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# taz.de -- Frank Bösch zu Außenpolitik und Ökonomie: „Beim Schah entschul…
> Frank Bösch hat für sein Buch untersucht, was der Vorrang der Wirtschaft
> in der deutschen Außenpolitik bedeutet. Deals mit Diktaturen waren keine
> Seltenheit.
Bild: Mit deutschem Know-How: Das iranische Atomkraftwerk Busher
wochentaz: In Ihrem Buch zeigen Sie, mit wie vielen Autokratien die
Bundesrepublik seit ihrer Gründung über längere Zeiträume intensiv
kooperiert hat. Normalerweise hebt die Geschichtsschreibung jedoch vor
allem die erfolgreiche Demokratisierung im Rahmen der Westbindung hervor.
Wie passt das zusammen?
Frank Bösch: Lange Zeit legitimiert die Abgrenzung von der DDR und dem
Sozialismus die Kooperation mit antikommunistischen Diktaturen. Viele
Diplomaten und Unternehmen formulierten intern sogar Verständnis für
Militärputsche und Autokraten, die Sicherheit und Ordnung schaffen würden.
Zugleich sind schrittweise die Grundlagen einer [1][„wertebasierten
Außenpolitik“] entstanden. Nachdem unter Adenauer bereits gezielte
Sanktionen gegen sozialistische Diktaturen aufkamen, sorgten öffentliche
Proteste, Medien und NGOs dafür, dass seit 1967 auch verschiedene rechte
Diktaturen außenpolitisch geächtet wurden. Diese Positionen sickerten dann
durchaus in den Bundestag und später auch in die Ministerialbürokratie ein.
Im Prinzip steht jede Demokratie im Umgang mit anderen Staaten vor der
Frage, welches Gewicht ökonomischen, strategischen und moralischen Zielen
beigemessen werden soll. Welche strukturellen Faktoren haben die
Ausgangssituation der BRD geprägt?
Vor allem die starke [2][Fixierung auf eine exportorientierte Wirtschaft].
Insgesamt führte der Vorrang des Ökonomischen zu einer besonders intensiven
Kooperation mit Autokratien – selbst wenn man sich von ihnen distanzierte
und deren Herrscher nicht empfing. Insbesondere unter Helmut Schmidt wurde
der Außenhandel mit vielen Diktaturen intensiviert. Vor allem im Nahen
Osten, aber auch in Lateinamerika. Das ging durchaus gegen Proteste der
USA.
Inwiefern?
Brasilien und [3][der Iran etwa erhielten trotz der US-Proteste deutsche
Atomkraftwerke.] Ebenso baute die Regierung Schmidt die Zusammenarbeit mit
Libyen aus. Libyen wurde zum größten Handelspartner der BRD in Afrika –
obwohl Gaddafi ein unberechenbarer Diktator war, gegen Israel agitierte und
seit dem Münchener Olympia-Attentat 1972 als Unterstützer des
internationalen Terrorismus bekannt war. Wegen des libyschen Öls galt die
Kooperation als unumgänglich. Riesige Hermes-Deckungen sicherten die
Investitionen und den Handel ab. Die USA hingegen bauten in den 1980ern
ihre Sanktionen gegen Libyen aus.
Wie hat die westdeutsche Öffentlichkeit auf die Zusammenarbeit mit dem
Gaddafi-Regime reagiert?
Generell zeigt mein Buch die enorme Wirkung von Protesten. Vor allem
Migrant:innen, Linke, die IG Metall und Studierende haben maßgeblich zu
einem Wandel im Umgang mit Diktaturen wie in Chile, Südafrika, Spanien,
Griechenland oder Südkorea beigetragen. In Bezug auf Libyen ist das jedoch
anders. Die deutsche Linke interessierte sich damals kaum für die dortige
Menschenrechtslage, ebenso wenig für Gaddafis Unterstützung des
internationalen Terrorismus gegen Menschen aus Westeuropa, den USA oder aus
Israel.
Für manche deutsche Linke übte Gaddafis Diktatur sogar eine Faszination
aus.
Gaddafis Inszenierung als anti-westlicher Rebell und seine anti-israelische
Unterstützung der Palästinenser fand damals bei einigen Linken Anklang.
Sein „grünes Buch“ erlangte allerdings nie die Bedeutung von Maos „rotem
Buch“. Auch im bürgerlichen Lager trat kaum jemand für die Demokratie in
Libyen ein. Das lag daran, dass den Ländern im gesamten Nahen Osten und
Afrika meist die Fähigkeit zur Demokratie abgesprochen wurde. Der
öffentliche Druck in Bezug auf Libyen war daher geringer als etwa gegenüber
Griechenland oder Chile.
Internationale Medien skandalisierten die Kooperation mit Gaddafi jedoch
immer wieder. So etwa eine von deutschen Firmen gebaute Chemiewaffenfabrik,
die von der New York Times 1989 unter der Überschrift „Auschwitz im
Wüstensand“ bekannt gemacht wurde. Wie hat die deutsche Bundespolitik ihre
Zusammenarbeit mit dem Diktator öffentlich präsentiert?
Offiziell wurde Zurückhaltung geübt. Schmidt und Kohl lehnten Staatsbesuche
von Gaddafi in Bonn ab. Minister, die mit Wirtschaftsdelegationen nach
Libyen reisten, vermieden Fotos. Informell jedoch arbeitete man eng
zusammen: bei der Freilassung von libyschen Terroristen in der BRD wie auch
in Wirtschaftsfragen. Die Öllieferungen und sehr hohen Hermes-Deckungen
förderten hier eine gewisse Pfadabhängigkeit, so dass eigene Sanktionen
Milliardenverluste für die Wirtschaft und die Steuerzahler bedeutet hätten.
Die internationale Empörung über die Chemiewaffenfabrik führte allerdings
auch zu einem schärferen Außenwirtschaftsrecht. Später schloss sich die
Bundesrepublik im Fall von Libyen häufiger internationalen Sanktionen an.
Auch mit dem Iran verbindet die Bundesrepublik eine lange
Kooperationsgeschichte.
Der Iran ist ein Paradebeispiel für die politische Wirkung von Protesten.
[4][In Deutschland lebten während der Herrschaft des Schahs Reza Pahlavi
viele linke iranische Studierende.] Deren Proteste nahmen an vielen Orten
seit Anfang der 1960er Jahre zu, zunehmend auch im Bündnis mit den 1968ern
und Amnesty International. Öffentlich ging Willy Brandt deshalb auf Distanz
zum Schah. Doch auch hier wurde der Handel massiv ausgeweitet. Wie bei
anderen Diktaturen kam es zwar zu Ausfuhrbegrenzungen für gegen
Protestierende einsetzbare Waffen. Aber dennoch wurden auch heikle Güter
geliefert wie etwa das Atomkraftwerk in Buschehr, das heute im Zuge des
aktuellen Atomstreits regelmäßig in den Medien ist. Auch nach der
Islamischen Revolution 1979 blieben die Verbindungen enger als bei anderen
westlichen Staaten. Der Ölhandel hatte langfristige Verflechtungen
geschaffen – so wie die Pipelines nach Russland.
Der Schah-Besuch 1967 und die Proteste dagegen sind recht gut erforscht.
Welche neuen Erkenntnisse konnten Sie gewinnen?
Etwa, wie der Iran bereits seit den 1950er Jahren massiv versuchte, in der
deutschen Öffentlichkeit zu unterdrücken. Die Bundesregierung hat sich
stark darauf eingelassen und auf Anweisung des Bundespräsidenten, des
Justizministeriums und des Auswärtigen Amtes bei kritischen Berichten
eingegriffen und sogar Strafverfolgungen gegen Journalisten eingeleitet.
Schon früh sorgte die Bundesregierung für Demonstrationsverbote und – auf
Grundlage von Namenslisten durch den Schah – sogar für Abschiebungen von
Regimekritikern. Intern wurde an den Menschenrechtsverletzungen im Iran
kaum Kritik geübt. Vielmehr wurde sich beim Schah sogar für die
Demonstrationen entschuldigt.
Deutlich wird in Ihrem Buch der politische Einfluss von Exilant:innen,
Migrant:innen und sogenannten „Gastarbeitern“. Viele Details dieser
bislang nur unzureichend thematisierten Geschichte dürften vor allem über
eigene Archive und Oral History zu rekonstruieren sein. Ist das nicht auch
ein Schatz für die weitere Forschung?
Tatsächlich ließe sich eine andere Geschichte der Demokratisierung
Deutschlands schreiben, die Migrant:innen als politische Subjekte ernst
nimmt, die ihre Stimme erhoben und gegen Diktaturen in der Heimat kämpften.
Die Bundesrepublik bot ihnen Räume dafür. Sicher waren diese Räume aber
nicht, da Diktaturen wie Iran, Libyen oder Südkorea mit ihren
Geheimdiensten auch in Deutschland Oppositionelle verfolgten. Gleichzeitig
wurde das politische Engagement dieser Menschen zum Teil auch von deutscher
Seite systematisch unterbunden. So machte das neue Ausländergesetz von 1965
Abschiebungen dezidiert möglich, wenn politisches Engagement
außenpolitische Beziehungen gefährdete.
Migrantische Agency, politische Instrumentalisierung, Pfadabhängigkeiten
sowie ein Wechselspiel von Innen- und Außenpolitik gehören auch zur
Geschichte der Grauen Wölfe in Deutschland. Diese heute zweitgrößte
rechtsextreme Bewegung wurde in den 1970er Jahren ganz gezielt als Gegenpol
zu linken „Gastarbeitern“ aus der Türkei aufgebaut. Warum ist das in Ihrem
Buch kein Thema?
Weil ich mich auf Diktaturen im engeren Sinne beschränken wollte, die
keinerlei Machtwechsel durch Wahlen zulassen und den Pluralismus
grundsätzlich unterdrücken. Das war bei der Türkei damals nicht der Fall.
Das Beispiel der Grauen Wölfe unterstreicht jedoch, dass die
Migrant:innen niemals homogene Gruppen waren. Selbstverständlich gab es
auch Iraner oder Griechen, die die Autokratie in ihrem Herkunftsland
unterstützten und sich deswegen auch in Deutschland harte Kämpfe mit ihren
„Landsleuten“ lieferten.
Auch in Zukunft wird die Bundesrepublik mit Diktaturen zusammenarbeiten.
Was lässt sich aus Ihren Recherchen lernen?
Kurzfristig entfalten Sanktionen ihre Wirkung meist nur, wenn sie an sehr
konkrete Forderungen geknüpft werden. So etwa bei der Freilassung von
Gefangenen in Südkorea oder in Chile gegen die Freigabe von Kapitalhilfe.
Eine grundsätzliche Wirkung haben Sanktionen allenfalls langfristig – siehe
etwa Südafrika. Dass seit Ende der 1980er Jahre viele Diktaturen kippten
oder zumindest einlenkten, lag auch an ihrer Isolierung, die mit
Gesprächsangeboten verbunden war. Kooperationen sind in einer
globalisierten Welt unvermeidbar. Aber es ist stets zu prüfen, wie aus
ihnen eine Förderung von Menschenrechten entstehen kann.
29 Feb 2024
## LINKS
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[4] /Islamisten-in-Iran/!5910585
## AUTOREN
Till Schmidt
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