# taz.de -- Frauenbündnisse in der Filmgeschichte: Im Duo eine Wohnung zerlegen | |
> Frauen ärgern Polizisten, gründen Filmproduktionen, machen Festivals. Das | |
> „Internationale Frauen Film Fest“ wusste viele spannende Geschichten. | |
Bild: Wiederentdeckt auf dem Festival: Der Film „Rosalie emménage“ mit Sar… | |
1983 wurde mit der „feminale“ in Köln das erste große Frauenfestival in | |
Deutschland gegründet, drei Jahre später die „femme totale“ in Dortmund. | |
2006 wurden beide Festivals unter dem Druck der damaligen Landesregierung | |
fusioniert, was Teile der Kölner Gruppe eher als Annexion begriffen und mit | |
dem Rückzug aus der Arbeit an dem neuen Festival straften. Heute firmiert | |
dieses als „Internationales Frauen Film Fest Dortmund + Köln“ (IFFF) und | |
findet – seit 2018 unter Leitung von Maxa Zoller – alternierend in beiden | |
Städten statt. | |
Dass das IFFF – diesmal in Dortmund – nun den runden 40. Geburtstag begeht, | |
ist protokollarisch also nur halb korrekt. Gegönnt sei das Feiern trotzdem. | |
Es war Anlass der erstmaligen Präsentation der Sektionen „begehrt! filmlust | |
queer“ und Panorama auch in Dortmund. | |
Inhaltliches Highlight – neben dem obligatorischen internationalen | |
Spielfilmwettbewerb, den [1][Pilar Palomero aus Spanien mit dem Film „La | |
maternal“] gewann – war aber der von Betty Schiel verantwortete diesjährige | |
Fokus „Kompliz*innen“, der sich als ein Bündel von roten Fäden durch das | |
Festival zog. | |
Ganz praktische Komplizinnen sind zuallererst die Festivalistinnen und ihre | |
Gäste: Dazu gehörte etwa die Kuratorin Elif Rongen-Kaynakçi von | |
EYE-Filmmuseum in Amsterdam. Sie brachte herrlich anarchische frühe | |
Stummfilme aus den 1910er Jahren ins Programm, in denen das damals frisch | |
entdeckte Kino noch seine Herkunft aus dem Vaudeville zeigt und Frauen | |
gerne im Duo Polizisten an der Nase herumführen oder Wohnungen zerlegen. | |
## Das frühe arabische Kino | |
Von Frauenbündnissen geprägt ist auch die Geschichte des frühen arabischen | |
Kinos, wo – für manche im Westen vielleicht überraschend – findige | |
Produzentinnen Studios und Markt dominierten, wie Irit Neidhardt in einer | |
anregenden Präsentation darlegte. So wurde der erste tunesische Film | |
„Zohra“ (1922) von der 16-jährigen Haydée Samama Chikly Tamzali | |
geschrieben, gespielt und geschnitten, während ihr Vater Regie führte. | |
In Ägypten gründeten die Schauspielerinnen Aziza Amir, Bahiga Hafez, Assia | |
Dagher (und später deren Nichte Mary Queeny) in den 1920ern wichtige | |
Filmstudios, die gern nationalistisch-melodramatische Stoffe um Zwangsehen | |
und Standeskonflikte in der Liebe realisierten. In Dortmund konnte von | |
„Zohra“ nur ein neunminütiges Fragment gezeigt werden. Doch derzeit, so | |
Neidhardt, werde viel verschollen geglaubtes Material „auf den Dachböden“ | |
entdeckt. Bemerkenswert auch, dass etwa in Ägypten gerade Regisseurinnen | |
sich vorbildlich um den Erhalt ihres Erbes kümmern und es für die | |
Filmgeschichte digital aufarbeiten. | |
Auch die 1937 geborene [2][Filmemacherin Helke Sander] hat ihren filmischen | |
Nachlass in der Deutschen Kinemathek Berlin sicher versorgt und steht nun | |
vor den Regalen. Die Regisseurin Claudia Richarz hat mit „Aufräumen“ ein | |
dichtes Porträt der bedeutenden Filmemacherin, Aktivistin und Publizistin | |
(u. a. gründete Sander die bis heute existierende Zeitschrift Frauen und | |
Film) realisiert, das auch Differenzen der gestandenen Altfeministin mit | |
jungen Kontrahentinnen nicht auslässt. | |
Der Film wurde mit dem Publikumspreis ausgezeichnet und Sander selbst bei | |
der Uraufführung von „Aufräumen“ heftig gefeiert. Sie wurde auch als | |
Pionierin der Frauenfilmfestival-Idee gewürdigt und war Mitglied der | |
generationenparitätisch besetzten Jury. Und sie saß mit ihren Co-Jurorinnen | |
in einem Panel, das unter dem Titel „Hürdenläuferinnen“ „50 Jahre | |
feministischer Filmarbeit“ besprach. | |
## Veränderung angestossen | |
Mit dabei waren die Berliner Schauspielerin Sara Fazilat und Maria | |
Furtwängler, die mit ihrer [3][MaLisa-Stiftung 2017] durch eine Studie zur | |
Repräsentation von Frauen in Film und Fernsehen erfolgreich Veränderung | |
angestoßen hatte. Es erwies sich als produktiv, von Anfang an das Publikum | |
mit einzubeziehen, das aus unterschiedlichsten Richtungen Vielfalt und | |
Solidarität einforderte und behauptete – einschließlich ausdrücklichem Dank | |
an die Kämpfe der früheren Generationen. | |
Komplizinnen müssen ja nicht gleicher Meinung sein, um dem gleichen Ziel | |
zuzuarbeiten. So erwies sich das Fazit angesichts der Weltlage überraschend | |
positiv: Wir seien gerade an einem Punkt, wo viele Energien sich bündeln, | |
hieß es. | |
Letzten Herbst wurde nach einem von Leni Riefenstahl nach der | |
TV-Erstausstrahlung 1982 erwirkten Gerichtsurteil Nina Gladitz’ | |
Dokumentarfilm „Zeit des Schweigens und der Dunkelheit“ erstmalig wieder | |
aufgeführt und war nun im Programm des IFFF. Er erzählt von und mit | |
Insassen des sogenannten „Zigeunerlagers“ Maxglan bei Salzburg, die von | |
Riefenstahl für ihren Film „Tiefland“ als KomparsInnen zwangsrekrutiert | |
worden waren und nach dem Dreh trotz anders lautender Beteuerungen oft in | |
Vernichtungslager deportiert wurden. | |
Gladitz’ Film war einer der ersten in Deutschland zur Geschichte der Sinti | |
und Roma unter dem NS-Regime und hat mit dem Überlebenden Joseph Reinhardt | |
einen starken Protagonisten. | |
Befremdlich an der Inszenierung ist aus heutiger Perspektive allerdings, | |
dass die Filmemacherin am Ende nicht ihm das letzte Wort gibt, sondern | |
(viel zu) lange Einstellungen Riefenstahls Auftritt auf einer | |
Buchpräsentation und jubelnden AnhängerInnen widmet. Seltsam auch, dass sie | |
(oder der produzierende WDR) meinte, ihren Film mit einer Rahmung durch | |
Zitate von zwei berühmten deutschen Autoren (Carl Zuckmayer und Max Frisch) | |
absichern zu müssen. Mit der 2021 verstorbenen Filmemacherin lässt sich | |
über diese Entscheidung leider nicht mehr reden. Aber vielleicht findet | |
sich ja etwas im Archiv. | |
26 Apr 2023 | |
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## AUTOREN | |
Silvia Hallensleben | |
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