| # taz.de -- Iranische Regisseurin über Zensur: „Sie wollen, dass wir vergess… | |
| > Wer private Filme sammelt, rettet die Geschichten der Menschen. Ein | |
| > Gespräch mit der iranischen Regisseurin Farahnaz Sharifi über „My Stolen | |
| > Planet“. | |
| Bild: Die iranische Filmemacherin Farahnaz Sharifi im Foyer des Kino Internatio… | |
| Die iranische Regisseurin Farahnaz Sharifi bringt sich mit dem Filmen bei | |
| den Demonstrationen von „Woman Life Freedom“ in Gefahr. Aber sie hat sich | |
| auch mit einem Archiv aus gesammelten Homemovies aus der Zeit vor der | |
| Revolution einen privaten Fluchtpunkt in ihrer Teheraner Wohnung | |
| geschaffen. Dort arbeitete sie an einem Film über ihr Material. Als sie für | |
| ein Stipendium in Deutschland ist, werden mehrere Freundinnen von ihr | |
| festgenommen, Sharifis Wohnung wird durchsucht und das Archiv | |
| beschlagnahmt. Um all das geht es in ihrem höchst sehenswerten persönlichen | |
| Filmessay „My Stolen Planet“. | |
| taz: Frau Sharifi, vielen Dank für Ihren großartigen Film. Doch zuerst eine | |
| persönliche Frage. Wie Sie in Ihrem Film erzählen, wurde aus einem | |
| geplanten einjährigen Arbeitsaufenthalt ein dauerhaftes Zwangsexil. Wie | |
| geht es Ihnen jetzt, auch mit dem verlorenen Archiv? | |
| Farahnaz Sharifi: Das ist die schwierigste Frage. Ich kam hierher, um | |
| meinen Film zu vollenden. Ich kannte meinen deutschen Produzenten schon aus | |
| dem Iran und wollte mich in Hamburg an einem friedlichen Ort auf die Arbeit | |
| fokussieren. Es ist nicht einfach, wenn man das nicht selbst entschieden | |
| hat. Ich liebe Hamburg. Aber es ist und bleibt kompliziert. Es war nicht | |
| meine Wahl. Aber ich finde meinen Weg, damit zu leben. | |
| Was ist mit Ihren Freundinnen und Filmemacherinnen, die damals festgenommen | |
| wurden? | |
| Ihnen wurden die Pässe abgenommen. Die Filmemacherinnen geraten immer mehr | |
| unter Kontrolle. | |
| Kommen wir zu Ihrem Film. Können Sie mir erzählen, wie es anfing? | |
| Ich arbeite jetzt seit etwa fünfzehn Jahren mit Archivmaterial. Vor fünf | |
| Jahren habe ich online Leyla (eine Exil-Iranerin in den USA, Anm. d. Red.) | |
| kennengelernt und dachte, unsere Korrespondenz eignet sich als Grundlage | |
| für eine Narration. Nach drei Jahren hatte ich einen Rohschnitt, mit dem | |
| ich nach Deutschland kam. Dann passierten diese Dinge im Iran, und ich habe | |
| noch einmal von Null begonnen. Die Grundidee blieb, doch das Archiv bekam | |
| einen neuen Stellenwert. | |
| Was bedeutet dieses Archiv für Sie? | |
| Ich glaube, alles, was wir im Iran tun, kann ein politischer Akt sein. Denn | |
| wenn sie dein privates Leben kontrollieren, dann kann auch dieses private | |
| Leben politisch oder ein Akt gegen die Zensur sein. Für mich hat es damit | |
| zu tun, Geschichte zu retten. Denn sie wollen, dass wir vergessen, was wir | |
| waren und was wir früher hatten. Wenn du die Bilder dieser Vergangenheit | |
| sammelst, rettest du diese Geschichten und Menschen können studieren, was | |
| wir waren und wo wir hingehen. | |
| Woher bekamen sie die Home Movies für ihr Archiv? | |
| In Teheran gibt es überall Second-Hand-Läden, die Kameras verkaufen, alte | |
| Fotos und eben auch Filme. Für ein anderes Projekt hatte ich Kontakt mit | |
| einem Händler und bat ihn, mich anzurufen, wenn er 8-mm-Filme bekommt. | |
| Einige Jahre lang habe ich Material angekauft und gesammelt und dann von | |
| einer Freundin einen Scanner ausgeliehen und begonnen, es zu | |
| digitalisieren. | |
| Damals wusste ich nicht, was ich damit anfangen würde, ich wusste nur, dass | |
| ich das Material liebe. Eines Tages habe ich den Händler gefragt, woher die | |
| Filme kommen. Und er sagte mir, dass die meisten von Menschen sind, die | |
| ihre Wohnungen und Häuser in Teheran verkauft haben. Sie sind nicht mehr | |
| dort. | |
| Auf auffällig vielen dieser Filme wird getanzt. Liegt das nur an Ihrer | |
| Auswahl? | |
| Allgemein ist [1][Tanzen sehr wichtig im Iran.] Und das ist es auch oft auf | |
| den Filmen. Ein Grund ist, dass die meisten Menschen filmen, wenn sie | |
| glücklich sind: wenn sie Geburtstag oder Hochzeit feiern oder einfach | |
| zusammenkommen. Viele solcher Szenen habe ich gefunden. Und als ich mir | |
| meine eigenen Videos von meiner Familie und meinen Freunden angesehen habe, | |
| bemerkte ich, dass auch dabei eine Menge Tanzvideos sind. | |
| Es ist auch eine Art des Widerstands, weil es uns nicht erlaubt ist, | |
| draußen zu tanzen. Aber in jeder Wohnung wird es getan. Da fühlen wir uns | |
| frei, an unseren privaten Fluchtorten | |
| Dann gibt es die Filme im Netz, in denen vom Regime ermordete Menschen | |
| tanzen. | |
| Während der [2][„Women Life Freedom“-]Bewegung wurde das ikonisch, weil – | |
| wie ich im Film erzähle – die Menschen Tanzvideos ihrer Liebsten | |
| veröffentlichen, die auf der Straße erschossen wurden. Das war für mich | |
| eine sehr inspirierende Idee, dass eine Mutter ein Tanzvideo ihres | |
| getöteten Sohnes ins Netz stellt. Ich würde es genauso machen. Ich finde | |
| das sehr schön, sehr stark. Diese Filme preisen das Leben. | |
| Der Film schlägt auch ganz bewusst eine Brücke von der Revolution 1979 bis | |
| heute. | |
| Viele außerhalb wissen wenig von der Geschichte des Iran und denken, dass | |
| „Women Life Freedom“ erst seit zwei Jahren existiert. Aber diese Bewegung | |
| hat einen viel tieferen Hintergrund. Ich glaube, dass der erste Tag des | |
| Widerstands genau am Tag meines Geburtstags begann, eine große | |
| Demonstration gegen den aufgezwungenen Hijab am 8. März 1979. All die Jahre | |
| danach haben Frauen gekämpft. So war es mir wichtig, im Film eine Brücke | |
| über die 45 Jahre bis heute zu schlagen. | |
| Stimmt es wirklich, dass sie genau an diesem Internationalen Frauentag 1979 | |
| geboren wurden? | |
| Ja, das stimmt, ich danke meinen Eltern (lacht). | |
| In Ihrem Film gibt es eine Stelle, an der Sie und Ihre Freundinnen nach | |
| einer Demonstration darüber reden, ob es Hoffnung gibt oder nicht. Was | |
| denken Sie dazu? | |
| Beides gleichzeitig. Sie wissen, was mir passiert ist. Ich bin zugleich | |
| hoffnungsvoll und hoffnungslos. Aber generell denke ich, es ist eine | |
| hoffnungsvolle Periode. Wenn wir die Dinge weiter treiben, werden wir | |
| weiterkommen. Aber wir brauchen Zeit. Es ist hoffnungsvoll, weil die Frauen | |
| jetzt [3][in ihrem persönlichen Alltag kämpfen,] wenn sie ohne Hijab auf | |
| die Straße gehen. Das ist ein Kampf, bei dem sie ihr Leben riskieren. Man | |
| kann sie verhaften, man kann sie bestrafen, man kann sie töten. | |
| Wie ist das außerhalb der großen Städte? | |
| Sie versuchen, unser Leben zu kontrollieren. Aber „Women Life Freedom“ | |
| schafft Bewusstsein über die Situation von Frauen in vielen | |
| unterschiedlichen Teilen Irans, auch in kleinen Städten und Dörfern. Ich | |
| denke, wir sehen Resultate dieser Bewegung. Ich lese manchmal, dass Leute | |
| auf Instagram oder Twitter schreiben: Für meinen Vater ist es jetzt okay, | |
| wenn ich ohne Hijab ausgehe oder vor den anderen Männern in der Familie | |
| keinen Hijab trage. | |
| Was, würden Sie sagen, ist die Rolle der Dokumentarfilmerinnen derzeit in | |
| Iran? | |
| Die Filmemacherinnen im Iran haben eine Menge Probleme, wenn sie einen Film | |
| ohne Zensur über die reale Situation im Land machen. Denn das ist nicht | |
| erlaubt. Aber ich denke, sie sind mutig genug, das trotzdem zu tun, wie die | |
| anderen Frauen auch, die ihr Leben riskieren, wenn sie ohne Hijab auf die | |
| Straße gehen. Diese Situation zu zeigen, ist ein sehr wichtiger Aspekt | |
| unseres Kinos, nicht nur für Dokumentarfilmer. Es ist eine Herausforderung. | |
| Ich denke, das Resultat wird in den nächsten Jahren sichtbar und sehr | |
| interessant sein. Vielleicht können wir eine [4][neue Welle des iranischen | |
| Kinos] sehen. | |
| Aber diese Filme werden dann nicht im Iran zu sehen sein? | |
| Nein. Aber das hatten wir jetzt für viele Jahre, das ist nicht neu. | |
| Zumindest nicht offiziell. Im Untergrund ja, in informellen Spielstätten, | |
| im Freundeskreis oder in Familien. Manche veröffentlichen ihre Filme auf | |
| Social Media oder auf Telegram, um von iranischen Menschen gesehen zu | |
| werden. Ich hoffe, auch mein Film kann die Menschen im Iran motivieren. | |
| 25 Feb 2024 | |
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| ## AUTOREN | |
| Silvia Hallensleben | |
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