| # taz.de -- Deutsche Kulturszene und Hamas: Unerträgliches Schweigen zur Gewalt | |
| > Die deutsche Kulturszene ist sonst um keine Positionierung verlegen. Doch | |
| > nach den Gräueln der Hamas gab es kaum Solidaritätsbekundungen mit | |
| > Israel. | |
| Bild: Zwie Soldaten inspizieren ausgebrannte Autos auf dem Festivalgelände in … | |
| Das sonderbare Schweigen der deutschen Kulturszene zu den von der Hamas | |
| begangenen Gräueln an der israelischen Zivilbevölkerung lässt sich wohl mit | |
| keiner passenderen Vokabel als „dröhnend“ beschreiben. Nach einem | |
| Wochenende der pogromhaften Gewalt und Enthemmung in Nahost blieben die | |
| Social-Media-Accounts großer kultureller Institutionen, Organisationen und | |
| Bühnen nahezu unisono still. | |
| Das in einer Branche, deren Vertreter:innen ansonsten um keine | |
| Solidarnote, um keine noch so schnelle und eindeutige Positionierung oder | |
| Empörungsgeste verlegen sind. „Haltung zeigen“, heißt es hierzu oft im | |
| Kulturbetrieb samt seinen anhängigen zivilgesellschaftlichen Bündnissen und | |
| Aktivistengruppen. | |
| Nun sollte man einem Gegenüber nicht jedes Schweigen grundsätzlich als | |
| negativ auslegen. Angesichts der im Namen der Palästinenser von der Hamas | |
| begangenen, schier unaussprechlichen Taten ist ein vorläufiges Innehalten | |
| menschlich nur allzu nachvollziehbar. Wäre es. Würden sich unter der | |
| kollektiven Atempause des Betriebs nicht bereits erste intellektuelle | |
| Verrenkungen seines Personals sichtbar machen. | |
| Ein in der hippen Kunst- und Theater-Bubble gern geteilter Text der | |
| vergangenen Tage, stammend aus der Feder der visuellen Künstlerin und | |
| Designerin Tasnim Baghdadi, hält fest, dass die Annahme, die Hamas handle | |
| im Namen des palästinensischen Befreiungskampfes, ein Missverständnis sei, | |
| das Tragische an der Sache sei jedoch, dass den Palästinensern „keine | |
| andere Wahl bleibt, nachdem sie 16 Jahre lang eingesperrt und bombardiert | |
| wurden“. Ihre Bemerkungen bei Instagram schließt die Zürcher Künstlerin | |
| parolenhaft: „End the occupation and free Palestine.“ | |
| ## Mit verklemmtem Gestus | |
| Die im Kunst- und Kulturzirkel zumeist kommentarlos, mit verklemmtem Gestus | |
| geteilten Sharepics Baghdadis muten objektiv betrachtet mindestens | |
| relativierend an. Aus der Perspektive von Israelis und aus der vieler | |
| Jüdinnen und Juden in Deutschland dürften sie sich vollends empathiebefreit | |
| lesen. Ein schonungsloser Blick auf das Vorgehen der Hamas, das von der | |
| Künstlerin an anderer Stelle noch als „messy“ bezeichnet wird, tut in | |
| diesem Kontext doch dringend not. Die Hamas-Schergen schlachteten im | |
| Wortsinn mindestens 260 Besucher:innen des Raves eines Musikfestivals | |
| im Negev [1][ab]. | |
| In der Manier von NS-Einsatzgruppen zogen die schwerbewaffneten Enthemmten | |
| durch Gemeinden südlich von Gaza von Haus zu Haus und töteten Familien, | |
| Kleinkinder, Greise. Sie spuckten auf ihre Leichen, schändeten sie und | |
| verhöhnten ihre Opfer. Sie brandschatzten, vergewaltigten und richteten in | |
| den Kibbuzim Be’eri und Kfar Aza eine Gräueltat von so ungeahntem Ausmaß | |
| an, dass sie wohl nicht zu Unrecht als Butscha Israels in die | |
| Geschichtsbücher eingehen wird. Durchs Netz flirren derweil fortgesetzt | |
| Bilder, deren Inhalte so entmenschlichend und grausam sind, dass man sie an | |
| dieser Stelle nicht einmal drucken kann. | |
| Angesichts dessen wirken Relativierungen, abstrakte Distanznahme und | |
| oftmals bemühte Beide-Seiten-Argumentationen toxisch. Vollends enthemmt | |
| zeigen sich Accounts wie @radikalbehindert, hinter dem eine österreichische | |
| Aktivist:in steht, bestens vernetzt in Kulturkreisen. Ihr Post, | |
| abgerufen am 9. Oktober, nur zwei Tage nach dem Beginn des | |
| Islamistenterrors, zeigt die Illustration eines Gleitschirmfliegers, auf | |
| dessen Fallschirm eine palästinensische Flagge prangt – eine Anspielung auf | |
| Hamas-Kräfte, die sich mutmaßlich per Luftweg über die gesicherten | |
| Grenzanlagen hinwegsetzten. Unter dem Bild in englischer Sprache folgender | |
| Satz: „So sieht Dekolonisierung aus. Das ist es, was eine Revolution | |
| braucht. So sieht Landverteidigung aus.“ | |
| ## Markante Slogans | |
| Das ikonografische Bild im Radikalenchic in die Welt gesetzt hat eine – | |
| laut Accountauskunft – Ökologin und Heilerin für „dekolonisierende Medizi… | |
| mit 160.000 Follower:innen. Der Nichteingeweihten seltsam anmutende Duktus | |
| ist dabei bezeichnend für das im Kulturbetrieb verbreitete Paradigma | |
| postkolonialer Theorie. Antiwestliche Ausdeutungen liefern mitunter die | |
| philosophische Grundierung für markante Slogans wie „From the river to the | |
| sea, Palestine will be free“, „Decolonize Israel“ oder „Yalla intifada�… | |
| (Inzwischen hat sich die Bloggerin von ihrem Post distanziert und | |
| angekündigt, zum Thema fortan zu schweigen.). | |
| Es nimmt in der Hinsicht nicht wunder, dass die beiden [2][ehemaligen | |
| Documenta-Kuratoren Reza Afisina und Iswanto Hartono] die antiisraelischen | |
| Proteste auf dem Hermannplatz am Tag des Überfalls der Hamas auf Israel auf | |
| ihren Social-Kanälen begrüßten. Oben genannte Slogans liefern die verbale | |
| Steilvorlage für die hemmungslos ausagierte Gewalt palästinensischer | |
| Attentäter. Dessen sollten sich eigentlich auch die Funktionäre großer | |
| Kultureinrichtungen und -institutionen bewusst sein, die 2020 im Rahmen der | |
| Initiative GG5.3 Weltoffenheit einen pathosreichen Bühnenauftritt | |
| hinlegten, der ihr allzu [3][hilfloses Ringen mit der | |
| Israel-Boykottbewegung BDS] samt dazugehörigem Bundestagsbeschluss | |
| offenbarte. | |
| Diesen Vertreter:innen sollte man für ihr aktuell mehrheitliches | |
| Stillhalten gar nicht mal eine niedere Motivlage unterstellen. Es genügt | |
| der schlichte Verweis darauf, was im Kreise von Festivalleitungen, | |
| Kurator:innen und Programmer:innen gern hinter vorgehaltener Hand | |
| artikuliert wird, was dem/der Journalistin beim Bier an der Theaterbar | |
| bedeutsam zugeraunt wird, im Hintergrundgespräch oder „off the record“, wie | |
| es so schön heißt. Namentlich zitieren lassen würde sich keine:r. | |
| Israelsolidarische Positionierungen, heißt es oft, seien schlichtweg nicht | |
| möglich, da sonst der Kreis aus Mitstreiter:innen, Friends und Allies | |
| abtrünnig werde und man sich im schlimmsten Fall Boykotte einhandle, | |
| zuvorderst von Künstlerinnen und Künstlern aus dem Globalen Süden. | |
| ## Haarsträubende Überzeugungen | |
| Sorry, aber das ist einfach Humbug. Und auf weirde, patriarchale Weise auch | |
| eine Bevormundung der so Assoziierten. Dass in einzelnen, aber nicht | |
| wenigen queer-feministischen Gruppen, intersektionalen Bündnissen und | |
| migrantischen Koalitionen haarsträubende antizionistische wie | |
| antisemitische Überzeugungen vorherrschen, ist offenkundig und kann und | |
| darf bei den Kulturoffiziellen angesichts von Dimension und Ausmaß der | |
| gegen Israelis gerichteten Gräuel nicht zum Wegducken und zur Konfliktscheu | |
| führen. | |
| Nicht in Ausflüchte und schon gar nicht ins Schweigen. Es gilt nun, mit | |
| jenen palästinensischen Stimmen in Dialog zu treten, denen weiter an einer | |
| friedlichen Freiheitsbewegung gelegen ist – auch wenn man die mit der Lupe | |
| suchen muss. | |
| Dabei wäre, um in der deutschen Öffentlichkeit und im kulturellen | |
| Anti-Israel-Mainstream anzuecken, nicht einmal Mut nötig. Courage, wie sie | |
| die Anhänger des Teheraner Fußballvereins FC Persepolis beweisen. | |
| Angesichts von Regimeanhängern, die aus Unterstützung der Hamas | |
| Palästinafahnen schwenkten, skandierten sie: „Schiebt euch die | |
| palästinensische Fahne in den A****.“ Man muss sich die derbe Sprache der | |
| Fans im Azadi-Stadion nicht zu eigen machen, um die erlesene moralische | |
| Klarsicht ihrer Sprechenden auszumachen. Angesichts der bestialischen | |
| Zäsur, die die Ereignisse vom 7. Oktober darstellen, fehlt eine solche | |
| Klarsichtigkeit den hiesigen Kulturleuten – Stand jetzt – eklatant. | |
| 15 Oct 2023 | |
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| ## AUTOREN | |
| Chris Schinke | |
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| Claudia Roth | |
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