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# taz.de -- Forscher fordern Boykott Israels: Gaza-Krieg polarisiert Unis
> Eine schwedische Universität verbietet „politische Manifestationen“. Und
> 953 Forscher aus 5 Ländern fordern einen Boykott israelischer
> Hochschulen.
Bild: Stcockhom, Schweden 14.10.2023: Protest mit Palästina-Fahne für die Men…
Stockholm taz | Der Krieg im Gaza-Streifen polarisiert auch die Debatte an
skandinavischen Universitäten. Die Direktion der Technischen Hochschule
Chalmers in Göteborg fasste Anfang dieser Woche einen Beschluss, den ein
Kommentar in der Tageszeitung ETC „surrealistisch“, ein anderer in
Expressen „faszinierend“ findet.
Zum „Schutz der Sicherheit für Studenten und Angestellte“ und mit der
Begründung so „die Universität als Platz für Ideenaustausch sichern“ zu
wollen, wurden alle „politischen Manifestationen“ auf dem Campusgelände
verboten. Gemeint sei damit, „[1][dass sich Menschen versammeln und
politische Ansichten so äußern], dass der Passant die Botschaft nicht
übersehen oder überhören kann, und dazu gehört auch die Plakatierung“.
Was war geschehen, dass man meint, die Meinungsfreiheit von 10.000
StudentInnen und 3.000 Hochschulangestellten so beschränken zu müssen?
Vor zwei Wochen hatten sich 25 StudentInnen aus Solidarität mit den
BewohnerInnen Gazas zu einer Schweigeminute vor dem Gebäude der
Studierendenvertretung versammelt, ein Tischchen mit Kerzen aufgestellt und
Unterschriften für die Forderung gesammelt, dass Chalmers die
Zusammenarbeit mit Universitäten stoppen solle, die mit der israelischen
Militärindustrie zusammenarbeiten.
## Viel Kritik am Rektor der TU Göteborg
Alles sei ruhig und friedlich abgelaufen, bestätigte die
Chalmers-Pressesprecherin Karin Wik gegenüber der lokalen Göteborgs-Posten:
Es habe keine Klagen gegeben, niemand habe sich gestört gefühlt. Allerdings
sei für Sanktionen wie die, für die Unterschriften gesammelt wurden, nicht
Chalmers, sondern die schwedische Regierung der richtige Adressat.
Warum also dieser in Schweden bislang beispiellose Schritt, den Kommentare
von der linken Flamman bis zum liberalen Dagens Nyheter nun als Angriff auf
die akademische Freiheit und die demokratischen Grund- und Freiheitsrechte
von StudentInnen und Universitätsangestellten kritisieren?
In Diktaturen und autoritären Staaten seien solche Methoden ja an der
Tagesordnung, meint Dagens Arena. Während ETC Orwells 1984 bemüht, von
einem „prinzipiellen Dammbruch“ spricht und appelliert: Wer nun nicht
Widerstand leiste „riskiert sein Engagement aufzuschieben, bis es zu spät
ist“. Und für Dagens Nyheter beweist dieser Schritt von Chalmers-Rektor
Martin Nilsson Jacobi vor allem, dass der „seinen Auftrag nicht verstanden
hat“.
## Vergleich mit totalitären Staaten
Wenn Chalmers sich von China, Nordkorea und Saudi-Arabien inspirieren
lasse, sei dies zwar schon schlimm genug, meint Expressen. Wenn Schwedens
Bildungsminister Mats Persson aber auch noch Beifall klatsche, wenn man
„eine der ältesten und für die Demokratie zentralsten Formen des
Gedankenaustausches verbiete“, müsse man schon fragen, ob die Politik das
Ziel verfolge Schweden zu einem Land „voller Ängstlicher, Unwissender und
politisch Desinteressierter“ zu machen.
Persson hatte sich vor einem Jahr ausdrücklich gegen jegliche
Zensurversuche ausgesprochen: „Eine Universität ist nicht irgendein Ort.
Kritik, Infragestellen und offene Diskussionen sollten hier an der
Tagesordnung sein. So hat es in einer liberalen Demokratie auszusehen.“
Aber damals war es auch um Cancel Culture gegangen.
Nun begrüßte er das Chalmers-Verbot ausdrücklich. Universitäten sollten
sich nämlich „auf ihren Kernauftrag konzentrieren“. Außerdem habe es
jüdische StudentInnen gegeben, die sich „unbehaglich“ gefühlt hätten. Und
Schwedens Jüdischer Zentralrat habe sich beunruhigt darüber gezeigt,
[2][dass Manifestationen für Gaza als Unterstützung für den Hamas-Terror
aufgefasst werden könnten].
Die Vermutung, die Schweigeminute habe einen antisemitischen Hintergrund
gehabt oder der Hamas-Unterstützung gelten können, weist Sara Nihad, eine
der MitveranstalterInnen der Manifestation, als „völlig ignorant“ zurück:
„Alle, die uns kennen, wissen, dass es überhaupt nicht um das jüdische Volk
geht. Hier geht es um das besetzte Volk Palästinas.“
## Hochschuldozenten für Boykott israelischer Unis
Die Forderung nach einem Boykott der Zusammenarbeit skandinavischer
Forschungseinrichtungen mit akademischen Institutionen Israels „bis Israel
seinen Krieg gegen Gaza beendet und seiner illegalen Besetzung und
Apartheidsherrschaft in Palästina ein Ende setzt“, ist auch [3][Teil einer
Solidaritätserklärung für Gaza], den 939 ProfessorInnen und
wissenschaftliche MitarbeiterInnen an Universitäten und Hochschulen
Dänemarks, Schwedens, Norwegens, Finnlands und Islands am Mittwoch
veröffentlicht haben.
Wobei die UnterzeichnerInnen ihren Aufruf als Antwort auf einen [4][offenen
Brief der palästinesischen Birzeit-Universität] verstehen, in dem
internationale akademische Institutionen aufgefordert wurden, gegen „den
völkermörderischen Krieg gegen das palästinensische Volk und den
israelischen Siedlerkolonialismus“ zu agieren.
„Wir trauern zutiefst um alle palästinensischen und israelischen
Zivilisten, die seit dem 7. Oktober getötet wurden, und wir sind entsetzt
über die Gewalteskalationen der letzten Wochen, die fatale Folgen für das
Leben so vieler Zivilisten hatten“, heißt es in dem nordischen Aufruf.
## Forderung nach Ende des kolonialen Denkens
Wobei man nun nicht mehr einfach schweigend zusehen könne, „wie der
israelische Staat vor unseren Augen Tausende palästinensischer Zivilisten
tötet“. Es wird ein sofortiger Waffenstillstand, das Öffnen der Grenzen
Gazas für humanitäre Hilfe und der Stopp aller wirtschaftlicher
Investitionen in israelischen Siedlungen auf besetztem Territorium
gefordert.
„Wir verstehen den Kampf für die Befreiung der Palästinenser als einen
inhärenten Teil eines größeren Projekts, bei dem es darum geht,
Unterdrückung und koloniale Gewalt in jeglichem Kontext zu stoppen“ heißt
es abschließend: „Von unserer Position in den nordischen Ländern aus
bedeutet dies auch, [5][mit unserem kolonialen Erbe in Bezug auf Sápmi (
Samenland) und Kalaallit Nunaat (Grönland)] Schluss zu machen. Wir
betrachten diese Kämpfe als zusammengehörend.“
Hinweis: In einer ersten Fassung stand in der Überschrift, dass es um die
Unterstützung der Hamas gehe. Das ist aber nicht der Fall. Wir haben die
Überschrift entsprechend geändert.
17 Nov 2023
## LINKS
[1] https://www.chalmers.se/aktuellt/rektor-kommenterar/inga-politiska-manifest…
[2] https://www.judiskacentralradet.se/single-post/judiska-centralr%C3%A5det-ko…
[3] https://www.information.dk/debat/2023/11/939-forskere-akademiske-medarbejde…
[4] https://progressive.international/wire/2023-10-16-birzeit-university-do-not…
[5] /Zwangssterilisationen-in-Groenland/!5965464
## AUTOREN
Reinhard Wolff
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