# taz.de -- Neue Biografie über Jan Karski: Zwischen den Fronten | |
> Jan Karskis Leben war voller Mut und Integrität, schrieb Eli Wiesel. | |
> Marta Kijowska hat die Aufgabe übernommen, von ihm zu erzählen. | |
Bild: Er versuchte, der Welt vom Holocaust zu berichten, doch die Welt wollte n… | |
BERLIN taz | „Dieser Karski interessiert mich seit zwanzig Jahren nicht | |
mehr“, sagte Jan Karski kurz vor seinem Tod. Das war im Jahr 2000, er war | |
86 Jahre alt und bedauerte, nun bereits nach nur drei Manhattan-Cocktails | |
einzuschlafen. Er, den man als den „Mann, der den Holocaust stoppen | |
wollte“, gelabelt hatte, dem alle möglichen Ehrungen in den USA, Europa und | |
Israel zuteil geworden waren, haderte noch immer mit sich. | |
Als Kurier des polnischen Untergrunds war der junge katholische Diplomat | |
aus bürgerlichem Haus während des Zweiten Weltkriegs unter Lebensgefahr von | |
Polen aus quer durch Europa nach London zur polnischen Exilregierung um | |
Ministerpräsident Sikorski und bis in die USA gereist, um über die | |
Kriegsgräuel der Deutschen, die Umtriebe der Sowjets und die polnische | |
Untergrundarmee zu berichten. | |
Er geriet in die Hände der Gestapo, wurde gefoltert und von sozialistischen | |
Untergrundkämpfern befreit, ließ sich 1942 von Leon Feiner durch das | |
Warschauer Ghetto führen und schleuste sich als ukrainischer Wachmann | |
getarnt in das Konzentrationslager Izbica Lubelska ein. Nach dem, was er im | |
Ghetto und im Lager gesehen hatte, macht er zu seiner Mission, die | |
Alliierten über die Judenvernichtung zu informieren. | |
In England wurde er von Außenminister Eden angehört, in den USA von | |
Präsident Roosevelt. Doch Glauben schenkte man ihm nicht so recht. Karski | |
wusste zu dem Zeitpunkt noch nicht, dass die Alliierten über | |
mitgeschnittene Funksprüche der deutschen Polizeibataillone in Polen | |
bereits über die Judenvernichtung informiert waren. | |
## Karski erfand dazu, um sein Ziel zu erreichen | |
Fast 40 Jahre hatte Karksi nach dem Krieg über seine Mission geschwiegen, | |
bis Claude Lanzmann ihn bewegen konnte, für sein Mammutprojekt „Shoah“ | |
Zeugnis abzulegen. Karskis Geschichte ist weithin bekannt, in Deutschland | |
spätestens seit sein „Bericht an die Welt“ 2011 auf Deutsch erschienen ist. | |
1944 in den USA verfasst, ist es ein ergreifendes, zeithistorisches | |
Dokument, dessen Entstehungshintergrund ihm jedoch einige Beschränkungen | |
auferlegt hatte. Karski selbst sagte noch 1990: „Ich zögerte nicht, einiges | |
für Propagandazwecke zu erfinden.“ | |
Das bezog sich freilich nicht auf das, was er über die Judenvernichtung | |
berichtete, sondern auf die verzweifelten Versuche, Polen, das für | |
Großbritannien und die USA zunehmend zum Ballast geworden war, nicht zur | |
Verhandlungsmasse der Alliierten werden zu lassen. So kann man an „Mein | |
Bericht an die Welt“ bemängeln, dass er den Antisemitismus, den es in | |
Teilen der polnischen Heimatarmee gab, und die Spaltungen innerhalb des | |
polnischen Widerstands unterschlagen hatte. | |
Wenig weiß man über sein Leben vor und nach dem Krieg. Diese Lücke schließt | |
nun die Münchner Journalistin Marta Kijowska mit ihrem Buch „Das Leben des | |
Jan Karski. Kurier der Erinnerung“. Kijowska zieht zahlreiche Quellen über | |
Karski heran, und es gelingt ihr, dem Leser ein eindrückliches Bild des | |
Menschen Karski zu geben. Sein Leben nach dem Zweiten Weltkrieg erzählt sie | |
ebenso spannend wie dessen tragische Mission als Kurier. | |
## Die USA als Sinnbild der Demokratie | |
Von seiner Reise als Kurier in die USA im Jahr 1944 kehrte Karski 30 Jahre | |
nicht mehr nach Polen zurück, 1991 nahm er eine offizielle Einladung zu | |
einer Vortragsreise an. In Washington lehrte er an der jesuitischen | |
Georgetown University osteuropäische Geschichte. Seine Vorlesungen besuchte | |
auch der junge Bill Clinton. | |
Karski, der als Student mit dem Kommunismus sympathisierte, hatte sich zu | |
einem Gegner des Kommunismus entwickelt. Sein Mentor in Washington war der | |
Roosevelt-Berater Professor Pater Walsh, der Senator Joseph McCarthy 1950 | |
empfohlen hatte, den Kampf gegen den Kommunismus zu dem wichtigsten Thema | |
seiner Kampagne zu machen. Die USA liebte Karski dafür, dass sie ein | |
Einwanderungsland sind, und den Polen empfahl er das ganz gewöhnliche | |
US-amerikanische Straßenleben als demokratische Schule. | |
Dass auch die USA die Rettung der Juden dem eigenen Kriegsziel | |
untergeordnet hatten, war mit ein Grund für sein langes Schweigen nach dem | |
Krieg: „Einer der schlimmsten Schocks meines Lebens war, als Eisenhower | |
sowie verschiedene Staatsmänner ... sagten, sie hätten nichts gewusst ... | |
Sie alle waren Heuchler, alle!“ | |
Und die Polen? Kijowska zitiert den Schriftsteller Henry Grynberg, dessen | |
Vater von antisemitischen polnischen Bauern erschlagen worden war. 1992 | |
fragte Karski Grynberg, wie er noch auf Polnisch schreiben könne: „ ,Aber | |
lieber Herr Jan‘, warf ich ein, ,sie sagen doch, dass sie alles taten, was | |
sie konnten‘ - ,Sie lügen‘, antwortete er.“ | |
14 Mar 2014 | |
## AUTOREN | |
Tania Martini | |
## TAGS | |
Holocaust | |
Biografie | |
Schwerpunkt Zweiter Weltkrieg | |
Gedenken | |
Claude Lanzmann | |
Schwerpunkt Nationalsozialismus | |
Alkoholismus | |
Holocaust | |
Fieber | |
Holocaust-Gedenktag | |
Holocaust | |
Dokumentarfilm | |
## ARTIKEL ZUM THEMA | |
Buch über Konzentrationslager: Jeder Würde beraubt | |
David Roussets Dokumentation und Analyse des „KZ-Universums“ ist verstörend | |
eindrücklich – und ein frühes Standardwerk über die Lager. | |
„Schluckspecht“ von Peter Wawerzinek: Suff in den Zeiten des Pietismus | |
Peter Wawerzinek erzählt in „Schluckspecht“ von jemandem, der das Leben nur | |
gedimmt erträgt. Zugleich ist es eine Liebeserklärung an den Rausch. | |
„The Lady in Number 6“: Älteste Holocaust-Überlebende ist tot | |
Die Musik hielt Alice Herz-Sommer im Konzentrationslager am Leben. Nun ist | |
die älteste bekannte Holocaust-Überlebende im Alter von 110 Jahren | |
gestorben. | |
Elfi Mikesch über ihren Film „Fieber“: Die Macht des Schweigens | |
Von Kolonialkriegstraumata und der kindlichen Neugier auf das Ungesagte: | |
Ein Gespräch mit Elfi Mikesch über ihr neuestes Werk. | |
Kommentar Holocaust-Gedenktag: Niemals vergessen | |
Das Gedenken an die Opfer des Nationalsozialismus ist kein sehr altes | |
Ritual. Erinnern heißt auch, alle Verbrechen der Nazis genau zu betrachten. | |
Gedenken an Auschwitz: "Wir wollen die Nazis nicht wieder haben" | |
Zum 16. Mal organisieren Pankower eine Lichterkette. Wie das Gedenken an | |
Auschwitz zusammenhängt mit dem Engagement für Flüchtlinge, sagt | |
Initiatorin Ilona Nack. | |
Dokumentarfilm über den Holocaust: Ganz ohne Histotainment | |
Ukrainische Juden überleben die Shoa in einem unterirdischen | |
Höhlenversteck: „Kein Platz zum Leben“ zeigt, wie gutes Geschichtsfernsehen | |
geht. |