# taz.de -- Spielfilm „Fieber“: Das Schweigen und die Malaria | |
> Mein Vater, der Fremdenlegionär: Elfi Mikesch erzählt in ihrem | |
> autobiografischen Film actionfrei von der Grausamkeit des Krieges. | |
Bild: Aus der Perspektive des Kindes erzählt: Carolina Luzia Cardoso als Franz… | |
Als Kind konnte Elfi Mikesch aus dem Fensterchen im Plumpsklo ihres | |
elterlichen Hauses die Berge sehen. In einem autobiografischen Essay | |
schilderte die Fotografin, Kamerafrau und Filmregisseurin einmal die | |
Zauberwirkung dieser Blackbox: Was sie da sah, war nicht die Landschaft | |
ihrer steirischen Heimatstadt Judenburg, es waren afrikanische | |
Wüstengebirge oder aber ihre Traumvorstellung davon, ganz nah und wirklich. | |
Einen Unterschied machte das damals nicht. | |
„Träum doch nicht! Guck doch nicht so in die Luft!“, solche Elternsprüche | |
konnten ihr wenig anhaben. Bis heute sieht Elfi Mikesch Träume untrennbar | |
mit der Wirklichkeit verbunden – und Fotografien als Bilder der | |
Wirklichkeit, in denen Träume weiterleben. | |
„Fieber“, ihr autobiografisch grundierter Spielfilm, führt zurück zu den | |
Wurzeln. Woher stammt die frühe Faszination für Afrika? Ein halbes | |
Jahrhundert lang flossen immer wieder Reiseerfahrungen oder auch exotische | |
Fantasien über die Fremde in ihre Fotoserien, in die Kameraarbeit für | |
befreundete Filmemacher und viele eigene expressive Filmessays ein. | |
„Fieber“ nimmt die Spur dieser Prägung auf und stößt dabei auf die | |
Geschichte ihres Vaters und seiner Gespenster. | |
Franziska (Eva Mattes), das Alter Ego der Regisseurin, fotografiert zu | |
Beginn Schlachtvieh als melancholisch-schöne Stillleben und kann doch nicht | |
von der harten Wirklichkeit einer Fleischfabrik abstrahieren. Die vom Vater | |
ererbten Fotoalben kommen ihr in den Sinn, in denen er peinlich besessen | |
unzählige Erinnerungsfotos an seine jungen Jahre in der französischen | |
Fremdenlegion festhielt. „Schweigen ist Macht“, war sein Kommentar, mit dem | |
er den Anspruch festigte, nichts über die Wirklichkeit hinter den Bildern | |
seiner großen Zeit offenzulegen. | |
Das Beschweigen der eigenen Verantwortung ist Leitmotiv unzähliger Filme | |
und Bücher über die Tücken des kollektiven Gedächtnisses, vor allem in | |
Deutschland. Die 1940 in Österreich geborene und in Berlin lebende Elfi | |
Mikesch nimmt es in ihrer Geschichte mit anderen Kriegen auf, die zwischen | |
den beiden Weltkriegen stattfanden und weitgehend verdrängt sind. | |
## Die Lebenslügen der Erwachsenen | |
In ihrem Film geht es um den Einsatz des Vaters in der französischen | |
Fremdenlegion zwischen 1922 und 1932. Damals schlugen die europäischen | |
Kolonialmächte in böser Kooperation die Unabhängigkeitsbestrebungen der | |
Berber und Kabylen im heutigen Marokko nieder. Die Rolle des Vaters in der | |
Fremdenlegion war nie offene Gespräche wert. Aber das Vergangene ist nicht | |
vergangen: Die Kindheit im Schatten der Malaria-Fieberanfälle des Vaters, | |
überhaupt die Lebenslügen der Erwachsenen steigen wieder auf in Franziska. | |
Ein Leben lang beschäftigt sich Elfi Mikesch mit den fließenden Grenzen | |
zwischen Sein und Schein in der Fotografie. Ihr Film handelt davon, wie das | |
Schweigen der Eltern Fantasien freisetzt und Legenden webt. | |
„Fieber“ blendet aus der nachdenklichen Stimmung der erwachsenen Fotografin | |
Franziska zurück in die Wahrnehmung des aufgeweckten Mädchens (Carolina | |
Luzia Cardoso), das sie irgendwann in den 1950er Jahren war. | |
## Parallelwelt des Vaters | |
Aus der Perspektive des Kindes erzählt der Film von der merkwürdigen | |
Suggestionskraft, die die Parallelwelt des Vaters auf sie ausübt. Schuld zu | |
verteilen und das Mädchen angesichts der Zornesausbrüche und Übergriffe als | |
Opfer darzustellen, liegt der Filmemacherin fern. Sie zeigt vielmehr, wie | |
Franzi die Konfrontation anzunehmen versucht, wie sie sich in die | |
Fieberfantasien des Vaters hineinversetzt und welche Gegengifte sie gegen | |
den Konformitätsdruck findet. | |
Da gibt es zum Beispiel ein Theater aus Papier, mit dem sie kleine Fluchten | |
aus der häuslichen Enge inszeniert. Sie träumt sich auch in die wahnhaften | |
Plaudereien des Vaters mit seinen Kriegskameraden hinein, sie stellt sich | |
diese Wiedergänger leibhaftig vor und lauscht dem vertraulichen Tonfall der | |
undurchschaubaren Männergespräche. | |
Da ist nicht zuletzt Madame Marguerite (Sascha Ley), eine sympathisch | |
frivole Nachbarin, die ihre sexuelle Beziehung zu Franziskas Vater nicht | |
verleugnet und ihr wie eine große Schwester begreiflich macht, dass auch | |
andere weibliche Rollenmodelle existieren, nicht nur das von ihrer | |
verhärteten Mutter (Nicole Max) vorgelebte. | |
## Bewusst fragmentarische Perspektive | |
„Mir war wichtig, mit den Mitteln des Spielfilms von der Gewalt, der | |
Ausnahmesituation und der Grausamkeit des Krieges erzählen zu können, ohne | |
dass Action ins Spiel kommt“, beschrieb Elfi Mikesch die intime, bewusst | |
fragmentarische Perspektive ihres Films bei der Berlinale 2014. Und weiter: | |
„Der Krieg findet in der Vorstellung des Kindes statt, das Fragen an die | |
Erwachsenen stellt. Was wird aus ihm, wenn es keine Antwort findet?“ | |
Elfi Mikeschs Vater war in den 1950er Jahren Filmvorführer in Judenburg. | |
Schon als kleines Mädchen half die Tochter bei seinen Vorbereitungen und | |
durfte abends mit der Mutter Filme sehen. Dieser frühe Eintritt ins | |
Bilderzauberreich des Kinos kommt in dem kammerspielähnlichen Drehbuch | |
leider nicht vor. | |
Es geht um die kleinbürgerliche Enge der Familie, um den väterlichen | |
Haustyrannen, den Martin Wuttke als manischen, von seiner autoritären | |
Erziehung verbogenen und dem Soldatenleben infizierten Eigenbrötler spielt. | |
Die fotografischen Überbleibsel seiner Legionärszeit kann er nicht | |
loslassen, aber bei dem Versuch, seine Geschichte niederzuschreiben, | |
scheitert er erst recht. | |
## Soldaten, die im Freizeitmodus posieren | |
Die schwarz-weißen Kleinbildfotos, die das leere Zentrum in „Fieber“ | |
darstellen, entstammen den Alben des Vaters von Elfi Mikesch. Wie die | |
berüchtigten Landserfotos des Zweiten Weltkriegs zeigen auch seine Bilder | |
nicht den Krieg. Franzi schaut auf Landschaften und Soldaten, die im | |
Freizeitmodus posieren oder wie Techniker mit Waffen, Gerät und Munition | |
hantieren. | |
Elfi Mikesch setzte sich wie ihre Hauptfigur mit dem ererbten Privatarchiv | |
auseinander. Das erweist sich als Sammlung von Schnappschüssen aus dem | |
spanisch-französischen Rif-Krieg der Kabylen und Berber unter Abd al-Karim. | |
Die Spanier unterdrückten den Aufstand mit allen Mitteln, auch mit dem | |
Einsatz von Giftgas. Deutschland, betont Elfi Mikesch, war damals | |
eingebunden, denn das Senfgas wurde in Hamburg produziert und nach Spanien | |
geliefert. | |
Schon im Ersten Weltkrieg wurde Giftgas eingesetzt, mit katastrophalen | |
Folgen. Im Rif-Krieg gingen die Kolonialtruppen weiter, indem sie zum | |
ersten Mal Giftgasbomben aus Flugzeugen abwarfen. Bis heute, sagt die | |
Filmemacherin, sei die Krebsrate in Marokko sehr hoch. | |
## Mit Kriegserfahrungen leben lernen | |
Elfi Mikesch versteht es, ihren Film nicht auf ein selbstbezügliches | |
Vater/Tochter-Drama zu beschränken. Am Ende hat die Bilderbefragung | |
Franziska verändert: Möglich, dass sie weiterhin Stillleben fotografiert, | |
schön kontemplativ, aber sie öffnet sich für direkte Gespräche, sie lässt | |
den Fotoapparat in der Tasche und erkundet wie eine Reporterin, wie | |
Menschen mit Kriegserfahrungen leben lernen. | |
Der historische Rif-Krieg, den sie anhand der Momentaufnahmen ihres Vaters | |
in Erinnerung ruft, ist über ihren Film hinaus ein brisantes aktuelles | |
Thema. Einige der islamistischen Attentäter von Paris und Brüssel stammen | |
aus Familien, deren Vorfahren im Rif-Krieg für die Befreiung vom | |
Kolonialismus kämpften und die brutale Niederschlagung des Aufstands nie | |
vergessen haben. | |
11 Aug 2016 | |
## AUTOREN | |
Claudia Lenssen | |
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