# taz.de -- Nach dem Massaker in Israel: In diesen Tagen | |
> Wegschauen, relativieren, hassen: Jüdinnen:Juden sind weltweit | |
> bedroht wie seit der Shoah nicht mehr. Warum sehen das so viele nicht? | |
Bild: Nach dem Terrorangriff nahe dem Kibbuz Kfar Aza | |
Wie viel leichter das Leben doch sein muss in diesen Tagen, wenn man jene | |
Fotos und Videos aus Israel nicht gesehen hat. Junge und Alte, verbrannt | |
bei lebendigem Leibe. Zerteilte Körper. | |
Wie viel leichter das Leben doch sein muss in diesen Tagen, wenn man die | |
Angst in den Gesichtern derer, die misshandelt, vergewaltigt und | |
verschleppt wurden, nicht gesehen hat. | |
Da ist der etwa sechsjährige israelische Junge. Er wurde nach Gaza | |
entführt. Ein Video zeigt ihn inmitten palästinensischer Kinder. Sie | |
schubsen ihn, drehen seinen Kopf, lachen. Am Bildrand schwingt ein Stock | |
ins Bild. Ein kleiner Junge, ohne jeden Schutz. | |
Da sind die Schreie der 22-jährigen Amit, die sich als Sanitäterin in einer | |
Klinik in Beari um Opfer kümmerte, als Hamas-Terroristen eindrangen und | |
sie, den Arzt und die Krankenschwester ermordeten, während sie versuchten, | |
das Leben anderer zu retten. Amits Schwester hat die Schreie auf ihrem | |
Handy. | |
## Hypermoral ohne Moral | |
Wie viel leichter das Leben doch sein muss in diesen Tagen, wenn man seine | |
Kinder [1][in Berlin], London oder Paris [2][noch zur Schule schicken | |
kann], weil sie keine jüdische ist. Wenn man keine Angst haben muss, dass | |
sie vor ihrer Schule dem Mob ausgesetzt sein könnten, der sich auf den | |
Straßen versammelt. | |
Wie viel leichter das Leben doch sein muss, wenn man von alldem nichts | |
weiß, nichts wissen muss, nichts wissen möchte. | |
Für das, was den israelischen Opfern angetan wurde, gibt es einen Begriff: | |
Massaker. Doch während es immer mehr Beweise für diese an planvoller | |
Grausamkeit nicht zu übertreffende Entmenschlichung gibt, schaffen es allzu | |
viele, den Judenhass, der die Taten vom 7. Oktober leitete, nicht zu | |
benennen, nicht zu verurteilen, woraus man nur folgern kann, dass in | |
unseren hypermoralistischen Gesellschaften viele ihren moralischen Kompass | |
völlig verloren haben. | |
Die BBC möchte Hamas-Kämpfer, deren Organisation ohne jeden Zweifel eine | |
faschistische ist, nicht mal mehr als Terroristen bezeichnen. Denn, so ein | |
Korrespondent, „jemanden als Terroristen zu bezeichnen, bedeutet, dass man | |
Partei ergreift“. | |
## Täter-Opfer-Umkehr | |
Einige studentische Organisationen in Harvard wussten sehr schnell, was zu | |
tun ist – während in Gaza mehr als 150 israelische Geiseln gefoltert und | |
vergewaltigt werden, gaben sie eine eindeutige Erklärung heraus: „Die | |
unterzeichnenden studentischen Organisationen machen das israelische Regime | |
für alle gewalttätigen Vorfälle verantwortlich.“ | |
Auch wenn die Hamas ermordete Frauen zur Schau stelle, verliere „der | |
Angriff auf die Besatzungsmacht […] nichts an Legitimität“, ließ eine jun… | |
Frau auf einer Palästina-Kundgebung in Leipzig verlauten. | |
Patrice Cullors, Mitbegründerin der Black-Live-Matters-Bewegung, sieht sich | |
gar in den USA direkt von Israel bedroht und sagte vor wenigen Tagen: „Wenn | |
wir uns nicht mutig dafür einsetzen, das imperialistische Projekt namens | |
Israel zu beenden, sind wir dem Untergang geweiht.“ | |
Während also viele Regierungen in aller Welt sich mit Israel und jüdischen | |
Menschen solidarisieren, weil sie sich eventuell sogar an das Versprechen | |
„Nie wieder“ erinnern, toben auf den zentralen Plätzen dieser Welt Menschen | |
ihren Hass gegen Israel und jedes jüdische Leben aus. Jedes jüdische Leben. | |
Denn wer die Massaker der Hamas legitimiert, meint auch die Hamas. Und die | |
meint: „Jeder Jude ist ein Siedler, und es ist unsere Pflicht, ihn zu | |
töten.“ Und: „Das Jüngste Gericht wird nicht kommen, solange Muslime nicht | |
die Juden bekämpfen und sie töten.“ | |
Die BDS-Bewegung findet das wohl okay, denn sie interpretiert den jüngsten | |
genozidalen Terror der Hamas als „schlagkräftigen bewaffneten Aufstand der | |
unterdrückten Palästinenser*innen in Gaza“. | |
## Terror ist nicht Dekolonisation | |
Terror ist Terror. Terror ist nicht Widerstand, nicht Dekolonisation, nicht | |
Befreiung. | |
Jede Relativierung der Hamas und anderer islamistischer Vereinigungen ist | |
antisemitisch, weil der Kern ihrer Ideologie der Hass auf | |
Jüdinnen:Juden ist und zur Vernichtung aller Jüdinnen:Juden | |
aufruft. | |
Würde es wirklich um die Verbesserung der palästinensischen | |
Lebensbedingungen gehen, müsste man zuallererst die Hamas anklagen. Dafür, | |
dass sie Wasserrohre für den Bau von Raketen anstatt für die | |
Wasserversorgung gebraucht. Dafür, dass sie die palästinensische | |
Bevölkerung als Schutzschild benutzt, indem sie ihre Tunnel, Waffenlager, | |
Ausbildungszentren und Zentralen Tür an Tür oder unterirdisch von | |
Kindergärten, Krankenhäusern, Wohnhäusern baut. | |
Dafür, dass sie die Menschen in Anbetracht der israelischen Bombardierungen | |
nicht aus Gaza rauslassen will, so denn Ägypten bereit wäre, seine Grenze | |
zu öffnen. Die Hamas braucht die palästinensischen Opfer für ihre Bilder, | |
ihre Propaganda. | |
## Tradition des Antiimperialismus | |
Was daran verstehen jene, die „Free Palestine from the River to the Sea“ | |
rufen, nicht? Warum solidarisieren sich viele Linke mit einer | |
faschistischen Organisation, auch wenn sie sich selbst als feministisch | |
oder queer sehen? Warum gilt es als progressiv, Israel von der Landkarte zu | |
wünschen? [3][Warum werden Kolonialismus und Shoah erinnerungsökonomisch | |
gegeneinander ausgespielt]? | |
Antworten hierauf liegen im manichäischen Antiimperialismus seit dem | |
Sechstagekrieg 1967, aus dem die Palästinenser:innen als | |
Projektionsfläche Nummer eins für antikoloniale Befreiungskriege | |
hervorgegangen sind. [4][Der Pionier der Holocaustforschung Leon Poliakov] | |
hat detailliert analysiert, wie die Widersprüche, die die Welt spalten, | |
fortan für einen großen Teil der Linken wie auch der Rechten (die | |
herrschsüchtigen Juden) im jüdisch-arabischen Konflikt ein Symbol gefunden | |
haben. | |
Jene Linke wird erklären müssen, was genau sie mit „Free Palestine“ meint… | |
ob sie sich für bessere Lebensbedingungen für Palästinenser:innen | |
einsetzen kann, ohne einem Erlösungsantisemitismus das Wort zu reden. | |
Die Rechte hingegen soll sich hüten, den Terror gegen Jüdinnen:Juden | |
für ihre rassistische Anti-Asyl-Politik zu instrumentalisieren. Der | |
linksliberale [5][Kunst- und Kulturbetrieb] muss aufhören, [6][seine | |
Agitprop-Langeweile hinter einem edgy Antizionismus zu verstecken]. | |
Und die deutsche Mehrheitsgesellschaft mit antisemitischer Grundhaltung, | |
deren Gewissen so leicht wird angesichts eines muslimischen Antisemitismus, | |
sollte endlich verstehen, dass Friedenstauben und ihr Motto „Recht auf | |
Frieden“ Jüdinnen:Juden keinen Schutz bieten. Den aber brauchen sie | |
längst. Wer das nicht sieht, möchte nicht sehen. | |
Anmerkung: In einer früheren Version des Textes war die Behauptung von | |
enthaupteten Babys aufgegriffen worden, die von oberster israelischer | |
Stelle zwar bestätigt, aber sich dann als Falschmeldung herausgestellt hat. | |
17 Oct 2023 | |
## LINKS | |
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## AUTOREN | |
Tania Martini | |
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