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# taz.de -- Menschenmassen und Kreuzfahrtschiffe: Gebrochene Begeisterung
> Ich kenne mittlerweile einige Leute, die eine Kreuzfahrt gemacht haben.
> Ihre Geschichten sind nie frei von Ironie und Zynismus.
Bild: Wo viele gleichzeitig zufrieden gestellt werden sollen: Urlauber auf eine…
Eines der Events ist in Hamburg zu Ende gegangen, das viele Hamburger
hassen, das andere aber lieben, die Hamburger Cruise Days. Ich persönlich
kenne keinen, der dieses Event liebt, aber es müssen ja welche sein, denn
es sollen 250.000 Menschen die Cruise Days besucht haben (500.000 sollen es
immerhin noch 2017 gewesen sein).
Es gibt eine Publikation, die die Hamburger Behörde zur letzten
Veranstaltung anlässlich einer Befragung, erstellt hat. Im Vorwort zu
dieser Publikation erklärt der Geschäftsführer der Hamburg Marketing GmbH,
Michael Otremba: „Die Hamburger Cruise Days treffen ihre Zielgruppe: 42
Prozent der befragten Besucher sind bereits erfahrene Kreuzfahrer, bei 34
Prozent der Besucher hat das Event die Lust auf eine Kreuzfahrt erhöht.
Somit ist eines der Ziele der Hamburger Cruise Days – Menschen für die
Kreuzfahrt zu begeistern – erreicht.“
Nun, Menschen, die die Kreuzfahrt schon ablehnen, werden vermutlich nicht
die Cruise Days besuchen. Dafür Menschen, die die Kreuzfahrt schon lieben,
die sie sich leisten können, und Menschen, die die Kreuzfahrt eventuell
lieben würden, wenn sie sie sich leisten könnten, obwohl das immer mehr
werden, denn die Kreuzfahrt soll ja immer erschwinglicher werden, soll auch
was für den kleinen Mann werden. (Dass andere „noch kleinere Männer und
Frauen“ mit ihrem niedrigen Gehalt die Differenz ausgleichen – geschenkt).
„Das Traumschiff bringt seine Passagiere seit Jahrzehnten an Sehnsuchtsorte
in der ganzen Welt – und für manche bedeuten diese Reisen auch ein Ankommen
bei sich selbst“, erfahre ich beim ZDF. Auf dem Traumschiff werden die
Menschen traditionell mit ihren Lebenslügen konfrontiert, aber dank des
kompetenten Personals finden sie stets zu sich selbst und einem versöhnlich
augenzwinkerndem Ende zurück.
Die Kapitäne sind smart, heißen Sascha Hehn und Florian Silbereisen. Bei
wie vielen Bundesdeutschen weckte solch moralisch lebenskluge, von der
Musik von Udo Jürgens und James Last untermalte, mit Palmen und Eisblöcken
dekorierte, Erzählung von Leben, wie es sein könnte, abenteuerlich und
luxuriös-bequem zugleich, schon die Sehnsucht? Zu sich finden, sich um
nichts kümmern müssen, sich treiben lassen, sicher und umsorgt, in einer
Kulisse von Abenteuer und Fremdheit, wer wollte das nicht?
Eine Freundin von mir hat sich mit ihrem Mann eine Kreuzfahrt geleistet.
Sie haben keines der billigen Angebote gebucht, sondern tief in die Tasche
gegriffen. Dennoch waren sie anschließend nicht in der Lage, anders als
ironisch über ihre Erfahrungen zu berichten. Wenn sehr viele Menschen
gleichzeitig an einem Ort zufriedengestellt werden sollen, dann leidet
immer der Geschmack. Die Masse als solche besitzt keine Würde. Natürlich
gibt es Abstufungen. Wer mehr bezahlt, bekommt auch mehr. Aber eben nur in
Abstufungen.
Mittlerweile kenne ich einige Leute, die für Kreuzfahrten gebucht werden,
Unterhalter, Fotografen, die erzählen jeder für sich ihre eigenen
Geschichten, nie sind sie frei von Ironie, von Zynismus. Wir lachen, weil
wir sonst verrückt werden würden. Es gibt lustige Bücher über Kreuzfahrten.
Es gibt Zeitungsartikel, über Kreuzfahrten, wie sie wirklich sein sollen.
Aber es gibt kein „wirklich“. Es gibt nur Erfahrungen, und die haben immer
etwas mit dem Ich zu tun. Es gibt keine Wirklichkeit, außer dem Ich.
Natürlich belasten Kreuzfahrtschiffe unsere Umwelt eben so sehr wie
Fabriken, Verkehr und konventionelle Landwirtschaft. Sie sind dekadent,
wird ihr – immer mehr auch für Durchschnittsverdiener erschwingliche –
Betrieb durch Ausbeutung ermöglicht, und natürlich haben sie jeden Hauch
von Glamour verloren. Aber wer sagt das? Wer entscheidet das? Ich?
„Aber vor allem sind es die Menschen mit ihrer großen und ungebrochenen
Begeisterung für die Kreuzfahrt, die Hamburg auszeichnen“ (Michael Otremba
in o.a. Publikation). Tja, ich bin nicht die Menschen, zeichne Hamburg
nicht aus, meine Begeisterung ist von vornherein gebrochen, sorry, Stadt.
18 Sep 2019
## AUTOREN
Katrin Seddig
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