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# taz.de -- Bedrohungslage für Berliner Politiker: Die rechte Gefahr war immer…
> Berliner Politiker werden schon lange massiv von Rechtsextremen bedroht.
> Ermittlungserfolge der Polizei bleiben allerdings aus.
Bild: Zerborstene Scheibe in einem Wahlkreisbüro der Linken
Berlin taz | SS-Runen an der Wohnungstür, Nazis mit Hakenkreuz-Tattoos im
Lieblingscafé, zerstochene Autoreifen, verbale und körperliche Angriffe –
wenn man dem [1][Linken-Innenpolitiker Hakan Taş] die Frage nach seinen
Erfahrungen mit rechter Gewalt stellt, erzählt er erst mal. Die Aufzählung
all der Bedrohungen und Angriffe sprudelt nur so aus ihm heraus und auch,
was all das mit ihm macht. „Ich muss immer vorsichtig sein“, sagt er: sich
umschauen in der Öffentlichkeit, beim Autofahren auf Verfolger achten,
„jede Veränderung in der Umgebung sensibel wahrnehmen“.
Für Taş und viele andere Berliner Politiker und Personen des öffentlichen
Lebens ist die rechte Bedrohungslage Alltag, schon lange vor der
[2][Ermordung des Kasseler Regierungspräsidenten Walter Lübcke (CDU)]
mutmaßlich durch einen Rechtsextremisten mit besten Kontakten in die Szene.
„Für uns war die Gefahr schon immer da“, sagt Taş und meint damit alle
jene, die sich öffentlich vernehmbar gegen rechts stellen, und im
Besonderen auch Politiker mit Migrationshintergrund.
Die Kreuzberger Bundestagsabgeordnete Canan Bayram (Grüne) sagte im
[3][Gespräch mit der taz], dass sie unmittelbar nach Bekanntwerden der
Ermordung Lübckes von einem rechten Tathintergrund ausging – so alltäglich
ist bei ihr die Bedrohung. Nach Reden im Bundestag zu Anträgen der AfD oder
wenn sie bei Anti-Nazi-Demonstrationen in Erscheinung tritt, erreichen sie
Tausende beleidigende Internetkommentare und E-Mails. „Die Bedrohung war
schon immer da“, sagt Bayram, aber auch: „Die Gefährdungssituation für
Politiker ist nun eine neue.“
Vor einer Woche hatte die Linken-Abgeordnete Anne Helm von einer
Morddrohung berichtet, am Mittwoch gingen Drohmails bei mehreren Berliner
„Institutionen und Personen des öffentlichen Lebens“ ein, wie
Staatsanwaltschaft und Landeskriminalamt (LKA) in einer Stellungsnahme
mitteilten.
Diese stehen womöglich in Verbindung mit [4][Drohschreiben], die zuvor die
Kölner Oberbürgermeisterin Henriette Reker und der Altenaer Bürgermeister
Andreas Hollstein erhalten hatten, mit direktem Bezug zur Ermordung Walter
Lübckes. „Die Phase bevorstehender Säuberungen wurde mit Walter Lübcke
eingeleitet“, hieß es in den Schreiben.
Dass zunehmend Kommunalpolitiker direkt bedroht werden, davor hat jetzt
auch der Deutsche Städtetag gewarnt. In Berlin ist das nichts Neues –
eigentlich. Seit Jahren erschüttert eine [5][rechte Anschlagsserie
Neukölln]. Eine der Betroffenen: die SPD-Fraktionsvorsitzende Neuköllns
Mirjam Blumenthal. Sie erhält immer wieder direkte oder indirekte
Morddrohungen von Rechtsextremen: „So was wie dich hätten wir früher
vergast“, heißt es da etwa.
## Rechter Terror in Neukölln
Ihr Auto wurde vor ihrer Privatwohnung angezündet, auch der Sitz des
Kinder- und Jugendverbands Die Falken wurde mehrfach attackiert. „Schon vor
Jahren haben wir angesichts der Tatenlosigkeit der Polizei und Justiz
gefragt: Muss erst jemand sterben?“, so Blumenthal.
Trotz der Anschlagsserie, trotz verdächtiger Personen hatte der
Staatsschutz die Ermittlungen zum Teil eingestellt, ein
Untersuchungsausschuss kam bislang nicht zustande. Die Linke hatte auf
ihrem Parteitag im Mai einen parlamentarischen Untersuchungsausschuss
gefordert. Dieser solle die „Versäumnisse bei den Ermittlungen zum
Nazi-Terror in Neukölln“ sowie „rechte Netzwerke und Strukturen in allen
Berliner Sicherheitsbehörden“ untersuchen.
Ermittlungserfolge gegen organisierte Rechtsextremisten und Verfasser von
Drohschreiben gibt es so gut wie keine. Obwohl Canan Bayram und Hakan Taş
jede rechtlich relevante Bedrohung zur Anzeige bringen, sei noch kein
einziger Täter verurteilt worden. Tas fordert, „die Polizeibehörden und die
Staatsanwaltschaft müssen sensibler werden“. Es brauche eine „andere
Ermittlungsarbeit“ und „zusätzliche Schulungsmaßnahmen“.
Blumenthal spricht nach der Tötung von Lübcke von geheuchelter Solidarität,
dabei seien die Potenziale der extremen Rechten seit Jahren bekannt. „Wir
leben in Angst, und ich warte seit einer Woche darauf, dass hier mal einer
vom LKA anruft und uns informiert.“ Etwa darüber, ob sie auf einer jüngst
aufgetauchten Liste möglicher Angriffsziele stehe, ob sie mehr Schutz
bekäme. „Wir sind Privatpersonen mit Familien und Kindern, wir können uns
nicht selbst schützen.“
## Bedrohung quer durch alle Parteien
Neben Politikern des linken Spektrums sind auch in Berlin Politiker der CDU
im Visier. Im Zuge des Flüchtlingszuzugs ab 2015 habe es Anfeindungen
gegeben, Aufkleber am Parteibüro, ein paar anonyme Briefe, berichtet etwa
Alexander Herrmann, CDU-Fraktionsvorsitzender in Marzahn-Hellersdorf.
Einmal habe ihm einer angesichts der Belegung einer Turnhalle mit
Geflüchteten mit dem Tode gedroht, falls seiner Familie etwas passieren
sollte. „Dem habe ich gesagt, entweder wir gehen jetzt einen Kaffee trinken
und reden darüber oder ich melde das dem Staatsschutz.“ Es blieb beim
Kaffee, seitdem grüße man sich.
Im Februar dieses Jahres verübten Unbekannte einen Säureanschlag auf
Herrmanns Kiezmobil, einen auffälligen blauen Trabi. Der Staatsschutz
ermittelt – bislang ohne Ergebnis. „Da fragt man sich schon: Ist es das
wert, dass die Politik mein eigenes Leben, das meiner Mitarbeiter
gefährdet“, so Herrmann. „Das war eine Dimension, die wir nie in Betracht
gezogen haben.“
Blumenthal berichtet von Politikern und Gewerkschaftskollegen, die sich
bereits ganz still aus der Politik zurückgezogen hätten, weil sie einfach
nicht mehr konnten. „Da haben die Nazis erreicht, was sie wollten.“ Damit
das nicht zunehmend passiere, müssten Betroffene endlich besser informiert
werden und konsequent mit Rechtsextremen innerhalb der Polizei umgegangen
werden. Wer leugne, dass in so einem großen Apparat nicht auch Kollegen aus
der extremen Rechten arbeiten, sei entweder dumm oder gefährlich ignorant.
„Es muss Schluss sein mit diesem fürchterlichen Dilettantismus“, so
Blumenthal.
23 Jun 2019
## LINKS
[1] /Angriff-auf-Linken-Hakan-Ta/!5467568/
[2] /Ermittlungen-im-Mordfall-Luebcke/!5601780/
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[4] /Terror-von-rechts/!5601779&s=Drohschreiben/
[5] /Rechte-Anschlaege-in-Berlin-Neukoelln/!5564024/
## AUTOREN
Manuela Heim
Erik Peter
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