# taz.de -- Auf der „Roald Amundsen“ in der Antarktis: Grüner als andere | |
> Kreuzfahrtschiffe gelten als Dreckschleudern. Technische Schritte hin zu | |
> mehr Nachhaltigkeit machen die Hurtigruten mit einem Hybridschiff. | |
Bild: Eisberg in der Magellan-Region | |
Sieben, acht, bis auf neun Meter schaukeln sich die Wellen hoch, die gegen | |
den Bug klatschen, das Schiff hin und her werfen. Schaumkronen tanzen auf | |
den Wellenkämmen, Schaum breitet sich auch in den Wellentälern wie ein | |
Teppich aus, Gischt sprüht übers Vorderdeck. Sturmvögel und Albatrosse | |
begleiten den 140 Meter langen Stahlkoloss, der auf und ab stampft. Wie | |
betrunken schwankt man über die Flure. Beim Frühstück hüpft der Kaffee aus | |
den Tassen und flüchtet. | |
Anderthalb Tage dauert die Fahrt durch die Drake-Passage, die nach dem | |
ersten englischen Weltumsegler Francis Drake benannt ist. Entweder ist sie | |
ruhig wie ein See, „Drake Lake“ genannt, oder ruppig, ein „Drake Shake“, | |
erklärt Kai Albrigtsen. Und wir seien nah an Letzterem, so der Kapitän. | |
Aber der Weg von Feuerland ins Eis führt nun mal übers offene Meer, durch | |
den Antarktischen Zirkumpolarstrom. Er gilt als stärkster Meeresstrom | |
überhaupt, berüchtigt für mitunter extreme Bedingungen. Hier, wo Atlantik | |
und Pazifik aufeinandertreffen, ist die Chance, seekrank im Bett zu landen, | |
am größten. | |
Selbst die Crew ist davor nicht gefeit. „Nur weil man an Bord arbeitet, | |
heißt das nicht, dass man nicht auch seekrank werden kann“, sagt Jörg | |
Lehmann. Der Wahlschwede ist Chefkoch auf der „Roald Amundsen“, dem ersten | |
Kreuzfahrtschiff, das mit Hybridantrieb unterwegs ist. „Wir geben dann | |
Extraportionen Cracker, Brühe, Käse und grüne Äpfel raus“, erzählt Lehma… | |
Was davon wirkt? „Wenn man daran glaubt: alles.“ Von allem anderen braucht | |
man an solchen Tagen eher weniger, so Lehmann. Dabei hat er genug für 17 | |
Tage: 530 Flaschen Rotwein, 600 Liter Bier, 900 Kilogramm Fleisch und 850 | |
Kilogramm Fisch. Außerdem 140 Liter Milch und 1.500 Eier – pro Tag. | |
## Das Vorzeigeschiff | |
Das neue Vorzeigeschiff der norwegischen Reederei Hurtigruten wird als | |
„grünstes Expeditionsschiff der Welt“ vermarktet. Weniger Abgase, weniger | |
Müll, weniger Lärm. Vor allem die Batteriepakete mit einer Kapazität von | |
1,36 Megawattstunden sollen den Unterschied machen. „Die Batterien, die wir | |
benutzen, sind die gleichen wie hier“, sagt Chefingenieur Jonny Johnson und | |
hält sein Smartphone in die Höhe, „aber wir haben ein paar mehr.“ Etwa 20 | |
Minuten könne man im reinen Akkubetrieb fahren, genutzt werden die | |
Batterien aber, um Spitzenlasten abzufangen. Statt eines dritten | |
Ölgenerators wird, wenn alle an Bord ihren Föhn anwerfen und auch | |
Küchenchef Lehmann gerade fürs Dreigängemenü einheizt, auf Strom aus den | |
Akkus zurückgegriffen. | |
Im Vergleich zum reinen Ölantrieb werden so 20 Prozent Kraftstoff gespart | |
und jedes Jahr 3.000 Tonnen CO2. Auf die Umweltbilanz ist man stolz, über | |
den tatsächlichen Verbrauch aber wird aus Wettbewerbsgründen geschwiegen. | |
„Es ist eines der Schiffe, das wir ganz gut finden, weil sie relativ viel | |
Treibstoff einsparen“, sagt Beate Klünder, Nabu-Schifffahrtsexpertin. Auch | |
wenn es längst nicht emissionsfrei ist. „Hurtigruten ist grüner als andere | |
Anbieter“, sagt Klünder, die der Reederei zugutehält, dass sie weltweit auf | |
Schweröl verzichtet. | |
Insgesamt 3.716 Seemeilen wird das Schiff auf dieser Reise, die im | |
chilenischen Valparaíso begann, zurücklegen. Wo Kapitän Albrigtsen die | |
„Roald Amundsen“ erst mal durch Fjorde, Meerengen und an patagonischen | |
Gletschern vorbeimanövrieren musste. Tief hingen hier die Wolken, die immer | |
wieder Schauer auf die 431 rot bejackten Passagiere niedergehen ließen und | |
bizarr-düstere Landschaften schufen, während sich das Schiff übers | |
spiegelglatte Wasser schob. | |
## Pinguine in Sicht | |
Als am Horizont der erste Eisberg auftaucht, ist es dann endlich so weit: | |
Die schneebeladenen Gipfel von Livingston Island leuchten in der Ferne, | |
Antarktis! Die Vorfreude ist fast greifbar, selbst der polarerfahrene | |
Kapitän sagt: „Ich bin genauso aufgeregt.“ An einer geschwungenen Landzunge | |
zwischen Gletschern und weiß glitzernden Bergen parkt er die „Roald | |
Amundsen“. Yankee Harbor heißt die Bucht. In dieselbetriebenen | |
Schlauchbooten setzen die Passagiere über. Dicke Kieselsteine schauen aus | |
dem Schnee hervor, eine Robbe liegt träge in der Sonne. Der bullige | |
Seeelefant, der samt Weibchen und Jungtier nicht weit entfernt döst, | |
scheint von den Neuankömmlingen keine Notiz zu nehmen. Hundert Meter weiter | |
geht’s hektischer zu. | |
Ein Schritt, zwei Schritte, vorsichtig wagt er noch einen, dann bleibt der | |
Pinguin stehen. Schaut verdutzt. Es scheint, als müsse der Eselspinguin | |
kurz die Lage sondieren angesichts all der Menschen, die ihn plötzlich | |
anstarren. Das Tier mit dem typisch weißen Fleck oberhalb des Auges lässt | |
sich aber nicht weiter stören. Er watschelt, die Flügel von sich gestreckt, | |
weiter Richtung Strand. | |
„Die Pinguine sind super geschäftig gerade“, sagt Schiffsornithologin | |
Rebecca Hodgkiss, „sie sammeln Steine zum Nestbau. Und manche reisen | |
ziemlich weit, um gute Steine zu finden.“ Sorgsam wird alles zu einem Nest | |
aufgehäufelt. Nur als sich eine Raubmöwe mitten in der Kolonie niederlassen | |
will, recken die Pinguine ihre Hälse, versuchen den ungebetenen Gast mit | |
lautem Geschrei zu verscheuchen. Pinguineier stehen bei Raubmöwen ganz oben | |
auf der Speisekarte. | |
Aber egal, ob Raubmöwe oder Pinguin, laut IAATO-Richtlinien – IAATO steht | |
für International Association of Antarctica Tour Operators –, die das | |
Verhalten in der Antarktis regeln, sind fünf Meter Mindestabstand Pflicht. | |
Genauso, Kleidung vorher von Samen zu reinigen und die Stiefel nach jedem | |
Landgang zu desinfizieren. Zu fragil das ökologische Gleichgewicht, zu | |
sensibel die größte Eiswüste der Welt gegenüber Einflüssen von außen. | |
Trotzdem machen sich jedes Jahr mehr Menschen auf den Weg in die Antarktis. | |
Rund 30.000 waren es im letzten Winter, für diese Saison werden 50.000 und | |
in der nächsten sogar 80.000 Passagiere erwartet. Mehr als eine Verdopplung | |
in nur drei Jahren. 17 Veranstalter sind mit derzeit 37 Passagierschiffen | |
rund um die Antarktische Halbinsel aktiv. Tendenz steigend. Bei strahlendem | |
Sonnenschein und knallblauem Himmel besteigen die Passagiere am nächsten | |
Tag die Schlauchboote. Kleine Eisberge treiben auf dem spiegelglatten, aber | |
eiskalten Wasser. Man kann Pinguine tauchen sehen, so klar ist es. | |
## Plan A, Plan B, Plan C | |
„Leg dich nie mit der Natur an“, mahnt Expeditionsleiter Tomasz Zadrozny. | |
Deshalb gehören Änderungen zum täglichen Programm. „Der beste Wetterbericht | |
ist: morgens aus dem Fenster schauen“, sagt Zadrozny, der zweimal auf der | |
polnischen Antarktisstation Arctowski überwintert hat. Wetter, Eis und vor | |
allem der Wind geben den Takt vor, so der Expeditionsleiter, der immer | |
schon Plan B und C im Kopf hat. | |
„Wir starten um 6.15 Uhr mit der ersten Gruppe“, bereitet er die Passagiere | |
auf die nächste Anlandung vor. Ungläubig schauen einige Zadrozny an. „Das | |
ist, warum wir es Expedition nennen“, setzt der lächelnd hinzu. Half Moon | |
Island, das aufgrund seiner Form Halbmondinsel genannt wird, ist bekannt | |
für seine Kolonie Zügelpinguine. Und die Lieblingsinsel von Kapitän | |
Albrigtsen. | |
Der 55-jährige Norweger fing einst als Tellerwäscher bei Hurtigruten an, | |
kann sich nun erster Hybridschiffkapitän nennen. Und während sich das | |
Schiff wieder mit einer Geschwindigkeit von 14 Knoten durchs Meer schraubt, | |
sagt er: „Es ist so leise an Bord.“ Auch sicherer sei das Schiff, | |
manövrierunfähig zu werden sei unmöglich, ergänzt Chefingenieur Johnson. | |
Warum aber setzt man nicht ganz auf Strom? „Zu teuer, außerdem fahren wir | |
dann leere, aber schwere Batterien herum“, so Johnson. Die jetzt verbauten | |
sollen laut Hersteller zehn Jahre halten. | |
Zur Laufzeit fehlen noch Erfahrungswerte, aber „ganz auf Batterien zu | |
fahren wird so schnell nicht möglich sein“, sagt Beate Klünder vom Nabu. | |
Schon jetzt kämen Hybridfähren auf der Ostsee an ihre Grenzen, weil die | |
Batterien groß und schwer sind. Wegen der fehlenden Lademöglichkeit wird es | |
aber auch mit leichteren Batterien in Regionen wie der Antarktis schwierig. | |
## Kleine und große Schrauben | |
Für noch mehr Nachhaltigkeit wird an Bord die Motorabwärme genutzt, um | |
Duschen, Kabinen und die beiden Jacuzzi zu heizen. Müll wird getrennt, | |
Einwegplastik weitestgehend verbannt, in jeder Kabine stehen Trinkflaschen, | |
auf dem Gang Wasserspender. Um Essensreste zu reduzieren, gibt es kleinere | |
Portionen, zudem vegetarische und vegane Menüs. Abwässer und Essensreste | |
werden gefiltert und so aufbereitet, dass eine klare Flüssigkeit übrig | |
bleibt. Gute Schritte in die richtige Richtung, nennt es Klünder, „aber die | |
Wirkung ist nicht groß.“ Auf PET würden mittlerweile die meisten deutschen | |
Reedereien verzichten. Um wirklich etwas zu verändern, müsse an den großen | |
Schrauben gedreht werden: „Emissionsfreie Kraftstoffe und gleichzeitig mehr | |
Menschen effizienter unterbringen.“ Raum werde auf kleineren Schiffen oft | |
schlechter genutzt, so die Expertin. „Und in Richtung Kunden: Man muss auch | |
nicht jedes Jahr auf Kreuzfahrt gehen.“ | |
„Tourismus ist gut, neue Orte sehen, Kulturen kennenlernen“, beeilt sich | |
Daniel Skjeldam, Hurtigruten-CEO, zu sagen. Gerade im Expeditionssektor | |
lässt sich eben gutes Geld verdienen. Aus diesem Grund erwartet aber auch | |
der Nabu mehr Anstrengungen. | |
„Sie haben das Geld, deshalb fordern wir von der Kreuzschifffahrt besondere | |
Aktivitäten“, sagt Klünder. „Hurtigruten macht schon mehr als andere, aber | |
immer noch nicht genug.“ Und was oft vergessen werde, ist die Anreise. | |
„Damit ist eigentlich schon alles vermasselt“, so Klünder. | |
In der Antarktis knacken ein paar Eisschollen, als sich die „Roald | |
Amundsen“ wieder in Bewegung setzt. Die Sonne ist untergegangen. Im | |
Schritttempo und fast lautlos dreht das Schiff und dampft davon, nicht ohne | |
eine kleine schwarze Rußwolke aus dem Schornstein zu pusten. | |
15 Feb 2020 | |
## AUTOREN | |
Katrin Groth | |
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