# taz.de -- Rechte Kampagne in den USA: Ein Kampf der Narrative | |
> Claudine Gay, die erste Schwarze Präsidentin Harvards, ist | |
> zurückgetreten. Sie hatte sich unklar zu antisemitischen Äußerungen | |
> positioniert. | |
Bild: Claudine Gay bei der Anhörung im Kapitol am 5. Dezember 23 | |
[1][Claudine Gay] ist von der Präsidentschaft der Universität Harvard | |
zurückgetreten. Am Dienstagnachmittag US-Ostküstenzeit veröffentlichte sie | |
einen entsprechenden Brief an den Aufsichtsrat von Harvard. Gay beendete | |
damit eine wochenlange Auseinandersetzung über ihre Person, die mit einer | |
Kongressanhörung zu [2][antisemitischen Vorfällen an mehreren | |
US-Universitäten] begonnen hatte. Gay war die erste Schwarze und erst die | |
zweite weibliche Harvard-Präsidentin in der rund 400-jährigen Geschichte | |
der Elite-Uni. Jetzt ist sie diejenige mit der kürzesten Amtszeit je. | |
So weit sind die Fakten klar – fast. Denn schon die Frage, ob tatsächlich | |
[3][jene Kongressanhörung am 5. Dezember] der Ausgangspunkt für Gays | |
Rücktritt war, ist umstritten. Nach heftigen Auseinandersetzungen über den | |
Israel-Gaza-Konflikt an den US-Unis hatte die republikanische Abgeordnete | |
Elise Stefanik die Präsidentinnen der Universitäten von Pennsylvania, des | |
MIT und eben Harvards in inquisitorischer Manier gefragt, ob es ihrer | |
Meinung nach gegen die Standards ihrer Unis verstoße, wenn auf dem Campus | |
zum Völkermord an Juden aufgerufen würde. | |
Gay, wie auch die anderen Präsidentinnen, verweigerten eine einfache | |
Ja-oder-Nein-Antwort. Kommt auf den Kontext an, sagte Gay[4][. Die 90 | |
Sekunden aus der 6-stündigen Sitzung gingen viral.] Gay entschuldigte sich | |
später, sagte, das hätte sie besser beantworten müssen – aber der Schaden | |
war angerichtet. Liz Magill, die Präsidentin der University of | |
Pennsylvania, trat am 9. Dezember zurück. „One down, two to go“, schrieb | |
Stefanik, eine Trump-Anhängerin, die am 6. Januar 2021 gegen die | |
Bestätigung des Wahlsieges von Joe Biden stimmen wollte, da auf Twitter. | |
Nur einen Tag nach Magills Rücktritt setzte eine Kampagne ein, die Gay | |
vorwarf, sowohl in ihrer Dissertation von 1997 als auch in einigen ihrer | |
später veröffentlichten wissenschaftlichen Publikationen plagiiert zu | |
haben. Sie habe ganze Sätze, mitunter nur leicht abgewandelt, aus anderen | |
Publikationen übernommen, ohne das kenntlich zu machen, so der anonym | |
lancierte Vorwurf. Harvard nahm sich dessen an und kam nach einigen Wochen | |
zu dem Schluss, zwar gäbe es ein paar nicht ganz der Form genügende | |
Zitierungen, das sei aber weit unterhalb des Plagiat-Vorwurfes anzusiedeln. | |
Auch die Urheber der mutmaßlich abgeschriebenen Originaltexte winkten ab. | |
## Das hat geklappt | |
Dennoch ging damit die Debatte weg vom Vorwurf ungenügenden Vorgehens gegen | |
Antisemitismus zu sehr viel Grundlegenderem: War Claudine Gay, so der | |
Vorwurf von rechts, niemals aufgrund ihrer wissenschaftlichen Leistungen, | |
sondern nur als Schwarze und Frau an den Posten gekommen? | |
In die Öffentlichkeit getragen wurden die Plagiatsvorwürfe zuerst von | |
Christopher Rufo – einem Rechtsaußen-Aktivisten gegen „Wokeness“, der als | |
Berater von Floridas Gouverneur Ron DeSantis dafür gesorgt hatte, den Kampf | |
gegen das Aufnehmen der Critical Race Theory in die Lehrpläne zur | |
nationalen konservativen Sache zu machen. Am 19. Dezember schrieb Rufo auf | |
X, vormals Twitter: „Wir haben die Plagiatsgeschichte von rechts initiiert. | |
Der nächste Schritt ist, sie in den linken Medienapparat einzuschmuggeln, | |
also das Narrativ für linksliberale Akteure legitim zu machen, die die | |
Macht haben, sie zu stürzen. Dann zuziehen.“ Gays Rücktritt zwei Wochen | |
später suggeriert: Das hat geklappt. | |
Es ist tatsächlich ein Kampf der Narrative. Für viele Linke ist Gay das | |
Opfer eine rechten und rassistischen Mobbing-Kampagne gegen die erste | |
Schwarze Havard-Präsidentin. Für Rechte ist Gay überhaupt nur an den Posten | |
gekommen, weil die Uni den Anspruch an Diversity, equity, and inclusion | |
(DEI – Vielfalt, Gleichberechtigung und Inklusion) über akademische | |
Qualifikation gestellt habe. Für viele jüdische Akademiker*innen waren | |
ihre uneindeutigen Aussagen bei der Kongressanhörung ein Schlag ins | |
Gesicht. Für andere, wie den langjährigen Präsidenten der jüdischen | |
Campus-Vereinigung Hillel, [5][Bernie Steinberg], zeigt sich in der | |
gesamten Diskussion ein schrecklicher Missbrauch des | |
Antisemitismusvorwurfs, der zu Inquisitionen im Stil der McCarthy-Ära | |
führe. | |
Vermutlich war Claudine Gay tatsächlich nicht mehr zu halten – die Rechte | |
kann hier einen Triumph feiern. Aber es gibt keinen Grund anzunehmen, dass | |
sich Elise Stefanik, Christopher Rufo oder auch der im Hintergrund | |
agierende Financier Bill Ackman damit zufriedengeben. Sie werden nicht | |
ruhen, bis African-american studies, Gender Studies oder alles, was sie als | |
Wokeness diskreditieren, aus den Unis verbannt ist. | |
3 Jan 2024 | |
## LINKS | |
[1] /Antisemitismus-an-US-Unis/!5978865 | |
[2] /Linker-Antisemitismus/!5966630 | |
[3] /Ruecktritt-von-Liz-Magill/!5975935 | |
[4] https://www.youtube.com/watch?v=tgO_1RWeQFw | |
[5] https://www.thecrimson.com/article/2023/12/29/steinberg-weaponizing-antisem… | |
## AUTOREN | |
Bernd Pickert | |
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