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# taz.de -- Geschichte des Antisemitismus: Von der Antike bis zur Documenta
> Der Historiker Sebastian Voigt legt mit „Der Judenhass“ ein gerade jetzt
> wichtiges Buch vor. Es zeigt die Tradition antisemitischer Judenbilder
> auf.
Bild: Nazi-Propaganda: Aus der Ausstellung ‚Der ewige Jude‘ im Berliner Rei…
Der [1][7. Oktober 2023 stellt eine Zäsur in der Geschichte Israels dar].
An diesem Tag starben mehr Jüdinnen und Juden als an jedem andern Tag seit
der Shoah. Paradoxerweise befeuert das Massaker erneut den Judenhass,
dessen Ende einmal mehr nicht absehbar ist.
Bereits vor der militärischen Reaktion Israels wurde weltweit der
[2][Terror der Hamas als „Dschihad“ und „antikolonialer Widerstand“]
begrüßt. Diese Allianz aus Islamismus und postkolonialem Jargon muss
aufhorchen lassen, da die verbindende Klammer einmal eine offene, ein
anderes Mal eine klammheimliche Freude über die Morde an Jüdinnen und Juden
bildet.
In diesem Kontext erscheint das Buch „Der Judenhass. Eine Geschichte ohne
Ende?“ des Historikers Sebastian Voigt. Sein Unternehmen, die Geschichte
des [3][Judenhasses von der Antike bis zur documenta fifteen]
nachzuzeichnen, ist von erschreckender Aktualität.
Der Autor weiß das und fügt dem bereits fertiggestellten Buch ein
bestürztes, wenn auch nicht verwundertes Nachwort bei, das den 7. Oktober
und dessen Folgen thematisiert. So zieht sich die in den Reaktionen auf das
Massaker auftretende Täter-Opfer-Umkehr und die Tatsache, dass sich der
Hass auf Juden von keiner Erfahrung korrigieren lässt, wie ein roter Faden
durch die Geschichte.
Auch wenn der Schwerpunkt des Buches auf dem modernen Antisemitismus in der
deutschsprachigen Welt liegt, beansprucht Voigt, über die Entwicklungen ab
dem 19. Jahrhundert hinaus eine durchaus umfassende Geschichte des
Judenhasses zu schreiben. Wird dieser doch bereits im 5. Jahrhundert v. u.
Z. im Buch Ester erstmalig erwähnt. Hier setzt das Buch an und eilt rasant
auf gerade einmal zehn Seiten in die Neuzeit.
Dieser Zeitspanne ungeachtet gelingt es Voigt, auf wenigen Seiten die
Entstehung antijudaistischer Stereotype wie den Vorwurf des Gottesmordes,
der Hostienschändung oder der mittelalterlichen Brunnenvergiftung plausibel
zu erklären und zu verdeutlichen, wie diese als verschwörungsideologische
Strukturelemente des modernen Antisemitismus fortleben.
## Als minderwertig und überlegen zugleich imaginiert
Gleichwohl schreibt Voigt keine Kontinuitätsgeschichte des Antisemitismus,
wie etwa der Judaist Peter Schäfer in seiner „Kurzen Geschichte des
Antisemitismus“ aus dem Jahr 2020 oder die [4][Auseinandersetzung Tilman
Tarachs mit den christlichen Wurzeln des modernen Antisemitismus] aus dem
Jahr 2022.
Das Buch hebt dagegen ideologiekritisch die widersprüchliche Spezifik des
modernen Antisemitismus hervor, der die Juden als minderwertig und
überlegen zugleich imaginiert. Nur Juden wurden und werden als
Imperialisten und Kommunisten in einer Figur wahrgenommen, wie das zentrale
Kapitel zum Nationalsozialismus zeigt.
Gerade hierin liegt eine Stärke des Buchs. Voigt legt präzise dar, dass der
moderne Antisemitismus gerade wegen seiner flexiblen Anpassungsfähigkeit an
gesellschaftliche Umstände bis heute Bestand hat. Pointiert werden
ideologische Verbindungen etwa des antiimperialistischen Weltbildes eines
linken Antizionismus der 1970er Jahre mit dem von Rechtsterroristen aus den
1980er Jahren nachgezeichnet – Voigt erwähnt auch einen
holocaustrelativierenden Artikel der taz aus jener Zeit.
Nach der Lektüre des Buches sollte es nicht mehr verwundern, warum sich
etwa Mitglieder der RAF und Neonazis der Wehrsportgruppe Hoffmann in
denselben Trainingslagern der PLO ausbilden ließen, warum der FDP-Politiker
Jürgen Möllemann Verständnis für islamistische Selbstmordattentate äußerte
oder warum so viele [5][Nachrufe auf den kürzlich verstorbenen Martin
Walser] so wenig von dessen antisemitischer Schuldabwehr wissen wollten.
Gerade jetzt, wo Rufe nach Kontextualisierung des 7. Oktobers laut werden,
die erstaunlich oft vergessen, jüdische Opfer zu erwähnen, ist das für eine
breite Leser:innenschaft bestimmte Buch von Voigt wichtig. Der Autor
beharrt darauf, dass die Menschen der Geschichte nicht einfach hilflos
ausgeliefert sind, auch wenn sie sich niemals vollständig von ihr lösen
können. Das Buch zeigt die lange Tradition antisemitischer Judenbilder auf
und weist dennoch zu Recht darauf hin, dass ein Ende der Geschichte des
Judenhasses möglich ist. Gegenwärtig befinden wir uns indes noch mitten
darin.
7 Jan 2024
## LINKS
[1] /Essay-zum-Angriff-der-Hamas/!5967960
[2] /Israelfeindlichkeit-im-Westen/!5973283
[3] /Symposium-zur-documenta-15/!5974450
[4] /Geschichte-des-Antisemitismus/!5979123
[5] /Martin-Walser-gestorben/!5683525
## AUTOREN
Daniel Burghardt
## TAGS
Politisches Buch
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Geschichte
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