| # taz.de -- Schiffsemissionen in Marseille: Im Dreck der Kreuzfahrer | |
| > In Marseille verpesten immer mehr Kreuzfahrtschiffe die Luft. Das spült | |
| > Geld in die Kassen, hat aber Folgen für Umwelt und Gesundheit. | |
| Bild: Im Kommen: Kreuzfahrtschiff im Hafen von Marseille | |
| Marseille taz | Das Kreuzfahrt-Wirtschaftswunder kam eher unverhofft. Noch | |
| vor sieben Jahren prophezeiten Experten dem Hafen von Marseille den | |
| unaufhaltsamen Niedergang. Seit den 90er Jahren hatte Frankreichs Tor zum | |
| Mittelmeer, das sich seit 2008 stolz Grand Port Maritime de Marseille | |
| (GPMM) nennt, rund ein Drittel seines Marktanteils und die Hälfte des | |
| Containertransports an die Konkurrenz in Genua und Barcelona verloren. Auf | |
| der Rangliste der wichtigsten Häfen Europas rutschte Marseille so vom | |
| dritten auf den fünften Platz ab. Nur der traditionelle Fährschiffsverkehr | |
| mit Korsika und Algerien blieb stabil. | |
| Nun ist der Hafen für viele Anwohner im Norden Marseilles zum Albtraum | |
| geworden: Jährlich legen mehr als 500 Kreuzfahrtschiffe mit fast 1,5 | |
| Millionen Touristen an. In diesem Jahr sollen sogar schon mehr als 2 | |
| Millionen Menschen am eigens dafür eingerichteten Terminal landen. Der | |
| [1][immense Schadstoffausstoß] belastet Wohlbefinden, Umwelt und | |
| Gesundheit. Der Wirtschaft der Stadt hingegen bringt das jährlich mehr als | |
| 300 Millionen Euro. | |
| Im gepflegten Garten der Villa von Michèle und Claude Rauzier blühen noch | |
| im Spätsommer die Oleander. Die Rentner haben eine beneidenswerte Aussicht | |
| auf das Meer. Aber davon profitiert das Ehepaar längst nicht mehr: „Als wir | |
| Kinder waren, hatten wir gleich unterhalb des Gartens das Meer“, erinnert | |
| sich Michèle, die in diesem Quartier von Saint-Henri und Mourepiane | |
| aufgewachsen ist. Sie zeigt anklagend mit dem Finger auf drei enorme | |
| Schiffe, die geradeaus am Horizont an der Mole Léon Gourmet vor Anker | |
| liegen. Aus den riesigen Kaminen steigen Rauchfahnen in den azurblauen | |
| Himmel. Sie wirken wie störende Schleier auf der Mittelmeeridylle. | |
| Wenn, wie meistens, der Wind vom Meer her weht, haben Michèle und Claude | |
| genau wie ihre Nachbarn die Nase gewissermaßen direkt im Auspuff der | |
| Kreuzfahrtschiffe. Die Giganten der Weltmeere sehen aus wie querliegende | |
| Hochhäuser mit bis zu fünfzehn Etagen über dem Wasser. Auf Ästhetik und | |
| ökonomischen Nutzen dieser Schiffe gibt es unterschiedliche Perspektiven, | |
| unakzeptierbar für die Anwohner ist jedoch der Schadstoffausstoß an | |
| Stickoxid, Schwefel und Feinpartikeln. | |
| ## Horrende Luftpartikel-Messwerte | |
| Seit 2017 alarmiert die NGO France Nature Environnement mit ihren | |
| Messwerten: In der direkten Umgebung des Hafens befinden sich aufgrund des | |
| als Brennstoff verwendeten Schweröls hundertmal mehr Feinpartikel in der | |
| Luft als im etwas weiter entfernten Stadtzentrum mit seinen legendären | |
| Autostaus. Seit 2018 übertrifft der Stickoxidausstoß der anlegenden Schiffe | |
| denjenigen des gesamten Straßenverkehrs von Marseille, warnt AtmoSud, ein | |
| öffentlich-rechtlicher Verein, der täglich die Luftqualität in der | |
| südfranzösischen Region misst. | |
| Das Problem der Luftverschmutzung durch das von den großen | |
| Kreuzfahrtschiffen verwendete billige, aber besonders dreckige Schweröl ist | |
| längst bekannt. Noch im Juni 2019 hat der europäische Dachverband für | |
| sauberen Verkehr, Transport & Environment, informiert, dass der Gehalt an | |
| Schwefeloxid in diesem Schweröl 1.500-mal höher sei, als dies im Diesel für | |
| Privatfahrzeuge toleriert wird. Zudem produziere allein der amerikanische | |
| Branchenleader, die Carnival Corporation, mit seiner schwimmenden | |
| Tourismusindustrie an den europäischen Küsten ebenso viel Schwefeldioxid | |
| wie 260 Millionen Autos. | |
| Getan aber wurde gerade in Südfrankreich wenig, es gelten kaum zwingende | |
| Regeln. Die Schiffe, die vom Schweröl auf Flüssiggas umgestellt haben, | |
| bleiben eine seltene Ausnahme. Der Anschluss der ankernden Schiffe ans | |
| Stromnetz steckt in den Anfängen, ist aber, wie die GPMM-Direktion auf | |
| taz-Anfrage erklärte, eine „Priorität“ für die kommenden Jahre. Bisher h… | |
| offenbar die Förderung des florierenden maritimen Fremdenverkehrs Vorrang. | |
| „Ich habe ja nichts gegen den Tourismus“, sagt Michèle Rauzier, die als | |
| Mitglied des Selbsthilfevereins Cap du Nor“ die Interessen der Bewohner | |
| dieses nördlichen Quartiers vertritt. „Aber ich bin nicht für einen | |
| Tourismus um jeden Preis“. Der nun seit fast 25 Jahren regierende | |
| Bürgermeister von Marseille, Jean-Claude Gaudin, habe „überhaupt nichts für | |
| uns unternommen. Im Gegenteil“, schimpft Rauzier. Für den Chef des | |
| Ratshauses gelte: „Alles Geld für das Zentrum und den wohlhabenden Süden | |
| der Stadt, für die nördlichen Quartiere bleiben die Armut, die | |
| Sozialwohnungen – mit allen damit verbundenen Problemen – und die | |
| Industrie“, sagt Rauzier. | |
| ## „Das ist eine wahre Krebsfabrik!“ | |
| Die Kommunalwahlen im Frühling lassen sie hoffen, denn Gaudin geht endlich | |
| in den Ruhestand. Von den vielen Anwärtern auf seine Nachfolge äußern sich | |
| nur wenige zu dem lokalpolitisch heiklen Thema der Kreuzfahrtschiffe. Eine | |
| von ihnen ist die aus der Parti Socialiste ausgetretene Samia Ghali. Sie | |
| ist als Bezirksbürgermeisterin des 15. und 16. Arrondissements direkt mit | |
| der Frage konfrontiert. Im Stadtrat hatte sie bereits mit drastischen | |
| Worten gewarnt: „Vier Schiffe, die ihre Maschinen gleichzeitig mit Schweröl | |
| laufen lassen, das ist eine wahre Krebsfabrik!“ | |
| Rauzier kann dies nur bestätigen, denn ein Drittel der rund zwanzig aktiven | |
| Mitglieder ihres Vereins sind an Krebs erkrankt. Der Verdacht, dass ein | |
| Zusammenhang mit der Luftverschmutzung besteht, liegt für sie nahe, | |
| beweisen kann sie das aber schwerlich. Der Briefträger, der seine Runde in | |
| ihrem Viertel macht, hat seine eigene, sehr düstere „Statistik“. Er zeigt | |
| auf die Häuser, in denen in den letzten Monaten mehrere Personen an Krebs | |
| gestorben seien. Und er ist froh, demnächst selber in Rente gehen zu | |
| können. | |
| 1 Feb 2020 | |
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| ## AUTOREN | |
| Rudolf Balmer | |
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