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# taz.de -- Kurzfilmtage Oberhausen: Spiel mit Konventionen
> Struktur und Abstraktion: Die Probleme des medialen Umbruchs machen die
> 62. Kurzfilmtage Oberhausen als Treffpunkt der Szene wertvoll.
Bild: Sun Xun „Long Nian Wang Shi“, China, 2014
Mehr als entspannte Blickkontakte waren nicht drin, als die Fans der 62.
Internationalen Kurzfilmtage Oberhausen am verlängerten Wochenende nahe des
Festival-Kinos Lichtburg auf die Anderwelt eines lokalen Weinfestes trafen,
das unter blauem Himmel für Ruhrgebiets-gemütliche Ballermann-Stimmung
sorgte.
Oberhausen pflegt als ältestes und angesehenstes Kurzfilmfestival ein
Format, das als Startrampe für den Nachwuchs immer beliebter wird, aber nur
noch online zu sehen oder bei speziellen Events wie in Oberhausen mit
anderen zu teilen ist. Die Probleme des medialen Umbruchs sind es, die den
Ort als Treffpunkt der Szene wertvoll machen. Es geht um Künstlerfilme, um
Nachwuchsexperimente, um technische, ästhetische Innovationen, um Ausblicke
in die kinematografischen Konstruktionen anderer Kulturen und
Wahrnehmungsweisen.
Die Auswahljuries der internationalen und deutschen Wettbewerbsprogramme
arbeiten schon seit Jahren in derselben Besetzung. Vielleicht ist es dem
rituellen Miteinander geschuldet, dass leichter zugängliche oder gar
unterhaltende Filme ihre Reizschwelle kaum erreichen.
## Inflationärer Gebrauch des Begriffs Struktur
So sah ich Programme, in denen gleich mehrere Filme nacheinander in
abstrakter, visuell verfremdeter Weise die Themen Landschaft, Architektur,
Mindmapping oder Körper, Haut und Entfremdung assoziierten und sich
gegenseitig neutralisierten. Erstaunlich der inflationäre Gebrauch der
Begriffe Struktur und Konzept im Katalog – noch uneingelöste
Eintrittsbillets in die potentielle Zirkulation des Films im Kunstbetrieb.
Kaum überzeugend die Agent-Provocateur-Pose eines Kurators, der sich vor
jedem Programm als „guilty“ für die Auswahl erklärte. Kritische Debatten
mochten in der exzeptionellen Atmosphäre unter zahlreichen, für die
Einladung dankbaren Filmkollegen nicht aufkommen.
Preise räumten Filme ab, deren Form einem deutlicher fassbaren narrativen
und expressiven Impuls entsprang. So gibt die junge Schweizerin Louise
Carrin in Venusia der Besitzerin eines Genfer Luxusbordells und einem ihrer
„Mädchen“ in einer Folge fester Einstellungen aus dem Raucherzimmer des
Etablissements Raum für ihr doku-fiktionales lockeres Geplauder. Es handelt
von der Unlust am Metier, von Ausbruchs- und Urlaubsträumen, dem Stress mit
unberechenbaren Kunden und unzuverlässigen Escort-Studentinnen, vom
Alleinsein und Familienleben. Die visuellen Signale ihrer provisorischen
Outfits, ihre kosmetische Selbstoptimierung und die dicken Zigarren der
Chefin vergesse ich nicht so schnell.
## Die Tragödie menschlicher Hybris
Der philippinische Kult-Regisseur Lav Diaz, Gewinner des Silbernen Bären
der Berlinale, erhielt den Hauptpreis der Jury für The day before the end,
eine in nuancenreiches Schwarzweiß getauchte Reflexion über die Apokalypse,
in der Laien und Schauspieler inmitten vom tropischen Regen durchtränkten
Straßensettings die Tragödie menschlicher Hybris (ein in mehreren Filmen
meist hilflos realisiertes Themas) vergegenwärtigen. Angesichts des größten
anzunehmenden Sturms, der die Philippinen im Klimawandel treffen wird,
zitieren sie verzweifelt konzentriert große Shakespeare-Monologe von
erstaunlicher Aktualität.
Leichter und unverfrorener als viele Wettbewerbsfilme boten die
Künstler-Werkschauen Einblicke ins Spiel mit Konventionen. Die norwegische
Grafikerin Anne Hausgjerd entdeckte das Filmemachen erst in ihren
Vierzigern und schildert in ihren oft von persönlichen Voice-over
Kommentaren begleiteten, den Status der fröhlichen Dilettantin
ausstellenden Filmen autobiografische Momentaufnahmen.
In Anna inszeniert sie in plastikbunten Farben die Nöte eines gehemmten
Teenagers, der vom Vater für seine Marilyn-blonde Bleichkur bestraft wird,
in I wanna be loved by you mockiert sie sich über den Hype um das maskuline
Idol Elvis Presley und die Mode der frühen 1960er, über Mädchen sich zum
begehrten Liebesobjekt zu stilisieren versuchten.
## Von Londons arroganter Kunstszene verschmäht
In Aileen, my red-haired Girlfriend porträtiert sie in direktem Austausch
mit der Frau vor der Kamera ihre hinreißend verrückte Jugendfreundin, eine
Malerin, die einst als Bunny in einem Londoner Club ihr Geld verdiente,
jetzt auf einem Bauernhof in der Normandie wider die umliegenden Großbauern
das ökologische Wirtschaften probiert und mit ihren Lucian-Freud-ähnlichen
Gemälden keinen Fuß in Londons arrogante Kunstszene setzen kann.
Andere, auf gesellschaftliche Makrostrukturen zielende Akzente setzte der
chinesische Maler und Filmemacher Sun Xun. Seine Animationsfilme wie auch
die großen schwarzroten Gemälde auf historischem Zeitungspapier, die er
während des Festivals in Oberhausen ausstellte, greifen die mythenbildende
Potenz der Zeichensysteme auf, mit denen die demagogischen Ideologien des
20. Jahrhunderts bis in die Gegenwart den Bilderhaushalt der Imagination
besetzen.
12 May 2016
## AUTOREN
Claudia Lenssen
## TAGS
Kunstbetrieb
Shakespeare
Schwerpunkt Klimawandel
Kunstszene
Harun Farocki
Fieber
Filmfestival
Dokumentarfilm
Schwerpunkt Rechter Terror
Film
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