# taz.de -- Debatte um Autorin Adania Shibli: Explosives Kulturgut | |
> Die BDS-Vorwürfe gegen Adania Shibli seien haltlos, meint das deutsche | |
> Feuilleton. Doch die Autorin sprach sich mehrfach für einen Boykott | |
> Israels aus. | |
Bild: „Eine Nebensache“ von Adania Shibli am Stand des Berenberg-Verlags au… | |
Eine kleine Auszeichnung zieht weite Kreise. Der mit 3.000 Euro dotierte | |
„LiBeraturpreis“ sollte in diesem Jahr an die in Israel geborene | |
palästinensische Schriftstellerin Adania Shibli gehen. Preisgekrönt wird | |
ihr Buch „Eine Nebensache“, in der die historisch aufgearbeitete | |
Vergewaltigung eines Beduinenmädchens durch israelische Soldaten 1949 im | |
Fokus steht. Ereignet hatte sich das Verbrechen in der Negevwüste nahe dem | |
Kibbutz Nirim, das heute, 74 Jahre später, brutal von Hamas-Terroristen | |
überfallen wurde. | |
Angesichts des Kriegs jedoch entschied sich der den Preis vergebende Verein | |
Litprom dazu, die Verleihung an Shibli auf die Zeit nach der Frankfurter | |
Buchmesse zu verschieben. Eine Entscheidung, die Kritik nach sich zog. So | |
unterschrieben mehrere hundert Autor:innen, darunter etwa Annie Ernaux und | |
Abdulrazak Gurnah, einen offenen Brief, der die Verschiebung kritisierte. | |
Mehrere arabische Verlage und Verlegerverbände haben ihre Teilnahme an der | |
Frankfurter Buchmesse mittlerweile abgesagt. Berichtet wird weltweit. | |
Dass die Preisvergabe kurzfristig verschoben wurde, dürfte auch an der | |
medialen Kritik gelegen haben. [1][In der taz erinnerte Carsten Otte] | |
daran, dass der WDR-Journalist Ulrich Noller aus Protest schon in diesem | |
Sommer aus der den „LiBeraturpreis“ vergebenden Jury ausstieg, da Shiblis | |
Roman ihm zufolge „antiisraelische und antisemitische Narrative“ bediene. | |
Otte kritisierte die Einseitigkeit des Romans, der Israelis als | |
„Vergewaltiger und Killer“ und Palästinenser als Opfer darstelle. Ein | |
Standpunkt, der in nahezu allen großen deutschen Feuilletons für Empörung | |
sorgte. | |
Über „Eine Nebensache“ kann jeder urteilen, wie er mag. Das schmale Buch | |
ist im Handel erhältlich, der Vorwurf der Zensur, der die abgesagte | |
Preisverleihung umweht, ist auch deswegen unsinnig, da der Wirbel um Shibli | |
die Verkaufszahlen deutlich in die Höhe treiben dürfte. | |
## Gesichtslose Soldaten | |
Der Roman ist in zwei Teile geteilt, erzählt aus zwei verschiedenen | |
Perspektiven. Die palästinensische Protagonistin, die den Ereignissen von | |
1949 viele Jahrzehnte später nachspürt, gibt Einblick in ihr Inneres, lässt | |
die Leserin teilhaben an der Angst, die sie angesichts von Checkpoints und | |
Militär empfindet. Gesichtslos, absichtlich unscharf skizziert sind | |
wiederum die israelischen Soldaten von 1949. | |
Wie die FAZ zu dem Schluss kommt, in dem befehlsführenden Offizier | |
[2][einen „ambivalenten Täter“ zu sehen,] ist nicht nachvollziehbar. Dass | |
ein Skorpionbiss die Urteilskraft des Offiziers trübt, ist richtig, und ein | |
Faktor, den nicht nur die FAZ als Beispiel für die angeblich menschliche | |
Darstellung des Isrealis bemüht. Dass auch alle anderen Soldaten das | |
Beduinenmädchen vergewaltigen, ja, sich „eifrig an die Planung machten, wer | |
wie viel Zeit mit dem Mädchen verbringen dürfe“, bleibt indes in den | |
meisten Rezensionen unerwähnt. | |
Ob Motive wie Insekten, die mit Menschen in Verbindung gebracht werden, | |
oder die anzitierte Brunnenvergiftung antisemitische Bildsprache bedienen, | |
sollte sich zumindest fragen lassen dürfen. Was jedoch vor allem für | |
Entrüstung sorgte, ist der von Otte geäußerte Vorwurf, Adania Shibli stehe | |
dem BDS (abgekürzt für Boykott, Desinvestitionen und Sanktionen) nahe. Die | |
Kampagne, [3][die auch im deutschen Kulturbetrieb Fans hat,] ruft dazu auf, | |
„die Besetzung und Kolonisation allen arabischen Landes“ zu beenden – | |
bewusst offenlassend, ob „alles“ nicht vielleicht das gesamte israelische | |
Staatsgebiet einschließt. | |
Dass Shibli sich in der Bewegung engagiert, entspreche nicht der Wahrheit, | |
gibt dazu der Berenberg Verlag zu Protokoll. Und auch im deutschen | |
Feuilleton heißt es, Beweise gebe es – außer einer Unterschrift, die Shibli | |
2019 unter einen vom BDS initiierten offenen Brief setzte, [4][der die | |
Rücknahme des Nelly-Sachs-Preises an Kamila Shamsie anmahnte] – keine. | |
Schlichtweg „herbeifantasiert“ sei der Vorwurf, weiß man in der | |
Wochenzeitung Freitag. | |
## Die Autorin schweigt | |
Adania Shibli selbst kann man in der Sache nicht befragen. Die Autorin, die | |
sich schon anlässlich der von Ulrich Nollers Juryaustritt begleiteten | |
Antisemitismusvorwürfen nicht äußerte, stehe für Interviews gerade leider | |
nicht zur Verfügung, teilt ihre Literaturagentur auf Anfrage mit. | |
Fälschlicherweise hieß es zuerst, die Absage der Preisverleihung sei eine | |
gemeinsame Entscheidung Litproms, der Buchmesse und Shiblis gewesen, dabei | |
war die Autorin darin nicht eingebunden. Wie eine Sprecherin Litproms | |
mitteilte, sei es da im Austausch mit Shibli und ihrem Verlag „unter | |
Zeitdruck leider zu mehreren Missverständnissen“ gekommen. Belege für die | |
„Behauptung“, Shibli sei eine aktive BDS-Unterstützerin, liegen ihnen nicht | |
vor, schreibt Litprom der taz. | |
Doch Shibli hat nicht nur das BDS-Pamphlet zu Kamila Shamsie | |
unterschrieben. Gleich auf der ersten Seite der Google-Suche taucht ein | |
weiteres Dokument von BDS auf. Israel habe ein „Apartheidsystem“ | |
geschaffen, welches „schlimmer ist als alles, was jemals in Südafrika | |
existierte“, heißt es darin. Von „ethnischer Säuberung“ ist die Rede in… | |
2007 veröffentlichten Boykottaufruf. Unterschrieben hat ihn unter anderem | |
Adania Shibli, die übrigens an der renommierten Hebräischen Universität in | |
Jerusalem studierte. | |
„Eine Fehlleistung“ sei das, kommentiert, darauf angesprochen, ein Sprecher | |
der Buchmesse, eine Fehlleistung, die ein „großartiges Stück Literatur“ | |
nicht über Jahre überschatten dürfe. 2011, vier Jahre nach Unterzeichnen | |
des BDS-Aufrufs, diskutierte Shibli bei einer Schweizer Podiumsdiskussion | |
über den Boykott israelfreundlicher Kulturveranstaltungen unter anderem mit | |
Hind Awwad, der Koordinatorin der palästinensischen BDS-Kampagne. Zitieren | |
lässt sich daraus jedoch nicht, da das Video mittlerweile offline genommen | |
wurde. | |
## Philosophieren über „Knallkörper“ | |
Eindeutig positioniert sich Shibli in einem der taz vorliegenden Artikel, | |
den sie in der heute hisbollah-nahen libanesischen Zeitung al-Akhbar | |
publizierte. Der Text ist auf Arabisch noch im Netz zu finden. Der taz | |
liegt eine ins Deutsche übersetzte Fassung vor. Darin schreibt sie über das | |
Toronto Film Festival, das 2009 einen Fokus auf Tel Aviv setzte. | |
Eine Teilnahme an dem Festival, das stellt sie klar, „würde Übelkeit und | |
ein Gefühl fehlender Selbstachtung bei mir auslösen“. Sie wünscht sich, | |
jemand möge etwas tun, „um die israelische Teilnahme dort nicht friedlich | |
über die Bühne gehen zu lassen“. Gegen Ende des Textes philosophiert sie | |
über „explosives Kulturgut“ und „Knallkörper“, die ein arabischer Kü… | |
in Toronto bei sich tragen könnte. | |
Einige dieser die BDS-Nähe der Autorin belegenden Schriftstücke sind | |
mehrere Jahre alt. Shibli, die schon ihren Journalismus-Abschluss mit der | |
Arbeit „Discourse, power, and media coverage of the killing of Palestinian | |
children by the Israeli Army“ erlangte, könnte ihre Meinung geändert haben, | |
heute gemäßigtere Positionen vertreten. Doch warum äußert sie sich dann | |
nicht? Wie der Berenberg Verlag verlauten lässt, habe Shibli die | |
Preisverleihung nutzen wollen, „um über Literatur in diesen entsetzlichen | |
und schmerzhaften Zeiten zu sprechen.“ | |
Ob das Worte des Mitgefühls gegenüber den jüngst von der Hamas getöteten | |
Israelis einschließen würde, ist nicht bekannt. | |
Anmerkung der Redaktion: In einer früheren Fassung war anstelle von | |
„Knallkörpern“ die Rede von „nicht näher definierten ‚Sprengstoffen�… | |
18 Oct 2023 | |
## LINKS | |
[1] /Debatte-um-Autorin-Adania-Shibli/!5965811 | |
[2] https://www.faz.net/aktuell/feuilleton/buecher/darf-man-adania-shiblis-eine… | |
[3] /Deutsche-Kulturszene-und-Hamas/!5963367 | |
[4] /BDS-und-der-Nelly-Sachs-Preis/!5631010 | |
## AUTOREN | |
Julia Hubernagel | |
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