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# taz.de -- Rechte Anschlagserie in Berlin-Neukölln: Hipsterkiez mit Hakenkreu…
> Die rechten Taten bleiben weitgehend unter dem Radar der bundesweiten
> Öffentlichkeit. Doch die Opfer wissen ganz genau, wer gemeint ist.
Bild: Hakenkreuz am Fenster eines Imbisses in der Wildenbruchstraße
Berlin taz | Vielleicht wäre es einfacher, wenn Neukölln in Sachsen läge.
Oder wenigstens am östlichen Rand von Berlin. Vielleicht wäre es einfacher,
öffentliches Augenmerk auf eine aktuelle, unaufgeklärte rechtsextreme
Terrorserie zu lenken, auf mangelnde Ermittlungserfolge und eine mögliche
Verstrickung der Sicherheitsbehörden, wenn die Geschichte an einem Ort
spielte, von dem man das erwartet: [1][Neonazis, die Anschläge begehen],
Polizei und Verfassungsschutz, die mindestens wegschauen.
Aber diese Geschichte spielt in Berlin-Neukölln. Ein Großteil der mehr als
60 Angriffe, Anschläge und Brandstiftungen, die der seit Mai 2016 laufenden
Serie zugerechnet werden, ereignet sich dort, wo auch die mutmaßlichen
Täter zu Hause sind, im Süden des Bezirks, viel weniger großstädtisch und
viel weniger medial bekannt als der Norden. Aber ab und an trifft es auch
den Norden, der dem Rest der Republik wahlweise als Hipster-Mekka oder
Clankriminalitäts-Gruselmärchen bekannt ist. Zum Beispiel in dieser Woche,
als die Fenster eines Imbissrestaurants, eines Spätkaufs sowie ein
Treppenhaus großflächig mit Hakenkreuzen und SS-Runen besprüht wurden.
Vielleicht wäre es mit der [2][bundesweiten Aufmerksamkeit] auch einfacher,
wenn durch diese Anschlagserie Menschen nicht nur eingeschüchtert,
finanziell belastet und psychisch zermürbt würden, sondern wenn schon
Menschen körperlich zu Schaden gekommen wären, so richtig. Bei [3][Ferat
Kocak], kurdischstämmiger Lokalpolitiker der Linkspartei, wäre es damals
fast so weit gewesen, in einer Februarnacht 2018, als sein Auto nur ein
paar Zentimeter neben der durchs Einfamilienhaus verlaufenden Gasleitung
verbrannte.
Der Betreiber des Imbisses, auf dem am Dienstagmorgen große rote
Hakenkreuze prangten, ist ein naher Verwandter von Ferat Kocak. Ob sich die
Einschüchterung gegen ihn und seine Familie richtet oder allgemein gegen
ein migrantisches Neukölln, ob die Täter dieselben waren wie die, die
Kocaks Auto anzündeten, werden die Ermittlungen zeigen, würde man gern
schreiben. Allein, die Ermittlungen haben in dieser Sache überhaupt noch
nie irgendetwas gezeigt, weder jetzt noch bei der letzten Serie vor acht
Jahren, als beispielsweise eine Einrichtung der Falken so oft attackiert
wurde, dass die Jugendarbeit dort bis heute hinter einem meterhohen
Hochsicherheitszaun stattfindet.
## Tatort: Wildenbruchstraße
Die beschmierten Häuser befinden sich in der Wildenbruchstraße, die in der
Liste der Tatorte dieser Serie bereits mehrfach auftaucht: 2016 deponierten
Unbekannte einen Brandsatz vor einem linken Café, ein weiteres Lokal, das
als Treffpunkt linker und migrantischer Gruppen dient, wurde schon zweimal
attackiert, zuletzt vor wenigen Wochen. Ebenfalls in der Wildenbruchstraße,
Ecke Sonnenallee, befindet sich in einem imposanten Gebäude: die
Polizeidienststelle Direktion 5, Abschnitt 54.
Die Betroffenen der Anschlagserie, die vereint, dass sie sich gegen rechts
engagieren, sei es als linke Aktivistin oder als Mitglied der
Kirchengemeinde, kämpfen seit Jahren für Aufmerksamkeit und Aufklärung.
Dabei haben sie schon viel erreicht: Wurde jahrelang selbst ein
Zusammenhang zwischen den Taten angezweifelt, spricht mittlerweile auch
[4][Berlins Innensenator Andreas Geisel von rechtem Terror.]
Und dass bei den Ermittlungen verheerende Fehler passieren, sind die
Behörden längst gezwungen einzuräumen – etwa als die Sicherheitsbehörden
Ferat Kocak auch deswegen nicht über die ihnen im Vorfeld bekannten
Anschlagpläne informierten, weil sie mit der Schreibweise seines Namens
überfordert waren. Dass Polizei und Verfassungsschutz inkompetent sind, ist
angesichts der anhaltend ausbleibenden Ermittlungserfolge und langen Liste
an Ungereimtheiten schließlich noch diejenige der möglichen Erklärungen,
bei der die Behörden am besten wegkommen.
Worum es den Tätern geht, ist weit weniger undurchsichtig als das Handeln
der Ermittler: Sie wollen so lange einschüchtern, bedrohen, fertigmachen,
bis Menschen aufgeben. Daher braucht rechter Terror auch kein
Bekennerschreiben: Am besten ist es, wenn nur die Opfer selbst wissen, dass
sie gemeint sind. Genau deswegen ist Aufmerksamkeit und Solidarisierung so
elementar, in Berlin wie in Sachsen. Die einzige Chance zu verhindern, dass
die Strategie der Täter aufgeht, ist: den Opfern das Gefühl geben, dass sie
nicht alleingelassen werden.
12 Dec 2019
## LINKS
[1] /Rechte-Anschlaege/!5645820
[2] /Rechtsextreme-Anschlagserie-in-Neukoelln/!5588608
[3] /Linke-Politiker-ueber-Anschlagsserie/!5640812
[4] /Ermittlungen-im-Neukoelln-Komplex/!5622364
## AUTOREN
Malene Gürgen
## TAGS
Schwerpunkt Rassismus
Rechter Terror in Berlin-Neukölln
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