# taz.de -- Anschlag auf Berliner Weihnachtsmarkt: Polizeiinterna für die AfD | |
> Ein Polizist soll nach dem Anschlag am Berliner Breitscheidplatz Infos an | |
> eine AfD-Chat-Gruppe geschickt haben. | |
Bild: Polizeiinterne Erkenntnisse über den Anschlag von Anis Amri gingen wohl … | |
BERLIN taz | Nur 90 Minuten nach dem Anschlag von Anis Amri am | |
Breitscheidplatz hat ein Berliner Polizist interne Ermittlungserkenntnisse | |
in einer Telegram-Chat-Gruppe mit AfD-Mitgliedern geteilt. Das legen | |
Unterlagen der Staatsanwaltschaft Berlin nahe, die der taz vorliegen. Die | |
Verletzung des Dienstgeheimnisses wäre dazu geeignet gewesen, die | |
Fahndungsmaßnahmen gegen Amri zu gefährden, wenn nicht gar zu verhindern, | |
wie es in einem von mehreren Schreiben von Ermittlungsbehörden heißt. | |
Der Polizeihauptkommissar Detlef M. hat demnach zwischen dem Tag des | |
Anschlags auf den Weihnachtsmarkt am 19. Dezember 2016 und dem 21. Dezember | |
gleich zehn Nachrichten mit zum Teil polizeiinternem Inhalt verbreitet. So | |
landete in der Chat-Gruppe der AfD am Tag nach dem Anschlag etwa das | |
Ergebnis der kriminaltechnischen Untersuchung – zusammen mit der Bitte, die | |
Infos nicht weiterzuleiten: „Machen Infos eine große Runde, gibt es | |
demnächst keine mehr“, schrieb M. Zuerst hatte das [1][ARD-Magazin | |
„Kontraste]“ über den Fall berichtet. | |
Besonders brisant: Die geheimen Infos gingen auch an das damalige | |
AfD-Mitglied Tilo P., einem von bisher drei Tatverdächtigen in der rechten | |
Anschlagsserie in Neukölln. Er ist wegen Sachbeschädigung angeklagt, ein | |
Ermittlungsverfahren wegen Brandstiftung läuft noch. Sein beschlagnahmtes | |
Telefon sorgte nun dafür, dass M. aufflog. Nun ermittelt die | |
Staatsanwaltschaft auch gegen den Polizisten wegen Verletzung der | |
Geheimhaltungspflicht. In anderen Chats der Gruppe aus zwölf Mitgliedern | |
der AfD Berlin soll es zudem zu islamfeindlichen Äußerungen gekommen sein | |
und sogar der Holocaust geleugnet worden sein. | |
Im Neukölln-Komplex kam es seit Mai 2016 zu über 60 Anschlägen auf | |
Engagierte gegen die extreme Rechte – teilweise warnten die Behörden die | |
Betroffenen nicht trotz entsprechender Hinweise, wie die [2][taz bereits | |
Anfang 2019 berichtete]. Ebenso hatten die [3][zähen Ermittlungen] und | |
Berichte über ein Treffen eines Tatverdächtigen mit einem LKA-Beamten | |
Fragen aufgeworfen. | |
## Untersuchungsausschuss gefordert | |
Die neuen Ungereimtheiten sorgen auch für Empörung bei den Betroffenen, die | |
sich seit Längerem für einen Untersuchungsausschuss zum Thema einsetzen. | |
Ferat Kocak, Linkenpolitiker in Neukölln, dessen Auto bei der | |
Anschlagsserie angezündet wurde, sagt: „Wie viel sollen Journalisten noch | |
aufdecken, bis es endlich einen Untersuchungsausschuss gibt?“ | |
Hinzu kommt, dass in der Nacht zu Freitag wieder SS-Runen auf zwei Lokale | |
gesprüht wurden, die teils bereits zuvor Opfer von Anschlägen wurden, wie | |
[4][Bilder aus der Neuköllner Wildenbruchstraße] zeigen. Kocak fühlt sich | |
entsprechend auch weiter bedroht: „Glauben Sie, dass ich heute Nacht | |
schlafen konnte?“, fragt er am Freitagmorgen. | |
Schockiert über die neuen Erkenntnisse ist Kocak hingegen nicht. „Es gibt | |
rechtes Gedankengut in der Berliner Polizei, und Rot-Rot-Grün, das sich | |
selbst antifaschistisch definiert, hält uns nur hin“, sagt Kocak, „Die SPD | |
blockiert, die Grünen machen Vorschläge, denen dann aber nichts folgt, und | |
die Linke möchte wohl keinen Alleingang in der Koalition, obwohl sie sich | |
auf dem Parteitag für den Ausschuss einstimmig ausgesprochen hat.“ | |
Immerhin: Der Grüne Benedikt Lux sagte der taz nun: „Die Wahrscheinlichkeit | |
für einen Ausschuss steigt. Wir erwarten aber auch bereits jetzt klare | |
Antworten.“ Ein Untersuchungsausschuss in dieser Legislaturperiode müsse | |
allerdings sehr eng zugeschnitten sein, um schnell und schlagkräftig bis | |
zum Ende der Wahlperiode fertig zu sein. Diese läuft noch bis September | |
2021. Andreas Geisel (SPD), Innensenator und oberster Dienstherr der | |
Polizei, äußerte sich bisher nicht auf taz-Anfrage. | |
Forderungen nach einem Untersuchungsausschuss kamen allerdings nun auch aus | |
dem Amri-Untersuchungsausschuss des Bundestags. Linken-Obfrau Martina | |
Renner sagte der taz: „Es muss jetzt gehandelt werden. Ich erwarte, dass | |
Geisel offen ist für einen Untersuchungsausschuss zum Thema Nazistrukturen | |
in Berliner Sicherheitsbehörden.“ | |
Die Polizei Berlin antwortete mittlerweile auf Anfrage der taz und | |
bestätigte die Ermittlungen wegen „Verdachts der Verletzung von | |
Dienstgeheimnissen“ gegen M. Ein Disziplinarverfahren ruhe bis zum | |
Abschluss des Strafermittlungsverfahrens. Zu weiteren Details wollte sich | |
die Polizei nicht äußern. | |
5 Jun 2020 | |
## LINKS | |
[1] https://www.tagesschau.de/investigativ/kontraste/anis-amri-polizei-berlin-a… | |
[2] /Rechte-Anschlaege-in-Berlin-Neukoelln/!5564024 | |
[3] /Anschlagsserie-in-Berlin-Neukoelln/!5654395 | |
[4] https://twitter.com/MaleneGuergen/status/1268815421123198984 | |
## AUTOREN | |
Gareth Joswig | |
Konrad Litschko | |
## TAGS | |
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