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# taz.de -- Linksliberale und die Hamas: Welche Linke?
> Die Sympathie linker Intellektueller mit der Hamas hat mit Freiheit,
> Gleichheit und Brüderlichkeit wenig zu tun. Nicht alle lassen sich
> blenden.
Bild: Pro-Palästina-Protest am 26. Oktober in New York
Anlässlich der kaum erträglichen Solidaritätsbekundungen von
Intellektuellen, die in der öffentlichen Debatte links verortet werden,
heißt es, „die Linke“ habe kollektiv versagt. Einspruch: Da muss man schon
genauer sagen, wer damit gemeint ist. Die organisierte Parteilinke, [1][die
sich in Deutschland gerade selbst abschafft]. Die sozial-emanzipatorischen
Bewegungen, [2][die ganz diverse Ziele verfolgen].
Eine diffuse „linksliberale Öffentlichkeit“, für die dann prominente
Sprecher wie [3][Slavoj Žižek] oder [4][Judith Butler] stehen sollen, die
eine antisemitisch und genozidal ausgerichtete Terrorgruppe mehr oder
weniger in ihren Kampf gegen das Empire einschließt. Was bitte soll daran
links sein? Die Linke steht in der parlamentarischen Sitzordnung seit dem
frühen 19. Jahrhundert für Freiheit, Gleichheit und Solidarität und gegen
alle Verhältnisse, „in denen der Mensch ein erniedrigtes, ein geknechtetes,
ein verlassenes, ein verächtliches Wesen ist“ (Karl Marx).
Das tat die als Partei, Gewerkschaft und Genossenschaft organisierte
Arbeiterbewegung im Kampf gegen kapitalistische Ausbeutung. Das ergänzten
neue soziale Bewegungen um andere, im linken Mainstream vernachlässigte
emanzipatorische Ziele, darunter die Gleichstellung der Frauen und
ethnisch-kulturellen Minderheiten sowie heute vor allem die sexuelle
Selbstbestimmung.
Auf diesen Fundamenten machten diverse Strömungen der Linken, deren
Hauptunterschiede die legitime Anwendung von Gewalt und die Zulassung
innerer Demokratie waren, Politik. Hier hat sich schon in der
Sozialdemokratie des 19. Jahrhunderts und vor allem in den kommunistischen
Flügeln ein autoritäres Kommandomuster durchgesetzt, das den proklamierten
emanzipatorischen Zielen völlig entgegenstand. Stalinismus und Maoismus an
der Macht waren die logischen Endstufen dieses totalitären Umschlags.
## Blankoscheck für Antiamerikanismus
Dagegen hat sich im 20. Jahrhundert eine „zweite Linke“ gebildet, die
antiautoritär und antitotalitär gesinnt war und die Grundpfeiler
pluralistischer Demokratie anerkannte. Und mit Blick auf die ökologische
Problematik sagte man einem idealisierten Proletariat Adieu. Die aktuelle
Verwirrung und Verirrung, die in der Hamas-Freundlichkeit zum Ausdruck
kommt, hat ihre Vorgeschichte.
Der Geburtsfehler der nach 1945 unter dem Motto „Nie wieder Krieg, nie
wieder Faschismus“ versammelten Linken bestand in der Negation der
„westlichen Werte“ von Demokratie und Menschenrechten, die es dem
Sowjetkommunismus leicht machte, politische und soziale Proteste im Westen
zu kapern. Gewiss waren die westlichen Bündnisse – Nato, EWG – gerade im
Hinblick auf den fortbestehenden Kolonialismus, das Wettrüsten und eine
neoliberale Wirtschaftspolitik problematisch.
Aber das hätte kein Blankoscheck für einen kruden Antiamerikanismus und
nationalneutralistische „Dritte Wege“ sein dürfen, die im organisierten
Pazifismus von den 1950er bis in die 1990er Jahre ([5][und heute wieder in
Hinsicht auf die Aggression gegen die Ukraine]) zur faktischen Allianz mit
(sowjet)russischen Zielen führte – ganz abgesehen vom unsäglichen
Schulterschluss westlicher K-Gruppen mit der [6][maoistischen Diktatur in
China] und Terrorregimen in Südostasien.
Dahin führte die problematische Auslegung der faschistischen Vergangenheit,
die in den 1990er Jahren ethnische Säuberungen in Bosnien geschehen ließ,
weil einmal die Wehrmacht in Serbien Unheil angerichtet hatte. Zwar hieß
die Parole „Nie wieder Krieg, nie wieder Auschwitz!“, aber eine aktive
Verhinderung genozidaler Vernichtung war darin nicht einmal eingeschlossen,
als nach 1990 wieder Juden deren bevorzugte Ziele wurden.
## Wende vom Klassen- zum Kulturkampf
Hier wirkt die Erbschaft des „Tiersmondisme“ fort, der uneingeschränkten
Parteinahme für antikoloniale Bewegungen, die auch nicht zerfiel, als sich
diese Befreiungsbewegungen mit Russland und China verbündeten und in
Staatsklassen verwandelten, die ihre Völker ausplünderten und
malträtierten.
So haben viele linke „Antiimperialisten“, die aus nachvollziehbaren Gründen
Solidarität mit dem palästinensischen Volk bekunden wollten, die Augen
verschlossen vor einem anfangs in der PLO und dann vor allem in ihren
radikalen Abspaltungen weit verbreiteten, letztlich exterministischen
Judenhass. Diese Verirrung hat wiederum mit der verhängnisvollen Wende vom
Klassen- zum Kulturkampf zu tun, die Linke seit den 1970er Jahren vollzogen
haben.
Vom überfälligen „Adieu au Prolétariat“ (André Gorz) war schon die Rede,
aber die Konsequenz hätte nicht sein dürfen, soziale
Ungleichheitsverhältnisse „intersektional“ aufzuspalten, womit
Identitätsfragen – bekanntlich die Domäne des Ethno-Nationalismus der Neuen
Rechten! – ins Zentrum rückten. Die diversen Anliegen des „Patchworks der
Minderheiten“ sind durchaus berechtigt, aber dass (identitär gesprochen)
nur noch Betroffene für sich sprechen sollen, hat der übergreifenden
Solidarität der Bürger- und Menschenrechtsbewegungen die Basis entzogen.
Das Durchschlagen linken Antisemitismus in der [7][BDS-Bewegung] gegen den
„Apartheidstaat“ Israel, im in der französischen Linken sehr verbreiteten
„[8][Islamo-Gauchisme]“, der die Irrtümer des Tiersmondisme fortsetzt und
nun zur verdrucksten oder ganz offenen Sympathie mit der Hamas steigert,
ist eine moralische Bankrott-Erklärung. Aber nicht pauschal „der Linken“,
die sich von der genozidalen Politik Russlands und der Islamisten nicht
durchweg täuschen lässt.
Putin und die Hamas verfolgen ähnliche exterministische Ziele und machen
sich die Naivität eines abstrakten Antifaschismus und Antiimperialismus
zunutze. Sie verraten sämtliche Grundprinzipien von Freiheit, Gleichheit
und Brüderlichkeit und wollen dafür sorgen, dass die Ukraine und Israel von
der Landkarte verschwinden und die dort lebenden Menschen erniedrigt,
geknechtet, verlassen und verächtlich gemacht werden.
6 Nov 2023
## LINKS
[1] /Neuaufstellung-der-Linkspartei/!5968247
[2] /Propalaestinensische-Demonstrationen/!5968257
[3] /Debatte-auf-der-Buchmesse/!5963830
[4] /Essay-von-Judith-Butler/!5968242
[5] /Die-deutsche-Linke-und-Russland/!5913842
[6] /K-Gruppen-in-Westdeutschland/!5553224
[7] /BDS-Beschluss-im-Bundestag/!5734301
[8] /Debatte-ueber-Islamo-Gauchismo-in-Frankreich/!5752291
## AUTOREN
Claus Leggewie
Daniel Cohn-Bendit
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Israel
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