# taz.de -- Internationales Frauen Film Fest 2025: Vergiftete Bildwelten | |
> Kann Kunst produktive Störpraxis sein? Das Internationale Frauen Film | |
> Fest in Dortmund legte in diesem Jahr einen Fokus auf Kolonialismus und | |
> Rassismus. | |
Bild: Die Regisseurin Milisuthando Bongela nähert sich filmisch dem Apartheids… | |
Dass Rassismus Ausdruck struktureller Gewalt ist, zeigt sich besonders klar | |
in einem medial jenseits des Sichtbaren angesiedelten Bereich: nämlich bei | |
der Synchronisierung von Film und Fernsehen, die in der Bundesrepublik seit | |
1945 im Mainstream Regel ist. | |
Dabei zeigt die Praxis eine doppelte rassistische Verzerrung: Einmal | |
bekamen Schwarze Sprecherinnen in Deutschland lange Zeit grundsätzlich gar | |
keine Aufträge, weiße Figuren zu synchronisieren. Umgekehrt wurden viele | |
Schwarze Darstellerinnen vor allem aus dem US-Kino oder TV von nur ganz | |
wenigen Sprecherinnen gedubbt. | |
Anschaulich präsentierte dies bei der diesjährigen Ausgabe des | |
[1][Internationalen Frauen Film Fests (IFFF) in Dortmund] die | |
Videoinstallation „Ich muss mit ihnen sprechen“ von Kerstin Honeit, die in | |
einem zweiminütigen Loop Filmszenen mit Schwarzen Darstellerinnen montiert, | |
die alle von der als Synchronstimme von Whoopi Goldberg bekannt gewordenen | |
Schauspielerin Regina Lemnitz eingesprochen wurden (und thematisch vom | |
Sprechakt selbst handeln). | |
Mittlerweile habe sich die Situation im Synchronbereich in Deutschland | |
durch neue Produktions- und Präsentationsformen glücklicherweise geändert, | |
sagte Honeit beim begleitenden Gespräch im „Superraum“ des Festivals – in | |
Zukunft wird KI wohl auch hier fast alles umkrempeln. | |
## Dekolonisation der Kinogeschichten | |
Rassismus ist Konsequenz kolonialer Macht. Und Dekolonisation – in | |
Kinogeschichten, Köpfen und Herzen – war der diesjährige, in | |
unterschiedlichen Formaten durchdeklinierte thematische Fokus (neben einem | |
global breit aufgestellten Spielfilm-Wettbewerb, Gewinner „Village | |
Rockstars 2“ aus Indien) des traditionsreichsten feministischen Festivals | |
in Deutschland: | |
Mit kurzen und langen Filmen, einem Gespräch zu Fragen internationaler | |
Koproduktion, einem Stadtspaziergang auf dem Spuren kolonialer | |
Geschichte(n) und einem Workshop der in Brüssel lebenden kamerunischen | |
Filmemacherin Rosine Mbakam zu „A Personal Decolonization of the Gaze“, der | |
doch mehr eine Lecture mit Filmbeispielen war. | |
Diese begann mit einem langen Ausschnitt von Raymond Depardons | |
Dokumentarfilm „Afriques: Comment ça va avec la douleur?“ von 1996, der – | |
wie Mbakam erzählte – bei der frisch in Belgien eingetroffenen | |
Filmstudentin den ersten „dekolonialen Schock“ auslöste. Depardon zeigt | |
zwei äthiopische Frauen beim Holzsammeln in einer voyeuristischen | |
Konstellation, die er mit einigen übergriffigen Annäherungen und einem | |
Schwenk auf ihre nackten, von Staub bedeckten Füße akzentuiert: Für | |
Depardon (wie er in einem anderen Ausschnitt erklärte) ein politisches | |
Statement. | |
Für Mbakam ein klarer Akt der Domination, der sie zu einer eigenen Ethik | |
filmischer Partnerschaft und Vertrauens brachte, die sich auch von der | |
vergifteten („polluted“) Bildwelt kolonialer Dominanz absetzen will. In | |
Dortmund zu sehen war ihr Dokumentarfilm „The Two Faces of a Bamiléké | |
Woman“, der mit Mbakams Mutter vom Widerstand gegen die französische | |
Kolonialmacht erzählt. | |
## Produktive Störpraxis | |
Wie umgehen mit den im Archiv existierenden Bildern kolonialer | |
Vergangenheit, ohne deren Sichtweisen zu reproduzieren, war eine Leitfrage | |
des Programms. Kann Kunst eine „produktive Störpraxis“ sein beim Umgang mit | |
diesem Erbe? Die jungen Filmemacherinnen Rebecca Pokua Korang („Verwoben & | |
Vergessen“) und Belinda Kazeem-Kaminski („Unearthing. In Conversation“) | |
wählten – in unterschiedlicher konkreter Ausformung – den Weg, sich dem | |
verstörenden Bildmaterial aus dem Archiv in der persönlichen performativen | |
Konfrontation zu stellen. | |
Die Regisseurin Milisuthando Bongela nutzt in „Milisuthando“ eine von ihr | |
selbst als Bantu-Kino bezeichnete zirkulär-assoziative Montage, um von der | |
eigenen Postion im Apartheidsystem der von Südafrika abhängigen Transkei zu | |
erzählen. | |
Um eine andere Form des „othering“ ging es in „IFFF packt aus“, wo | |
Fremdkuratorinnen zu einer Präsentation aus dem reichhaltigen | |
Programm-Archiv des Festivals eingeladen werden. Diesmal war es die | |
gestandene Frankfurter Kuratorin und Publizistin Karola Gramann, die mit | |
„De eso no se habla“ der argentinischen Regisseurin María Luisa Bemberg | |
(1922–1995) einen echten Schatz unboxte: Bembergs letzter Spielfilm erzählt | |
in betörend dicht inszenierten Szenen von der Emanzipation eines | |
kleinwüchsigen Mädchens in der argentinischen Provinz, das von ihrer Mutter | |
wegen dieses körperlichen Makels abgeschirmt von der bigotten Umgebung | |
gehalten wird. | |
Wenn die Heldin am Schluss in einer sturmdurchtosten Nacht auf einem | |
Schimmel mit dem Zirkus davonreitet, ist das auch heute ein träumerischer | |
Akt der Befreiung aus Umklammerung durch Mutter und Ehemann. Doch die 1993 | |
von Bemberg gewählte Bilderwelt mit Elefant und Löwe im Gitterwagen wirkt | |
– gerade im Kontext des Festivals – auch ambivalent, evozieren | |
Außenseiter-Status der Artisten und das exotische Bestiarium doch auch die | |
koloniale Geschichte von Zoo bis Völkerschauen, die zur Kaiserzeit auch im | |
nahen Dortmunder Fredenbaumpark stattfanden. | |
7 Apr 2025 | |
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## AUTOREN | |
Silvia Hallensleben | |
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