# taz.de -- Elfi Mikesch über ihren Film „Fieber“: Die Macht des Schweigens | |
> Von Kolonialkriegstraumata und der kindlichen Neugier auf das Ungesagte: | |
> Ein Gespräch mit Elfi Mikesch über ihr neuestes Werk. | |
Bild: Nicole Max, Martin Wuttke und Carolina Cardoso in „Fieber“. | |
taz: Frau Mikesch, Ihr Film weckt die Erinnerung an vergessene | |
Kolonialkriege. | |
Elfi Mikesch: Die Fotografien, die der Vater meiner Hauptfigur Franziska | |
aufgenommen hat, stammen aus der Zeit zwischen 1922 und 1932. Es sind | |
Bilder aus meinem Privatarchiv, die mein Vater als französischer | |
Fremdenlegionär in Algerien, Marokko und Syrien, damals französisches | |
Protektoratsgebiet, aufgenommen hat. Mein Alter Ego vertieft sich als Kind | |
in die Bilder und stellt Fragen. Wer ist der Feind? Was ist mit dem Gebot | |
„Du sollst nicht töten“? Die Mutter antwortet: „Beim Militär darfst du | |
töten.“ | |
Nach einer langen Karriere als Fotografin, Kamerafrau und Regisseurin | |
kommen Sie auf die authentischen Bilder Ihrer Kindheit zurück. | |
Es sind Bilder des spanisch-französischen Rifkrieges und des Widerstands | |
der Berber unter Abd al-Karim. Die Spanier unterdrückten den Aufstand unter | |
Einsatz von Giftgas. Deutschland war eingebunden, denn das Senfgas wurde in | |
Hamburg produziert und nach Spanien geliefert. | |
Ihr Film geht von dem Nachhall der Kriege in der Beziehung zwischen Vater | |
und Tochter aus. Die autobiografischen Elemente treten in der fiktionalen | |
Erzählung zurück. Legen Sie Hinweise auf die Giftgasattacken im | |
gegenwärtigen syrischen Bürgerkrieg nah? | |
Schon im Ersten Weltkrieg wurde das katastrophale Senfgas eingesetzt, aber | |
Giftgasbomben aus Flugzeugen setzte man zuerst in diesem Kolonialkrieg in | |
Marokko ein. Das war ein Experiment mit verheerenden Folgen für Menschen | |
und Tiere. Bis heute ist die Krebsrate in dieser Region sehr hoch. | |
Sie blenden im Film von den Erinnerungen der Fotografin Franziska zurück in | |
die kindliche Wahrnehmung. | |
Mir war wichtig, mit den Mitteln des Spielfilms von der Ausnahmesituation | |
und Grausamkeit des Krieges zu erzählen, ohne dass Action ins Spiel kommt. | |
In „Fieber“ findet der Krieg in der Vorstellung des Kindes statt, das um | |
1952 elf Jahre alt ist. Die Kriege des Vaters kennt es nur aus Erzählungen. | |
Wie verarbeitet ein Kind die Konfrontation? Was imaginiert es, wenn es | |
keine Antworten auf seine Fragen findet? Diese andere, fragmentarische | |
Perspektive auf Geschichte interessierte mich. | |
Gestalten aus den Erzählungen des Vaters schauen dem Mädchen über die | |
Schulter. | |
Unsere Eltern erzählen uns Geschichten, aber was verschweigen sie? Wir alle | |
kennen diese Erfahrung, die Franzi macht. „Schweigen ist Macht“, sagt der | |
Vater über sein Weltbild. | |
Aber Sie zeigen ihn bei seinen Versuchen, das Erlebte aufzuschreiben. Das | |
Kind erschließt sich die Geschichte zudem aus Fotoalben. Erzählung ist ein | |
explizites Motiv in Ihrem Film. | |
Er will erzählen, aber was verschweigt er? Franzi stöbert neugierig in | |
seinen Sachen und betritt einen Raum, den sie wie in einem bösen, | |
abgründigen Märchen nicht betreten sollte. Die Gespenster, die ihr | |
erscheinen, sprechen aus, was das Kind von den Erwachsenen aufgeschnappt | |
hat. Mich faszinieren die Imaginationen, die aus diesem Zwischenreich | |
entstehen. | |
Fotografien, mit denen wir Nachgeborene zum Beispiel die Naziverbrechen | |
rekonstruieren, scheinen meist viel zu verschweigen. | |
Deshalb beschäftigt es mich, Fotografien zu lesen und hinter die Bilder zu | |
schauen. Wir kennen die grausamsten Holocaust-Bilder und die | |
Hungergeschichten der Welt. Mir ist wichtig, was diese Bilder mit uns | |
machen, wenn wir uns an sie gewöhnen. | |
Erzählt die skeptische Haltung der Protagonistin von Ihrer Haltung zur | |
Fotografie? | |
Franziska fotografiert einmal im Schlachthof ein Tier, das kurz zuvor noch | |
gelebt hat. Sie sieht die Zuckungen und antwortet auf die Frage des | |
Metzgergehilfen, was am Ende bei ihrer Arbeit herauskommt: „Nur ein Bild.“ | |
Sie will das Vorher und ein Nachher der Bilder ergründen. | |
Sie kreieren einen emotionalen filmischen Raum, der die Fotoalben des | |
Vaters in Bewegung setzt. | |
„Fieber“ wurde von unserem Kameramann Jerzy Palacz sehr fotografisch | |
gefilmt. Ich untersuche diesen Zwischenraum. Bei der Fotografie halten wir | |
inne, wir können eine Geschichte hineininterpretieren. Im Film bekomme ich | |
tatsächlich eine Geschichte erzählt. | |
Wo sehen Sie Ihren Film in der Debatte über Geschichtsbilder? Ist die | |
Vaterfigur nicht eher ein Opfer als ein Täter? | |
Er ist als Soldat ambivalent, Opfer und Täter zugleich. Das Kind stellt die | |
entscheidende Frage, die auch eine Anklage sind. Es liebt Vater und Mutter, | |
muss aber erkennen, dass das ideale Bild der Eltern nicht existiert, | |
andererseits erleiden Soldaten die Kriege auch. Sie sind traumatisiert, | |
auch in allen gegenwärtigen Kriegen. Opfer und Täter können oft nicht über | |
die Verrohung sprechen. Dagegen möchte ich den Dialog zwischen Sprache, | |
Musik und Bild setzen. | |
Franzi, ihr Bruder und die Mutter lieben den unmöglichen Vater. Anstatt | |
individuell anzuklagen, stelle ich die universelle gesellschaftliche Frage, | |
warum es Armeen gibt und warum mit Waffen Geld verdient wird. Es ist uns | |
nicht bewusst, dass Deutschland an dritter Stelle des internationalen | |
Waffenexports steht und durch die Lieferung von Komponenten zur | |
Giftgasproduktion indirekt an den jüngsten Giftgasattacken in Syrien | |
beteiligt ist. Ich setze bei der Familie, dem kleinsten Glied der | |
Gesellschaft, an. | |
Sie spalten die weibliche Gegenwelt auf. Neben der Mutter gibt es | |
Marguérite, die Nachbarin und Geliebte des Vaters, die Sie als erotische | |
Ikone beschreiben. Ist sie eine Fantasiefigur des Kindes Franziska? | |
Das bleibt offen. Marguérite ist Franzis Verbündete, wenn sie sagt: | |
„Geheimnisse sind dazu da, gelüftet zu werden.“ Aber die offengelegten | |
Geheimnisse schrecken das Kind auch. Merkwürdig, dass die Eltern gegenüber | |
den Bildern alles andere als verschwiegen sind. Sie darf sie wie böse | |
Märchen anschauen. Franziska sagt einmal: „Ich habe mich mit diesen Bildern | |
zugedeckt, ich dachte, mich sieht keiner, aber ich dafür die Welt.“ | |
12 Feb 2014 | |
## AUTOREN | |
Claudia Lenssen | |
## TAGS | |
Fieber | |
Spielfilm | |
Holocaust | |
Heinrich Himmler | |
Dominik Graf | |
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