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# taz.de -- Wahlen im Iran am Freitag: Sie haben die Nichtwahl
> Für viele Iraner könnte der Boykott der einzige Weg sein, um ihren
> Protest bei den Wahlen auszudrücken. Eine junge Frau erklärt ihre
> Entscheidung:
Bild: Menschen gehen an Wahlkampfplakaten für die Parlamentswahlen in Teheran …
Mina Rostami, 26, ist studierte Buchhalterin und lebt in Isfahan. Aus
Sicherheitsgründen heißt sie hier anders. Sie kennt die Namen fast aller
Kandidaten aus ihrer Stadt, weiß aber nicht, wofür sie inhaltlich stehen.
Die meisten halten es nicht für nötig, ein ordentliches Wahlprogramm
auszuarbeiten. Anstatt zu wählen, wird Rostami an diesem Freitag ihre
Wohnung putzen, Deutsch lernen und abends mit Freunden in den Park gehen
und picknicken. Hier erklärt sie ihre Nichtwahl:
Das erste und letzte Mal habe ich 2017 gewählt. Es war die
Präsidentschaftswahl und ich wollte Schlimmeres verhindern. Schlimmeres,
das war für mich [1][Ebrahim Raisi], ein Getreuer des Obersten Führers Ali
Chamenei, einer, der glaubt, dass der Iran den Rest der Welt nicht braucht
und dass islamische Regeln mit Gewalt aufgezwungen werden müssen. Also gab
ich meine Stimme [2][dem Reformer Hassan Rohani]. Er gewann die Wahl, wir
haben Raisi verhindert – aber wie lange?
Heute ist es mir peinlich, dass ich damals überhaupt meine Stimme abgegeben
habe. Ich weiß jetzt: Egal, wen wir wählen, am Ende gewinnen immer die
Getreuen Chameneis. Es ist nur eine Frage der Zeit. Raisi gewann vier Jahre
später, heute ist er unser Präsident und dem Iran geht es wirtschaftlich
und kulturell so schlecht wie nie. Ich selbst habe vor Kurzem meine Arbeit
verloren, weil mein Chef die Firma aufgelöst hat und in die USA emigrieren
will.
Auch wer bei dieser Parlamentswahl gewinnt, steht im Grunde schon fest. Es
stehen nur Konservative zur Auswahl, jeder Kandidat, der die leiseste
Änderung versprochen hätte, wurde im Vorhinein vom sogenannten Expertenrat
aussortiert.
Du kannst dir die Demokratie im Iran so vorstellen: Du und ein Freund wollt
einen Film schauen. Jetzt schlägt dein Freund drei Filme vor, die ihm
gefallen, und sagt: Du hast zwischen diesen Filmen die Wahl! Wer hat in
Wirklichkeit gewählt, du oder er?
## Immer mehr Iraner nutzen das F-Wort
Die Regierung hat in dieser Hinsicht also nichts zu befürchten. Wovor sie
Angst hat, ist eine geringe Wahlbeteiligung. Jahrzehntelang hatten wir eine
sehr hohe Wahlbeteiligung, ich kann mich erinnern, wie mein Onkel 2009
sogar meinen alten und schwerkranken Großvater zur Urne schleppte. Wir
haben damals noch gehofft, dass sich dieses System Schritt für Schritt
durch Reformen öffnen kann.
Das Regime hat die hohe Wahlbeteiligung immer so erklärt, dass sie die
Zustimmung des Volks zum System der Islamischen Republik zeigt. Jetzt ist
also die Nichtwahl die größte Möglichkeit für mich, diesem System eine
Absage zu erteilen. Wenn ich keine Stimme abgebe, ist das eine Stimme gegen
die Islamische Republik, gegen internationale Isolation, gegen die
Ineffizienz und Korruption, gegen die islamischen Sittenregeln.
Ich habe das Gefühl, dass das sehr viele Iraner genauso denken. Bis vor
Kurzem kannte ich Familien, die das System der Islamischen Republik
grundsätzlich unterstützt haben. Sie sagten: Es läuft vieles schlecht, aber
wenigstens sind wir unabhängig von fremden Mächten und haben – im Gegensatz
zu unseren Nachbarländern – Frieden und Sicherheit. [3][Nach den
frauengeführten Protesten von 2022] und der immer schlimmer werdenden
Wirtschaftskrise benutzen auch sie das F-Wort, um dieses System zu
beschreiben.
Protokoll: Teseo La Marca
29 Feb 2024
## LINKS
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## AUTOREN
Teseo La Marca
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