| # taz.de -- Debatte auf der Buchmesse: Die Anerkennung des absolut Bösen | |
| > Bei der Eröffnung der Frankfurter Buchmesse sorgte Slavoj Žižek mit | |
| > seiner Rede für Tumulte. Tags darauf wurden die Verbrechen der Hamas | |
| > diskutiert. | |
| Bild: Slavoj Žižek bei seiner Rede zur Eröffnung der Frankfurter Buchmesse | |
| Hamas ist eine islamistische Organisation. Wer das nicht wahrhaben will, | |
| versteht nicht, was vor knapp zwei Wochen im Süden Israels geschehen ist. | |
| „Kämpfer“ ist als Bezeichnung für diese Leute ein schändlicher Euphemism… | |
| Aber selbst sie als Terroristen zu bezeichnen, ist noch dazu angetan, den | |
| Charakter ihres Verbrechens gegen die Menschheit, ihre genozidale Kampagne | |
| gegen jüdisches Leben zu vernebeln. Die Hamas-Einsatzgruppen haben ganze | |
| Familien, Junge und Alte, Großmütter und Babys ermordet, sie haben sie | |
| erschossen und bei lebendigem Leib verbrannt. | |
| Wer meint, hier zeige sich blinder Hass, geboren aus der Unterdrückung, | |
| lügt sich in die Tasche. [1][Und wem nichts Dümmeres einfällt, als von | |
| „Befreiungskampf“ und „Dekolonisierung“ zu reden, macht sich mit dem | |
| Verbrechen gemein.] | |
| Der Islamismus ist eine totalitäre Ideologie, parallel zum Faschismus | |
| entstanden, mit dem er wesentliche Elemente teilt. Seine Theoretiker und | |
| Anhänger hassen die Moderne, sie hassen die Emanzipation der Frauen, sie | |
| hassen Homosexuelle, sie hassen die freie Gesellschaft. Die Verkörperung | |
| und gleichzeitig Chiffre für die verhasste Moderne sind die Juden, die | |
| vernichtet werden sollen. Das Verbrechen der Hamas folgte diesem Programm. | |
| Man darf annehmen, dass auch [2][Slavoj Žižek] das weiß, auch wenn er es in | |
| seiner Rede anlässlich der Eröffnung der Frankfurter Buchmesse am Dienstag | |
| nicht erwähnt hat. Israel habe jedes Recht, sich gegen einen solchen | |
| Angriff zu verteidigen, sagte Žižek und ordnete den Massenmord in das | |
| Hamas-Programm ein, Israel zu vernichten, aber es ging ihm um etwas | |
| anderes: Wer zu analysieren und zu kontextualisieren versuche, werde dieser | |
| Tage kritisiert. Die Palästinenser seien am Eröffnungsabend der Messe nur | |
| einmal erwähnt worden. | |
| Falsche Behauptung | |
| Dann sagte der Theoretiker viel Richtiges, aber nichts, was nicht schon oft | |
| gesagt worden wäre über die Besatzung palästinensischer Gebiete, über das | |
| ethnonationalistische Programm der derzeitigen israelischen Regierung, die | |
| – nebenbei bemerkt – längst den Rückhalt der Mehrheit der Israelis verlor… | |
| hat. Weswegen Žižeks Behauptung, nun habe die brutale und mitleidlose | |
| Attacke von Hamas innerisraelisch die Reihen geschlossen, falsch ist. | |
| Am Mittwoch trafen sich im Veranstaltungszelt der Buchmesse auf Einladung | |
| von PEN Berlin der österreichische Schriftsteller Doron Rabonivici, der | |
| israelische, in Deutschland lebende Autor Tomer Dotan-Dreyfus und der in | |
| einem Kibbuz im Süden Israels geborene Leiter der Bildungsstätte Anne | |
| Frank, [3][Meron Mendel] zusammen, um über das Grauen des antisemitischen | |
| Pogroms zu sprechen, wie Moderatorin Esther Schapira es formulierte. | |
| Meron Mendel hat einen Jugendfreund verloren, Kinder von Freunden wurden | |
| ermordet. Es sei vermutlich richtig, dass das Massaker kontextualisiert | |
| werden müsse, sagte Mendel. Es falle ihm aber schwer zu kontextualisieren, | |
| wenn er an den Freund denke, mit dem er früher Basketball gespielt habe. | |
| Ihn treibe etwas anderes um: „Mir fehlt gerade die Anerkennung des absolut | |
| Bösen – ohne Wenn und Aber.“ | |
| Symbole absoluter Unmenschlichkeit | |
| Die drei Kibbuzim, die im Süden Israels zerstört worden sind, seien Symbole | |
| der absoluten Unmenschlichkeit. Deren Namen, Kfar Aza, Be’eri oder Nahal | |
| Oz, müssten für sich stehen – „ohne dass Žižek mir erklären muss, dass… | |
| kontextualisieren soll: Über Kfar Aza, Be’eri und Nahal Oz gibt es nichts | |
| zu diskutieren.“ Doron Rabinovici bekräftigte, Hamas sei es nicht darum | |
| gegangen, die Besatzung zu beenden oder einen Kompromiss zu erzwingen. | |
| Teile der Linken hätten einen „merkwürdigen Reflex, wenn es um jüdisches | |
| Leben geht“. | |
| In diesem Zusammenhang sagte Rabinovici einen Satz, der einigen in den | |
| Ohren klingeln müsste: „Es gibt Momente, da ist es klüger, nicht so klug zu | |
| sein.“ | |
| Einen so klugen wie leider nicht selbstverständlichen Satz hatte Žižek tags | |
| zuvor formuliert: „Wer sagt, man könne nicht für beide Seite gleichzeitig | |
| kämpfen, hat seine Seele verloren.“ Möglicherweise als Antwort darauf | |
| machte Rabinovici das Dilemma, dem sich der jüdische Staat gegenübersieht, | |
| am Beispiel von Shakespeares Shylock deutlich: „Ja, der Jude soll sein | |
| Recht bekommen. Soll ein Pfund Fleisch herausreißen, aber ohne einen | |
| Tropfen Blut zu vergießen. Wir sind gegen Kriegsverbrechen, aber ich bin | |
| froh, dass ich Schriftsteller in Wien und kein General bin.“ Sein Berliner | |
| Kollege Tomer Dotan-Dreyfus sprach von existenzieller Angst. Israel als | |
| sicherer Hafen für Juden habe es ihm erlaubt, in Berlin zu leben. Diese | |
| Gewissheit sei zerstört worden. | |
| 18 Oct 2023 | |
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| ## AUTOREN | |
| Ulrich Gutmair | |
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