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# taz.de -- Verhältnis zwischen Südafrika und Israel: Schon immer ungleich
> Südafrika hat Israel vor den Internationalen Gerichtshof gebracht. Das
> Verhältnis der Staaten reicht bis zur Geschichte der
> Befreiungsbewegungen.
Bild: 1990: Nelson Mandela umarmt Helen Suzman, ein ehemaliges Anti-Apartheid M…
Eines der [1][kontrovers diskutierten Themen im Vorfeld der kommenden
südafrikanischen Parlamentswahl] im Mai ist die Haltung aller politischen
Parteien zur Israel-Frage. Fast täglich finden propalästinensische
Demonstrationen statt. Der Krieg zwischen der Hamas und Israel hat direkte
Auswirkungen auf Südafrika.
Kürzlich gab es Schüsse vor einer jüdischen Grundschule in Kapstadt. Der
zionistisch orientierte Kapitän des südafrikanischen
U19-Cricket-Nationalteams musste seine Armbinde abgeben. Nicht zuletzt hat
der African National Congress (ANC) den Staat Israel vor den
Internationalen Gerichtshof in Den Haag gebracht, als ersten Staat
überhaupt.
Wie es um die bilateralen Beziehungen bestellt ist, lässt sich auch daran
ermessen, dass derzeit zwischen Israel und Südafrika keine Passagierflüge
verkehren und zudem das südafrikanische Diplomatenkorps aus Tel Aviv
abgezogen wurde.
Der seit 1994 durchgehend regierende ANC ist in der Frage sehr entschieden.
Die Partei unterhält ein internationales Netzwerk ehemaliger und aktueller
Befreiungsorganisationen, das auch die palästinensische Sache umfasst. ANC
und PLO pflegen seit den 1980er Jahren ein strategisches Bündnis.
## Mandela und Arafat
Nach Nelson Mandelas Entlassung aus dem Gefängnis 1990 gehörte Yassir
Arafat zu den ersten Gesprächspartnern. Wenig später zeigte sich Mandela
auf einem internationalen Treffen in ein Palästinensertuch gehüllt, und so
tat es auch der aktuelle Präsident Cyril Ramaphosa im vergangenen Dezember.
Doch wie sich Staaten zueinander verhalten, ist selbstverständlich
keineswegs wesenhaft festgelegt, sondern hat mit aktueller Diskurshoheit zu
tun. Vor dem Sechstagekrieg 1967 hegte der ANC durchaus Sympathien für den
zionistischen Befreiungskampf gegen das britische Empire, welches ehemals
das heutige Staatsgebiet von Israel als auch Südafrika zu seinem
Einflussbereich zählte.
Nelson Mandela orientierte sich beim Aufbau des bewaffneten ANC-Zweigs ab
1961 an den paramilitärischen Einheiten der Zionisten, der Hagana und ihrer
Elitetruppe Palmach. Maßgeblichen Einfluss auf diesen Austausch hatte
Arthur Goldreich, geboren in Johannesburg, der nach dem Zweiten Weltkrieg
Palmach-Mitglied gewesen war. Bei seiner Rückkehr nach Südafrika erwarb
Goldreich mit Unterstützung der Kommunistischen Partei die Liliesleaf Farm
in Rivonia bei Johannesburg.
## Goldreich unterstützt ANC
Jene Farm etablierte sich als Rückzugsort verfolgter ANC-Mitglieder und
wurde zur Planungszentrale ihrer Guerilla-Aktivitäten. Bei einer Razzia in
Liliesleaf flog 1963 der engste ANC-Führungszirkel auf, darunter auch der
jüdische Bürgerrechtler Denis Goldberg, der für den Bau von Sprengsätzen
verantwortlich gewesen war. Farmbesitzer Goldreich flüchtete, als Priester
verkleidet, ins heutige Botswana, die anderen ANC-Militanten wurden im
sogenannten Rivonia-Prozess, gemeinsam mit dem schon früher verhafteten
Mandela, vor Gericht gestellt.
Drei der ANC-Verteidiger im Rivonia-Prozess waren jüdisch, allerdings auch
der Staatsanwalt, der die Todesstrafe für alle Angeklagten forderte. Nach
Druck aus dem Ausland und Mandelas vierstündiger Verteidigungsrede (später
unter dem Titel „I am Prepared to Die“ veröffentlicht), wurde das Strafmaß
auf lebenslänglich festgesetzt. Mandela kam auf der Gefängnisinsel Robben
Island in Haft, während Denis Goldberg in einem Weißen-Gefängnis in
Pretoria verwahrt wurde. Die Segregation fand auch hinter Gefängnismauern
statt.
Seitens der israelischen Regierungen war die Haltung zum Regime in Pretoria
lange Zeit differenziert. Die israelische Außenministerin Golda Meir
verurteilte 1963 vor der UNO-Generalversammlung in New York „Apartheid,
Kolonialismus sowie Diskriminierung aufgrund von Hautfarbe oder Religion“.
Bei der jüdischen Besiedlung Palästinas hatte die sozialistisch orientierte
Kibbuzim-Bewegung ein große Rolle gespielt.
Bis zum Sechstagekrieg 1967 beeinflusste diese kollektivistische
Selbstverwaltungsform auch Israels internationale Positionen. Erst danach
brach der Staat mit dem Ostblock und wandte sich dem Westen zu. Mit dieser
Richtungsentscheidung war auch die Solidarität mit den afrikanischen
Befreiungsbewegungen, die oft einem kommunistischen Impuls folgten,
weitgehend passé. Das individuelle Handeln wich jedoch immer wieder von
dieser offiziellen Linie ab.
## Gandhis Farm „Tolstoi“ bei Johannesburg
Um die Jahrhundertwende waren viele Jüdinnen und Juden aus dem zaristischen
Litauen vor Pogromen nach Südafrika geflüchtet, unter ihnen etwa der
Architekt Hermann Kallenbach, der gemeinsam mit Mahatma Gandhi 1910 die
Farm „Tolstoi“ bei Johannesburg gründete, um ein Leben in Einfachheit und
Gleichberechtigung zu praktizieren.
Die Nürnberger Gesetze des NS-Regimes brachten dann nach 1933 zahlreiche
jüdische Flüchtlinge just in dem Moment nach Südafrika, als der
Afrikaanernationalismus im Land mit dem Hitlerfaschismus zu sympathisieren
begann. Als letztes Flüchtlingsschiff erreichte 1936 der Dampfer
„Stuttgart“ mit mehr als 500 jüdischen Deutschen an Bord Kapstadt,
empfangen von einer antisemitischen Protestdemonstration. Danach legte die
südafrikanische Regierung eine Quote für jüdische Flüchtlinge fest und
erklärte sie sogleich für ausgeschöpft.
Im aufkommenden Kalten Krieg verstärkte sich eine diffuse Identifikation
zwischen Israel und dem weißen Südafrika. Der Beginn der
institutionalisierten Apartheid war im Mai 1948 genau mit der
Staatsgründung Israels zusammengefallen. Südafrika war eines der ersten
Länder weltweit, das Israel anerkannte. Das gemeinsame Gefühl, umzingelt zu
sein, resultierte in enger Abstimmung von Militär und Geheimdiensten.
## Israels später Boykott wegen Apartheid
1976 besiegelten Israels Regierungschef Yitzhak Rabin und sein
südafrikanisches Pendant B. J. Vorster „gemeinsame Ideale“. Und als ein
US-amerikanischer Überwachungssatellit 1979 zwei kurze Lichtblitze über dem
Südatlantik registrierte, war nicht klar (und blieb auch in der Folge
ungeklärt), welcher der beiden Staaten hier einen Atomtest durchgeführt
hatte. Dem internationalen Boykott gegen die südafrikanische Regierung
aufgrund der Apartheidpolitik schloss sich Israel erst 1987 an.
Obwohl die zwischen 1948 und 1994 regierende Nasionale Party grundsätzlich
antisemitisch eingestellt war, galten Jüdinnen und Juden nach der
Apartheid-Nomenklatur in Südafrika als „white“. Die gemeinsame Erfahrung
von Ungleichheit brachte jedoch viele von ihnen dazu, sich für die Rechte
der Schwarzen und gegen das Regime zu engagieren. Unter ihnen auch die
Literaturnobelpreisträgerin Nadine Gordimer, die gemeinsam mit dem
Fotografen David Goldblatt eine Reportage über die miserablen
Arbeitsverhältnisse in den Goldminen veröffentlichte.
Der jüdische südafrikanische Rechtsanwalt Joe Slovo plante aus dem Londoner
Exil bewaffnete ANC-Aktionen, darunter sogar einen Bombenanschlag auf die
Synagoge in Johannesburg, weil diese Regierungschef Botha eingeladen hatte.
Slovos Ehefrau Ruth First wurde 1982 als jüdische Dissidentin in Mosambik
vom südafrikanischen Geheimdienst ermordet. Slovo selbst diente später
unter Mandela als Wohnungsbauminister.
Und noch ein Beispiel unter vielen: Die jüdische Politikerin Helen Suzman
saß in den 1960er und 70er Jahren im südafrikanischen Parlament – als
einzige Frau unter 164 Männern sowie als einzige Abgeordnete der
oppositionellen Progressive Party. Ihre beharrlichen Nachfragen an die
Regierung erzwangen Einblicke in das System, die sonst der Zensur
unterlagen. Auf die Kritik, ihr investigativer Geist schmälere Südafrikas
internationales Ansehen, erwiderte sie: „Es sind nicht meine Fragen, die
peinlich für Südafrika sind – es sind ihre Antworten.“
## Pro-palästinensische Fraktion
Der historische Spalt zwischen israelischer Staatsräson und der
abweichenden Haltung jüdischer Individuen spiegelt sich auch im Südafrika
der Gegenwart. Zur pro-palästinensischen Fraktion in Südafrika zählt der
angesehene bildende Künstler William Kentridge, dessen animierte
Kohlezeichnungen die schmerzhafte Geschichte Südafrikas immer auch im
Verhältnis zu anderen Unrechtsregimen erzählen. Kentridge gehört, gemeinsam
mit hunderten weiteren jüdischen Südafrikanern, zu den Unterzeichnern einer
Protestnote gegen den Gazakrieg.
Von einem Mandela-Denkmal in Greenpoint, dem jüdischen Viertel von
Kapstadt, hing Anfang des Jahres ein „Shabbat against Genocide“-Plakat.
Doch nicht weit von dort, vor der ältesten Synagoge Südafrikas und dem
jüdischen Museum, ist dieser Tage Wachpersonal aufgezogen.
16 Apr 2024
## LINKS
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## AUTOREN
Andi Schoon
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