# taz.de -- Wahnwitziger Konsum: Im Ein-Euro-Laden nicht zu haben | |
> Ich kenne mittlerweile einige Leute, die eine Kreuzfahrt gemacht haben. | |
> Ihre Geschichten sind nie frei von Ironie und Zynismus. | |
Bild: Hielten mal ein Leben lang: Staubsauger | |
Hamburgs Justizsenator Till Steffen (Grüne) liegt es am Herzen, dass | |
Elektrogeräte länger halten, und er möchte bei der Justizministerkonferenz | |
Anfang November in Berlin eine Initiative dazu einbringen. Wer möchte das | |
nicht? Ein System, das auf Konsum beruht? | |
Im letzten Jahr bekam ich von einer Freundin ihren 44 Jahre alten, | |
orangefarbenen „Krups 3 Mix 3000“-Handmixer geschenkt. Ich mixe meinen | |
Kuchenteig mit einem mittlerweile 45 Jahre alten Handmixer. Es gibt keinen | |
Grund, mir einen anderen Handmixer anzuschaffen, denn dieser schlägt sehr | |
gut das Eiweiß steif und seine Knetwendeln kneten immer noch wie am ersten | |
Tag. | |
Es sei denn – er ginge kaputt. Aber das glaube ich nicht. Er wird noch | |
meiner Tochter oder meinem Sohn dienen. Denn er gehört zu einer Zeit, als | |
die Dinge noch so gebaut wurden (1974 „In the Republic of Ireland“), dass | |
sie einfach nicht kaputtgehen. | |
Meine Eltern haben seit ihrer Hochzeit bis zum Ende der DDR dasselbe | |
kantige Schlafsofa besessen. Erst diente es ihnen sowohl als Sofa als auch | |
als Bett, später nur noch als Sofa, und sie ließen es ab und an von einem | |
Polsterer neu beziehen. Erst mit der Wende tauchten neue, sehr viel | |
hässlichere Sofas in ihrem Wohnzimmer auf und lösten in rascher Folge | |
einander ab. Die Zeit der langen Nutzung – und natürlich auch des | |
Produktmangels – war vorbei. Dennoch behielten sie das alte Klappsofa als | |
Gästebett. | |
## Mangelnde Wertschätzung der Lohnarbeit | |
Ich lese gerade „Der Dschungel“ von Upton Sinclair, wo beschrieben wird, | |
wie die Arbeiter in den Schlachthäusern von Chicago schuften mussten, und | |
schließlich, wenn sie nicht mehr so frisch und gesund waren, einfach durch | |
neue ersetzt wurden. | |
Natürlich herrschen bei uns keine Bedingungen wie im Chicago der | |
Jahrhundertwende, aber dennoch werden junge und frische Menschen auch auf | |
unserem Arbeitsmarkt mehr geschätzt, als ältere, die sich weniger | |
enthusiastisch mit ihrem Arbeitgeber identifizieren, weil sie im Laufe der | |
Jahre ernüchtert auf ihr schönes, schwindendes Leben schauen. | |
Ich meine, es gibt einen Zusammenhang zwischen der Kurzlebigkeit der Dinge | |
und der mangelnden Wertschätzung von Lohnarbeit, denn nichts wird in einem | |
System, das auf Wachstum und ständige Erneuerung drängt, wirklich | |
geschätzt. | |
Ich kenne die Diskussionen, wenn die Armen vorgeschoben werden. Die Armen, | |
heißt es dann, die werden benachteiligt, wenn wir Qualität verlangen, weil | |
Qualität ja auch teuer sein müsse. Aber die deutschen Armen kaufen sehr | |
viel mehr, als meine Eltern damals gekauft haben, ihre armen Kinder | |
besitzen hundertmal so viele Spielsachen, wie wir in unserem Haus im Wald | |
damals besessen haben. | |
Wir besaßen jeder eine Puppe, für die die Verwandten zu unserem Geburtstag | |
zusammengelegt hatten, wir besaßen ein paar Buntstifte und wir besaßen eine | |
kleine Holzkiste, in der der Rest lag. Wir dachten nicht, dass wir arm | |
wären. | |
Ich war einmal in einem Kinderzimmer einer modernen armen Familie. Das | |
Kinderzimmer war bis unters Dach vollgestopft mit billigem Spielzeug. Wenn | |
man kein Geld hat, kann man immer noch im Ein-Euro-Laden sehr viel Zeug | |
einkaufen. Auch als armer Mensch kann man sich die Bude vollstopfen. | |
## Konsum können sich auch Arme leisten | |
Was man sich nicht kaufen kann, ist Bildung, einen Job, Gesundheit, Würde. | |
Diese Dinge sind im Ein-Euro-Laden nicht zu haben. Dafür braucht es die | |
richtige Familie, die richtigen Beziehungen, ein Bankkonto, und eine | |
stabile emotionale Gesundheit. Aber am wahnwitzigen Konsum können wir fast | |
alle, natürlich unseren Verhältnissen entsprechend, teilnehmen. | |
Nur, wir sollten damit aufhören. Es ist verbrecherisch, in diesem Ausmaß zu | |
konsumieren. Es ist zynisch und verbrecherisch, Dinge so zu entwerfen, dass | |
sie rasch kaputt gehen. Es verbraucht die Ressourcen, zerstört die Umwelt | |
und die Gesundheit der an der Produktion beteiligten Arbeiter. Aber es ist | |
das System. Und es ist schwierig, sich dem zu entziehen, denn wo gibt es | |
noch einen „Krups 3 Mix 3000“? (Auf Ebay, wo er jetzt mehr kostet als | |
1974). | |
22 Oct 2019 | |
## AUTOREN | |
Katrin Seddig | |
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