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# taz.de -- Kurzfilmtage Oberhausen: Kunst, Krieg und Sex
> Die Retrospektive der diesjährigen Kurzfilmtage widmete sich dem
> Schlüsseljahr 1968. Vergessene Werke waren nach 50 Jahren wieder zu
> sehen.
Bild: „Kubla Khan“ wurde 1968 in der Aula der Hamburger Kunsthochschule von…
Links steht eine Sängerin, in der Mitte eine Uniformierte mit
Maschinenpistole und rechts sitzt ein nacktes Liebespaar auf einem Sessel.
Während die Diva pathetisch ihre Arie schmettert, steigert sich das Paar
mehr und mehr in seinen gegenseitigen Liebkosungen, bis zur Kopulation.
Kurz danach ist auch das Lied beendet. Die weibliche Wache verharrt die
ganze Zeit über unbeweglich auf ihrem Posten. Zehn Minuten dauert diese
Szene: ohne Schnitt und Kamerabewegung.
1968 in der Aula der Hamburger Kunsthochschule von Christian Bau gedreht,
stellte der Kurzfilm „Kubla Khan“ eines der Schlüsselwerke in der aktuellen
Retrospektive in Oberhausen dar. Unter der Überschrift „Abschied vom Kino.
Knokke, Hamburg, Oberhausen (1967-1971)“ wurden in acht Blöcken knapp 50
Kurzfilme gezeigt; 60 Minuten der längste, 60 Sekunden der kürzeste.
Daneben gab es Installationen und Gespräche. Kurator Peter Hoffmann hatte
sich vorher bereits als Kenner der Materie ausgewiesen. Zwei umfangreiche
Reihen zum Thema waren von ihm im Hannoveraner „Kino im Sprengel“ quasi im
Alleingang ausgerichtet worden. Er verzichtete nun weitgehend auf allzu
bekannte Titel, griff lieber auf vergessene Werke zu. Einige der Beiträge
waren nach 50 Jahren zum ersten Mal wiederzusehen; nahezu alle konnten als
analoge Kopien projiziert werden.
## Die neuen Filme sehen alt aus
Die Retro stellte sich als das herausragende Ereignis des Festivals heraus.
Nicht nur, weil die meisten der neuen Wettbewerbsfilme im Vergleich dazu
ziemlich alt aussahen. Die enge Verflechtung von Film- und Zeitgeschichte
wurde sehr greifbar, erhielt durch die geerdeten Kommentare des Kurators
und durch die Gespräche mit den angereisten Regisseuren zusätzliche
Grundierung.
Christian Bau etwa verwies darauf, dass ihm zum Zeitpunkt der Dreharbeiten
von „Kubla Khan“ auch im „richtigen Leben“ exakt die Ratlosigkeit zwisc…
Kunst, Krieg und Sex umgetrieben hatte, die er in seinem Film zu
artikulieren suchte. Sollte man sich der Hochkultur zuwenden, in den
bewaffneten Untergrund abtauchen oder lieber das Leben genießen?
Bekannterweise stellte dieses Trilemma keine bloße Metapher dar. Wenig
später entschieden sich tatsächlich die dffb-Studenten Holger Meins und
Werner Sauber dazu, ihre Bolex gegen eine Mauser einzutauschen. Sie
bezahlten das mit dem Leben. Andere wurden zu etablierten Künstlern oder
gingen irgendwo auf ihrer privaten Glückssuche verloren.
Holger Meins war auch in einem der Filme zu sehen. Zum Jahreswechsel
1967/68 reiste Claudia von Aleman im Auftrag des WDR in das belgische
Seebad Knokke, wo sich die filmische Undergroundszene zu einem mehrtägigen
Festival versammelt hatte. In ihrer Reportage „exprmntl 4 knokke“ hat Meins
einen kurzen Auftritt: er fuchtelt an der Seite von Harun Farocki mit einem
Transparent herum, auf dem die gerade für Furore sorgenden
Experimentalfilmer wegen ihrer entpolitisierten Haltung als Teil des
US-amerikanisch dominierten Kulturimperialismus angegriffen werden.
## Farocki wollte nicht mehr darüber reden
Später wollte Farocki nicht mehr so gern über diese Ereignisse reden. Der
Witz an der Geschichte ist, dass der Vorwurf an das Festival wohl gar nicht
so falsch war. (Damals unterstützte die CIA über Tarnorganisationen
zahlreiche kulturelle Aktivitäten in Westeuropa.) Unabhängig davon muss
Knokke als wegweisendes Ereignis in der Geschichte eines „Anderen Kinos“
eingestuft werden. Es war wie nach den ersten Konzerten der Rolling Stones:
unmittelbar danach gründeten sich u.a. in Hamburg (Coop), München (P.A.P.)
und Köln (X-Screen) Initiativen für autonome Filmarbeit.
Es ging um formale Grenzerweiterung, Tabubrüche und, ganz wichtig, um
Selbstverwaltung in Produktion und Vertrieb. Schon im embryonalen Zustand
des Treffens in Knokke waren sämtliche nachfolgenden Ausdifferenzierungen
vorgezeichnet. Es gab dort die radikal-formale Studie „s/w“ von Birgit und
Wilhelm Hein, die Kamera-Selbstbefreiung „Selbstschüsse“ von Lutz Mommartz
oder den humoristisch intendierten und jetzt wiedergezeigten Kurzspielfilm
„Warum hast du mich wachgeküsst?“ von Hellmuth Costard. Diese Positionen
erschienen ihren Urhebern damals als unvereinbar.
Die Euphorie einer filmexperimentellen Einheitsfront währte, wenn es sie
überhaupt je gegeben hat, nur sehr kurz. Einige der damaligen Pioniere
reden bis heute nicht miteinander. Mit ihrer Verästelung in unversöhnliche
Fraktionen nahm der filmische Underground schon 1968 jene Entwicklung
vorweg, die sich wenig später in der linken politischen Bewegung
reproduzierte. In dieser Hinsicht erfüllte sich ihre Avantgarde-Funktion
mustergültig.
Dennoch stellt sich beim kompakten Wiedersehen dieser alten Filme heute
keine Resignation ein, sondern eher ein Glücksgefühl. Angesichts des
gegenwärtigen, allerdrückenden Mittelmaßes im deutschen Kino zeugt der
Blick in die Vergangenheit von einem immens erfrischenden Potential, an das
zu erinnern so falsch nicht sein kann.
9 May 2018
## AUTOREN
Claus Löser
## TAGS
Harun Farocki
Kurzfilm
Filmgeschichte
Frankfurt/Main
Kunstbetrieb
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