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# taz.de -- Linker Antisemitismus: Linke ohne Leitplanken
> Viele postkoloniale Linke weltweit stellen sich auf die Seite der
> Palästinenser. Manche verharmlosen oder bejubeln dabei den Terror. In
> Deutschland ist die linke Szene zerrissen.
Bild: 21. Oktober Oranienstraße
Die Rote Flora im Hamburger Schanzenviertel kommentiert das Weltgeschehen
gern mit großformatigen Parolen an ihrer Fassade. Nach dem
[1][Terroranschlag der Hamas vom 7. Oktober] drückte das linke Zentrum so
auch seine Solidarität mit Jüd:innen weltweit aus: „Killing Jews is not
fighting for freedom“ stand dort geschrieben, in großen schwarzen Lettern
auf weißem Grund, und kleiner: „Wir sind solidarisch mit allen Menschen in
Israel und allen Juden und Jüdinnen auf der Welt.“ Eine Absage an linke
Verklärung der Hamas-Morde als Befreiungskampf.
Immer wieder hatte die Hamburger Polizei in der Vergangenheit Statements an
der Flora-Wand übermalt, weil ihr die Botschaften nicht passten. In der
Nacht zum Donnerstag vergangener Woche aber waren andere am Werk:
Unbekannte ändern den Schriftzug per Sprühdose und Überklebungen in:
„Killing humans is not fighting for freedom“. Die Solidaritätsadresse wurde
erweitert um die Palästinenser:innen, die im neuen Nahost-Krieg sterben.
Später wurden die Wörter „Jüdinnen und Juden“ ganz getilgt.
Der Plakat-Streit in Hamburg steht beispielhaft für die Zerrissenheit der
Linken. Eine Debatte ist wieder aufgebrochen, die die Szene in Deutschland
schon nach dem Anschlag auf das World Trade Center 2001 gespalten hatte.
Damals war die Auseinandersetzung mehr als nur ein Streit zwischen
antiimperialistisch Denkenden – die sich dem Globalen Süden verpflichtet
fühlen – und Antideutschen, für die [2][die Schoah zentraler Bezugspunkt
ist und die Israel deshalb besondere Solidarität entgegenbringen]. Und sie
weitete sich auf die gesamte linke Szene aus.
Heute ist sie noch unübersichtlicher. Häufig geprägt von den Postcolonial
Studies, gibt es viele, die der Meinung sind, es stehe ihnen nicht zu,
darüber zu urteilen, auf welche Weise andere Widerstand leisteten – das
sagte die schwarze US-Aktivistin Aja Monet. Auf Instagram, Twitter,
Facebook und Tiktok bejubeln manche Linke den Hamas-Terror – oder wollen
ihn nicht verurteilen, wie etwa der griechische Ex-Finanzminister Yanis
Varoufakis: Wer versuche, ihm eine Verurteilung der Hamas-Guerilla zu
entlocken, „wird sie nie bekommen“, schrieb er. Das Problem sei die
„Apartheid, die die Gewalt hervorruft“, so Varoufakis.
Und dann gibt es jene Linken, für die – mit Blick auf die Geschichte –,
klar ist: „We stand with Israel“.
Dieser Streit zeigt sich seit dem 7. Oktober im gesamten Westen. Allerdings
nicht als innerlinke Diskussion. Denn Solidarität mit Israel von
nichtjüdischen Linken ist, von wenigen Ausnahmen abgesehen, ein Phänomen im
deutschsprachigen Raum. International hingegen stellen sich linke
Aktivist:innen, progressive Akademiker:innen und postkolonial Denkende
im Kunstbetrieb meist an die Seite der Palästinenser:innen. Und bei einigen
endet dies in einer [3][Glorifizierung der Gräueltaten der Hamas].
Als der israelisch-deutsche Comedian Shahak Shapira wenige Tage [4][nach
dem Hamas-Anschlag eine „Special Show“] aufführt, listet er zu Beginn Dinge
auf, auf die sich alle einigen sollten: „Palästinenser:innen sind nicht die
Hamas. Muslime keine Terroristen. Israelis sind nicht die israelische
Regierung. Juden sind keine White Supremacists. Die Hamas ist eine
Terrororganisation. Sie steht dem Frieden im Weg. Siedlungen sind schlecht
und stehen dem Frieden im Weg.“
Derartige Leitplanken finden sich selten in aktuellen linken Debatten.
Shapira ist Enkel eines Holocaust-Überlebenden, wuchs die erste Hälfte
seines Lebens in einer israelischen Siedlung im Westjordanland auf, die
andere Hälfte in Sachsen-Anhalt. Dort wurde er von Neonazis angegriffen.
„Ich habe mich in den letzten Tagen von einigen Menschen entfernt, die sich
als links bezeichnen würden“, sagt Shapira der wochentaz. Er verstehe
nicht, wieso so unverblümt von einem „Genozid“ an den Palästinensern
gesprochen werde. „Werden Palästinenser unterdrückt? Absolut. Nicht nur von
Israel. Werden sie systematisch ermordet, mit der Absicht, sie zu
vernichten? Nein.“ In den meisten Fällen folge dem Genozid-Vorwurf ein
Holocaustvergleich. „Juden sind dann plötzlich Neonazis“, so Shapira. Damit
würde dann auch die Gewalt legitimiert. In eine ähnliche Richtung geht es
für ihn, wenn junge Deutsche „Free Palestine from German guilt“ rufen, wie
es kürzlich auf einer Mahnwache vor dem Auswärtigen Amt in Berlin zu hören
war. Sie würden sich des moralischen Kompasses entledigen wollen, der nach
der Schoah entstanden sei.
„Da werden Häuser in Berlin mit Davidsternen markiert und mir wird
vorgeworfen, ein Nazi zu sein“, sagt Shapira. Infam sei der Vorwurf vieler
Linker, Israel sei im Nahen Osten eine „weiße Siedlerkolonie
Nichtindigener“: „Viele Israelis haben einen jemenitischen, marokkanischen
oder arabischen Hintergrund.“ Zu Ende gedacht heiße das, Israel solle nicht
existieren.
Eine, die die Lage in Gaza einen „Genozid“ nennt, ist [5][die
deutsch-türkische Journalistin Kübra Gümüşay.] „Yet another genocide,
happening in front of our eyes“, schrieb die Autorin und einstige
taz-Kolumnistin auf Instagram. Gümüşay bewegt sich heute vor allem in
Debatten außerhalb Deutschlands, ist Gastrednerin auf internationalen
Konferenzen und an Universitäten. Dort ist diese Ansicht weit verbreitet –
in Deutschland löst sie Kritik aus.
Mit „another“ habe sie sich auf die jüngsten Vertreibungen Aserbaidschans
im armenischen Bergkarabach bezogen, schreibt Gümüşay auf Anfrage der
wochentaz. Für die Einstufung des israelischen Vorgehens als „Genozid“ gebe
es „zahlreiche juristische Analysen international angesehener Institutionen
und Expert*innen“. Gümüşay stellt das, was die Menschen in Israel erleiden
mussten, neben das, was die Menschen in Gaza nun erleiden müssen: „Der
Angriff der Hamas vom 7. Oktober war ein Mord an mehr als tausend Menschen,
die aus dem Leben gerissen worden sind, weil sie Bürger*innen Israels
sind. Seit Tagen werden nun Tausende Zivilist*innen aus dem Leben
gerissen, weil sie in Gaza nicht die Möglichkeit haben, sich vor den
Bombenangriffen in Schutz zu bringen.“ Darauf hinzuweisen, betone die
Notwendigkeit der Einhaltung des Völkerrechts, „auch bei
Verteidigungsangriffen“, so Gümüşay.
Vergangenen Sonntag in Berlin: Über 10.000 Menschen gehen in Solidarität
mit Israel auf die Straße. Es ist ein breites Bündnis, Redner:innen
aller demokratischen Parteien sprechen. Blau-weiße Flaggen wehen vor dem
Brandenburger Tor und fast noch mehr von der iranischen Opposition. Mit
dabei ist Markus Tervooren. Er ist Geschäftsführer des Berliner VVN-BDA,
der Vereinigung der Verfolgten des Naziregimes. Tervooren trägt die Fahne
seines Verbandes. Selbstverständlich ist das nicht: Der traditionslinke
VVN-BDA galt lange als nicht israelsolidarisch. „Auch bei uns gehen die
Diskussionen weiter“, sagt Tervooren. Der 7. Oktober sei ein Einschnitt
gewesen. Er wisse von vielen Mitgliedern, die danach ihre Solidarität
demonstrieren wollten. „Wir wurden von Widerstandskämpfern und
Holocaust-Überlebenden gegründet. Viele haben auch familiäre Verbindungen
nach Israel.“
Tervooren ärgert sich über einige der linken Reaktionen auf das Massaker
der Hamas. „Es hätte erst mal darum gehen müssen, den antisemitischen
Terror zurückweisen, bevor man gleich anfängt, zu erklären, was die
Israelis vielleicht vorher gemacht haben. Das relativiert das Pogrom“, sagt
er. Seine Position sei so durchaus nicht überall in seinem Verband
akzeptiert, sagt Teerhoven.
Auch bei anderen Schwergewichten linker Bewegungstradition gibt es
Diskussionsbedarf. Die Rote Hilfe hilft seit 1975 unter anderem politischen
Gefangenen. Der Verein versteht sich als strömungsübergreifend. Am 11.
Oktober beendete der Rote-Hilfe-Bundesverband die Unterstützung einer
bereits länger laufenden Kampagne gegen die Ausweisung des Sprechers der
Gruppe „Samidoun“. Die ging aus der Volksfront zur Befreiung Palästinas
hervor, ist in Deutschland vor allem in Berlin aktiv und
marxistisch-leninistisch ausgerichtet. Am 7. Oktober hatten
Samidoun-Anhänger den Hamas-Anschlag gefeiert und dazu in Neukölln
Süßigkeiten verteilt. Der Bundesverband der Roten Hilfe schrieb:
„Selbstverständlich gibt es auch bei uns Grenzen der Solidarität, wenn
linke Grundprinzipien verletzt werden.“ Und: „Samidoun hat diese eindeutig
verletzt.“
Die Berliner Ortsgruppe der Roten Hilfe aber stellte klar: Das Spendenkonto
bleibt. Es sei nie nur für Samidoun gedacht gewesen, sondern „für alle
Menschen, die auf Grund ihres linken Engagements für ein freies Palästina
Repression erlitten“. Mit ihnen sei man weiterhin solidarisch. Denn: „Der
internationalistische Kampf gegen Kolonialismus ist Teil des Kanons linker
Politik“, so die Rote Hilfe in Berlin. Man verurteile die Bestrebungen,
Samidoun zu verbieten.
Zur Palästina-Demo am 20. Oktober unter dem Motto „Decolonize. Against
Oppression globally“ rief unter anderem die Gruppe „Palästina Spricht“ a…
„Heute ist ein revolutionärer Tag, auf den wir stolz sein können“ – mit
diesen Worten hatte die Gruppe den Hamas-Terror kommentiert. Einen Tag
später verbreitete die Gruppe Bilder mit Gleitschirmfliegern. Hamas-Kämpfer
waren so unter anderem zu einem Musikfestival gelangt, wo sie 260 Feiernde
ermordeten.
Am vergangen Samstag sammeln sich Menschen auf dem Berliner Oranienplatz,
ziehen nach Neukölln. Immer wieder ertönt der Spruch „From the river to the
sea“. Er steht dafür, dass mit einer „Befreiung“ Palästinas das Gebiet …
Jordan bis zum Mittelmeer gemeint ist – es also keinen Platz für einen
jüdischen Staat Israel geben soll. Schon an der ersten Kreuzung
beschlagnahmt die Polizei den Lautsprecherwagen.
Eine wichtige, neue Stimme in der Linken sind die Migrantifa-Gruppen. Sie
entstanden nach [6][dem Anschlag von Hanau im Februar 2020] in einer Reihe
deutscher Städte, meist aus Aktivist:innen mit migrantischem
Background. Das unterscheidet sie von den traditionellen Antifa-Gruppen,
die oft sehr deutsch und weiß sind. Für deren Mitglieder stellte sich
vielfach die Frage nach familiärer Verstrickung in die Schoah-Täterschaft.
Nicht nur deshalb fühlen sich häufig Israel verpflichtet. Bei den
Migrantifa-Gruppen ist das anders – was sich jedoch teils sehr
unterschiedlich ausdrückt.
Die Migrantifa Rhein-Main etwa bejubelte die Hamas-Attacken: Palästina habe
sich „verteidigt, indem es die koloniale, militärische Infrastruktur
Israels erfolgreich angreift“, schreibt die Gruppe. Auch die Berliner
Migrantifa steht klar auf der Seite der Palästinenser. Doch sie schrieb
auch: „Wer Synagogen, jüdische Schulen oder Jüd:innen auf der Straße
angreift, ist ein feiges reaktionäres Schwein und steht nicht auf unserer
Seite im Kampf gegen Rassismus.“
Während die Rhein-Main-Gruppe eine Interviewanfrage unbeantwortet lässt,
erklärt sich die Berliner Migrantifa zu einem Gespräch bereit. „Wir sind
keine Unterstützer der Hamas oder irgendeiner islamistischen Bewegung
weltweit“, sagt die Sprecherin, eine junge Frau, die sich als Aisha Jamal
vorstellt. „Der Islamismus ist nichts, was wir befürworten, sein Weltbild
ist unvereinbar mit unserem. Wir glauben nicht, dass er eine Alternative
für unsere Gesellschaften im Nahen Osten darstellt.“
Doch Jamal ist wütend darüber, dass die deutsche Öffentlichkeit nur dieses
Bekenntnis interessiere. „Bevor man hier überhaupt existieren darf als
rassifizierter Mensch, bevor man irgendwas zum Thema Palästina sagen darf,
muss man sich von der Hamas distanzieren. Das finden wir falsch.“ Jamal
nennt das Teil einer „rassistischen Diffamierung. Es ist ein extrem
belastendes Klima, das gerade herrscht.“
Deutschland nehme dabei eine Sonderstellung ein. Weltweit habe es riesige
Proteste gegeben, in Paris, in London hätten sich gar 100.000 Menschen
versammelt. „Das war erlaubt. In Berlin aber war bis zum 20. Oktober jede
Demo verboten.“ Menschen seien zusammengeprügelt worden, es gebe eine
„massive Einschüchterung“, wegen der sich Menschen zum Teil kaum trauten,
auf die Straße zu gehen. „Das ist auch ein enormes Risiko für Leute mit
unsicherem Aufenthaltsrecht.“ Die Polizei hatte die Demoverbote damit
begründet, dass auf vorigen Versammlungen gewaltverherrlichende Parolen
gerufen wurden.
Jamal erzählt, dass die Gruppe seit zwei Jahren zu Solidaritätsbesuchen
nach Palästina reist und befreundete Aktivist:innen von dort nach
Berlin einlädt. Der jüngste Besuch war nach dem 7. Oktober. Im Netz hat die
Gruppe Bilder gepostet, wie sie mit ihren palästinensischen Gästen vor dem
Sowjetischen Ehrenmal in Berlin-Treptow posiert. In der Bildunterschrift
ist die Rede von „palästinensischen und jüdischen Geschwistern, die nicht
still sein wollen“. Bei ihren Gästen hätte die Sorge um das eigene Leben
und das der Angehörigen und Freunde dominiert, erzählt Jamal. Die
Demoverbote seien als „ungerecht und erniedrigend“ empfunden worden. „Bei
der Verabschiedung am Flughafen haben die palästinensischen Genossen
gesagt: Fünfzig-fünfzig, dass wir uns je wiedersehen. Das ist das Gefühl
gerade.“
Die Angriffe der Hamas, so Jamal, gingen zurück auf „100 Jahre Landraub und
Kolonialisierung in Palästina“. Die Menschen würden ihres Landes, ihrer
Kultur und Identität beraubt, das sei ein „Prozess massiver Gewalt und
Vertreibung“. Doch wer diesen historischen Kontext benenne oder wer auf die
Lage in Gaza aufmerksam mache, „wird sofort als Hamas-Unterstützer
gesehen“. Dass es Schulen in Berlin auf Empfehlung der Bildungssenatorin
freisteht, das Tragen der Kufiya, des Palästinensertuchs, zu verbieten,
betrachtet sie als Skandal. „Letztlich verbieten sie, Palästinenser zu
sein.“
Wie unterschiedlich der linke Blick auf die Lage in Gaza und Israel
ausfällt, zeigt sich auch in den höheren Etagen des globalen Kunst- und
Wissenschaftsbetriebs. An der Cornell University im US-Bundesstaat New York
sprach der afroamerikanische Literaturwissenschafts-Professor Russell
Rickford auf einer Kundgebung der Gruppe [7][Jewish Voice for Peace]. In
den ersten Stunden nach der Hamas-Attacke hätten Tausende Palästinenser
„zum ersten Mal seit Jahren wieder atmen können“, sagte Rickford in seiner
Rede. Er zeigte Verständnis, dass Palästinenser*innen angesichts
dieses „Herausforderns des Gewaltmonopols (…) erheitert“ und „erregt“
gewesen wären, das sei menschlich.
Rickfords wurde heftig kritisiert, entschuldigte sich. Die Unileitung
beurlaubte ihn für den Rest des Semesters. Doch Tausende unterschrieben
eine Petition gegen Entlassungsforderungen, es gab Soli-Demos, Kollegen
veröffentlichten einen offenen Brief zu seiner Unterstützung. Einer von
ihnen ist der Jude Eli Friedman, der an der Cornell University
Arbeitswissenschaft lehrt. Russell sei „kein Antisemit“, sagt Friedman der
wochentaz. Er habe vielmehr einen „prinzipientreuen Standpunkt gegen einen
extremistischen, rechtsgerichteten Zionismus eingenommen, der den
Völkermord am palästinensischen Volk will“.
Amin Husain sieht die Dinge ähnlich. Der palästinensisch-amerikanische
Künstler und Professor an der New York University wird häufig zu
internationalen Vorträgen eingeladen, etwa im Haus der Kulturen der Welt in
Berlin. Husain ist Gründer der Initiative „Decolonize This Place“ (DTP).
Die setzt sich nach eigenen Angaben für eine „Globalisierung der Intifada“
und gegen „kolonialistische Tendenzen“ in der Kunstwelt ein. In den
sozialen Medien folgen DTP Hunderttausende.
Am Tag der Hamas-Terrorattacke schreibt die Gruppe unter ein Video, auf dem
Besucher:innen des überfallenen Musikfestivals um ihr Leben rennen:
„Soldaten und Siedler fliehen“. Unter den 38.000 Menschen, die auf „gefä…
mir“ klicken oder die Bilder von DTP teilen, sind international bekannte
Persönlichkeiten, wie die Influencerin Kimberly Drew, einst
Social-Media-Chefin des Metropolitan Museum of Art in New York. Dann
beschwört DTP den palästinensischen Widerstand, der „mit allen Mitteln“
erfolgen dürfe. Ein Foto in dem Post zeigt einen vermummten Hamas-Kämpfer
neben einer älteren Israelin im Rollstuhl. Der Kommentar auf dem geteilten
Bild: „Die Siedler-Oma scheint das nicht zu stören lmfao“. Die Abkürzung
„lmfao“ ist im Internet als Ausdruck von Heiterkeit üblich. Wer
„Dekolonialisierung“ so versteht wie DTP, meint das Ende Israels. Die
Entmenschlichung ist Ausdruck eines linken Antisemitismus.
Amin Husain und eine weitere DTP-Mitgründerin erklären sich auf Anfrage zu
einem Gespräch mit der taz bereit. Fast eine Stunde legen sie ihre Sicht
dar, bestätigen die Positionen, die ihre Gruppe auf Instagram verbreitet.
Später ziehen sie ihr Einverständnis zurück, wollen nicht zitiert werden.
Die Häme über die gefangene alte Frau im Rollstuhl gefällt über 34.000
Menschen. Auch bekannte Gesichter der internationalen Kunst-Elite tauchten
auf: eine feministische Kunsthistorikerin und Leiterin eines Museums an der
US-Ostküste sowie eine der weltweit prominentesten internationalen
Ausstellungskuratorinnen. Beide wiesen auf Anfrage ausdrücklich zurück, den
Inhalt des Posts zu unterstützen, und löschten ihre Zustimmung danach.
Als der indigene US-Künstler Nicholas Galanin zwei Tage nach dem
Terror-Anschlag den Instagram-Account des großen New Yorker „Public Art
Fund“ übernehmen darf, empfiehlt er „Decolonize this place“ mit dem Wort…
„Unsere Aufstände sind queer, trans, schwarz, braun, indigen, migrantisch,
palästinensisch und global.“ Die Nachfrage der wochentaz, wie er den
Widerspruch erklärt, dass die Hamas Queers mit dem Tod bedroht, beantwortet
Galanin nicht.
Viele Linke in Israel sind dieser Tage enttäuscht von ihren internationalen
MitstreiterInnen, darunter auch schärfste Kritiker:innen der
Besatzungspolitik. So hatten beispielsweise die bekannten israelischen
Friedensorganisationen Breaking the Silence und B’Tselem nach dem Angriff
der Hamas mehrfach den Terror verurteilt und ihre Solidarität mit den
Opfern ausgedrückt. Mitstreiter:innen der Organisationen waren von den
Angriffen direkt betroffen. In den südisraelischen Kibbuzim engagierten
sich viele in der Friedensbewegung – und wurden ermordet. Ein Sprecher von
B’Tselem bestätigt, dass ein ehemaliges Vorstandsmitglied, die 74-jährige
Vivian Silver aus dem Kibbuz Beeri, vermutlich nach Gaza entführt wurde.
Silver ist auch bei Women Wage Peace aktiv. Wie die Jüdische Allgemeine
berichtet, gehört sie zu Freiwilligen, die seit Jahren kranke Kinder aus
Gaza an der Grenze abholten und zur Behandlung in israelische Krankenhäuser
fuhren.
Auch Yasmin, eine in Israel und Deutschland lebende Künstlerin, ist
enttäuscht über die linke Szene. Sie kommt aus dem Punk, versteht sich als
linksradikal, queer, feminististisch – und ist Jüdin. Mit ihrem echten
Namen will sie nicht genannt werden. „Für mich ist die linke Kunstszene
kein Safe Space“, sagt Yasmin. „Es gibt die aktuelle Situation und es gibt
auch BDS.“ Die Kampagne Boycott, Divestment and Sanctions will, dass auch
israelische Akademiker:innen und Künstler:innen boykottiert werden
– unabhängig von ihrer politischen Position.
„Wenn es um Antisemitismus geht, kann ich nicht auf Solidarität zählen“,
sagt Yasmin. Das belaste sie. „Es ist eine alte Angst von Juden in der
Diaspora: dass der Freund und Nachbar dich fallen lässt.“ Auch sie sei in
Israel gegen die Besatzungspolitik auf die Straße gegangen, ebenso wie
gegen die rechtsradikale Regierung. Aber in der aktuellen Situation nun
gegen „Dekolonialisierung“ zu demonstrieren? An vielen Stellen im
Kunstbetrieb säßen heute Menschen, die postkolonial dächten – und dann für
alle vermeintlich Unterdrückten gleichermaßen unkritisch Partei ergriffen.
Yasmin nennt das „positiven Rassismus“.
Ein solches Verständnis antiimperialistischen Befreiungskampfes sieht sie
„nahe der Blut-und-Boden-Theorie“ des Faschismus. Die Hamas sei eine
brutale islamistische Organisation, „die mich, die uns Juden töten will.
Denen ist die Lösung des Konflikts nicht wichtig.“ Das müssten die Leute
endlich verstehen.
28 Oct 2023
## LINKS
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[6] /Attentat-von-Hanau/!5942097
[7] /Kritiker-von-Israels-Besatzungspolitik/!5472591
## AUTOREN
Jean-Philipp Baeck
Christian Jakob
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