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# taz.de -- Kulturkampf an den Hochschulen: Unis vor der Zerreißprobe
> An der Berliner Universität der Künste (UDK) polarisiert ein
> antiisraelischer Protest. Jüdische Studierende fühlen sich nicht mehr
> sicher.
Bild: UdK-Präsident Nobert Palz versucht am 13. November mit Studierenden zu d…
Raum 333 soll an diesem Tag ein „Safe Space“ sein. Er bietet nicht viel:
einen runden Tisch, einen Kopierer, aber vor allem eine abschließbare Tür.
Im dritten Stock des Hauptgebäudes der Universität der Künste Berlin (UdK),
unweit des Bahnhofs Zoo, ist die Kammer am Mittwoch (29. November.) für
Studierende reserviert, die sich bedroht fühlen von Antisemitismus. Und von
ihren Kommiliton*innen, die gegen Israel demonstrieren.
Eleni Manolopoulos und drei Mitstudent*innen sitzen am Tisch neben dem
Kopierer und diskutieren: über eine Spaltung an ihrer Uni, über
Studierende, die sich durch Faken News in abgeschlossenen
Social-Media-Blasen blenden lassen. Und sie reden über die Theorie der
Postcolonial Studies, von der sie sich wünschen, dass sie anders gedacht
und angewandt würde. Anders jedenfalls, als Israel einen „weißen
Kolonialstaat“ zu schimpfen.
In ihrer Runde kommen sie aus unterschiedlichen politischen Ecken, aus
verschiedenen Studiengängen und sind nicht alle jüdisch. Alle aber beklagen
eine einseitige Verurteilung Israels. „Wir setzen uns auch für die
Palästinenser*innen ein und sind gegen die rechte Regierung
Netanjahus“, sagt Manolopoulos. Dennoch seien sie Anfeindungen ausgesetzt.
## Furcht vor Übergriffen
Dass sichere Räume nötig wurden, liegt an einer polarisierten Stimmung
[1][nach dem Terrorangriff der Hamas am 7. Oktober,] die wohl viele,
vielleicht alle Hochschulen im Land betrifft und an Kunsthochschulen
besonders einschlägt.
Jüdische Studierende trauen sich teilweise nicht mehr in die Klassen. So
erzählen es die vier in der Runde. Und so bestätigt es auch die Leitung der
UdK. „Das ist total erschreckend und darf nicht sein“, sagt Manolopoulos
„Wir haben an der Uni ein massives Problem mit Antisemitismus.“
Vor allem linke Studierende ergreifen an den Unis derzeit Partei für die
Palästinenser*innen und verweigern dabei teilweise eine Verurteilung
des antisemitischen Terrors. [2][An der UdK waren sie besonders laut und
besonders sichtbar.] Mit rund 4.000 Studierenden, über 70 Studiengängen und
300-jähriger Geschichte zählt sie zu den größten und bedeutendsten
Kunstakademien der Welt.
Eine Aktion vom 13. November brachte der UdK bundesweite Schlagzeilen. Rund
100 Studierende hatten das Foyer des Hauptgebäudes besetzt und ihre Hände
rot eingefärbt. Einige interpretierten das als eine Anspielung auf das Foto
eines Lynchmords an zwei Israelis in der West Bank.
## Geschrei statt Diskussion
UdK-Präsident Nobert Palz versuchte mit ihnen zu diskutieren und wurde fast
eine Dreiviertelstunde lang angebrüllt. Als Palz anhob, die Verurteilung
des Terrors der Hamas müsse der gemeinsame Nenner sein, begann das
Geschrei. Er solle Israel verurteilen, den „Genozid“ und den
„Kolonialismus“.
Stein des Anstoßes für die Protestierenden war eine Erklärung der
Hochschulleitung vom 10. Oktober, in der sie sich solidarisch mit Israel
zeigte. Die UdK landete mit dem Statement auf einer Liste, die weltweit
Kulturinstitutionen danach einteilt, wie sie sich zur „palästinensische
Befreiungsbewegung“ angeblich verhalten.
Die Tabelle kursiert im Netz, ist mittlerweile aber nicht mehr öffentlich
einsehbar. Eine Kopie liegt der taz vor. Mit Stand vom vergangenen Dienstag
gab es 1.042 Einträge. In Zeile 976 steht die UdK in Rot markiert als „pro
zionist“. Davor und dahinter Theater, Galerien, Kollektive und
Kunstakademien aus der ganzen Welt. Auch zu Einzelpersonen kursieren solche
Listen.
Während Manolopoulos und die anderen im dritten Stock ausharren, werden im
Foyer im Erdgeschoss Sitzkissen zum Streik für Palästina ausgebreitet. Eine
Handvoll junger Leute mit Pali-Tüchern verteilt Flugblätter.
## Kritik an Hochschulleitung
An der UdK würden kritische Stimmen unterdrückt, heißt es darin. Die Uni
solle Solidarität für die palästinensischen Opfer zeigen, sich für
Waffenstillstand einsetzen und die Beziehungen zu den Partneruniversitäten
in Jerusalem und Tel Aviv beenden.
Hört man sich an der Hochschule um, so wird klar: Der Krieg in Nahost wird
in den Klassen breit diskutiert – und ausgleichende Stimmen kaum geduldet.
Der taz liegen Auszüge eines Chatverlaufs einer Klasse vor, in der ein
Studierender den Einwand vorbringt, auch die Taten der Hamas und deren
Verantwortung für zivile Opfer zu benennen. Andere in der Klasse haben
dafür kein Verständnis.
Er informiere sich aus falschen Quellen, Israel sei an allem schuld und
keineswegs besser als die Hamas. Der Riss, der sich hier offenbart, geht
nicht nur durch die Studierendenschaft. Auch DozentInnen der UdK
unterstützen den Palästina-Soli-Protest.
„Der Schaden für den Ruf der Institution ist erheblich“, sagt UdK-Präside…
Palz der taz. „Es hat sich gezeigt, dass es inneruniversitäre Strömungen
gibt, die stark ideologisiert sind.“ Insbesondere aus der sich
antirassistisch verstehenden, postkolonialen Ecke hätten Forderungen in den
letzten Jahren auch antidemokratische Tendenzen gehabt.
## Schulung in Demokratie
Palz spricht dabei von Studierenden wie Lehrenden. Sein Programm für das
nächste Jahr: „basale Aufbauarbeit“. Er will verstärkt aufklären über d…
repräsentative Demokratie, eine bessere Medienkompetenz vermitteln und das
Selbstverständnis der Künste in den Blick rücken.
Die Ambiguität des künstlerischen Produkts sei das Instrument, aus dem
Dialog entstehen müsse, und keine polarisierte schwarz-weiß Betrachtung der
Welt, so Palz.
Beim Streik am Mittwoch kommen auf die rund zwei Dutzend ProtestlerInnen
fast ein Dutzend JournalistInnen. Eine junge Frau verliest eine Erklärung
an ihre Mitstreiter*innen. Wer sich unwohl fühle, könne sich an das
Awareness-Team wenden. Und: Wegen der aktuellen „Verleumdungskampagne“
solle man nicht mit der Presse sprechen.
Aufnahmen von MedienvertreterInnen seien nicht gestattet. Stattdessen dreht
ein eigenes Filmteam, mit zwei Kameras und einem großen Puschelmikrofon.
Auch die Protestierenden fordern ihren „Safe Space“.
## Infiltration von Außen?
Etwas im Hintergrund beobachtet Georg Ismael die Szene. Er ist Mitglied der
trotzkistischen Gruppe „Arbeiterinnenmacht“. Auf ihrer Webseite
veröffentlichte die Gruppe am 1. November einen Text mit der Forderung,
Gesetze aufzuheben, „die die Hamas als terroristische Organisation
etikettieren“. Ismael hatte sich schon am 13. November in der UdK zu Wort
gemeldet, war vorher auch bei einem Planungstreffen.
Ihm wird vorgeworfen, mit anderen [3][die Proteste an der UdK von außen zu
infiltrieren]. Ismael weist das gegenüber der taz zurück. Er sei mit
Studierenden an der UdK befreundet, aber nicht an der Organisation
beteiligt.
Die Hamas lehne er „politisch“ ab. Am 13. November sei es emotional
geworden, weil der Uni-Präsident die Trauer der Studierenden um die Opfer
in Gaza nicht anerkenne. Für die Sorge, die jüdische Studierende
verspürten, gebe es keine Grundlage.
## Keine Sicherheit
Für Yoav Halevi ist die Angst hingegen real. Er ist in der Nähe von Tel
Aviv geboren, heißt eigentlich anders und hätte an diesem Mittwoch eine
Veranstaltung im Hauptgebäude gehabt. Wegen des angekündigten Protests
traute er sich nicht hinein. Zwei Stunden später sitzt er in einem
Nachbargebäude, im Kammersaal der musikalischen Fakultät. Er beschreibt
sich als links, erzählt, wie er vor zwei Jahren nach Berlin kam, um Musik
an der UdK zu studieren.
Seine Großmutter hat die Shoa überlebt. Sie hätte ihn vor Deutschland
gewarnt. Er wollte ihr nicht glauben. Und jetzt? „Sicher fühle ich mich im
Moment nur in meiner Wohnung und auf dem Flur meiner Fakultät“, sagt er. In
der Öffentlichkeit spreche er kein Hebräisch mehr, nachdem er vor ein paar
Wochen deshalb angespuckt wurde.
Halevi ist sichtlich erschüttert, als er berichtet, was er vor einer Woche
im Fahrstuhl seiner Fakultät entdeckte. Neben „Gaza“ und anderen
Schriftzügen war da ein durchgestrichener Davidstern. Er zeigt ein Foto.
Der Stern ist klein, aber Halevi fragt sich seitdem, wer alles wisse, dass
er aus Israel stamme.
„Ich hätte nicht erwartet, dass mich die Gefahr an meine Uni verfolgt“,
sagt er. Die Leute, die da demonstrieren, seien überzeugt von der
Propaganda der Hamas.
Auch Verwandte von ihm seien vom Terror des 7. Oktober betroffen. Zwölf
Familienmitglieder und ein Pfleger hätten in einem Keller ausgeharrt. „Im
Kibuz Be’eri, wo es am schlimmsten war“. Vier wurden ermordet, neun als
Geiseln genommen. „Wir sind alle traumatisiert“, sagt Halevi. „Dann kommen
wir zu unserer Uni und hören, wir seien selber schuld.“
1 Dec 2023
## LINKS
[1] /Israel-und-seine-Gegner/!5972476
[2] /Einseitiger-Protest-an-der-UdK-Berlin/!5977251
[3] /Israelfeindlichkeit-im-Westen/!5973283
## AUTOREN
Jean-Philipp Baeck
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