# taz.de -- Internationales Frauen Film Fest: Zurück zu den Gefühlen | |
> Das Internationale Frauen Film Fest zeigte in Köln „Rage & Horror“. Sein | |
> Programm bewegte sich zwischen weiblicher Transgression und historischer | |
> Wut. | |
Bild: Szene aus dem Film „Ellbogen“, der den Preis für die beste Regie ein… | |
Letztes Jahr in Dortmund ging es im sogenannten Fokus des | |
[1][Internationalen Frauen Film Fest Dortmund + Köln um „Komplizinnen“]. In | |
Köln nun waren es unter dem Titel „Rage & Horror“ individuelle und | |
kollektive Gefühle von Wut und Zorn und ihre Konsequenzen, die in dieser | |
Sektion in unterschiedlichsten Genres durchgespielt wurden. | |
Die Re-Aktivierung der dem Weiblichen entweder per Natur abgesprochenen, | |
sozial abtrainierten oder als unangemessen sanktionierten und | |
pathologisierten negativ aufbrausenden Gefühle ist unter | |
FrauenrechtlerInnen schon seit dem 17. Jahrhundert ein Topos. Im Kino wurde | |
es besonders lustvoll und unverblümt im frühen von Konventionen noch | |
ungeschliffenen Stummfilm der Vorkriegszeit ausagiert und mit der neu | |
entdeckten und ausgiebig angewandten Filmtechnik der Montage vorgeführt. | |
So setzt sich in „The Dairymaid’s Revenge“ von 1899 (Regie: Frank S. | |
Armitage) eine junge Milchmagd gegen die Belästigung durch einen Kollegen | |
oder Chef mit einer erst durch das Ende des Films gestoppten Serie | |
kübelweise über seinen Kopf gekippter und zu einem See wachsender Milch zur | |
Wehr: Vermutlich die filmische Weltpremiere in Sachen weiblicher | |
Me-Too-Gegenwehr. Da der Film insgesamt nur eine Minute kurz ist, wurde er | |
zum längeren Genuss des Publikums bei IFFF in Zeitlupe gezeigt. | |
In „La paresse de Polycarpe“ (Regie: Ernest Servaès, 1914) knockt eine | |
stattliche Matrone immer wieder ihren untätigen Ehemann aus, der bei jeder | |
der ihm aufgetragenen kleinen Verrichtungen im Haushalt stante pede | |
einschläft. Weibliche Durchsetzungsfähigkeit oder eine invertierte Version | |
häuslicher Gewalt? | |
## Übersinnliche Kräfte und weibliche Natursäfte | |
Im aktuelleren Filmschaffen hat Sektions-Kuratorin Betty Schiel sich vor | |
allem (aber keineswegs nur) feministisch gewendetem Horror zugewandt, der | |
auch jenseits von Cannes-Gewinner „Titane“ kraftvolle Ausformungen findet. | |
So macht die malaysische Regisseurin Amanda Nell Eu in „Tiger Stripes“ | |
(2023) die Menarche eines rebellischen Mädchens zum Initiationspunkt für | |
eine (auch bild)mächtige metamorphotische Selbstermächtigung mit | |
dämonischem Hintergrund. | |
Übersinnliche Kräfte und weibliche Natursäfte wirken auch in dem als | |
klein-familiäres No-Budget-Kollektiv-Projekt realisierten „Hellbender“ | |
(Regie: Toby Poser), der dramatische Umbrüche einer matrilinearen | |
Hexendynastie in der überschwänglichen Natur der US-Ostküste mit Rockmusik, | |
Mutter-Tochter-Clinch, veganen Essstörungen und einem Touch | |
Münchhausen-Syndrom durchexerziert. | |
Doch es ging auch um konkrete historische Wut wie etwa die der | |
AfroamerikanerInnen in den USA, die in zwei Dokumentarfilmen der Sektion | |
(„Black Panthers“ von Agnès Varda, 1968, und „A Place of Rage“, Pratib… | |
Parmar, 1991) Thema waren. Und unter dem Titel „Pretty Deadly Self Defense“ | |
wurde sogar ein Kurzkurs zur Selbstverteidigung gegen Filmzombies und | |
Slasher angeboten. | |
## Wut und Frustration | |
Auch in anderen Sektionen des Festivals waren der Zorn als Thema präsent. | |
Ganz deutlich etwa in Aslı Özarslans vom Publikum gefeierten (wegen der | |
großen Nachfrage wurde er mehrfach nachprogrammiert) und dann auch mit dem | |
Debüt-Preis des IFFF ausgezeichneten Wettbewerbs-Spielfilm [2][„Ellbogen“] | |
(Filmstart 3. Oktober), wo Wut und Frustration der jungen Berlinerin Hazal | |
über ihre eigene Situation und die gesellschaftlichen und familiären | |
Verhältnisse erst in einer Gewalttat und dann leider nicht in kluger | |
weiblicher Selbstermächtigung münden. | |
Formen weiblicher Transgression betrieb beispielhaft auch die im Februar | |
2023 in Berlin verstorbene außerordentliche [3][Filmemacherin Birgit Hein], | |
die von Festivalleiterin Maxa Zoller mit einem Filmporträt (R: Karin | |
Jurschick, 2001), zwei von Heins eigenen Filmen und einer anrührenden | |
verbalen Hommage ihres ehemaligen Studenten, Experimentalfilmers und | |
jetzigen Professors Matthias Müller gewürdigt wurde. Nicht nur mit ihren | |
expliziten „Kali-Filmen“ oder „Die unheimlichen Frauen“ (1991) hat Hein | |
filmische Pionierarbeit für die – auch sexuelle – Unbotmäßigkeit von Fra… | |
geleistet. | |
## Integration der Architektur | |
Die Kölner Ausgabe des alternierend dort und in Dortmund laufenden | |
Festivals ist traditionell auch den Kamerafrauen gewidmet, die bei Oscars | |
und Lolas immer noch zu spärlich Würdigung erfahren – beim Deutschen | |
Kamerapreis 2023 waren von acht Nominierten immerhin zwei Frauen. | |
Umso wertvoller der beim IFFF in zwei Sparten vergebene Nationale Preis für | |
die beste Bildgestalter*in, der dieses Jahr für den Spielfilm an Greta | |
Isabella Conte für „Die feige Schönheit“ ging, der unter anderem für den | |
„Mut zu besonderen Kadrierungen“ und die Integration der Architektur | |
gewürdigt wird. Interessanterweise werden von der Jury auch bei Caroline | |
Spreitzenbart für den Collage-Film „Life Is Not a Competition, But I’m | |
Winning“ der Mut zur Kreativität und die Einbindung der Architektur | |
hervorgehoben. | |
Ein Glanzpunkt des Festivals ist seit 2009 ein vierstündiges | |
Werkstattgespräch der Kamerafrau Sophie Maintigneux (Professorin für | |
Kinematografie für fiktionale Medien und neue mediale Formate an der | |
„Filmuniversität Babelsberg Konrad Wolf“) mit einer anderen Kinematografin | |
anhand ausgewählter Filmszenen. Diesmal war dies die Dokumentaristin | |
Susanne Schüle, die ebenfalls Kamera-Professorin in Babelsberg ist. | |
Auch wer nicht vom Fach ist, konnte hier aus dem Detail jede Menge darüber | |
lernen, wie eng Planung, exakte Durchführung, Intuition und Erfahrung das | |
künstlerische Ergebnis formen. Das Gespräch wurde – wie auch fast alle | |
anderen Teile des Festivals – vom Publikum begeistert angenommen, soll aber | |
leider im letzten Durchgang gewesen sein. | |
22 Apr 2024 | |
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## AUTOREN | |
Silvia Hallensleben | |
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