich zum „Flügel“? Auch dort wird sich auf die Unterzeichner der | |
„Erfurter Resolution“ bezogen, auf die Teilnehmer an den | |
Kyffhäuser-Treffen. Präsident Haldenwang erklärte am Mittwoch im | |
Innenausschuss des Bundestags, es spreche auch einiges dafür, dass AfD-Chef | |
Gauland zum „Flügel“ gehöre. | |
Das zweite Problem: Höcke, Kalbitz, Gauland – fast alle „Flügel“-Köpfe… | |
auch Abgeordnete. Und hier gelten hohe Hürden für eine Beobachtung – wie | |
der Linke Bodo Ramelow 2013 mit einer erfolgreichen Klage gegen | |
Verfassungsschutz klarstellte. Von einem „hochgradigen Politikum“, spricht | |
auch ein Verfassungsschützer. „Wir müssen jetzt ganz streng rechtlich | |
arbeiten.“ | |
## Der „Flügel“ ist unbeeindruckt | |
In der AfD setzen jetzt viele darauf, dass ihre Klage erfolgreich wird. Die | |
allerdings könnte auch zum Bumerang werden: Dann nämlich, wenn Gerichte | |
bestätigen, dass die AfD tatsächlich extremistisch auftritt. | |
„Außerordentlich gelassen“ sehe man dem entgegen, heißt es im | |
Verfassungsschutz. Es sei die Pflicht seines Amtes, als „Frühwarnsystem“ | |
auf extremistische Bestrebungen hinzuweisen, sagt Haldenwang. Das tue man | |
nun. | |
Der „Flügel“ lässt sich davon bisher nicht beeindruckt. Bereits für | |
Mittwoch lädt er zur nächsten Zusammenkunft, zum „Sachsentreffen“. Wieder | |
mit dabei: Höcke und Kalbitz. Man werde regionale Veranstaltungen in diesem | |
Jahr noch ausweiten, kündigt Höcke an. Im Frühsommer solle es ein „noch | |
größeres“ Kyffhäuser-Fest geben. Und im Herbst dann könnte die AfD in | |
Brandenburg und Sachsen, vielleicht auch in Thüringen, stärkste Kraft | |
werden. Mit zumindest zwei „Flügel“-Männern an der Spitze. | |
19 Jan 2019 | |
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[1] /AfD-im-Blick-des-Verfassungsschutzes/!5565986 | |
## AUTOREN | |
Konrad Litschko | |
Sabine am Orde | |
Sarah Ulrich | |
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