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# taz.de -- Bei der Polizei verschwundene Waffen: Diebe in Uniform?
> Das niedersächsische Innenministerium hält es nicht für
> besorgniserregend, dass in der Polizei Waffen verschwinden. Es ist
> vielleicht auch das Beste.
Bild: Kann schon mal wegkommen: Pistole der Polizei
Es ist schon sehr lange her, da war ich für ein Jahr Praktikantin in einer
Landwirtschaftlichen Produktionsgenossenschaft (LPG) und man beauftragte
mich mit der halbjährlichen Inventur. So viel Vertrauen hatte man damals zu
Praktikanten, es wunderte mich nur kurz, dann schlüpfte ich in einen
ölverschmierten Kittel und schloss das Lager auf, wo ich dann zählte und
zählte und zählte, alles was da war, und die vielen Zahlen in ein
Verzeichnis eintrug.
In dem handgeschriebenen, ebenfalls ölverschmierten Verzeichnis, wurden
alle Abgänge und Zugänge dokumentiert, und es war meine Aufgabe, die
Bestände abzugleichen. Ich trug nur rote Zahlen in dieses Buch ein, denn
kein einziger Bestand stimmte. Ich war 18 Jahre alt, und hatte eine
redliche Vorstellung von der Arbeit und dem sozialistischen Menschen. Aber
in der LPG wurde anscheinend geklaut, was das Zeug hielt.
Es gab einen Betriebs-Trabant, und für den wurde, zum Beispiel, am
Jahresanfang zwölfmal dasselbe Ersatzteil bestellt. „Warum gleich
zwölfmal?“, fragte ich den Werkstattleiter, der mir niemals eine Antwort
gab. Zwölfmal konnte man doch kaum dasselbe Ersatzteil brauchen? Am
Jahresende hatte sich das dann erledigt, da gab es keines mehr.
Geklaut wird wahrscheinlich immer noch, obwohl in dieser
Gesellschaftsordnung nun eisern dagegen vorgegangen wird. So sollen schon
Supermarktkassiererinnen wegen eines aufgesammelten Pfandbonds von wenigen
Cent entlassen worden sein. Da geht es nicht um das Klauen, da geht es um
das Prinzip. Das Klauen wird, im kleinen Maßstab, so gut wie nicht mehr
toleriert. Im großen, im ganz großen Maßstab, verkehrt sich allerdings
dieses Nulltoleranz-Prinzip ins Gegenteil. Wer, im großen Maßstab, als
Vorstand oder Geschäftsführer, sich bereichert, erfährt eine recht große
gesellschaftliche Toleranz. Und das ist auch gar nicht merkwürdig, es
beruht ja das ganze wirtschaftliche System auf Bereicherung. Es sollen sich
eben nur die Richtigen bereichern.
Aber zurück zur Inventur. Die sogenannte körperliche Inventur, nämlich das
Zählen und Schätzen der Vermögensgegenstände, ist eine alte kaufmännische
Pflicht und Tradition. Es ist ja die Inventur eine Bestandsaufnahme, anhand
der sich auch zeigt, wie ein Betrieb wirtschaftet, wie ordnungsgemäß in ihm
alles abläuft. Und da kann man noch im Nachhinein auch sehr schön sehen,
wie es in der DDR, in den LPGs zum Beispiel, damit bestellt war.
So eine Inventur ist ja auch eine Art Lackmuspapier für den Grad an Ordnung
und Disziplin. Umso mehr verwunderte mich die aktuelle Meldung, dass an
einem Ort der höchsten Disziplin, nämlich in der Polizei (Niedersachsen)
erneut Waffen verschwunden sein sollen. Erneut? Nun gut, denke ich mir, so
etwas kommt vor. Eine Maschinenpistole liegt im Hotelzimmer herum, und zack
– Gelegenheit macht Diebe.
Die FDP in Niedersachsen hat eine Kleine Anfrage dazu gestellt und da
stellte es sich heraus, dass in den letzten drei Jahren fünf scharfe
Pistolen weggekommen wären (NDR), laut „Spiegel online“ sollen es dann in
den letzten fünf Jahren elf scharfe Waffen gewesen sein, dazu auch
Munition, des Weiteren 200 Reizgasgeräte, Schlagstöcke, Handys, mehr als
zehn Tablets sowie Speicherkarten und Laptops.
Ist das viel, sind elf Waffen viel? Darunter ein Maschinengewehr? 200
Reizgasgeräte? Kann vorkommen, in hektischen Einsatzlagen, sagt das
niedersächsische Innenministerium dazu. Aber wie kommen Laptops und
Speicherkarten weg? Wohl kaum in hektischen Einsatzlagen?
In der DDR hat man sich keine grauen Haare wachsen lassen, wegen solcher
durchweg roten Inventurzahlen, jedenfalls nicht in der LPG „Frohe Zukunft“,
in der ich zu meiner Zeit in einem ölverschmierten Kittel die dicken
Schrauben zählte. Im niedersächsischen Innenministerium hält man es
ähnlich, und solche einsatzbedingten Verluste für nicht besorgniserregend.
Und vielleicht ist das auch das Beste. Man kann es ja doch nicht ändern.
4 Sep 2019
## AUTOREN
Katrin Seddig
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Fremd und befremdlich
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