| # taz.de -- Essay rechte Netzwerke: Herbeigesehnter Bürgerkrieg | |
| > Was hat Höckes AfD mit der Hannibal-Affäre und dem Lübcke-Mord zu tun? | |
| > Eine historische und aktuelle Spurensuche. | |
| Bild: Um einzuschätzen, wie groß die Gefahr von rechts ist, genügt es nicht,… | |
| Im Jahr 1952 flog eine Gruppe von Veteranen der Wehrmacht und der Waffen-SS | |
| auf, die in den hessischen Wäldern für den „Tag X“ einer sowjetischen | |
| Invasion trainierte. Die Polizei beschlagnahmte Waffen, antikommunistisches | |
| Propagandamaterial, aber auch Proskriptionslisten mit den Namen von Sozial- | |
| und Christdemokraten, die dem Widerstand gegen den Nationalsozialismus | |
| angehört hatten. Die aufgeflogene Gruppe war davon ausgegangen, dass diese | |
| am „Tag X“ mit den Sowjets kooperieren würden. | |
| Die sogenannte Partisanenaffäre wurde nicht als ein großer Skandal | |
| wahrgenommen, obwohl der hessische Ministerpräsident eine breite Debatte | |
| darüber einforderte. Der Staatsanwalt Fritz Bauer, der gegen einen der | |
| Paramilitärs ermittelte, musste den Fall an die Bundesanwaltschaft abgeben. | |
| Der Bundesgerichtshof bescheinigte der Gruppe, die „freiheitliche | |
| demokratische Grundordnung“ zu schützen. Tatsächlich hatte sie im Dienst | |
| der CIA gestanden, deren „Stay Behind“-Einheiten rechtsoffenen | |
| Berufssoldaten in den Jahren vor der Bundeswehrgründung einen Job und einen | |
| Lebensinhalt boten. | |
| [1][Recherchen der taz ergaben], dass in der Bundesrepublik auch | |
| gegenwärtig ein bewaffnetes rechtes Untergrundnetzwerk existiert, das sich | |
| auf den „Tag X“ vorbereitet. Mehrere Mitglieder daraus sollen Listen mit | |
| politischen Gegnern erstellt haben, gegen sie wird gegenwärtig ermittelt. | |
| Erneut scheinen die Paramilitärs von den Geheimdiensten zumindest geduldet | |
| zu werden. Als Kopf gilt André S., ein inzwischen ehemaliger Soldat des | |
| Kommandos Spezialkräfte, der über gute Verbindungen zum MAD verfügt, zu der | |
| für die Kontrolle „extremistischer“ Umtriebe in der Truppe zuständigen | |
| Behörde. | |
| Der Deckname von André S. ist Hannibal. Franco A., der Soldat, der 2017 | |
| wegen Terrorismusverdacht verhaftet wurde, weil er Mordanschläge auf Linke | |
| geplant haben soll, um sie dann möglicherweise Islamisten in die Schuhe | |
| schieben zu können und so eine Gewaltspirale in Gang zu setzen, bewegte | |
| sich in Hannibals Netzwerk. Er war unter anderem Mitglied in einer | |
| Chatgruppe, die Hannibal gegründet hatte. | |
| Wie schon im Fall der Partisanenaffäre ermittelt nun auch in der | |
| Hannibal-Affäre die Bundesanwaltschaft. Tatsächlich geben nicht nur die | |
| seit den 1990er Jahren erstarkte rechte Gewalt, sondern auch die in der | |
| Szene grassierenden Zukunftsszenarien Anlass, die Sache ernst zu nehmen. | |
| Bücher mit beschwörenden Titeln wie „Zurüstung zum Bürgerkrieg“ malen d… | |
| Szenario eines von den „globalistischen“ Eliten gesteuerten oder geduldeten | |
| „großen Austauschs“ der Bevölkerungen Europas durch Migranten an die | |
| Wand. | |
| Der Effekt dieser Fiktion ist die Annahme einer Notwehrsituation: In einem | |
| Clash am „Tag X“ sieht sich die extreme Rechte als letzte abendländische | |
| Bastion zum gewaltsamen Widerstand legitimiert. | |
| ## Der Fall erinnert an Franz Oppenhoff | |
| Manche besonders konsequente Rechte, die den Bürgerkrieg nicht abwarten | |
| können, fangen schon jetzt damit an und praktizieren ihren ganz | |
| persönlichen „Tag X“. Der mit Fantasieorden behangene Anders Breivik ist so | |
| ein Typ, aber wohl auch Stephan E., der mutmaßliche Mörder von Walter | |
| Lübcke. | |
| [2][Der Mord an dem CDU-Politiker] steht in einer langen Reihe rechter | |
| Terrorakte, die im März 1945 mit der Ermordung des ersten von den | |
| Amerikanern eingesetzten Aachener Bürgermeisters, Franz Oppenhoff, begann. | |
| Wie Lübcke war auch Oppenhoff ein Konservativer und Christ, der partout | |
| nicht das tat, was Nazis von seinesgleichen erwarten. Wie Lübcke wurde auch | |
| Oppenhoff vor seinem eigenen Haus mit einer Schusswaffe „hingerichtet“. | |
| Den Mord an Oppenhoff besorgte ein Kommando, das aus SS-Männern, | |
| Polizisten, einem Hitlerjungen und einer BDM-Führerin bestand, die über | |
| Ortskenntnisse verfügte. Es ist zu hoffen, dass es im Mordfall Lübcke keine | |
| Absprachen zwischen rechten Aktivisten und rechtsoffenen Angehörigen der | |
| Sicherheitsapparate gab. Ob Lübckes Name etwa auch auf einer der Listen | |
| stand, die bei dem Bundeswehrsoldaten Franco A. gefunden wurden, wissen wir | |
| nicht. | |
| Unwahrscheinlich ist es leider nicht, denn herbeigesehnt wird der | |
| Bürgerkrieg inzwischen nicht mehr nur von ausgewiesenen Rechtsextremisten | |
| wie dem Mörder von Christchurch oder der „Identitären Bewegung“, sondern | |
| auch in einem Gesprächsband, den Björn Höcke letzten Sommer vorgelegt hat – | |
| im selben Verlag, der auch Alexander Gaulands „Anleitung zum | |
| Konservativsein“ vertreibt. | |
| Höcke kommuniziert in dem Buch quasi auf mehreren Tonspuren gleichzeitig. | |
| Wer etwas Bedeutungsvolles hören möchte, wird die richtigen Klänge | |
| vernehmen. Einerseits ist das Buch voll von Absagen an Gewalt, gerade auch | |
| gegen Migranten, während als eigentlicher Feind der linke oder liberale | |
| „Gutmensch“ gezeichnet wird. Andererseits umreißt Höcke ein „großangel… | |
| Remigrationsprojekt“ zur „geordneten Rückführung der hier nicht | |
| integrierbaren Migranten in ihre ursprünglichen Heimatländer“. | |
| Besonders ins Auge fallen zudem jene Stellen, in denen er darüber sinniert, | |
| wie wahrscheinlich doch ein künftiger bürgerkriegsähnlicher Konflikt sei, | |
| angesichts der „millionenfachen Invasion von Fremden nach Europa“ und des | |
| „Totalversagens der politischen Klasse“. | |
| ## Leute, die sich nicht damit begnügen nur rechts zu sein | |
| Nun könnte man mit den Achseln zucken und sagen, dass eine liberale | |
| Demokratie mit dem rechten Raunen vom „offenen Aufstand“ der „unzufrieden… | |
| Bürger“ (Höcke) leben kann. | |
| Aber gilt dies auch dann noch, wenn sich ein rechtes Netzwerk bildet, unter | |
| dessen Mitgliedern sich aktive und ehemalige Soldaten, Polizisten und sogar | |
| Verfassungsschutzangehörige befinden und das sich unter anderem durch das | |
| Horten von Waffen und das Anlegen von Todeslisten auf den besagten „Tag X“ | |
| vorbereitet? Und was ist mit den Pressemeldungen der letzten Monate, die | |
| zeigen, das es auch in der Polizei Leute gibt, die sich nicht damit | |
| begnügen wollen, einfach nur rechts zu sein, sondern auf Einstellungen | |
| Taten folgen lassen? | |
| Zuerst war es nur die Polizei in Frankfurt, die von sich reden machte, weil | |
| aus ihren Reihen heraus die [3][Anwältin Seda Başay-Yıldız und ihre Familie | |
| mit dem Tode bedroht wurden]. Inzwischen gibt es Fälle in München und | |
| Berlin, in denen ein Polizist offenbar nicht nur privat auch mal mit „Heil | |
| Hitler“ grüßte, sondern auch jene NSU-Ermittlungen sabotierte, in die | |
| Başay-Yıldız als Opferanwältin involviert ist. | |
| Es ist deshalb kein bloßer Verbalradikalismus, wenn Höcke etwa in seinem | |
| Interviewband sagt: „Wer nur einen Job sucht, sollte sich bei der | |
| Bundeswehr umsehen. Wer seinem Land wirklich mit der Waffe dienen will, | |
| sollte sich überlegen, ob er nicht auf andere, bessere Zeiten warten | |
| möchte.“ Tatsächlich lässt sich hier ein Teil von Höckes | |
| fundamentaloppositioneller Strategie erkennen. Sein Ziel ist es, das | |
| „Establishment“ nicht nur durch Proteste und Parlamentsarbeit „in die Zan… | |
| zu nehmen“, sondern auch „aus den frustrierten Teilen des Staats- und | |
| Sicherheitsapparates heraus, die die Wahnsinnspolitik der Regierenden | |
| ausbaden müssen“. | |
| Höcke weiß darum, dass Soldaten und Polizisten stark in der AfD vertreten | |
| sind. Auch dies gibt ihm die Sicherheit, die Polizei bei Demonstrationen | |
| schon jetzt aufzufordern, Widerstand zu leisten und sich Weisungen zu | |
| widersetzen – im Namen eines „Rechtsstaates“. | |
| Höcke kokettiert also mit nicht weniger als der Möglichkeit, dass der | |
| liberale Rechtsstaat sein Gewaltmonopol gegen die Rechte nicht mehr | |
| durchsetzen kann. Keinesfalls zufällig wird dabei an einer Stelle des | |
| Buches sogar die Option eines Putsches Thema. Wieder spielt Höcke dabei | |
| zwei Tonspuren gleichzeitig ab: Einerseits weist er den Gedanken an einen | |
| gewaltsamen Coup weit von sich, als ihn sein Gesprächspartner darauf | |
| hinweist, dass ein Oberstleutnant „vor einiger Zeit auf einem | |
| Truppenlehrgang von der Option eines Putsches“ gesprochen habe – „halb | |
| scherzend, halb ernst“. | |
| Andererseits will Höcke aber schon abwarten, ob der zunehmende Frust in der | |
| Truppe nicht doch „irgendwelche positiven Resultate“ nach sich zieht. So | |
| wird ein radikaler Gedankengang in bekannter AfD-Manier unter | |
| gleichzeitigem Zurückrudern trotzdem in die Welt gesetzt. | |
| ## Es genügt nicht, nur auf die AfD zu blicken | |
| Mit Blick auf Höckes Partei drängt sich hier eine weitere historische | |
| Parallele auf: Ähnlich wie die AfD heute waren 1952 einzelne | |
| FDP-Landesverbände von Kadern der rechten Szene durchsetzt. Auch aus ihren | |
| Verlautbarungen ließ sich nie eindeutig heraushören, ob sie sich | |
| tatsächlich mäßigen würden oder ob sie nur Kreide gefressen hatten. | |
| So wurde Werner Naumann, der Kopf der rechten Kader, nicht müde, sich zu | |
| Demokratie und Menschenrechten zu bekennen, ließ aber auch gerne | |
| durchblicken, dass es für die Bundesrepublik gefährlich sein könne, wenn er | |
| und seine politischen Freunde nicht bekämen, was sie verlangten. | |
| In der nordrhein-westfälischen FDP beschwor damals Friedrich Middelhauve | |
| eine „Pflicht nach rechts“, [4][ähnlich wie Höcke in Thüringen heute]. D… | |
| FDP-Bundesvorstand verhielt sich wie Gauland und Weidel: Dehler und Euler | |
| ließen Middelhauve nicht nur gewähren, sondern betätigten sich in der | |
| Adenauer-Regierung rhetorisch immer wieder als nationalistische und den | |
| Nationalsozialismus verharmlosende Scharfmacher. Am Ende intervenierte | |
| die britische Besatzungsmacht. Sie ließ die „Naumann-Verschwörung“ | |
| auffliegen. Dies schwächte die Rechte und trug zu Adenauers fulminantem | |
| Wahlsieg 1953 bei. | |
| Sechs Jahrzehnte später muss die Berliner Republik mit der Gefahr von | |
| rechts allein fertigwerden. Mit dem mantraartig wiederholten Appell an die | |
| Stärkung der Zivilgesellschaft allein wird der Bedrohung, die bekanntlich | |
| längst auch eine internationale ist, jedoch kaum beizukommen sein. Vielmehr | |
| müssen das Wissen um die rechten Netzwerke, das Raunen Höckes und die | |
| Tweets von Erika Steinbach, die den Hass auf Walter Lübcke mit anheizten, | |
| eine Rolle in der Diskussion über eine Beobachtung der AfD durch den | |
| Verfassungsschutz spielen. | |
| Um einzuschätzen, wie groß diese Gefahr mittlerweile ist, genügt es aber | |
| nicht, nur auf die AfD zu blicken. Vielmehr muss endlich auch Klarheit | |
| darüber geschaffen werden, was sich da am rechten Rand der | |
| Sicherheitsapparate zusammenbraut – und wie es mit dem, was draußen | |
| passiert, zusammenhängt. | |
| 22 Jun 2019 | |
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