| # taz.de -- Nahost-Konflikt an Schulen: Das neue Problemtuch | |
| > Die Berliner Bildungsverwaltung stellt Schulleitungen frei, wann und wie | |
| > sie Palästinensertücher verbieten können. Eltern befürchten | |
| > Diskriminierung. | |
| Bild: Schulen können Palästinensertücher verbieten – wenn sie „den Schul… | |
| BERLIN taz | Berlins Schulen haben ein neues Problemtuch: Die | |
| Bildungsverwaltung hat in einem Schreiben klargestellt, dass Schulen | |
| aufgrund der aktuellen Lage das Palästinensertuch verbieten können – und | |
| damit gehofft, mehr Klarheit zu schaffen. Doch nun kommt von Eltern und aus | |
| der Politik Kritik: Solch ein Verbot sei zu pauschal und diskriminierend. | |
| Mit einem offenen Brief fordern Eltern aus Neukölln die Bildungssenatorin | |
| nun auf, ihre Anweisungen zum Umgang unter anderem mit dem Tragen des | |
| Palästinensertuchs an Schulen zurückzunehmen. In dem Brief, der der taz | |
| vorliegt, heißt es, die Unterzeichner*innen hätten das Schreiben der | |
| Senatorin „mit großem Entsetzen“ zur Kenntnis genommen. Die Anweisungen | |
| haben aus ihrer Sicht „verheerende Folgen“ und seien „diskriminierend“. | |
| „Zu verbieten und Äußerungen zu unterbinden – das kann keine Antwort sein… | |
| sagt Mai Zeidani Yufanyi, die den Brief als Teil der Gruppe Berlin Muslim | |
| Feminists mit initiiert hat. Sie höre auch von jüdischen Eltern viel Sorge | |
| über solche Verbote. | |
| Die Bildungsverwaltung hatte am Freitag [1][Hinweise zum „Umgang mit | |
| Störungen des Schulfriedens] im Zusammenhang mit dem Terrorangriff auf | |
| Israel“ an die Schulleitungen geschickt. Darin heißt es, dass | |
| Handlungsweisen oder Meinungsäußerungen, die „als Befürwortung oder | |
| Billigung der Angriffe gegen Israel“ oder als Unterstützung von Hamas und | |
| Hisbollah verstanden werden könnten, untersagt seien, da sie „den | |
| Schulfrieden gefährden“ würden. | |
| ## Schulfrieden gefährdet? | |
| Darunter können demnach auch Symbole, Gesten und Meinungsäußerungen fallen, | |
| die per se nicht strafbar seien. Als Beispiel führt die Senatorin | |
| „sichtbares Tragen“ des Palästinensertuchs (auch bekannt als Kufiya) an, | |
| Free-Palestine-Sticker und Ausrufe sowie Landkarten Israels mit den Farben | |
| der palästinensischen Flagge. Das sei kein direktes Verbot – Schulen | |
| könnten bei Bedarf aber davon Gebrauch machen, das hätten sich | |
| Schulleitungen gewünscht, betonte ein Sprecher am Montag. | |
| Doch dass die Verbotsmöglichkeiten so im Vordergrund stehen, führt nun zu | |
| viel Widerspruch. Solche „Handlungsweisen und Symbole gefährden in der | |
| gegenwärtigen Situation den Schulfrieden“, heißt es im Schreiben der | |
| Senatorin. Dies rechtfertige die Einschränkung der Meinungsfreiheit, | |
| Schulleiter*innen dürften Symbole und Handlungen auf Grundlage des | |
| Schulgesetzes verbieten. Verdachtsfälle strafbarer Handlungen sollten | |
| Lehrer*innen „unmittelbar der Polizei melden“. | |
| „Ich würde mir wünschen, dass alle Kinder in den Schulen ihre Wut und ihre | |
| Gedanken äußern können und dass dort Menschen sind, die das auffangen“, | |
| sagt Zeidani Yufanyi. Zu Hause gebe es oft keinen Platz, das zu besprechen. | |
| „Problematisch ist auch, dass zurzeit oft jüdisch sein mit einer | |
| Unterstützung israelischer Politik gleichgesetzt wird“, sagt sie. | |
| Den offenen Brief hatten am Montag etwa 150 Einzelpersonen unterzeichnet, | |
| aber auch Initiativen wie die Kampagne für Opfer Rassistischer | |
| Polizeigewalt (KOP), Jeladot.im, eine Empowerment-Initiative für jüdische | |
| Menschen in Neukölln, die Jüdische Stimme für gerechten Frieden in Nahost | |
| und International Women* Space – im Laufe des Tages seien weitere 100 | |
| Unterzeichner*innen dazugekommen, so Yufanyi. | |
| ## Legitime Meinungsäußerung | |
| „Wir machen uns Sorgen um die Kinder“, sagt eine Unterzeichnerin. „Wir | |
| befürchten, dass so eine Vorverurteilung stattfindet, dass das zu | |
| Repressionen an Schulen führt und dazu, dass die Kinder untereinander | |
| gespalten werden.“ Das Palästinensertuch sei kein antisemitisches Symbol, | |
| es zu tragen bedeute keine automatische Israelfeindlichkeit. | |
| Auch der Landesschülerausschuss hatte dem [2][Tagesspiegel gegenüber das | |
| Tragen von Palästinensertüchern] als legitime Meinungsäußerung verteidigt. | |
| Ein Verbot würde nur „den Diskurs weiter anheizen“, sagte der | |
| Schüler-Sprecher. Diskussionen müssten an den Schulen geführt werden, sie | |
| seien „einer der Orte, die alle erreichen“. | |
| „Das Schreiben der Bildungsverwaltung ist kontraproduktiv“, findet auch | |
| Maja Lasić, bildungspolitische Sprecherin der SPD-Fraktion im | |
| Abgeordnetenhaus. „Wir sehen nicht, dass die alleinige optische Darstellung | |
| schon den Schulfrieden stört.“ Das Tragen des Palästinensertuchs etwa werde | |
| erst gekoppelt mit Äußerungen, die die Hamas verherrlichen, zum Problem. So | |
| prüft die Polizei derzeit, ob es auf dem Schulhof des Ernst-Abbe-Gymnasiums | |
| auch Hamas-Rufe gegeben habe. „Das ist auch definitiv ein Anlass, sich | |
| damit kritisch auseinanderzusetzen“, sagt Lasić. | |
| Das Schreiben stelle aber einen direkten Zusammenhang zwischen weit | |
| verbreiteten Symbolen und der Unterstützung der Hamas her. „Aussehen von | |
| Kindern und auch ein Bekenntnis zu Palästina ist nicht dasselbe wie | |
| Verherrlichung von Terror“, sagt Lasić. Das sei problematisch, vor allem | |
| für Kinder, die Familienmitglieder in Gaza hätten oder Verwandte, die dort | |
| umgekommen oder nun in höchster Gefahr seien. | |
| ## Austausch und Reflexion | |
| „Wir müssen einen Raum schaffen, in dem ein Bekenntnis zur Identität | |
| möglich ist und gleichzeitig klar ist, dass Terrorakte zu verurteilen | |
| sind“, sagt sie. „Ansonsten besteht die Gefahr, dass Kinder und Jugendliche | |
| sich genötigt fühlen, auch extremen Äußerungen zuzustimmen um ihre | |
| Solidarität zu zeigen.“ Zielführender sei die finanzielle Stärkung von | |
| Projekten für Demokratiebildung und gegen Antisemitismus. | |
| „Interessanter ist eigentlich der zweite Teil des Briefs der Senatorin, in | |
| dem es um den pädagogischen Austausch geht und wie Schülerinnen und Schüler | |
| zur Reflexion angeregt werden“, sagt Norman Heise, Vorsitzender des | |
| Landeselternausschusses. | |
| „Der erste Schritt ist ja weiterhin, das Gespräch zu suchen, Positionen | |
| auch auszuhalten und zu hinterfragen, woher manche Äußerungen kommen“, sagt | |
| er und dass er sich hier auch Vertrauen in das pädagogische Handeln an den | |
| Schulen wünsche. Erst wenn solche Gespräche gescheitert seien, käme die | |
| Möglichkeit des Verbots, „die ja auch ohne dieses Schreiben vom Schulgesetz | |
| her schon gegeben ist“, sagte Heise. „Es wäre vielleicht geschickter | |
| gewesen, dies in den Vordergrund zu stellen“, sagt er. | |
| In Nordrhein-Westfalen hatte das dortige [3][CDU-geführte | |
| Bildungsministerium bereits am Donnerstag] ein Schreiben an die Schulen | |
| verschickt – und darin deutlich den Fokus auf Austausch und Diskussion | |
| gelegt. | |
| 16 Oct 2023 | |
| ## LINKS | |
| [1] /Nahost-Konflikt-in-Berlin/!5963572 | |
| [2] https://www.tagesspiegel.de/berlin/verbot-von-palastinensischen-symbolen-an… | |
| [3] https://www.schulministerium.nrw/12102023-schulmail-aus-anlass-des-angriffs… | |
| ## AUTOREN | |
| Uta Schleiermacher | |
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