# taz.de -- Buch über linken Antisemitismus: Tradierter Hass | |
> Olaf Kistenmachers Studie zur Judenfeindschaft in der KPD der Weimarer | |
> Republik erzählt auch viel über den gegenwärtigen Israelhass. | |
Bild: Kistenmacher hat systematisch „Die rote Fahne“, das Organ der KPD aus… | |
Im Zuge der [1][antiisraelischen Proteste an den Universitäten ist das | |
Problem des linken Antisemitismus] wieder in den Fokus einer breiteren | |
Öffentlichkeit gerückt. Während so mancher Konservative die Linke pauschal | |
des Antisemitismus bezichtigt, verweisen viele Linke geradezu | |
spiegelbildlich darauf, Judenhass sei ausschließlich ein rechtes Phänomen | |
und die Gleichsetzung von Israelkritik mit Antisemitismus unerhört. | |
Anstatt dieses Spiegelspiel mitzuspielen, hat der [2][Historiker Olaf | |
Kistenmacher] kürzlich einen instruktiven Band vorgelegt, der sich der | |
„anarchistischen und kommunistischen Kritik der Judenfeindschaft in der KPD | |
zur Zeit der Weimarer Republik“ widmet. Das ist äußerst bescheiden | |
formuliert, denn eigentlich geht es um viel mehr, nämlich eine Aufarbeitung | |
und Offenlegung antisemitischer Traditionslinien in der Linken. | |
Zwar ist Kistenmacher nicht der Erste, der sich dem Thema widmet, doch | |
gerade weil er sich auf einen relativ kurzen Zeitraum konzentriert, ist | |
seine Analyse erfrischend prägnant. | |
Wie in seiner 2016 erschienenen Dissertation basiert Kistenmachers | |
Untersuchung auch im vorliegenden Band – neben vielen anderen Quellen – | |
auf einer systematischen Auswertung der KPD-Zeitung Rote Fahne. Beim linken | |
Antisemitismus handele es sich nicht um gelegentliche Ausrutscher, sondern | |
um ein grundlegendes Problem kommunistischer Theorietraditionen. Insofern | |
ist Kistenmachers Studie zwar historisch, hat aber ebenso mit unserer | |
unmittelbaren Gegenwart zu tun. | |
## „Kettenhund des englischen Imperialismus“ | |
Wenn die Rote Fahne schon 1925 den Zionismus als „Kettenhund des | |
englischen Imperialismus“ geißelte, so war das bereits ein Ausdruck genau | |
jener antiimperialistischen Ideologie, die auch heute noch trotzkistische, | |
stalinistische und postkolonialistische Israelfeinde in den | |
Gaza-Encampments beseelt. | |
Der Antizionismus der Komintern ging so weit, zeigt Kistenmacher, dass | |
sogar die antijüdische Gewaltserie im Mandatsgebiet Palästina, der 1929 | |
insgesamt 133 vor allem nichtzionistische Juden zum Opfer fielen, von der | |
Roten Fahne als Aufstand „gegen die Hintermänner des Zionismus“ | |
gerechtfertigt wurde. „Die Schläge, die die arabischen Eingeborenen gegen | |
die zionistische Bourgeoisie und den zionistischen Faschismus in | |
Palästina“ führten, so die KPD-Zeitung, seien gleichzeitig „Schläge gegen | |
England“ und damit legitim. | |
Kistenmacher thematisiert neben diesem Antiimperialismus auch einen | |
antisemitischen Antikapitalismus, der in einer Fetischisierung der Arbeit | |
gründe. Zugleich zeigt er auf, dass solche ideologischen Verirrungen immer | |
schon auch von links kritisiert wurden. Eingeschränkt positiv hebt der | |
Autor Rosa Luxemburg, Clara Zetkin und Leo Trotzki hervor, denen er | |
zumindest ein temporäres Problembewusstsein bescheinigt. | |
Noch größer ist aber seine Bewunderung für anarchistische Autoren wie Franz | |
Pfemfert, Emma Goldman, Alexander Berkman und Rudolf Rocker. Am | |
interessantesten ist sicherlich die detaillierte Auseinandersetzung mit | |
unbekannteren Autoren wie etwa dem tschechoslowakischen Kommunisten Otto | |
Heller, der 1931 das Buch „Der Untergang des Judentums“ veröffentlichte, | |
oder mit Joseph Berger, einem führenden Funktionär der Kommunistischen | |
Partei Palästinas (PKP). | |
## Gegenwärtige Ereignisse verstehen | |
Eine zentrale Erkenntnis des Buches lautet, dass der linke Antisemitismus – | |
insbesondere der gegen Israel gerichtete – nicht auf die Erinnerungs- und | |
Schuldabwehr nach dem Holocaust reduziert werden darf, sondern „an | |
Vorstellungen anknüpfen“ kann, „die lange vor dem Zweiten Weltkrieg | |
bestanden“. Insofern hilft Kistenmachers Buch auch, die gegenwärtigen | |
Ereignisse besser zu verstehen. | |
Es bleibt zu hoffen, dass auch jene, [3][die heute gegen den | |
„Apartheidstaat Israel“ und den „zionistischen Siedlerkolonialismus“ | |
wettern], sich einmal selbstkritisch mit der Geschichte des linken | |
Antisemitismus befassen. Kistenmachers Buch könnte ein guter Einstieg dafür | |
sein. | |
25 Jun 2024 | |
## LINKS | |
[1] /Antisemitismus-an-US-Eliteunis/!5977408 | |
[2] /Buch-ueber-den-Fall-Rosenberg/!5377337 | |
[3] /Ueber-Philosophy-for-Palestine/!5969264 | |
## AUTOREN | |
Philipp Lenhard | |
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