| # taz.de -- Linker Antisemitismus: Linke ohne Leitplanken | |
| > Viele postkoloniale Linke weltweit stellen sich auf die Seite der | |
| > Palästinenser. Manche verharmlosen oder bejubeln dabei den Terror. In | |
| > Deutschland ist die linke Szene zerrissen. | |
| Bild: 21. Oktober Oranienstraße | |
| Die Rote Flora im Hamburger Schanzenviertel kommentiert das Weltgeschehen | |
| gern mit großformatigen Parolen an ihrer Fassade. Nach dem | |
| [1][Terroranschlag der Hamas vom 7. Oktober] drückte das linke Zentrum so | |
| auch seine Solidarität mit Jüd:innen weltweit aus: „Killing Jews is not | |
| fighting for freedom“ stand dort geschrieben, in großen schwarzen Lettern | |
| auf weißem Grund, und kleiner: „Wir sind solidarisch mit allen Menschen in | |
| Israel und allen Juden und Jüdinnen auf der Welt.“ Eine Absage an linke | |
| Verklärung der Hamas-Morde als Befreiungskampf. | |
| Immer wieder hatte die Hamburger Polizei in der Vergangenheit Statements an | |
| der Flora-Wand übermalt, weil ihr die Botschaften nicht passten. In der | |
| Nacht zum Donnerstag vergangener Woche aber waren andere am Werk: | |
| Unbekannte ändern den Schriftzug per Sprühdose und Überklebungen in: | |
| „Killing humans is not fighting for freedom“. Die Solidaritätsadresse wurde | |
| erweitert um die Palästinenser:innen, die im neuen Nahost-Krieg sterben. | |
| Später wurden die Wörter „Jüdinnen und Juden“ ganz getilgt. | |
| Der Plakat-Streit in Hamburg steht beispielhaft für die Zerrissenheit der | |
| Linken. Eine Debatte ist wieder aufgebrochen, die die Szene in Deutschland | |
| schon nach dem Anschlag auf das World Trade Center 2001 gespalten hatte. | |
| Damals war die Auseinandersetzung mehr als nur ein Streit zwischen | |
| antiimperialistisch Denkenden – die sich dem Globalen Süden verpflichtet | |
| fühlen – und Antideutschen, für die [2][die Schoah zentraler Bezugspunkt | |
| ist und die Israel deshalb besondere Solidarität entgegenbringen]. Und sie | |
| weitete sich auf die gesamte linke Szene aus. | |
| Heute ist sie noch unübersichtlicher. Häufig geprägt von den Postcolonial | |
| Studies, gibt es viele, die der Meinung sind, es stehe ihnen nicht zu, | |
| darüber zu urteilen, auf welche Weise andere Widerstand leisteten – das | |
| sagte die schwarze US-Aktivistin Aja Monet. Auf Instagram, Twitter, | |
| Facebook und Tiktok bejubeln manche Linke den Hamas-Terror – oder wollen | |
| ihn nicht verurteilen, wie etwa der griechische Ex-Finanzminister Yanis | |
| Varoufakis: Wer versuche, ihm eine Verurteilung der Hamas-Guerilla zu | |
| entlocken, „wird sie nie bekommen“, schrieb er. Das Problem sei die | |
| „Apartheid, die die Gewalt hervorruft“, so Varoufakis. | |
| Und dann gibt es jene Linken, für die – mit Blick auf die Geschichte –, | |
| klar ist: „We stand with Israel“. | |
| Dieser Streit zeigt sich seit dem 7. Oktober im gesamten Westen. Allerdings | |
| nicht als innerlinke Diskussion. Denn Solidarität mit Israel von | |
| nichtjüdischen Linken ist, von wenigen Ausnahmen abgesehen, ein Phänomen im | |
| deutschsprachigen Raum. International hingegen stellen sich linke | |
| Aktivist:innen, progressive Akademiker:innen und postkolonial Denkende | |
| im Kunstbetrieb meist an die Seite der Palästinenser:innen. Und bei einigen | |
| endet dies in einer [3][Glorifizierung der Gräueltaten der Hamas]. | |
| Als der israelisch-deutsche Comedian Shahak Shapira wenige Tage [4][nach | |
| dem Hamas-Anschlag eine „Special Show“] aufführt, listet er zu Beginn Dinge | |
| auf, auf die sich alle einigen sollten: „Palästinenser:innen sind nicht die | |
| Hamas. Muslime keine Terroristen. Israelis sind nicht die israelische | |
| Regierung. Juden sind keine White Supremacists. Die Hamas ist eine | |
| Terrororganisation. Sie steht dem Frieden im Weg. Siedlungen sind schlecht | |
| und stehen dem Frieden im Weg.“ | |
| Derartige Leitplanken finden sich selten in aktuellen linken Debatten. | |
| Shapira ist Enkel eines Holocaust-Überlebenden, wuchs die erste Hälfte | |
| seines Lebens in einer israelischen Siedlung im Westjordanland auf, die | |
| andere Hälfte in Sachsen-Anhalt. Dort wurde er von Neonazis angegriffen. | |
| „Ich habe mich in den letzten Tagen von einigen Menschen entfernt, die sich | |
| als links bezeichnen würden“, sagt Shapira der wochentaz. Er verstehe | |
| nicht, wieso so unverblümt von einem „Genozid“ an den Palästinensern | |
| gesprochen werde. „Werden Palästinenser unterdrückt? Absolut. Nicht nur von | |
| Israel. Werden sie systematisch ermordet, mit der Absicht, sie zu | |
| vernichten? Nein.“ In den meisten Fällen folge dem Genozid-Vorwurf ein | |
| Holocaustvergleich. „Juden sind dann plötzlich Neonazis“, so Shapira. Damit | |
| würde dann auch die Gewalt legitimiert. In eine ähnliche Richtung geht es | |
| für ihn, wenn junge Deutsche „Free Palestine from German guilt“ rufen, wie | |
| es kürzlich auf einer Mahnwache vor dem Auswärtigen Amt in Berlin zu hören | |
| war. Sie würden sich des moralischen Kompasses entledigen wollen, der nach | |
| der Schoah entstanden sei. | |
| „Da werden Häuser in Berlin mit Davidsternen markiert und mir wird | |
| vorgeworfen, ein Nazi zu sein“, sagt Shapira. Infam sei der Vorwurf vieler | |
| Linker, Israel sei im Nahen Osten eine „weiße Siedlerkolonie | |
| Nichtindigener“: „Viele Israelis haben einen jemenitischen, marokkanischen | |
| oder arabischen Hintergrund.“ Zu Ende gedacht heiße das, Israel solle nicht | |
| existieren. | |
| Eine, die die Lage in Gaza einen „Genozid“ nennt, ist [5][die | |
| deutsch-türkische Journalistin Kübra Gümüşay.] „Yet another genocide, | |
| happening in front of our eyes“, schrieb die Autorin und einstige | |
| taz-Kolumnistin auf Instagram. Gümüşay bewegt sich heute vor allem in | |
| Debatten außerhalb Deutschlands, ist Gastrednerin auf internationalen | |
| Konferenzen und an Universitäten. Dort ist diese Ansicht weit verbreitet – | |
| in Deutschland löst sie Kritik aus. | |
| Mit „another“ habe sie sich auf die jüngsten Vertreibungen Aserbaidschans | |
| im armenischen Bergkarabach bezogen, schreibt Gümüşay auf Anfrage der | |
| wochentaz. Für die Einstufung des israelischen Vorgehens als „Genozid“ gebe | |
| es „zahlreiche juristische Analysen international angesehener Institutionen | |
| und Expert*innen“. Gümüşay stellt das, was die Menschen in Israel erleiden | |
| mussten, neben das, was die Menschen in Gaza nun erleiden müssen: „Der | |
| Angriff der Hamas vom 7. Oktober war ein Mord an mehr als tausend Menschen, | |
| die aus dem Leben gerissen worden sind, weil sie Bürger*innen Israels | |
| sind. Seit Tagen werden nun Tausende Zivilist*innen aus dem Leben | |
| gerissen, weil sie in Gaza nicht die Möglichkeit haben, sich vor den | |
| Bombenangriffen in Schutz zu bringen.“ Darauf hinzuweisen, betone die | |
| Notwendigkeit der Einhaltung des Völkerrechts, „auch bei | |
| Verteidigungsangriffen“, so Gümüşay. | |
| Vergangenen Sonntag in Berlin: Über 10.000 Menschen gehen in Solidarität | |
| mit Israel auf die Straße. Es ist ein breites Bündnis, Redner:innen | |
| aller demokratischen Parteien sprechen. Blau-weiße Flaggen wehen vor dem | |
| Brandenburger Tor und fast noch mehr von der iranischen Opposition. Mit | |
| dabei ist Markus Tervooren. Er ist Geschäftsführer des Berliner VVN-BDA, | |
| der Vereinigung der Verfolgten des Naziregimes. Tervooren trägt die Fahne | |
| seines Verbandes. Selbstverständlich ist das nicht: Der traditionslinke | |
| VVN-BDA galt lange als nicht israelsolidarisch. „Auch bei uns gehen die | |
| Diskussionen weiter“, sagt Tervooren. Der 7. Oktober sei ein Einschnitt | |
| gewesen. Er wisse von vielen Mitgliedern, die danach ihre Solidarität | |
| demonstrieren wollten. „Wir wurden von Widerstandskämpfern und | |
| Holocaust-Überlebenden gegründet. Viele haben auch familiäre Verbindungen | |
| nach Israel.“ | |
| Tervooren ärgert sich über einige der linken Reaktionen auf das Massaker | |
| der Hamas. „Es hätte erst mal darum gehen müssen, den antisemitischen | |
| Terror zurückweisen, bevor man gleich anfängt, zu erklären, was die | |
| Israelis vielleicht vorher gemacht haben. Das relativiert das Pogrom“, sagt | |
| er. Seine Position sei so durchaus nicht überall in seinem Verband | |
| akzeptiert, sagt Teerhoven. | |
| Auch bei anderen Schwergewichten linker Bewegungstradition gibt es | |
| Diskussionsbedarf. Die Rote Hilfe hilft seit 1975 unter anderem politischen | |
| Gefangenen. Der Verein versteht sich als strömungsübergreifend. Am 11. | |
| Oktober beendete der Rote-Hilfe-Bundesverband die Unterstützung einer | |
| bereits länger laufenden Kampagne gegen die Ausweisung des Sprechers der | |
| Gruppe „Samidoun“. Die ging aus der Volksfront zur Befreiung Palästinas | |
| hervor, ist in Deutschland vor allem in Berlin aktiv und | |
| marxistisch-leninistisch ausgerichtet. Am 7. Oktober hatten | |
| Samidoun-Anhänger den Hamas-Anschlag gefeiert und dazu in Neukölln | |
| Süßigkeiten verteilt. Der Bundesverband der Roten Hilfe schrieb: | |
| „Selbstverständlich gibt es auch bei uns Grenzen der Solidarität, wenn | |
| linke Grundprinzipien verletzt werden.“ Und: „Samidoun hat diese eindeutig | |
| verletzt.“ | |
| Die Berliner Ortsgruppe der Roten Hilfe aber stellte klar: Das Spendenkonto | |
| bleibt. Es sei nie nur für Samidoun gedacht gewesen, sondern „für alle | |
| Menschen, die auf Grund ihres linken Engagements für ein freies Palästina | |
| Repression erlitten“. Mit ihnen sei man weiterhin solidarisch. Denn: „Der | |
| internationalistische Kampf gegen Kolonialismus ist Teil des Kanons linker | |
| Politik“, so die Rote Hilfe in Berlin. Man verurteile die Bestrebungen, | |
| Samidoun zu verbieten. | |
| Zur Palästina-Demo am 20. Oktober unter dem Motto „Decolonize. Against | |
| Oppression globally“ rief unter anderem die Gruppe „Palästina Spricht“ a… | |
| „Heute ist ein revolutionärer Tag, auf den wir stolz sein können“ – mit | |
| diesen Worten hatte die Gruppe den Hamas-Terror kommentiert. Einen Tag | |
| später verbreitete die Gruppe Bilder mit Gleitschirmfliegern. Hamas-Kämpfer | |
| waren so unter anderem zu einem Musikfestival gelangt, wo sie 260 Feiernde | |
| ermordeten. | |
| Am vergangen Samstag sammeln sich Menschen auf dem Berliner Oranienplatz, | |
| ziehen nach Neukölln. Immer wieder ertönt der Spruch „From the river to the | |
| sea“. Er steht dafür, dass mit einer „Befreiung“ Palästinas das Gebiet … | |
| Jordan bis zum Mittelmeer gemeint ist – es also keinen Platz für einen | |
| jüdischen Staat Israel geben soll. Schon an der ersten Kreuzung | |
| beschlagnahmt die Polizei den Lautsprecherwagen. | |
| Eine wichtige, neue Stimme in der Linken sind die Migrantifa-Gruppen. Sie | |
| entstanden nach [6][dem Anschlag von Hanau im Februar 2020] in einer Reihe | |
| deutscher Städte, meist aus Aktivist:innen mit migrantischem | |
| Background. Das unterscheidet sie von den traditionellen Antifa-Gruppen, | |
| die oft sehr deutsch und weiß sind. Für deren Mitglieder stellte sich | |
| vielfach die Frage nach familiärer Verstrickung in die Schoah-Täterschaft. | |
| Nicht nur deshalb fühlen sich häufig Israel verpflichtet. Bei den | |
| Migrantifa-Gruppen ist das anders – was sich jedoch teils sehr | |
| unterschiedlich ausdrückt. | |
| Die Migrantifa Rhein-Main etwa bejubelte die Hamas-Attacken: Palästina habe | |
| sich „verteidigt, indem es die koloniale, militärische Infrastruktur | |
| Israels erfolgreich angreift“, schreibt die Gruppe. Auch die Berliner | |
| Migrantifa steht klar auf der Seite der Palästinenser. Doch sie schrieb | |
| auch: „Wer Synagogen, jüdische Schulen oder Jüd:innen auf der Straße | |
| angreift, ist ein feiges reaktionäres Schwein und steht nicht auf unserer | |
| Seite im Kampf gegen Rassismus.“ | |
| Während die Rhein-Main-Gruppe eine Interviewanfrage unbeantwortet lässt, | |
| erklärt sich die Berliner Migrantifa zu einem Gespräch bereit. „Wir sind | |
| keine Unterstützer der Hamas oder irgendeiner islamistischen Bewegung | |
| weltweit“, sagt die Sprecherin, eine junge Frau, die sich als Aisha Jamal | |
| vorstellt. „Der Islamismus ist nichts, was wir befürworten, sein Weltbild | |
| ist unvereinbar mit unserem. Wir glauben nicht, dass er eine Alternative | |
| für unsere Gesellschaften im Nahen Osten darstellt.“ | |
| Doch Jamal ist wütend darüber, dass die deutsche Öffentlichkeit nur dieses | |
| Bekenntnis interessiere. „Bevor man hier überhaupt existieren darf als | |
| rassifizierter Mensch, bevor man irgendwas zum Thema Palästina sagen darf, | |
| muss man sich von der Hamas distanzieren. Das finden wir falsch.“ Jamal | |
| nennt das Teil einer „rassistischen Diffamierung. Es ist ein extrem | |
| belastendes Klima, das gerade herrscht.“ | |
| Deutschland nehme dabei eine Sonderstellung ein. Weltweit habe es riesige | |
| Proteste gegeben, in Paris, in London hätten sich gar 100.000 Menschen | |
| versammelt. „Das war erlaubt. In Berlin aber war bis zum 20. Oktober jede | |
| Demo verboten.“ Menschen seien zusammengeprügelt worden, es gebe eine | |
| „massive Einschüchterung“, wegen der sich Menschen zum Teil kaum trauten, | |
| auf die Straße zu gehen. „Das ist auch ein enormes Risiko für Leute mit | |
| unsicherem Aufenthaltsrecht.“ Die Polizei hatte die Demoverbote damit | |
| begründet, dass auf vorigen Versammlungen gewaltverherrlichende Parolen | |
| gerufen wurden. | |
| Jamal erzählt, dass die Gruppe seit zwei Jahren zu Solidaritätsbesuchen | |
| nach Palästina reist und befreundete Aktivist:innen von dort nach | |
| Berlin einlädt. Der jüngste Besuch war nach dem 7. Oktober. Im Netz hat die | |
| Gruppe Bilder gepostet, wie sie mit ihren palästinensischen Gästen vor dem | |
| Sowjetischen Ehrenmal in Berlin-Treptow posiert. In der Bildunterschrift | |
| ist die Rede von „palästinensischen und jüdischen Geschwistern, die nicht | |
| still sein wollen“. Bei ihren Gästen hätte die Sorge um das eigene Leben | |
| und das der Angehörigen und Freunde dominiert, erzählt Jamal. Die | |
| Demoverbote seien als „ungerecht und erniedrigend“ empfunden worden. „Bei | |
| der Verabschiedung am Flughafen haben die palästinensischen Genossen | |
| gesagt: Fünfzig-fünfzig, dass wir uns je wiedersehen. Das ist das Gefühl | |
| gerade.“ | |
| Die Angriffe der Hamas, so Jamal, gingen zurück auf „100 Jahre Landraub und | |
| Kolonialisierung in Palästina“. Die Menschen würden ihres Landes, ihrer | |
| Kultur und Identität beraubt, das sei ein „Prozess massiver Gewalt und | |
| Vertreibung“. Doch wer diesen historischen Kontext benenne oder wer auf die | |
| Lage in Gaza aufmerksam mache, „wird sofort als Hamas-Unterstützer | |
| gesehen“. Dass es Schulen in Berlin auf Empfehlung der Bildungssenatorin | |
| freisteht, das Tragen der Kufiya, des Palästinensertuchs, zu verbieten, | |
| betrachtet sie als Skandal. „Letztlich verbieten sie, Palästinenser zu | |
| sein.“ | |
| Wie unterschiedlich der linke Blick auf die Lage in Gaza und Israel | |
| ausfällt, zeigt sich auch in den höheren Etagen des globalen Kunst- und | |
| Wissenschaftsbetriebs. An der Cornell University im US-Bundesstaat New York | |
| sprach der afroamerikanische Literaturwissenschafts-Professor Russell | |
| Rickford auf einer Kundgebung der Gruppe [7][Jewish Voice for Peace]. In | |
| den ersten Stunden nach der Hamas-Attacke hätten Tausende Palästinenser | |
| „zum ersten Mal seit Jahren wieder atmen können“, sagte Rickford in seiner | |
| Rede. Er zeigte Verständnis, dass Palästinenser*innen angesichts | |
| dieses „Herausforderns des Gewaltmonopols (…) erheitert“ und „erregt“ | |
| gewesen wären, das sei menschlich. | |
| Rickfords wurde heftig kritisiert, entschuldigte sich. Die Unileitung | |
| beurlaubte ihn für den Rest des Semesters. Doch Tausende unterschrieben | |
| eine Petition gegen Entlassungsforderungen, es gab Soli-Demos, Kollegen | |
| veröffentlichten einen offenen Brief zu seiner Unterstützung. Einer von | |
| ihnen ist der Jude Eli Friedman, der an der Cornell University | |
| Arbeitswissenschaft lehrt. Russell sei „kein Antisemit“, sagt Friedman der | |
| wochentaz. Er habe vielmehr einen „prinzipientreuen Standpunkt gegen einen | |
| extremistischen, rechtsgerichteten Zionismus eingenommen, der den | |
| Völkermord am palästinensischen Volk will“. | |
| Amin Husain sieht die Dinge ähnlich. Der palästinensisch-amerikanische | |
| Künstler und Professor an der New York University wird häufig zu | |
| internationalen Vorträgen eingeladen, etwa im Haus der Kulturen der Welt in | |
| Berlin. Husain ist Gründer der Initiative „Decolonize This Place“ (DTP). | |
| Die setzt sich nach eigenen Angaben für eine „Globalisierung der Intifada“ | |
| und gegen „kolonialistische Tendenzen“ in der Kunstwelt ein. In den | |
| sozialen Medien folgen DTP Hunderttausende. | |
| Am Tag der Hamas-Terrorattacke schreibt die Gruppe unter ein Video, auf dem | |
| Besucher:innen des überfallenen Musikfestivals um ihr Leben rennen: | |
| „Soldaten und Siedler fliehen“. Unter den 38.000 Menschen, die auf „gefä… | |
| mir“ klicken oder die Bilder von DTP teilen, sind international bekannte | |
| Persönlichkeiten, wie die Influencerin Kimberly Drew, einst | |
| Social-Media-Chefin des Metropolitan Museum of Art in New York. Dann | |
| beschwört DTP den palästinensischen Widerstand, der „mit allen Mitteln“ | |
| erfolgen dürfe. Ein Foto in dem Post zeigt einen vermummten Hamas-Kämpfer | |
| neben einer älteren Israelin im Rollstuhl. Der Kommentar auf dem geteilten | |
| Bild: „Die Siedler-Oma scheint das nicht zu stören lmfao“. Die Abkürzung | |
| „lmfao“ ist im Internet als Ausdruck von Heiterkeit üblich. Wer | |
| „Dekolonialisierung“ so versteht wie DTP, meint das Ende Israels. Die | |
| Entmenschlichung ist Ausdruck eines linken Antisemitismus. | |
| Amin Husain und eine weitere DTP-Mitgründerin erklären sich auf Anfrage zu | |
| einem Gespräch mit der taz bereit. Fast eine Stunde legen sie ihre Sicht | |
| dar, bestätigen die Positionen, die ihre Gruppe auf Instagram verbreitet. | |
| Später ziehen sie ihr Einverständnis zurück, wollen nicht zitiert werden. | |
| Die Häme über die gefangene alte Frau im Rollstuhl gefällt über 34.000 | |
| Menschen. Auch bekannte Gesichter der internationalen Kunst-Elite tauchten | |
| auf: eine feministische Kunsthistorikerin und Leiterin eines Museums an der | |
| US-Ostküste sowie eine der weltweit prominentesten internationalen | |
| Ausstellungskuratorinnen. Beide wiesen auf Anfrage ausdrücklich zurück, den | |
| Inhalt des Posts zu unterstützen, und löschten ihre Zustimmung danach. | |
| Als der indigene US-Künstler Nicholas Galanin zwei Tage nach dem | |
| Terror-Anschlag den Instagram-Account des großen New Yorker „Public Art | |
| Fund“ übernehmen darf, empfiehlt er „Decolonize this place“ mit dem Wort… | |
| „Unsere Aufstände sind queer, trans, schwarz, braun, indigen, migrantisch, | |
| palästinensisch und global.“ Die Nachfrage der wochentaz, wie er den | |
| Widerspruch erklärt, dass die Hamas Queers mit dem Tod bedroht, beantwortet | |
| Galanin nicht. | |
| Viele Linke in Israel sind dieser Tage enttäuscht von ihren internationalen | |
| MitstreiterInnen, darunter auch schärfste Kritiker:innen der | |
| Besatzungspolitik. So hatten beispielsweise die bekannten israelischen | |
| Friedensorganisationen Breaking the Silence und B’Tselem nach dem Angriff | |
| der Hamas mehrfach den Terror verurteilt und ihre Solidarität mit den | |
| Opfern ausgedrückt. Mitstreiter:innen der Organisationen waren von den | |
| Angriffen direkt betroffen. In den südisraelischen Kibbuzim engagierten | |
| sich viele in der Friedensbewegung – und wurden ermordet. Ein Sprecher von | |
| B’Tselem bestätigt, dass ein ehemaliges Vorstandsmitglied, die 74-jährige | |
| Vivian Silver aus dem Kibbuz Beeri, vermutlich nach Gaza entführt wurde. | |
| Silver ist auch bei Women Wage Peace aktiv. Wie die Jüdische Allgemeine | |
| berichtet, gehört sie zu Freiwilligen, die seit Jahren kranke Kinder aus | |
| Gaza an der Grenze abholten und zur Behandlung in israelische Krankenhäuser | |
| fuhren. | |
| Auch Yasmin, eine in Israel und Deutschland lebende Künstlerin, ist | |
| enttäuscht über die linke Szene. Sie kommt aus dem Punk, versteht sich als | |
| linksradikal, queer, feminististisch – und ist Jüdin. Mit ihrem echten | |
| Namen will sie nicht genannt werden. „Für mich ist die linke Kunstszene | |
| kein Safe Space“, sagt Yasmin. „Es gibt die aktuelle Situation und es gibt | |
| auch BDS.“ Die Kampagne Boycott, Divestment and Sanctions will, dass auch | |
| israelische Akademiker:innen und Künstler:innen boykottiert werden | |
| – unabhängig von ihrer politischen Position. | |
| „Wenn es um Antisemitismus geht, kann ich nicht auf Solidarität zählen“, | |
| sagt Yasmin. Das belaste sie. „Es ist eine alte Angst von Juden in der | |
| Diaspora: dass der Freund und Nachbar dich fallen lässt.“ Auch sie sei in | |
| Israel gegen die Besatzungspolitik auf die Straße gegangen, ebenso wie | |
| gegen die rechtsradikale Regierung. Aber in der aktuellen Situation nun | |
| gegen „Dekolonialisierung“ zu demonstrieren? An vielen Stellen im | |
| Kunstbetrieb säßen heute Menschen, die postkolonial dächten – und dann für | |
| alle vermeintlich Unterdrückten gleichermaßen unkritisch Partei ergriffen. | |
| Yasmin nennt das „positiven Rassismus“. | |
| Ein solches Verständnis antiimperialistischen Befreiungskampfes sieht sie | |
| „nahe der Blut-und-Boden-Theorie“ des Faschismus. Die Hamas sei eine | |
| brutale islamistische Organisation, „die mich, die uns Juden töten will. | |
| Denen ist die Lösung des Konflikts nicht wichtig.“ Das müssten die Leute | |
| endlich verstehen. | |
| 28 Oct 2023 | |
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| [4] https://youtu.be/PV5uwnk0uPw?si=jExWgvM7jZMF3yBL | |
| [5] /Sprache-und-Sein-von-Kuebra-Guemueay/!5657101 | |
| [6] /Attentat-von-Hanau/!5942097 | |
| [7] /Kritiker-von-Israels-Besatzungspolitik/!5472591 | |
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