| # taz.de -- Filmretrospektive von Birgit Hein: Die Angst des Patriarchats | |
| > Softporno und 68er: Die Undergroundfilmerin Birgit Hein begehrt gegen die | |
| > Tabuisierung des Körpers auf. Das arsenal 3 zeigt jetzt eine Werkschau. | |
| Bild: Ausschnitt aus „Rohfilm“ von Birgit Hein | |
| Wie es ist, das Filmemachen mit einer 16-mm-Bolex als Kunstform für sich zu | |
| entdecken, hat [1][Birgit Hein seit mehr als einem halben Jahrhundert] | |
| durchbuchstabiert. Sie hat das Kinomachen als eine experimentelle Erfahrung | |
| gegen die spießigen Softpornoprogramme im Kinosterben der 68er-Ära | |
| durchgesetzt. Das ließ schließlich ihren eigenen Namen in der Männerdomäne | |
| Undergroundfilm leuchten. | |
| Emanzipation als Strategie des Ausgangs aus struktureller Unmündigkeit, das | |
| funktionierte in der bundesdeutschen Nachkriegszeit nur durch Ausprobieren, | |
| Ausloten von Risiken und Grenzüberschreitungen. Schon die Entscheidung der | |
| 1942 in Berlin geborenen Birgit Hein für ein kunstwissenschaftliches | |
| Studium war so eine Sache. Eine weitere war es, dann an der Seite ihres | |
| Ehemanns und Studienkollegen Wilhelm Hein und später ohne ihn, den eigenen | |
| Weg zu finden. Dieser Weg lässt sich als permanente provozierende Suche | |
| jenseits der Klischees beschreiben. | |
| [2][arsenal 3, das Streamingportal des Kinos Arsenal], zeigt aktuell eine | |
| Werkschau, die Birgit Heins filmische Selbsterkundung und das politische | |
| Potenzial ihrer Experimente in einem kuratorischen Zusammenhang sichtbar | |
| macht. | |
| ## Gegen die Spielregeln | |
| [3][Ihr Werk ist immer wieder in Festivalretrospektiven zu sehen], vieles | |
| war Teil des Forum-Programms der Berlinale. Sie gilt als eine Leitfigur des | |
| experimentellen Filmschaffens hierzulande. Ihr Buch „Film im Underground“ | |
| eröffnete schon 1971 die Debatte über neue Wahrnehmungsformen, die das | |
| vermeintlich dilettantische, unabhängig von Spielregeln des narrativen | |
| Kinos entwickelte Kino à la Andy Warhol, Michael Snow, Valie Export und | |
| anderen mehr ermöglicht; und viele Jahre gab sie ihre streitbare | |
| Kunstauffassung in Publikationen und als Professorin an der Hochschule für | |
| Bildende Künste in Braunschweig weiter. | |
| Sie ist keine Unbekannte, sondern hat mit ihrer vehementen, gegen den | |
| Mainstream feministischer Positionen gerichteten Auseinandersetzung mit | |
| weiblichen Rollenzuschreibungen, tabuisierten Körperbildern, Sexualität und | |
| Gewalt auch heftige Reaktionen erlebt. | |
| Das Februar-Programm des arsenal 3 ist eine gute Gelegenheit, Birgit Heins | |
| Weg vom 16-mm-Undergroundfilm ihrer Anfänge mit Wilhelm Hein bis zu | |
| jüngeren Beispielen ihrer autonomen Arbeit nachzuvollziehen. Bekannt wurde | |
| das Paar mit seiner 1968 gedrehten, „Rohfilm“ genannten Materialcollage in | |
| Schwarzweiß, einer schnellen Folge von Bildschnipseln, Perforationslöchern | |
| und zerkratzten Celluloidoberflächen, begleitet von technisch dröhnender | |
| Musik, die nicht weniger als ein aggressiver Abgesang auf die | |
| Illusionsmaschine sein wollte. | |
| ## Highlight im Kölner Nachtleben | |
| Birgit und Wilhelm Hein gründeten im selben Jahr in Köln, wo Birgit Hein am | |
| Institut für Kunstgeschichte arbeitete, XScreen, einen Verbund zur | |
| weiteren Verbreitung von Experimentalfilmen. Die Spätvorstellungen ganzer | |
| Serien von unterschiedlichsten Avantgardefilmperlen waren ein Highlight des | |
| Kölner Nachtlebens, weit über den Universitätsbetrieb hinaus. | |
| „Love Stinks“ und „Verbotene Bilder“, zwei Farbfilme aus den 1980er Jah… | |
| verweigern rigoros einen Handlungsfaden, stellen dystopische urbane Zonen | |
| aus und erkunden in einer eher emotionslosen Manier ihre Körper beim Sex. | |
| „Love Stinks“, gedreht während eines Künstlerstipendiums in New York, zei… | |
| Birgit und Wilhelm Heins einsame Gänge durch Städtebrachen, vorbei an | |
| Graffiti mit Nazisymbolen, und zieht sich – sprachlos und von Swingmusik | |
| begleitet – in die fast trostlose Intimität zurück. | |
| Ähnlich stellt der Film „Verbotene Bilder“ (1984) das Ineinander ihrer | |
| Schenkel und Hände aus, konzentriert sich aber in vielen Episoden stärker | |
| auf Wilhelm Hein. In einem Hamburger Abbruchgebäude filmt er sich selbst, | |
| wie er mit dem Habitus eines coolen Intellektuellen Internatserlebnisse und | |
| jugendliche Albträume rekapituliert. | |
| Beide Filme insistieren darauf, dass die Zwangsjacke ihrer frühen | |
| Erziehung in der restaurativen Nachkriegsära die eigenen Körper in | |
| Tabuzonen verwandelte, und verstehen sich als politische Beiträge, die | |
| anstelle theoretischer Debatten die Befreiung der eigenen Sexualität in den | |
| Mittelpunkt stellen. | |
| ## Geschichte einer grausamen Göttin | |
| Birgit Hein setzte sich, auch in der Konfrontation mit feministischen | |
| Thesen, die eine Ästhetik gewaltfreier Frauenbilder oder auch die legendäre | |
| PorNo-Bewegung feierten, für eine stärkere Beachtung der langen Tradition | |
| völlig gegenläufiger Frauenbilder ein. „Kali-Filme“, von beiden gedreht, | |
| sowie „Die unheimlichen Frauen“ (1991), von Birgit Hein allein realisiert, | |
| rekapitulieren in Form von wütenden Filmessays die Geschichte der grausamen | |
| indischen Göttin Kali und anderer mythischer Frauenfiguren und schildern | |
| die Angst des Patriarchats, aus der sich Gewaltakte wie die | |
| Klitorisbeschneidung erklärten. | |
| In dem Reisetagebuch „Baby I Will Make You Sweat“ (1994) setzt Birgit Hein | |
| ihre Selbsterkundung fort, indem sie ihre Affäre mit einem jungen | |
| jamaikanischen Lover schildert, der ihre Angst vor dem Tabu, nicht mehr | |
| begehrenswert zu sein, mit dem easy-going seiner unbeschwerten Männlichkeit | |
| auslöscht. Ob Birgit Heins freizügige Selbstentfaltung den heutigen | |
| Debatten über Rassismus und Identitätspolitik standhält – Antworten auf | |
| diese Frage machen die Filme des arsenal-3-Programms vielleicht möglich. | |
| 7 Feb 2021 | |
| ## LINKS | |
| [1] /Birgit-Hein-beim-Filmfest-Braunschweig/!5056013 | |
| [2] /Streamingangebot-des-Kinos-Arsenal/!5670811 | |
| [3] /Kurzfilmtage-Oberhausen/!5504686 | |
| ## AUTOREN | |
| Claudia Lenssen | |
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