# taz.de -- Deutsches Verhältnis zum Iran: Mit Samthandschuhen | |
> Außenministerin Annalena Baerbock reagiert auffallend zurückhaltend auf | |
> den Tod Mahsa Aminis. Das sendet eine fatale Botschaft an den Iran. | |
Bild: Annalena Baerbock bei einer Podiumsdiskussion am Rande der UN-Vollversamm… | |
Es ist die erste feministische Protestbewegung in der iranischen | |
Geschichte. Diese Bewegung wird nun zur Bewährungsprobe für die | |
Außenpolitik von Annalena Baerbock, [1][die sie ausdrücklich auch | |
„feministisch“ nennt]. Und die Bewährungsprobe legt offen, was für eine | |
Strategie die Bundesregierung gegenüber dem iranischen Regime gewählt hat. | |
Spoiler: keine gute. | |
Auslöser der Proteste [2][war der Tod der 22-jährigen Mahsa Amini nach | |
ihrer Festnahme]. Sie war festgenommen worden, weil ihr Kopftuch nach | |
Ansicht der sogenannten Sittenpolizei nicht „richtig“ saß. Die Proteste, | |
die seit ihrem Tod das gesamte Land erfasst haben, richten sich gegen die | |
systematische Entrechtung von Frauen. Die Protestierenden kämpfen gemeinsam | |
für Menschen- und Frauenrechte – [3][und riskieren dabei ihr Leben]. | |
Von der feministischen Außenministerin kam vier lange Tage nach Mahsa | |
Aminis Tod: nichts. Schließlich äußerte sich Baerbock am Rande der | |
UN-Vollversammlung: Sie erklärte, dass die iranischen Frauen „gehört“ | |
werden müssten, und dass sie nur Rechte einforderten, „die allen Menschen | |
zustehen“. | |
Das ist richtig. Und doch, mehr als moralisch wertvoll klingende Sätze zum | |
Thema Frauenrechte waren bei Baerbocks Statement nicht dabei. Die einzige | |
Kritik, die sie gegenüber dem Regime äußerte: „Diese Botschaft muss endlich | |
bei allen Verantwortlichen ankommen.“ Dass eine solche laue Botschaft bei | |
einem Regime ankommt, das Femizide staatlich verordnet, ist fraglich. | |
Baerbock verkündete außerdem, dass sie den Fall Mahsa Amini vor den | |
UN-Menschenrechtsrat bringen möchte. Auch das ist nicht mehr als Symbolik. | |
Das Gremium hat weder Sanktionierungsrechte, noch besitzt es eine | |
nennenswerte Autorität. | |
Die Bundesregierung ließ verlauten, dass sie „eine rasche und umgehende | |
Untersuchung“ des Tods Mahsa Aminis fordere – was unweigerlich zu der Frage | |
führt: Gibt es in der Bundesregierung eigentlich Menschen, die sich mit dem | |
Iran auskennen? Aufklärung von einem Regime wie dem iranischen zu erwarten, | |
erfordert entweder ein gehöriges Maß an Naivität oder schlicht Unwissen. | |
Propaganda und Lügen sind seit ihrem Bestehen ein fester Bestandteil der | |
Islamischen Republik. Eine Bundesregierung sollte das wissen. Das einzige | |
schärfere Schwert, das bisher gezückt wurde – nachdem es laut iranischen | |
Behörden mindestens 1.200 Festnahmen und laut Nichtregierungsorganisationen | |
mehrere Dutzend Tote gegeben hat –, [4][ist die Einbestellung des | |
iranischen Botschafters.] | |
Die US-Regierung reagierte hingegen noch am Tag von Mahsa Aminis Tod: | |
Sicherheitsberater Jake Sullivan schrieb, dass ihr Tod „unverzeihlich“ sei | |
und man das Regime für solche Menschenrechtsverletzungen zur Verantwortung | |
ziehen werde. Kurze Zeit später verhängte die US-Regierung Sanktionen gehen | |
die „Moralpolizei“. Nur: Warum hält sich dann die Bundesregierung derart | |
mit Kritik zurück? | |
## Es locken Geschäfte | |
Deutschland fasst das iranische Regime traditionell mit Samthandschuhen an. | |
Heute ist Deutschland einer der wichtigsten Fürsprecher des | |
Nuklearabkommens mit dem Iran. Seitdem die US-Regierung unter Donald Trump | |
das Abkommen aufgekündigt hatte, liegt es am Boden. Nun geht es um eine | |
Neuauflage. Deutschland will das iranische Regime durch das Abkommen aus | |
der Paria-Rolle herausholen und die Geschäfte mit dem Iran noch weiter | |
ausbauen. Das Land hat riesengroße Gas- und Erdölvorkommen. | |
Aus den zurückhaltenden Reaktionen der Bundesregierung lässt sich nur | |
schließen, dass man glaubt, Deutschland dürfe die Mullahs nicht zu sehr | |
verärgern, damit diese die Verhandlungen nicht abbrechen. Was für ein | |
Fehlschluss: Die Machthaber brauchen dieses Atomabkommen. Das Regime ist | |
dringend auf Gelder angewiesen, die durch das Abkommen wieder ins Land | |
fließen würden. Gelder übrigens, mit denen sie Armee und Militär weiter | |
aufrüsten wollen – und die sich die Machthaber wie nach dem ersten | |
Nukleardeal 2015 in die eigenen Taschen stecken. | |
Von einer Atombombe hält ein Abkommen das Regime zudem nicht ab. Wie man | |
jetzt sieht, lässt sich die Urananreicherung schnell wieder hochfahren: Die | |
Machthaber können das Abkommen jederzeit aufkündigen und die Anreicherung | |
vorantreiben. In der Zwischenzeit hätten sie ihr Militär dank des Geldes | |
aus dem Westen weiter aufgerüstet und säßen fester denn je im Sattel. Es | |
ist nicht verwunderlich, dass Israel – das am allermeisten von einer | |
iranischen Atombombe gefährdet wäre – weiterhin strikt gegen ein solches | |
Nuklearabkommen ist. Israel schätzt das iranische Regime weitaus | |
realistischer ein als Deutschland. | |
## Kontraproduktives Schweigen | |
Anfang dieser Woche traf sich Rafael Grossi, der Chef der | |
Atomenergiebehörde IAEA, in Wien mit dem iranischen Unterhändler. Die | |
staatliche Nachrichtenagentur IRNA veröffentlichte daraufhin stolz ein | |
Statement auf ihrer Webseite – inklusive eines Handschüttel-Bildes mit | |
Grossi, während im Iran die Protestierenden verhaftet und misshandelt | |
wurden. | |
Selbst wenn das Nuklearabkommen das richtige Mittel wäre: Das | |
De-facto-Schweigen, wie wir es vonseiten der Bundesregierung seit Beginn | |
der Proteste sehen, ist kontraproduktiv. Denn das iranische Regime | |
registriert die Reaktionen der europäischen Staaten genau, vor allem | |
Deutschlands, als wichtigstem Handelspartner. Es weiß, wie weit es mit | |
seinen Menschenrechtsverletzungen gehen kann, ohne allzu große Kritik | |
erwarten zu müssen. Genau deswegen wären klare Worte wichtig. Die Botschaft | |
an das Regime muss lauten: Wir beobachten Euch. | |
Die Leidtragenden sind die Menschen im Iran. Sie sind einem Regime | |
ausgesetzt, das seine Brutalität ungehemmt ausleben kann. Und in Bezug auf | |
die Außenministerin ist sicher: Wenn die Frauenrechtsproteste im Iran kein | |
Fall für eine feministische Außenpolitik sind – dann gibt es keine | |
feministische Außenpolitik. | |
29 Sep 2022 | |
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## AUTOREN | |
Gilda Sahebi | |
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