# taz.de -- Israelfeindlichkeit im Westen: Groteske Toleranz | |
> Die Ereignisse des 7. Oktober markieren eine Zeitenwende – auch für | |
> Linke. Wie der Hamas-Terror gegen Israel das Bewusstsein des Westens | |
> verändert. | |
Bild: Historisch belasteter Ort: Pro-palästinensische Demo vor der Münchner F… | |
Seit dem 7. Oktober herrscht eine neue, eine weitere Zeitenwende. Erst | |
jetzt, erst seit es hunderte von Kundgebungen gegen Israel und für | |
Palästinenser gibt, wachen manche in Europa auf. Jetzt erst erkennen einige | |
Europäer, dass der radikale Islam auch auf ihrem Kontinent ein ernstes | |
Problem darstellt. | |
Doch viele – zu viele – stecken weiter lieber den Kopf in den Sand. | |
Politischer Mut ist bekanntlich eine seltene Ressource. Wer glaubt, durch | |
Ignorieren und Verdrängen der Problematik beizukommen, oder durch ein paar | |
Kampagnen für Diversität und Multikulti, der irrt. Der will nicht sehen, | |
[1][dass es eine klare Verbindung gibt zwischen dem Extremismus auf unseren | |
Straßen, vor unseren Haustüren und der radikalen Hamas in Gaza]. | |
Für den linken Fundamentalismus ist es ein Tabu, Islamismus und Terroristen | |
zu kritisieren oder Israel bei der Abwehr gegen den Terror zu unterstützen. | |
Wer das tut, der gilt sofort als „islamophob“ oder auf der Seite „der | |
Unterdrücker“. Latent war die intensive Israelfeindlichkeit der Linken | |
lange vor dem 7. Oktober da. | |
Sie hat sich über mindestens zwei Jahrzehnte entwickelt und radikalisiert. | |
Nach 1945 sah es anders aus. Linke, progressive Deutsche gingen als | |
Freiwillige in die sozialistischen Kibbuzim. Das änderte sich, als Israel | |
1967 den Sechstagekrieg gegen arabische Nachbarn gewann. Israels jüdische | |
Bevölkerung war nicht mehr Opfer, sondern Sieger! Die Sympathien schwanden. | |
Dennoch wäre es bis vor wenigen Jahren im bürgerlichen Milieu undenkbar | |
gewesen, öffentlich judenfeindliche Reden zu halten. Das taten allenfalls | |
Neonazis, radikale Palästinenser oder Islamisten. Heute rufen Tausende | |
Studierende an den besten Universitäten zur Auslöschung des jüdischen | |
Staates auf und bekunden Sympathien für eine autokratisch herrschende | |
Terrorsekte wie die Hamas. | |
## Hetze wie entfesselt | |
[2][Verständnis für den Terror der Hamas findet sich bei Klimaaktivisten, | |
Linksradikalen, Postkolonialen, Islamisten, Migranten, Muslimen, Künstlern, | |
Galeristen, Kuratorinnen, Flüchtlingen bis hin zu professionellen | |
Antirassisten, die mit Antisemitismus kein Problem haben.] Die deutsche | |
Palästina-Szene sieht nicht das Paradox, dass ausgerechnet diejenigen, die | |
sich politisch radikal von ihren Nazi-Vorfahren unterscheiden wollen, sich | |
weigern, judenfeindlichen Terror als judenfeindlichen Terror zu benennen, | |
und stattdessen radikal antisemitischen Islam dulden. | |
Hetze gegen Israel oder Juden scheint seit dem 7. Oktober wie entfesselt. | |
Umso grotesker ist eine woke Ideologie, die Toleranz für Minderheiten | |
fordert, aber selber alles brandmarkt, was von ihrer Moral abweicht. Und | |
noch grotesker, die Fantasie in der Palästina-Solidarität, dass | |
Terrorsekten wie die Hamas auch nur ein Gramm Toleranz für queere Leute | |
hätten. In Gaza wäre eine LGBTQI-Wohngemeinschaft schlicht unmöglich. | |
Diese Widersprüche werden jetzt jedoch schrittweise erkannt. Wer, wie | |
Seyran Ateş oder ich, aus der muslimisch-migrantischen Community heraus | |
Hinweise auf Probleme mit dem radikalen Islam gegeben hat, auf | |
Integrationsdefizite, Parallelgesellschaft oder Clankriminalität, wurde in | |
der linken Szene als „rechtsextrem“ abgetan. Das ändert sich jetzt | |
allmählich. | |
Es wird immer klarer, dass Gruppen, die Hass laut Bekenntnis ablehnen, aber | |
vom Hass auf weiße Menschen leben, auf den „Globalen Norden“, auf | |
Kapitalisten und Polizisten, ein ultraschlichtes, schwarz-weißes Weltbild | |
propagieren. Im Zentrum dieses Weltbildes steht meist ein Ressentiment | |
gegen Juden und Israel. | |
## Imitation des Jargons | |
Der politische Islam nutzt solche Diskurse und imitiert deren | |
„progressiven“ Jargon, um sich ungestört zu verbreiten, Einfluss zu nehmen | |
und latent wirkende Parallelgesellschaften zu etablieren. Hand in Hand | |
feiern Islamismus und Antikolonialismus die Opfermythen der Muslime. [3][So | |
konnten die grausamen Massenmorde des 7. Oktober zum Aufstand der | |
Unterdrückten umgedeutet werden.] | |
Aus dieser Sicht repräsentiert Israel eine „Kolonialmacht“, sind Juden | |
weiße privilegierte Ausbeuter, und der Hass auf Juden ist daher legitim. Da | |
wäre Empathie für ermordete Babys und entführte Kleinkinder nur | |
sentimental. Ein großes Ausmaß an politischer und emotionaler Taubheit ist | |
notwendig, um die Gefahr durch antidemokratische, fundamentalistische | |
Unterwanderung nicht zu bemerken. | |
Noch ist eine Mehrheit in Europa und den USA auf der politischen Ebene | |
bereit, Israel bedingungslos unterstützen. Doch von den Trump-Anhängern bis | |
zu den immer beliebteren Parteien an rechten wie linken Rändern regen sich | |
Stimmen, die diese Unterstützung anzweifeln. | |
Dabei ist die Chance gerade jetzt am größten, der beginnenden | |
Unterwanderung durch fundamentalistische Ideologien entgegenzutreten – | |
jetzt, da sie sich öffentlich entlarven. Wenn SPD-Bundeskanzler Scholz eine | |
klare Rede hält, die Antisemitismus verurteilt, und islamistische Vereine | |
verbieten lässt, während zwei Kilometer vom Bundestag entfernt Parolen | |
gegen Israel und Juden gebrüllt werden, dann ist etwas aus der Balance | |
geraten. | |
## Nichts gesehen, nichts gehört | |
Wenn Stimmen aus Politik, Medien und Zivilgesellschaft „muslimfeindliches“ | |
Klima in Deutschland beklagen, um Muslime nach dem 7. Oktober kollektiv zu | |
Opfern zu erklären, dann haben diese Leute auf der Straße oder beim | |
Fernsehen die Augen zugemacht und nichts gesehen, nichts gehört. Oder | |
wollen sie bewusst Diskurse verschieben und klare Fragen vermeiden, etwa | |
die Frage nach dem Antisemitismus in muslimischen Communitys? | |
Frankreichs Präsident Emmanuel Macron hatte kurz nach dem 7. Oktober eine | |
europäische Allianz gegen die Hamas vorgeschlagen. Inzwischen scheint er | |
unter dem Druck der Straße seine Sprache zu ändern. Er kritisiert Israel | |
scharf und bleibt fern, wenn Solidarität mit Israel demonstriert wird. Es | |
scheint, dass er Krawalle fürchtet. | |
Das Reiz-Reaktions-Schema entspricht dem Kalkül der Hamas – wie im Nahen | |
Osten, so in Europa. Radikale Muslime und verbohrte Linke mobilisieren zum | |
Druck auf europäische Regierungen – ein Paradebeispiel für Unterwanderung. | |
## Einfluss auf den Mainstream | |
Solche Taktiken beschreiben bereits die Schriften der Gründerväter der | |
Muslimbruderschaft. Sie inspirieren ihre Anhänger, wie die Hamas, auch in | |
der Gegenwart. Umso erschreckender, wenn diese Dynamik auch Einfluss auf | |
Mainstream-Politik und akademische Milieus ausübt. Teils werden | |
Islam-Fundamentalisten nicht nur toleriert, sondern sogar als Partner | |
gesehen, mit öffentlichen Geldern unterstützt und vor Kritik auch aus der | |
muslimischen Gemeinschaft geschützt. | |
Die jüdische Gemeinschaft und Israel werden sich der veränderten Weltlage | |
bewusst. Noch haben sie die Unterstützung der USA und anderer europäischer | |
Länder. Der Westen muss sich aber enorm viel mehr Klarheit verschaffen über | |
die Milieus, die vom demokratischen Weg abgekommen sind, in der Politik | |
wie im Bildungssystem, in der Wissenschaft und in Thinktanks. | |
Ein klarer, weitaus wacherer Blick als bisher muss der zukünftigen | |
politisch-wirtschaftlichen Elite gelten, an allen Universitäten, auch an | |
Elite-Institutionen wie Harvard oder der Columbia University. Ebenso gilt | |
das für den Blick auf das Klima innerhalb der migrantischen Communitys. | |
Für Demokratien wird viel davon abhängen, ob der Westen in den Bereichen | |
Migration und Integration die richtigen Weichen stellt. Dabei kommt es | |
darauf an, die Fähigkeit zu Reflexion und kritischen Denken so stark wie | |
möglich zu fördern. Der Prozess der Integration wird auch davon abhängen, | |
ob Israel im Kampf gegen den radikalen Islam erfolgreich sein und diesen – | |
gemeinsam mit anderen Demokratien – weltweit abschrecken kann. | |
Andernfalls könnten die Auswirkungen weit über die Grenzen Israels hinaus | |
spürbar werden – noch deutlicher als bisher auch in Städten wie Berlin, | |
Paris oder Zürich, New York oder London. | |
1 Dec 2023 | |
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## AUTOREN | |
Ahmad Mansour | |
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