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# taz.de -- Antisemitismus an US-Eliteunis: Nicht ein Wort über die Hamas
> Seit dem 7. Oktober wird Antisemitismus auf dem US-amerikanischen Campus
> sichtbar. Ein einseitiges Weltbild gibt es in der Lehre schon lange.
Bild: Propalästinensische Studierendendemo im November 2023, Columbia Universi…
Noch am 7. Oktober kamen Studierende einer der elitärsten der
amerikanischen Eliteunis zusammen, um ihrer uneingeschränkten Solidarität
mit den Palästinensern Ausdruck zu verleihen. „Wir […] machen das
israelische Regime in vollem Umfang für alle Gewalttaten verantwortlich“,
begannen sie in einer von 34 Organisationen [1][unterzeichneten Erklärung],
entworfen vom Palestine Solidarity Committee.
„Die Massaker in Gaza haben bereits begonnen […]. Das Apartheidregime ist
der einzige Schuldige. 75 Jahre lang hat die israelische Gewalt jeden
Aspekt des palästinensischen Lebens bestimmt […]. Die kommenden Tage werden
einen entschiedenen Widerstand gegen die koloniale Vergeltung erfordern.
Wir rufen die Gemeinschaft von Harvard dazu auf, Maßnahmen zu ergreifen, um
die fortschreitende Vernichtung der Palästinenser*innen zu stoppen“
(Übersetzung G. J.), hieß es weiter, alles wohlgemerkt am 7. Oktober.
Nicht ein Wort von der Hamas. Aber alle Schlüsselwörter des antikolonialen
Kampfes waren benannt, Israel der Apartheid und der Vernichtung der
Palästinenser bezichtigt, und dies an dem Tag, an dem Hamas ein Pogrom
verübte, das nach der Definition der UN-Völkermordkonvention [2][als
Genozid bezeichnet werden kann].
Ein Ausrutscher? Nach einem öffentlichen Aufschrei, auch unter potenziellen
Arbeitgebern des elitären Nachwuchses, insbesondere großer Anwaltsfirmen,
sowie einer Doxing-Kampagne, die die Namen der Unterzeichnenden
veröffentlichte, distanzierten sich einige Mitunterzeichnenden von dem
Statement.
## Unterstützung für die Hamas also
Nur wenige Tage später veröffentlichte die Gruppe Students for Justice in
Palestine der Brown University eine [3][ganz ähnliche Erklärung,]
mitunterzeichnet von 48 anderen Gruppen, in der sie „das israelische Regime
und seine Verbündeten eindeutig für alles Leid und den Verlust von
Menschenleben, ob palästinensisch oder israelisch, verantwortlich macht“
und sich zur „Solidarität mit dem palästinensischen Widerstand gegen die
israelische Besatzung“ bekennt. Unterstützung für die Hamas also.
An vielen Unis fanden schon in der Woche nach dem Massaker Demos statt –
für „den Widerstand.“ Für den 12. Oktober, fünf Tage nach dem Massaker,
riefen die Students for Justice in Palestine zu „Widerstand“-Demos an den
Unis auf und viele folgten.
[4][In ihrem Toolkit feierten sie] die „Überraschungsaktion gegen den
zionistischen Feind“ und betonten, dass „Siedler keine ‚Zivilisten‘ im
Sinne des Völkerrechts sind, da sie militärisch eingesetzt werden, um die
fortgesetzte Kontrolle über gestohlenes palästinensisches Land zu
gewährleisten“.
Eine zweite Runde organisierter Studierendenproteste fand am 25. Oktober
statt. [5][Es kam zu antisemitischen Vorfällen]. Nicht nur dass der
antisemitische Ruf nach ethnischer Säuberung „Palestine will be free, from
the river to the sea“ zu hören und zu lesen war, jüdische Studierende
wurden mancherorts auch körperlich bedrängt und bedroht.
## Davidstern in Mülltonne
Demonstrierende der Cooper Union in New York, die „Free Palestine“
skandierten, schlugen gegen verschlossene Bibliothekstüren, hinter denen
sich jüdische Studierende verschanzen mussten. Bei einem Protest an der New
York University waren zwei Studierende mit Schildern zu sehen, auf denen
„Keep the world clean“ (Haltet die Welt sauber) zu lesen war, daneben eine
Zeichnung eines Davidsterns in einer Mülltonne.
An der Universität von Wisconsin, Milwaukee, riefen Students for Democratic
Society zum Streik auf und betonten in Statements in den sozialen Medien,
dass „Zionismus keinen Platz auf unserem Campus hat“ und verwendeten den
Hashtag „#ZionismOffCampus“. Studierende der George Washington University
projizierten „Glory To Our Martyrs“ and „Free Palestine From The River To
The Sea“ an die Außenwände der Universitätsbibliothek.
Über 100 Studierende der University of North Carolina forderten die
Universität auf, alle israelischen Unternehmen zu boykottieren sowie
„Unternehmen, die Israel unterstützt haben“. Ein Redner an der University
of Washington erklärte: „Wir wollen nicht, dass Israel existiert. Wir
wollen nicht, dass diese zionistischen Gegendemonstranten existieren.“
Auch an der Universität von Minnesota wurde eine Rede gehalten, die
explizit zur Zerstörung Israels aufrief. „Wir müssen die Zerstörung des
imperialistischen zionistischen Regimes als Ziel haben, um eine
erfolgreiche Intifada zu erreichen.“ Worauf die Menge skandierte: „Intifada
bis zum Sieg! Es gibt nur eine Lösung: Intifada, Revolution.“
## Israelis als Bedrohte müssen aus dem Blickfeld
An der Cornell University wurde ein geistig verwirrter Student angeklagt,
weil er gedroht hatte, jüdische Studierende in einem koscheren Restaurant
zu töten. Plakate mit Bildern von den Geiseln, die von der Hamas entführt
wurden, wurden auffallend häufig beschmiert oder heruntergerissen. Dass
Israelis nach wie vor Opfer sind und vom Tod bedroht werden, passt nicht
ins binäre Weltbild und muss aus dem Blickfeld verschwinden.
Auch aus der Professorenschaft gab es wenig Empathie für Israelis. Eine
jüdische Studierende an der Indiana University zeigte mir ein Foto, das sie
aufnahm von einem meiner Kollegen, wie er ein Plakat israelischer Geiseln
herunterriss. Es gab nicht nur Statements einzelner Profs, die das Massaker
rechtfertigten, sondern auch gemeinsam verfasste offene Briefen, denen es
ein Anliegen war, auf das „Recht auf Widerstand“ zu pochen.
Laut einem [6][Brief von 144 Columbia-Professorinnen] und Professoren
„könnte man die Ereignisse des 7. Oktober […] als Ausübung des Rechts auf
Widerstand eines besetzten Volkes gegen eine gewaltsame und illegale
Besetzung betrachten“. An der City University of New York
[7][verharmlosten] mehr als 200 Fakultätsmitglieder das Massaker, das sie
euphemistisch als „Militäroperation der Hamas vom 7. Oktober“ bezeichneten.
Auch die meisten Unileitungen, bei anderen weltpolitischen oder sozialen
Themen, wie etwa dem Krieg gegen die Ukraine oder den antirassistischen
Protesten um George Floyd nicht um deutliche Worte verlegen, taten sich
schwer, das Pogrom in Israel als solches zu benennen und
Solidaritätsbekundungen mit dem „palästinensischen Widerstand“, sprich
Hamas, sowie antisemitische Slogans bei Kundgebungen an ihren Unis zu
verurteilen.
## Reaktion von Uni-Präsidenten nur nach massivem Druck
Zur Verzweiflung jüdischer Studierender und Lehrender bedurfte es
vielerorts erst massiven Drucks von Alumni, Spendern und Politikern, bevor
es ein öffentliches Statement von den Uni-Präsidenten gab, die das Pogrom
der Hamas und auch die antisemitischen Vorfälle auf dem Campus
verurteilten. Wenn Antisemitismus verurteilt wurde, dann oft im gleichen
Atemzug mit „Islamophobie.“ Kritische Nachfragen von außen, etwa von
Politikern, wird von der Professorenschaft als Versuch gedeutet, die
Redefreiheit und Freiheit der Wissenschaft einzuschränken. Darum geht es
jedoch in den seltensten Fällen.
An vielen amerikanischen Universitäten, insbesondere an Eliteuniversitäten,
scheint ein Klima zu herrschen, in dem es schwerfällt, Empathie mit den
jüdisch-israelischen Opfern eines Pogroms zu zeigen und Tat und Täter
unmissverständlich zu verurteilen. „By any means necessary“, wie auf
einigen Plakaten auf propalästinensischen Demos zu lesen war, schließt
Pogrome mit ein.
Wie konnte es dazu kommen? Zwei Faktoren scheinen besonders wichtig zu
sein. Beide sind an Eliteuniversitäten sehr ausgeprägt. Zum einen haben
sich seit den 1960er Jahren in den Geisteswissenschaften zahlreiche
Studiengänge etabliert, die sich dem unter anderem von Edward Said
begründeten Postkolonialismus verpflichtet fühlen, der dem Westen eine
binäre Sichtweise vorwirft, die er aber selbst praktiziert.
Dies führte zur Verbreitung eines dogmatischen und zugleich diffusen
Postmodernismus und Postkolonialismus mit Bezügen zur Kritischen Theorie,
der sich bei einigen Lehrenden und Studierenden zu einem binären Weltbild
verfestigte. Die Welt wird in Unterdrücker und Unterdrückte, in
Privilegierte und Benachteiligte geteilt. Gesellschaftliche Verhältnisse
werden ausschließlich als Machtverhältnisse wahrgenommen, wobei die eigene
Position selbstverständlich als ohnmächtig betrachtet wird – auch an
Eliteuniversitäten. Auch die Wissensproduktion sei nur ein Instrument des
Machterhalts.
## Antisemitismus als meisterhafter Kitt
Widerstand müsse geleistet werden. Gegen wen? Gegen den Imperialismus, den
Staat, das System, heißt es. Gemeint sind aber nicht alle Staaten, nicht
alle Imperialismen, nicht alle patriarchalen Strukturen, zumindest nicht,
wenn sie außerhalb Europas oder Nordamerikas liegen. Die Widersprüche
liegen auf der Hand. Der Antisemitismus bietet sich hier als meisterhafter
Kitt der Widersprüche an.
Interessanterweise geht ein Teil der im Postkolonialismus verankerten
Denkmuster auf die antizionistische Propagandakampagne der Sowjetunion
zwischen 1967 und circa 1988 zurück. Der in dieser Zeit entwickelte
radikale Antizionismus brachte Israel mit Rassismus, Siedlerkolonialismus,
Imperialismus, Faschismus, Nationalsozialismus und Apartheid in Verbindung,
wie Izabella Tabarovsky nachweist.
Die Slogans, die heute auf antiisraelischen Demos zu hören sind, sind denen
von damals frappierend ähnlich, nur dass sie heute im Westen an Eliteunis
und in Massendemonstrationen und nicht nur in linken Splittergruppen
propagiert werden.
Zum anderen zeigt sich der milliardenschwere [8][Einfluss arabischer
Investoren.] Erst durch Saudi-Arabien und nach dem 11. September verstärkt
durch Katar wurden große Summen in den Aufbau zum Beispiel von
Nahoststudienprogrammen investiert, die erfolgreich zur Etablierung
antiisraelischer Positionen in den Nahoststudien beitrugen. Auch der
Einfluss gezielter Propaganda von Organisationen wie BDS und Students for
Justice in Palestine (SJP) ist nicht zu übersehen.
## Bankrotterklärung der Elitenbildung
Ein antizionistisches Weltbild, in dem es nur Unterdrücker und Unterdrückte
gibt und in dem Organisationen wie die SJP nicht kritisiert werden dürfen,
weil sie zu den Unterdrückten dieser Erde gehören, scheint bei einigen
Studierenden und auch in Teilen der Professorenschaft so weit verbreitet
und tief verwurzelt zu sein, dass selbst ein so barbarisches und brutales
Pogrom wie das vom 7. Oktober dieses Weltbild nicht aufbrechen kann.
Diese Weltbilder sind eine Bankrotterklärung der Elitenbildung. Die
Humanität ist durch die Hamas zum Ascheregen geworden, schreibt Elfriede
Jelinek. Der Regen hat es bis an die Eliteunis geschafft.
5 Dec 2023
## LINKS
[1] https://www.thecrimson.com/article/2023/10/10/psc-statement-backlash/
[2] https://docs.google.com/forms/d/e/1FAIpQLSd4lrsDRg3HbJqoAf0BlAe7BHJuzpQB_Le…
[3] https://www.instagram.com/p/CyRiOLyp2Ge/?img_index=1
[4] https://dw-wp-production.imgix.net/2023/10/DAY-OF-RESISTANCE-TOOLKIT.pdf
[5] https://www.adl.org/resources/blog/walkouts-us-colleges-demand-end-aid-isra…
[6] https://docs.google.com/document/u/1/d/e/2PACX-1vSxEIf0j1H6v3R4549yxfetSBy1…
[7] https://docs.google.com/document/d/e/2PACX-1vT1FLJtSCq9kn8uTAwNLlr4V9kkoGWx…
[8] https://isgap.org/follow-the-money/
## AUTOREN
Günther Jikeli
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